830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Vorwort
(2004)
Am 22. März 1832 stirbt Goethe. Nicht nur sein Leben, auch seine literarische Produktion reicht bis in den Vormärz hinein (wenn man ihn denn mit der Juli-Revolution von 1830 beginnen sieht) und lässt die klassizistische Ästhetik der 1790er Jahre am Ende weit hinter sich: 'Faust II' wird im Juli 1831 abgeschlossen und 1832 veröffentlicht, die letzte Fassung von 'Wilhelm Meisters Wanderjahre' war 1829 erschienen. Doch Goethes Tod (und damit auch das definitive Ende seines literarischen Werks) ruft nicht nur Trauer über den Verlust des unerreichbaren "Titanen" und den nun für unabwendbar gehaltenen Niedergang der deutschsprachigen Literatur hervor, er setzt auch Hoffnungen auf einen jetzt endlich möglichen Neubeginn bei den jungen Autoren frei, die sich von Goethes olympischer Überlebensgröße allzusehr in den Schatten gestellt gefühlt hatten.
Vorwort
(2018)
Das Reichsgesetz, betreffend die Grundrechte hat aus der Kritik an der französischen Menschenrechtserklärung gelernt, dass es Menschenrechte weder ohne System der Rechte und Pflichten des Bürgers noch ohne Verankerung in der einschlägigen Organisation der Staatsorgane geben kann, die gleichzeitig die Freiheit und die Einheit des Volkes sichern. Außerdem sieht die den Reichsgesetzen zugrunde liegende Auffassung keine Grundrechte ohne Verankerung im zu schützenden geistigen Leben des Volkes vor. Unter dem Einfluss der Rechts- und Staatsphilosophie J. G. Fichtes und Hegels wurden im Vormärz rechtsphilosophische Theorien entwickelt, die individuelle Menschenrechte nicht abstrakt, sondern nur in einem "System des Rechts" aufeinander bezogener Komponenten gelten lassen, das den Menschen grundsätzlich als gesellschaftliches Wesen betrachtet und dem eine organische und geistige Auffassung der Gesellschaft zugrunde liegt.
Die größeren deutschsprachigen Zeitungen enthielten in der Regel recht umfangreiche Nachrichten über deutsche und europäische Ereignisse und Entwicklungen, was offensichtlich einem starken Interesse der Leserschaft entsprach, Neuigkeiten über die alte Heimat und den europäischen Kontinent zu erfahren. Gleichzeitig spiegelte es auch ein Bedürfnis der eingewanderten Vormärzemigranten wider, den Lesern Informationen über die neuesten politischen Vorgänge in Europa zu vermitteln, um sie gegebenenfalls für eine Unterstützung demokratischer Bewegungen in der alten Heimat zu gewinnen, was auch materielle Zuwendungen einschließen konnte. Die deutschsprachigen Zeitungen in den USA besaßen zwar keine eigenen Korrespondenten in Europa – lediglich die "Alte und Neue Welt" hatte einen Mitarbeiter in Frankfurt/M., doch die in New York und Philadelphia erscheinenden Blätter erhielten größere Sendungen von europäischen Journalen, aus denen sie Auszüge abdruckten. Die Zeitungen des Binnenlandes wiederum kopierten dann diese Auszüge. Eine weitere Informationsquelle waren die vielfachen brieflichen Kontakte zwischen Deutschen in Amerika und Verwandten oder Freunden in der alten Heimat. Die Briefe wurden häufig ganz oder in Auszügen inverschiedenen Zeitungen abgedruckt, wenn sie im Hinblick auf einen interessanten Nachrichtenwert von öffentlichem Interesse waren.
Wie kein anderes Land ist Italien im deutschsprachigen Raum seit mehr als 600 Jahren Gegenstand einer nahezu unüberschaubaren Auseinandersetzung in Kunst, Kultur, Philosophie und Politik. Als Kernland des römischen Imperiums, mit Rom als Zentrum der Christenheit und wichtiger Etappe auf dem Pilgerweg ins Heilige Land, durch jahrhundertelang politisch und wirtschaftlich mächtige Republiken wie beispielsweise Venedig, Genua und Florenz war Italien in vielerlei Hinsicht von besonderem Interesse. Dies gilt auch für die Zeit nach 1796, für die Zeit nach dem Einmarsch der französischen Truppen und die damit verbundene Umgestaltung der politischen Landkarte Italiens. Im ersten Teil stehen mit Blick auf das (post-)risorgimentale Italien zunächst exemplarische Untersuchungen in Literatur, Publizistik und Philosophie im Fokus. Der zweite Teil des Jahrbuchs ist dem Thema "Deutsche Künstler in Italien - zwischen politisch-ästhetischer Revolution und Traditionsbewahrung" gewidmet. Italien als Sehnsuchtsziel von Malern und Schriftstellerinnen sowie als Gegenstand von Reiseberichten, Gedichten und als Opernschauplatz bietet einerseits Inspiration und Freiraum zum künstlerischen Schaffen. Andererseits ist Italien aber auch ein kulturell seit Jahrhunderten beschriebenes Gebiet, das zu einer Auseinandersetzung mit den Kulturgeschichten beider Länder und bislang vorliegenden künstlerischen Gestaltungen herausfordert.
