830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Die Poesie hat es im Streit der Künste nicht leicht, sich gegen die Macht der Musik zu behaupten. Die Überlegenheit der Musik steht mit Monteverdi schon am Anfang der Operngeschichte. Die Operngeschichte ist voller Beispiele vom Streit zwischen Dichtern und Musikern. Nur ein transdisziplinärer Meister wie Dieter Borchmeyer vermag dieses Wechselspiel zu überschauen. Immer wieder strebte die Kunst zum Gesamtkunstwerk und zur Fusion von Wort und Ton. Richard Wagner gab aller neueren Kunst das Beispiel vor. Friedrich Nietzsche nahm den ungleichen Kampf mit Wagner auf. Sein Gegenprojekt war eng mit dem Mythos von Dionysos und Ariadne verbunden. Zuletzt sah er in Cosima Wagner seine Ariadne verkörpert Im 'Ecce homo' fragte er noch: "Wer weiss ausser mir, was Ariadne ist!" (KSA 6, 348) Seine letzten Zeilen an Cosima lauteten dann wohl: "Ariadne, ich liebe Dich. Dionysos". Auf Dionysos und Ariadne lief seine Wiedergeburt der Antike im Kampf mit Wagner hinaus.
Brief an Lord Chandos
(2003)
Brief an Lord Chandos ...
... mit groszer Anteilnahme habe ich Ihre Klagen aufgenommen und möchte zu Ihrer Tröstung bekennen, dasz es mir vor einiger Zeit ähnlich ergangen ist: ich hatte in dieser meiner Krise aller Welt vorgemacht, ich sei an der Arbeit, muszte mir jedoch eingestehen, dasz ich in Wahrheit völlig ausgebrannt war, ja, dasz die Vorstellung mich verfolgte, ich hätte noch nie auch nur I Wort aufgeschrieben, ich würde nie wieder Pläne oder Ahnungen von Gedanken empfangen können, am allerwenigsten jene so wundertätigen Verbalträume, die mich jederzeit mitten hinein in die Produktion katapultiert hatten. Aber dann versuchte ich mich selbst aufzufangen, indem ich den Gründen meines Versagens nachzuforschen begann, und ich entdeckte, warum es mir so elend erging. …
"Von allen Musikern, die heute schaffen - und manche von ihnen sind mir wahrhaft wert - , hat keiner mir mehr gegeben als Gustav Mahler, - Freude und Ergriffenheit, wie ich sie nur den Größten verdanke". Nein, dieser Satz aus der Mahler-Festschrift zu seinem 50. Geburtstag, 1910, stammt nicht von Hugo von Hofmannsthal, wiewohl auch er einen knappen Artikel beisteuerte. Hofmannsthal hat sich keineswegs enthusiastisch über Mahler geäußert, seine Wahrnehmung hat sich hauptsächlich auf Mahlers Tätigkeit als Direktor der Wiener Hofoper (1897-1907) bezogen, mit dem Komponisten Mahler konnte Hofmannsthal nichts anfangen.
Um dieses Nicht-Verhältnis zwischen Mahler und Hofmannsthal genauer zu perspektivieren, bedarf es wohl einer Kontextuierung, einer Rekonstruktion gemeinsamer Horizonte, zumindest ansatzweise. Und dies im Wissen um die sehr ernst zu nehmende Position von Jens Malte Fischer, der in seiner bedeutenden Mahler-Biographie von 2003 erklärt, "die Situationen Hofmannsthals und des erheblich älteren Mahler sind lebensgeschichtlich und individualpsychologisch grundverschieden", um dann aber doch einzuräumen, "die Sensitivität für Krisenerscheinungen der Zeit und der personalen Existenz" sei "vergleichbar".
Marcel Proust musste bekanntlich einiges dafür tun, um die Aufregung zu lindern, die im Freundes- und Bekanntenkreis aufgekommen ist, wenn es um die Durchschaubarkeit biografischer Vorbilder für die eine oder andere seiner Figuren ging. Die Tatsache, dass der Autor die eigene Homosexualität von der Erzählerfigur auf andere Protagonisten gleichsam umgelenkt hat, spielt dabei eine zwar wichtige, aber nicht die entscheidende Rolle. Statt biografischem Voyeurismus kommt es darauf an, die Bewegungen, die zwischen Fiktion und Realität in beiden Richtungen verlaufen, genau zu erfassen.
