830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Der Typus (...) [des] Liebesromans bildet das Gerüst von „Mai und Beaflor“, einem anonym überlieferten höfischen Roman des 13. Jahrhunderts, dessen genaue Datierung unsicher ist. (...) Die Vorlage ist unbekannt, sie dürfte französisch sein. (...) Eine Prosachronik als Quelle ist eher unwahrscheinlich und soll wohl die Authentizität der Geschehnisse verbürgen; Prosaromane vergleichbaren Inhalts sind nicht überliefert. Der Liebesroman erhebt – im Unterschied zum Artusroman – generell einen Faktizitätsanspruch: Flore und Blanscheflur sind in die Karls-Genealogie eingebunden, der „Partonopeus“ auf das Haus Blois bezogen, auch der „Willehalm von Orlens“ gibt sich als Historia.
Stoffgeschichtliches Interesse war es, das Johannes Bolte veranlaßte, zwei Meisterlieder des Nürnberger Meistersängers Friedrich Beer aus dem Jahre 1588 zu veröffentlichen: sie haben zwei Abenteuer (...) aus dem Faustbuch von 1587 als Grundlage. (...) Sie sind (...) mehr als nur „ein neues Zeugnis für rasche Verbreitung“ (...) des Faustbuchs; Textwahl und Gestaltung sind vielmehr bestimmt vom Literaturbetrieb der Meistersänger und den Normen ihrer sozialen Gruppe.
Ziel (...) [der] Überlegungen [Volker Mertens] ist eine Deutung von Wolframs Ehe-Tagelied „Der helden minne ir klage“ – (...) [Volker Mertens] will dieses Lied zu verstehen suchen im Zusammenhang mit Wolframs Lyrik: von Minnedienst und Tageliederotik. Die Lieder stehen im Kontext des hohen Minnesangs – deutliche Bezüge zu Liedern Walthers und Reinmars haben sich erschließen lassen, nicht umsonst erscheinen alle drei Sänger im Gedicht vom ‚Wartburgkrieg’, wenngleich es dort nicht um Liebe sondern um Fürstenpreis geht.
„Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig“, bemerkte Richard Wagner gegen Ende seines Lebens. (...) [An keinem seiner früheren Werke] hat er soviel retuschiert und geändert (...) Es blieben Undeutlichkeiten, Unklarheiten, ja scheinbare Brüche. Sie betreffen v.a. Elisabeth und ihre Entwicklung, Tannhäusers Schuld und Buße sowie den Schluß mit ihrem und Tannhäusers Tod. (...) Aber nicht allein die Position Elisabeths (...) wurde mißverstanden, die Unklarheit ging vielmehr tiefer, betraf die Rolle der gesamten Wartburg-Gesellschaft wie die der Kunst und des Künstlers. (...) Es waren die MEISTERSINGER in ihrem ersten Entwurf, der also als Ergänzung und als Korrektur des TANNHÄUSERS zu lesen ist, was [Volker Mertens in diesem Aufsatz unternimmt].
Der Titel „Jemandssprache“ bezieht sich kontrafaktisch auf Paul Celans Gedichtband „Die Niemandsrose“. (...) [In dem ersten Teil seine Aufsatzes bezieht sich Volker Mertens] auf die aktuelle Situation im Fach, in einem zweiten (...) [votiert er] für eine spezifische Gegenstandsbestimmung und einen bestimmten Umgang mit den methodischen Paradigmen, in einem dritten für eine Überwindung der Schwelle zwischen Älterer und Neuerer Literatur, (...), in einem vierten (...) [gibt er] eine vergleichende Interpretation je eines Gedichts von Heinrich von Morungen und von Paul Celan als Beispiel für eine Überschreitung der im Fach institutionalisierten Epochengrenze.