Einen Gipfelpunkt findet die Begeisterung für das Griechentum bekanntlich in der Weimarer Klassik, doch ist der Philhellenismus auch in späteren Jahrzehnten, so im Vormärz, aktuell. Die Gründe dafür liegen erstens in gesellschaftlichen Strukturen und Traditionen, durch die Wissen um die Antike weiter vermittelt wird. Dazu tragen das obligate Studium griechischer und lateinischer Sprache an den höheren Schulen und die Verbreitung antiker literarischer Texte und Mythen durch Übersetzungen ins Deutsche bei. [...] Zweitens ist vor allem der europaweit beobachtete griechische Unabhängigkeitskrieg ein Bezugspunkt politischen Denkens. Griechenland-Bilder werden im Vormärz nicht mehr nur wegen ihrer spezifisch ästhetischen, als überzeitlich geltenden Merkmale in bildender Kunst, Literatur, im Kunsthandwerk und in der Architektur (re-)konstruiert, sondern gewinnen zeitgeschichtlich an Aktualität. Dies umso mehr, als im Vormärz Forderungen nach dem Gegenwartsbezug von Kunst und Literatur unüberhörbar werden. [...] Die Auseinandersetzung mit dem antiken griechischen Erbe und den politischen Entwicklungen im zeitgenössischen Griechenland wird zu einem Kennzeichen des Vormärzes - in Wissenschaft, Literatur und Publizistik ebenso wie in politischen Vereinigungen, kulturellen Zirkeln und unter Studenten.
Die immer leise, aber immer vernehmbare Stimme der Vernunft ließ sich trotz aller wiederkehrender Dramatik nie zum Verstummen bringen, selbst in Kriegsphasen nicht. Der Kulturtransfer, um den es hier geht, konnte vielmehr seinem eigenen Rhythmus folgen und ungeachtet aller Krisen so etwas wie eine selbständige Gesetzmäfligkeit entwickeln. Unter Schriftstellern und Intellektuellen gab es Schulstreite,
aber nie Krieg! So wurden besonnene und fortschrittlich eingestellte Franzosen und Deutsche nie müde, sich für Gedankenaustausch und Vermittlung, für Freundschaft und Verständigung, kurz für Ideentransfer einzusetzen - um damit den kreativen Eliten beider Länder Inspirationsquellen offen zu halten. Den Herausgebern dieses Jahrbuchs will scheinen, diese gemäfligten, die Rheingrenze ständig überschreitenden Gegenstimmen hätten wie ein vernunftbestimmtes Korrektiv zur lauten Staatenpolitik gewirkt. Eine Epoche wie der Vormärz bietet nun die große Chance, diese These einmal in einer kurzen, aber scharf konturierten Phase bilateraler Beziehungen der Probe aufs Exempel zu unterwerfen. Es erschien anregend, die verschiedenen Wirkungsweisen dieses Korrektivs in einer Zeit näher zu untersuchen, in der sich die herrschenden Kreise auf der einen Seite durch Gallophobie "auszeichneten", während ihnen auf der
anderen Seite - rares Phänomen - eine durch nichts getrübte Germanophilie gegenüberstand.
In seinem Beitrag "Von der Idealisierung der apostolischen Armut zur kirchlichpaternalistischen Fürsorge. Kirchliche Reaktionen auf das Arbeiterelend in der Zeit des Vormärz" beschäftigt Jörg Füllgrabe sich mit den differierenden Fürsorgekonzeptionen der christlichen Kirchen in Deutschland. Auf der Basis eines protestantischen Arbeitsethos verbinde Johann Hinrich Wichern die Linderung der Arbeiternot mit der Inneren Mission als einem umfassenden Programm christlicher Versittlichung; dieser Programmatik liege ein Paradigmenwechsel in der Armutskonzeption zugrunde, demzufolge die moderne Armut als Resultat subjektiven Unvermögens und Unwillens zur Arbeit selbst verschuldet sei. Der Katholizismus hingegen, der über die allgemeine Umwälzungen zu Beginn der Moderne hinaus auch noch die materiellen Einbußen durch die napoleonische Säkularisation zu bewältigen hatte, setze auf eine sozialdisziplinierende Einbindung der Armutspopulation in die christlich-bürgerliche Gemeinschaft, wodurch eine gesonderte Instituionen der Armutsfürsorge obsolet erscheine und zugleich die Position der Kirche im säkularen Staat gesichert sei. Spätere Ansätze aus dem ultramontanen Lager plädieren für eine korporatistische Korrektur der aufgeklärt-liberalen Gesellschaftsentwicklung, die sich vor allem in einer Adressierung des prekarisierten Handwerksstandes ausdrückt.