Gerade die Unauffälligkeit, mit der es ihm gelingt, Gegebenheiten der Zeitgeschichte im Kontext der aristokratischen Zusammenkünfte als Teil der erfundenen Welt erscheinen zu lassen, gehört zu den fesselndsten Zügen des Romans 'In Swanns Welt‘. Eine in diesem Zusammenhang jedenfalls sehr bemerkenswerte Figur ist diejenige der Königin von Neapel. Sie gehört im fünften Teil des Romans "La Prisonnière" (erschienen 1923) zu denjenigen Gästen, die Baron Charlus in die Gesellschaft eingeladen hat, die die Verdurins veranstalten.
Hofmannsthals Fragmente sollen hier nicht nach Grenzen und Gründen ihres Status abgesteckt werden. Die Beleuchtung einer "Ästhetik des Fragmentarischen" wirft ihr Licht wohl weniger auf die sogenannten Fragmente Hofmannsthals als auf den Teil seines oeuvres, den man als das vermeintliche Werk von den Fragmenten abzusetzen pflegt. Damit hängt zusammen, daß von einer Ästhetik des Fragmentarischen wohl nur in Verbindung mit einer Ethik des Fragmentarischen im Werk Hofmannsthals die Rede sein kann. Es geht daher auch um die Ortung einer fragmentarischen Identität bei Hofmannsthal. Die Gründe für eine solche, vielleicht paradox anmutende Umschreibung vom Ästhetischen zur Ethik, vom Fragment zum Werk scheinen gerade aufgrund auch editorischer Erfahrungen im Umgang mit Hofmannsthal gerechtfertigt: Es ist zunächst die zwar angesichts der großen Torsi wie "Andreas", "Silvia im 'Stern'", "Timon" oder "Kaiser Phokas" verständliche Frage nach den Gründen für den Abbruch der Arbeit, aber dann gerade ihre immer nur unbefriedigend - kann man sagen: unvollständig? - ausfallende Antwort, die zu einer resignativen Einstellung führt. Im Fall des "Andreas"-Romans, um hier das wertvollste aller Fragmente stellvertretend anzuführen, sind schon von den ersten Lesern die unterschiedlichsten Versuche unternommen worden, den Abbruch, die Brüchigkeit durch eine eindeutige Antwort zu glätten und damit den Fragmentcharakter zu nivellieren.
Es sprechen viele Argumente dafür, biografische wie werkspezifische, aber auch rezeptionsgeschichtliche Aspekte, Hofmannsthal im Zusammenhang einer Problematik des Scheiterns zu berücksichtigen. Zum einen hat sich bereits zu seinen Lebzeiten die Frage gestellt, ob sich der Autor nicht nach seinem so vielfach euphorisch wahrgenommenen Frühwerk selbst überlebt habe. Zum anderen finden sich auch bei Hofmannsthal, was kein Kennzeichen nur dieses Autors ist, in den Texten aller Schaffensphasen Figuren, die durch ihr Scheitern Aufmerksamkeit und Sympathie gewinnen. Und zuletzt stellt die Rezeptionsgeschichte seines Werkes die Frage nach der Konkurrenz, nämlich inwiefern Hofmannsthal als ein maßgeblicher Autor der klassischen Moderne seine Reputation hat verteidigen können? Ist er im Anspruch gescheitert, als einer der maßgeblichen Autoren seiner Zeit im Gedächtnis zu bleiben? Insofern wäre Hofmannsthal als ein vielleicht auch unfreiwilliger Experte und als ein raffinierter Regisseur des Scheiterns zu beschreiben, der eine Grunderfahrung des 20. Jahrhunderts teilt.