Rudolf von Fenis ist (...) ein Paradefall für das Problem, das man heute als ‚Kulturtransfer’ bezeichnen würde und das, vor allem für die höfische Epik, unter dem Stichwort der ‚adaption courtoise’ diskutiert worden ist: (...) Was ändern die deutschen Autoren bei ihrer Übernahme der romanischen Modelle, wie passen sie diese an die andere soziale, kulturelle und literarische Situation an?
Im Jahre 1308 (...) entstand Hertig Fredrik, angeblich nach einer nicht überlieferten niederdeutschen Vorlage, schließlich „Flores och Blanzeflor“ von 1311/12 auf Grundlage der altnorwegischen Flores-Saga; inwieweit daneben eine der altfranzösischen (...) Fassungen benutzt wurde, ist nicht hinreichend geklärt. Ich werde mich auf die beiden ersten Texte beziehen und dabei folgende Fragen diskutieren:
Welches historisch-kulturelle Szenario ist für die Übertragungen zu rekonstruieren?
Wie sahen die Vorlagen für Hertig Fredrik und ihr Kontext aus?
Welche Erkenntnisse lassen sich für die Literaturszene und die Kulturkontakte gewinnen?
In der Einleitung zu seiner Ausgabe der ‚Visio Sancti Pauli’ diskutiert F. Maurer (...) die Frage, ob das unter diesem Titel laufende Fragment, die Hs. ser. nova 338 Bl. der Österreichischen Nationalbibliothek, Teile von einem oder von zwei Gedichten überliefert. (...) Da (...) für die ‚Visio’ kein detaillierter Quellenvergleich vorliegt, will (...) [Volker Mertens] zunächst die Vorlagen für dieses Textstück zusammenstellen und anschließend das Problem der Quellen für die ‚Zukunft’ unter Beziehungnahme auf die bisher in diesem Zusammenhang so gut wie unbeachtete Tradition der ‚Lein-Seele-Legende’ einer Lösung näher führen.
Die Grimms, Wagner und wir
(1988)
Wenn [Jacob] Grimm in seiner frühen Schrift „Über Mythos, Ethos und Geschichte“ das Verhältnis von Mythos zur Geschichte als das des Schicksals zur Freiheit deutet, so hat gerade in der „Deutschen Mythologie“ die Tür dafür geöffnet, umgekehrt den Mythos als Möglichkeit zur Freiheit zu verstehen, als Spiel und nicht als Terror (...). Jacob Grimm war, wenn nicht der Reflexion, so doch der Sache nach Prästrukturalist, und damit machte er die aktive Mythenkonzeption und -produktion für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts möglich und – vermittelt vor allem durch den Mythenbaumeister Wagner und die permanente Auseinandersetzung mit seinem Werk – auch für unsere Zeit.
Der Traum ist für [E.T.A.] Hoffman, neben der Musik, die Möglichkeit, mit dem „fernen, unbekannten Geisterreich“ in Kontakt zu treten, und was er über dieses sagt, trifft auch auf Undine , sowohl auf die Figur, wie auf das Werk zu: „Mag der Traum, den der, bald zum Grausen erregenden, bald zum freundlichen Boten an den irdischen Menschen erkoren (...)“ (Don Juan) (...) mit ‚Undine’ wird die Oper zum Traum, wie der Traum zur Oper.