Von Bürgerbauern und Proletariern : Narrative der Transformation in der Dorfgeschichte des Vormärz
(2018)
[...] der folgende Beitrag [will] klären, wie die Dorfgeschichten des Vormärz die Gegenwart des ländlichen Raumes interpretierten und welche Zukunftsmodelle sie dabei entwickelten. Im Vergleich von Berthold Auerbachs früher Dorfgeschichte "Befehlerles" von 1842 und Carl Arnold Schloenbachs "Das Deutsche Bauernbuch" von 1848 werden die verschiedenen Positionen herausgearbeitet. In einem ersten Schritt muss dafür in Ausschnitten auf die Erzählverfahren der Dorfgeschichten eingegangen werden. Erst der Anspruch, wahres, in einem historischen Prozess befindliches Landleben darzustellen, ermöglicht den Texten ihre politische Positionierung.
Während der frühen 1840er Jahre erfuhren Volkslyrik und volkstümliche Romane gerade im Rheinland einen plötzlichen, unerwarteten Erfolg. [...] Soziale Lyrik wurde zwar noch immer in Gedichtsammlungen herausgegeben; zu ihrem hauptsächlichen Verbreitungsorgan wurde allerdings die durch Lesegesellschaften immer weitere Kreise erreichende Presse - und sie war auf diese angewiesen, denn nicht selten waren ihre Inhalte mit der Drucklegung eines Gedichtbands bereits wieder überholt. Die sich immer mehr im Alltag auch der arbeitenden Bevölkerung etablierenden Zeitungen wurden als per se demokratische Züge tragende Verbreitungskanäle erkannt. [...] Zu dieser Lage kam im Rheinland eine besondere Konstellation: die außergewöhnliche Nähe von Dichtung und Malerei. [...] Im Hinblick auf dieses traditionelle Zusammenspiel sind einige Feststellungen entscheidend: Erstens der Anspruch der akademischen Malerei, sich mit historischen oder biblischen Themen überzeitlicher Bedeutung zu beschäftigen, zweitens eine deutliche Hierarchie, in der die Literatur die Malerei dominiert. Drittens könnte man eine gewisse akademietypische Abscheu vor der 'Avantgarde' nennen, ohne dass dieser Begriff für die sprunghaft wachsende Gruppe akademiekritischer Düsseldorfer Landschafts- und Genremaler wirklich zutreffend wäre. [...] Es soll im Folgenden gezeigt werden, dass diese junge Künstler- und Dichtergeneration in ihrer Rebellion gegen die eigenen Wurzeln eine Öffnung gegenüber spektakulären, zuvor undenkbaren Inhalten bewirkte, dass dabei aber fraglich bleibt, ob dem Abschütteln der alten Hierarchien und Abhängigkeiten zum Trotz ebendiese nicht teilweise erhalten bleiben oder durch neue ersetzt werden. Die freiheitliche Bewegung im Rheinland schuf die Voraussetzungen dafür, etablierte Kooperationen zwischen Dichtung und Malerei fortzuführen, dabei aber deren als reaktionär empfundene Aussage gewissermaßen von innen heraus zu revolutionieren. Die rheinische Volkslyrik stand in den 1840er Jahren in außergewöhnlich engem Kontakt zu jener wachsenden Zahl von Malern, die sich von der als verkrustet und aristokratisch empfundenen Düsseldorfer Akademie unter Wilhelm Schadow abwandten und in Vereinen und Verbänden für einen neuen, freien Kunstmarkt eintraten.
Die Versammlungsfreiheit war ein gesuchtes Gut, das erst einmal zu begründen und im Blick auf mögliche Beschränkungen zu untersuchen war. Die Performativität einer Versammlung – das Beieinandersein freier Individuen zu einem Zweck, der sich nicht oder nicht immer einer reglementierenden Norm verdankte – erscheint heute als Teil jener Ethik der Kohabitation, die aus der Kantischen Notwendigkeit der Koordination der Freiheitsräume als Aneinanderstoßen von Willkürgrenzen kommt und im Blick auf Gefährdungsszenarien aktualisiert ist. Doch Aktualisierungen bedürfen der Grundlage, wollen sie nicht geschichtsvergessen sein (niedergelegt in der Geschichte finden wir die Praktiken, die für die damaligen Akteure Sinn verbürgten).