"Meine Heimat habe ich behalten", schrieb der 52jährige Hofmannsthal 1926 an den Schweizer Diplomaten Carl Jakob Burckhardt, "aber Vaterland habe ich keins mehr, als Europa" - und er fügte hinzu: "ich muß dies fest erfassen, nur die Klarheit bewahrt vor langsamer Selbstzerstörung. " Selbstzerstörung meint: "den Rest [des] Lebens in unfruchtbarer Verbitterung" darüber zu verlieren, daß mit dem Zusammenbruch Österreichs so viel Erhaltenswertes und Bewahrenswertes vernichtet wurde. Das Kriegsende hatte Hofmannsthal tief erschüttert: "Welche Welt, in die wir geraten sind", schrieb er: "Das nackte Gebälk tritt hervor und zittert bis in die Grundfeste." In den Jahren, die folgten, wurde ihm zur Gewißheit, daß sich nicht nur die europäische Landkarte verändert hatte, sondern daß die politischen und sozialen Umwälzungen, die dem verlorenen Krieg gefolgt waren, eine neue geistige Fundierung des alten Kontinents erforderten. Unablässig bewegte ihn die Frage: Was kann politisch und kulturell den Weg in die Zukunft weisen? Die Antwort führte ihn immer wieder zu Europa. Die 'Idee Europa' wurde für ihn zum "umfassendsten und wichtigsten Begriff" seiner Existenz: "[...] ich sehe nicht, welcher der Ströme des wirklichen geistigen Lebens [...] nicht durch eine mutige und nüchterne Geistesoperation gezwungen werden könnte, in das Becken dieses großen Begriffes zu münden."
Merkwürdig muten Hofmannsthals Worte den heutigen Leser an, der in Anbetracht der jüngsten Jahrhundertwende über die vorhergegangene liest:
Welch ein Erlebnis aber auch, dieses neunzehnte Jahrhundert, so wie der deutsche Geist es durchzumachen hatte, [...] bis endlich in diesem ganzen scheingeistigen Bereich die Luft unatembar wurde, bis endlich aus diesem Pandämonium von Ideen, die nach Lebenslenkung gierten - als ob es lebenslenkende Ideen geben könnte - , er sich losrang, unser suchender deutscher Geist, bewährt mit dieser einen Erleuchtung: daß ohne geglaubte Ganzheit zu leben unmöglich ist - daß im halben Glauben kein Leben ist, daß dem Leben entfliehen, wie die Romantik wähnte, unmöglich ist: daß das Leben lebbar nur wird durch gültige Bindungen.
Dem 19. Jahrhundert entkommen zu sein, ist in Hofmannsthals berühmt-berüchtigter Rede "Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation " gleichbedeutend mit einem Ausbruch aus erstickender Enge zu neuem Leben. Das endlich überwundene Säkulum war für ihn charakterisiert durch komplementäre Fehlentwicklungen. Der "scheingeistige Bereich" eines philiströs auftrumpfenden Bildungskanons auf der einen Seite und auf der anderen das "Pandämonium" eines abgehobenen Wissenschaftsidealismus hatten die Ansprüche der Lebenswirklichkeit zunehmend verdrängt - zum einen durch topische "Verengung des Raumes", zum anderen durch romantische "Vergeudung des Raumes".
Über das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit ist unendlich viel geschrieben worden, die Überlegungen zum Begriff der Fiktion füllen Hunderte von Abhandlungen. Besonders schwierig wird es dort, wo es um lyrische Texte geht, bei denen nicht einmal sicher ist, ob und - wenn ja - in welchem Sinne sie denn überhaupt dem Bereich der Fiktion zuzurechnen sind. Bekanntlich haben sich nicht nur Literaturtheoretiker, sondern auch Autoren mit dieser Frage beschäftigt. Allerdings waren etwa Hugo von Hofmannsthal und Gottfried Benn, um die es hier gehen soll, wohl kaum an hochabstrakten Einsichten interessiert. Ihr Interesse galt eher dem Versuch, Erfahrungen in ausreichender Klarheit zu formulieren, die sie mit ihren eigenen Gedichten machten.