Wir können also die im Text des „Rolandsliedes“ genannten Namen auf historisch greifbare Personen beziehen: auf Heinrich, den mächtigsten Territorialfürsten der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, und auf einen seiner lateinisch gebildeten Hofbeamten, der dem Herzog in der Kanzlei, in der geistlichen und weltlichen Verwaltung diente. Daß ein Fürst volkssprachliche Literatur „in Auftrag gab“, ist zu keiner Zeit im deutschen Reich etwas Neues, noch keinesfalls weithin üblich – vorangegangen waren allenfalls westliche Adelsfamilien wie die Grafen von Loon (Brabant), für die Heinrich von Veldeke tätig war, während im Auftrag eines rheinischen Adelsgeschlechts schon vor dem „Rolandslied“ der „Alexander“ des Pfaffen Lamprecht entstand. (...) Der Welfenhof gehörte (...) zu den Vorreitern bei der kulturell-politisch bedeutsamen Förderung volkssprachlicher Dichtung, und nicht zufällig nennt Konrad hier neben seinem Herrn auch dessen Gemahlin Mathilde: Ihr war aufgrund ihrer Herkunft vom angevinischen Hof die Pflege von Literatur vertraut, und sie „besorgte“ die Vorlage, die „Chanson de Roland“, die sie wahrscheinlich sich und ihrer französischsprachigen Umgebung „vorgetragen“ und dann für den gesamten Hof übersetzen ließ.
Generell gilt für den Minnesang, daß er dich als Liebeswerbung inszeniert, als Sang eines Mannes (seltener: einer Frau) im Rahmen eines angestrebten oder (fiktiv) realisierten Liebesverhältnisses. Auch in der ausweglosesten Klage über Nichterhöhung, auch in dem spitzfindigen Raisonnement über Entstehung der Liebe, ihre Wirkung, den Verzicht auf die Erfüllung usw. bleibt als immer präsentes, aber nur gelegentlich formuliertes Ziel die gemeinsame Lust in der sexuellen Hingabe gegenwärtig. Das ist die sozusagen „private“ Seite, die jedoch nur als öffentliche in Erscheinung tritt. Minnesang ist öffentliche Kunst, Aufführungslyrik (...). Minnelieder sind uns heute nur in Büchern erhalten, die uns, selbst wenn sie Noten bringen, noch nicht sehr nah an die tatsächliche ursprüngliche Existenz, die Aufführung heranbringen. (..) Die Interpretation der Buchtexte soll nun die (...) nicht schriftlich fixierten (und fixierbaren) Kon-Texte von Gesang, Gestik, Bewegung usw. als Phänomene mitberücksichtigen.
In seiner umfassenden Untersuchung zum deutschen geistlichen Lied im Mittelalter beschäftigt sich J. Janota (...) mit dem "Ruf" im Zusammenhang mit dem Credolied und dem Lied nach der Predigt. Er weist daß die "Nachrichten über mittelalterliche Predigtlieder jeweils nur eine Liedzeile" nennen. (...) [Volker Mertens scheint] das vorliegende Material noch nicht hinlänglich ausgebreitet und ausgewertet und einen Aussage, die über das faktische non liquet Janotas hinausgeht, möglich zu sein.
Mit den (...) Überlegungen [versucht Volker Mertens] (...), Kategorien der Leserforschung, wie sie v.a. von Wolfgang Iser entwickelt wurden (Der implizite Leser. München 1972, und der Akt des Lesens. München 1976), auf die Eigenart der Predigtüberlieferung des Mittelalters, speziell zwei Sammlungen, die im 14. Jahrhundert überliefert sind, zu übertragen. Diese Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes bedingt nicht zuletzt den experimentellen Charakter dieser Skizze.
Wohl kaum eine andere Stelle in "Des Minnesangs Frühling" hat soviele Emendationen und Interpretationen provoziert, wie Zeile 5 und 6 der letzten Strophe des Kreuzlieds "Mîn herze und mîn lîp die wellent scheiden" von Friedrich von Hausen. (...) Der Kontext der Strophe soll zuerst dazu dienen, den möglichen Bedeutungskreis der dunklen Textstellen zu erhellen. Es geht um die Rechtfertigung des Sängers vor der Gesellschaft, weil er ein Minneverhältnis aufgekündigt hat.