Um die Jahrhundertwende tauchen in Bildender Kunst, Literatur, Tanz und Musik verstärkt Figuren der Commedia dell'Arte auf. Insbesondere Pierrot ist, neben seinen Verwandten Harlekin, dem deutschen Hanswurst und dem russischen Kollegen Petruschka, eine beliebte Figur, die ein intermediales Spielfeld zwischen den Künsten eröffnet. [...] Im Bild des Pierrot, mitunter auch im Zusammenspiel mit seinem Kontrahenten Harlekin, verdichtet sich das Ambivalente, die Gleichzeitigkeit des Ungleichen, die so typisch für die Wiener Moderne ist, und unter anderem auch Hofmannsthals Schreiben und Denken kennzeichnet, deren paradoxe Strukturen in der Forschung hinreichend belegt wurden. Die Wandelbarkeit der Figur eignet sich hervorragend, um die Vieldeutigkeit der modernen Existenz darzustellen, die sich einem endgültigen Urteil entzieht. [...] Im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung werden zwei wegweisende Pierrottexte vorgestellt, mit denen sich der Wiener Dichter befasst hat. Diese Auseinandersetzungen zeigen, dass es Hofmannsthal bei seinen Studien im Wesentlichen um das widersprüchliche Auftreten der Figur geht. Der zweite Teil widmet sich drei Pantomimenfragmenten, die als 'erzählte Pantomimen' zunächst formale Gemeinsamkeiten besitzen. Darüber hinaus porträtieren diese Dichtungen Protagonisten, die als Pierrot bzw. als sein Verwandter, der 'liebe Augustin', clownesk-melancholische Zwischentöne schaffen und dabei die Wandelbarkeit der Figur zum Ausdruck bringen. Auf figuraler Ebene tragen die komisch-traurigen Gestalten so zur ambivalenten Atmosphäre bei, zu Spannungsfeldern also, die Hofmannsthals Werk kennzeichnen.
Ich äußere mich hier nicht als Hofmannsthal-Experte und bin auch seit langem nicht mehr hauptberuflich Philologe. Dennoch habe ich gern den Vorschlag angenommen, hier etwas beizutragen, weil "Der Turm" auch von großem theatertheoretischen Interesse ist. Zudem hatte ich mich immer wieder mit dem Dichter Hofmannsthal zu beschäftigen, zumal mit den frühen lyrischen Dramen, die in die Genealogie des postdramatischen Theaters der Gegenwart gehören. Das letztere ist keineswegs, wie oft geargwöhnt wird, per se textfeindlich, nur weil es eine Fülle überraschender neuer Theatermöglichkeiten jenseits des klassischen Modells einer Dramen-Aufführung entdeckt hat. Im Gegenteil kennt es von Peter Handke bis Heiner Müller, von Elfriede Jelinek bis Sarah Kane großartige zeitgenössische Theatersprachen, die allerdings nicht mehr dem Modell der dramatischen Repräsentation entsprechen. Sie entfernen sich mehr oder weniger weit von der tradierten Spannungslogik des dramatischen Theaters, ohne es doch gänzlich zu verlassen, während umgekehrt Künstler wie Robert Wilson, Jan Lauwers, Jan Fabre, Claude Régy und andere Bühnenidiome von komplexer 'poetischer' Art schaffen.
Über Hugo einiges. Seine fast unverständliche Neigung zu literar. Aneignungen: Bassompierre in der Zeit, s.Z. eine Schlachtenerzählung in der N. Fr. Pr. (Uhl sagte damals im Schachclub: Ich habe fast wörtlich dasselbe vor kurzem gelesen und weiss nicht mehr wo. Hugo fand es auch merkwürdig, gestand aber nichts zu). Dann s.Z. als ich ihm den Stoff zur Beatrice erzählte: "Das Stück werd ich auch schreiben" (drum machte ich mich so eilig dran). - Vor 10 Jahren schrieb Gustav eine Bauernstückparodie, Hugo steuerte 2 Gstanzln und 1 Satz bei, sprach dann immer von "unserm Stück", fragte einige Mal nach "unserm Honorar" und nahm, als ihm Gustav von dem erhaltnen Feuilletonhonorar zehn Gulden überschickte (ein Drittel) das Geld an. - [...] Es fuhr mir übrigens auch durch den Sinn, dass irgend ein andrer durch die eine Bassompierre Sache beinahe ruinirt gewesen wäre.
Dans cette note de son journal, datee du 12 decembre 1902, Arthur Schnitzler parle de Hofmannsthal comme d'un plagiaire ou d'un faussaire. Mais il ne dit pas quelle aurait ete la source de la "Schlachtenerzählung" (il s'agit de la "Reitergeschichte"). C'est le texte "Erlebnis des Marschalls von Bassompierre", publie dans "Die Zeit" de novembre et decembre 1900, qui avait expose Hofmannsthal a l'incrimination publique de plagiat. Le "Deutsches Volksblatt" (Journal viennois "national allemand", antisemite et antimoderne), sous la plume de Vergani, avait attaque Hofmannsthal, l'accusant d'avoir publie une contrefacon de Goethe.
Hofmannsthal ist seit seiner Kindheit mit der orientalischen Welt vertraut. Erst nach langjähriger Beschäftigung mit dem Orient hat Hofmannsthal eine Reise in den Orient unternommen. Hofmannsthals "Reise nach Nordafrika" im Jahre 1925 war sein erster und letzter direkter Kontakt mit dem Orient. Er reiste mit der Familie Zifferer nach Marokko, Algerien und Tunesien. Die Städte Fés und Saleh hatten ihn beeindruckt. Er schrieb einen Reisebericht über diese Reise. Der erste Teil seines Reiseberichts Fez berichtet über die Atmosphäre der Stadt und die Einwohner sowie Hofmannsthals Eindrücke und Wahrnehmungen. Er wurde am 12. April 1925 im Berliner Tageblatt publiziert. Im zweiten Teil des Berichts "Das Gespräch in Saleh" handelt es sich um ein Gespräch über das Vorhandensein der Franzosen in Marokko und Reflexionen über die französische und die deutsche Sprache und Kultur. Er wurde am 31. Mai 1925 in der Wiener Freien Presse veröffentlicht. In diesem Aufsatz wird Hofmannsthals Orientbild anhand seines Reiseberichts analysiert.
Dass eine so schillernd-unscharfe Formulierung wie die vom 'Geist der Komödie' bezogen auf ein konkretes Lustspiel der eingehenden Diskussion auf mehreren Ebenen zugleich bedarf, um überhaupt fruchtbar zu werden, versteht sich. Zum einen ist dabei natürlich eine poetologische Dimension zu erwarten, zum anderen ergeben sich aus dem angedeuteten Bezug auf Theodor als der Titelfigur des Stücks aber noch weitergehende Fragen: Steht dieser tatsächlich mit der Transzendenz in Kontakt?
Oder könnte es sich hier sogar um eine Art verdeckte Gespenstergeschichte handeln? Es wird aufmerksam zu verfolgen sein, auf welche verschiedenen Arten und Weisen die Dienerfigur durch diesen Text 'geistert'. Die beiden hier angedeuteten Extreme des 'Poetologisch-Geistigen' und des zuweilen ein wenig 'Unheimlich-Geisterhaften', denen im Folgenden zunächst separat nachgegangen werden soll, werden sich im vorliegenden Fall von Hofmannsthals "Unbestechlichem" schließlich als auf das Vielfältigste und Engste miteinander verschränkt erweisen.
Hugo von Hofmannsthal, dessen Rezeption in Frankreich durch die Übertragungen von Charles Du Bos in den 20er Jahren entscheidende Anstöße erhielt, war bereits vor dem Weltkrieg im Nachbarland kein Unbekannter. Wie eine Reihe früher Erwähnungen in Zeitschriften und literarhistorischen Darstellungen belegen, waren Gedichte Hofmannsthals und einige seiner dramatischen Arbeiten zumindest einem Kreis von Kennern vertraut. Einem breiteren Publikum dürfte sein Name vor allem als Librettist von Richard Strauss geläufig gewesen sein - seit der im Januar 1909 uraufgeführten Oper "Elektra“, seit dem "Rosenkavalier" (1911) und der "Ariadne auf Naxos" (1912). Dass sich französische Leser auch von den Gedichten und lyrischen Dramen Hofmannsthals eine Vorstellung machen konnten, war das Verdienst eines jungen Autors, dessen Name, in den Jahren nach dem Weltkrieg einer breiteren Öffentlichkeit vertraut, heute in Vergessenheit geraten ist: Henri Guilbeaux.
The article examines the reception of Hugo von Hofmannsthal's works by two Czechoslovak authors writing in German: Max Brod and Josef Mühlberger. The reception of Hofmannsthal's oeuvre is reflected primarily in Brod's novel "Mira", Brod's correspondence with Hofmannsthal, and Mühlberger's essay "Hugo von Hofmannsthal". The article explores how both authors depict the Viennese poet and what they consider to be Hofmannsthal's main significance and legacy for future generations. The article also compares Brod's and Mühlberger's statements with thematically similar texts by the Austrian author.