Literarische Fiktion beim Wort genommen ist in den zitierten Fällen eine geläufige Technik, um Komik zu erzeugen, wobei hier diese Wirkung doch nur dann eintritt, wenn z.B. die Werbungssituation als im Minnelied präsent empfunden, sie weder als Allegorie für den Bewußtseinsstand einer Aufsteigerschicht (...) verstanden wird, (...) noch als gesellschaftliches Verhaltens – „Programm“, das durch den Mitvollzug des Liebesliedes durch das Publikum in der Aufführung eingeübt wird.
[Volker Mertens nimmt] (...) zwei jüngere Arbeiten zum Minnesang, die sich mit eben diesen Problemen auseinandersetzen, zum Anlaß, die Frage nach Thematik und Pragmatik der mittelhochdeutschen Lyrik zunächst grundsätzlich zu diskutieren und sie dann an drei Liedern Walthers von der Vogelweide (11ß,24; 53,25; 74,20) als interpretatorisches Instrument zu benutzen.
Dies ist eine Fallstudie, an der die hermeneutischen Potenzen verschiedener Methoden überprüft werden: eine poetologische Hermeneutik , eine performanzbezogende und eine im weiteren Sinn „kulturwissenschaftliche“, wobei eine reinliche Trennung v.a. von Punkt 1 und 3 nicht möglich ist, da literarische Typen auch über Inhalte bestimmt sind, die wiederum auf außerliterarische Sachverhalte bezogen werden, und Punkt 2 als kulturelle Verortung literarischer Texte bezieht. Performativität/Theatralität wird gerade als innovatives kulturwissenschaftliches Paradigma verstanden (...). Gegenstand ist ein Corpus von Liedern Oswald von Wolkenstein, einen Auswahl aus den sog. „Margarethen-Liedern“.
(...) [Volker Mertens Ziel ist es], an einem relativ eng begrenzten Gegenstand das Ineinanderspielen und die Bedingungen der beiden Konzepte, des gradualistischen und des polaren, zu erhellen. Gegenstand sind die Texte zweier männlicher Mystiker [Berhard und Seuse], die die Vereinigung mit Gott mit der Bildlichkeit der Geschlechterliebe darstellen. Die Mystik kann als eine psychologische Theologie verstanden werden, insofern sie geistliche Prozesse als innerseelische und nicht kultisch vermittelte versteht. Daher ist von der Untersuchung der Texte nicht nur Aufschluss über ein geistliches, sondern auch ein psychisches Genderkonzept zu erhoffen.
Drei Generationen von Plenarien lassen sich unterscheiden: Der ältere Typus enthält nur die Prikopen und die Glosse; er wird im Druck seit 1488 abgelöst durch einen Typ, der zusätzlich Introitus, Psalm und Collecta enthält, also auch die Gesänge und Gebete des ersten Teils der Messe. Das wird im Titel entsprechend angekündigt. (...) Mit seinen fünf Ausgaben zwischen 1514 und 1522 gehört Petris Plenar zu den verbreitetsten, vor allem aber enthält es, weit mehr als jede andere Sammlung, an die Glossen angeschlossene Exempla: mitsamyst einer vor nie bey vnß gehorter Gloß mit fruchtbaren schönen Exemplen beschlossen heißt es im Titel. Deshalb hat es [Volker Mertens] (...) für diese Studie als besonders geeignet ausgewählt.
Wagners „Ring“ teilt mit dem „Nibelungenlied“ anscheinend eine nahezu unendliche Interpretierbarkeit. Durch seine brüchige literarische Gestalt ist das „Nibelungenlied“ für immer neue aktualisierende Sinngebungen offen, wie sich in seiner Funktionalisierung in unterschiedlichsten Zusammenhängen der kulturellen und politischen Geschichte zeigt. Wagners „Ring“ hingegen erreicht diese Offenheit bewußt durch sein kalkulierte mythische Uneindeutigkeit. Bei aller Verwurzelung im ‚Mythos des 19. Jahrhunderts’ sind doch dessen Vorgaben absichtlich nicht so stringent umgesetzt, daß nicht andere, immer neue Auslegungen möglich wären.