The article analyzes two early works by Hugo von Hofmannsthal: Das kleine Welttheater and Das Märchen der 672. Nacht. The author focuses on artistically perceptive characters: the poet and artist (in Das kleine Welttheater) and the "dilettante" (in Das Märchen der 672. Nacht). Using examples of the analyzed characters, the article attempts to define the features that are typical of the artist and the dilettante, explains the concepts of "pre-existence" and "existence" and gives an account of their importance in Hofmannsthal's work. The author characterizes the artistically perceptive characters on the basis of these concepts.
Dichterhäuser produzieren Mythen. Dies ist bei Hofmannsthals barockem Wohnhaus in Rodaun bei Wien nicht anders. Als Vorbesitzer seines Hauses erwähnt Hofmannsthal in einem Brief an Eberhard von Bodenhausen vom 16. März 1901 beiläufig einen Fürsten Trautson: das Haus sei "zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia von einem Fürsten Trautsohn, der ein Schwarzkünstler gewesen sein soll, für seine Geliebte gebaut worden". Das gemeinhin als 'Schlösschen Fuchs' oder 'Fuchs-Schlössel' bezeichnete Anwesen wurde von Hofmannsthal von 1901 bis zu seinem Tod 1929 bewohnt und von seiner Familie noch bis 1937 gemietet. Das Landhaus aus dem 17./18. Jahrhundert, dessen Erbauungs- oder Umgestaltungsdatum nicht belegbar ist, wird in der Forschungsliteratur zu Hofmannsthal, in Zeitungsartikeln und in der Lokalgeschichtsschreibung kaum mit Trautsohn, sondern vielmehr mit einer anderen Vorbesitzerin in Verbindung gebracht: mit einer der Kaiserin Maria Theresia nahestehenden Gräfin Fuchs.
Rudolf Kassner schrieb in einem "Avis für die künftige Philologie Hofmannsthalscher Texte", der Dichter habe das Wort "Wirklichkeit ... fast nie" gebraucht: "Um so häufiger die Worte: Gebärde, Ton, Sprache, Leben ... ". Was hier als apercu ausgesprochen wird, hat inzwischen die Qualität methodischen Verfahrens gewonnen; eine kulturwissenschaftlich geöffnete Germanistik, die den Leibraum nicht nur dichterischer, sondern selbst diskursiver Texte anvisiert, wird gerade bei Hofmannsthal auf eine Prägnanz und zugleich auf einen Variantenreichtum von Gebärden stoßen, die, auch nach den Arbeiten von Mauser und Austin, weitere Erforschung lohnen. Bezieht man in die Lektüre nicht nur die abgeschlossenen Texte, sondern auch die im Rahmen der Kritischen Ausgabe vorgelegten Dramen- und Erzählungsfragmente ein, dann wird zudem deutlich, dass Hofmannsthal mit gestischen Mustern arbeitete, die in den unterschiedlichsten narrativen Kontexten eine gewisse Stabilität bewahren und sich damit für die Beantwortung der Frage, welche schriftstellerische Strategie denn eigentlich die auseinanderstrebenden Fragmente noch zusammenhält, geradezu anbieten. Aus der Vielzahl jener Muster soll im folgenden ein relativ elementares vorgestellt werden, das seine textstrukturierende Kraft über weite Teile des Werks verbreitet.
Hugo von Hofmannsthal ist eigenen Aussagen zufolge kein Schriftsteller, der seine Inspiration aus der Musik schöpft, wie die Autoren der Romantik oder des französisch-sprachigen Symbolismus: „Ich bin ein Dichter, weil ich bildlich erlebe“, lautet der demonstrativ-lakonische Ausspruch des jungen Literaten von 1894. Trotz seines selbst diagnostizierten Musik-Defizits avanciert Hofmannsthal in der langen Zusammenarbeit mit Richard Strauss zum bedeutendsten Librettisten seiner Zeit, dessen Texten der Komponist eine fundamentale Musikalität attestiert. Neben der visuellen Grundorientierung existieren latente, aber markante Züge einer musikalischen Poetologie. Diese ist, wie anhand der ersten drei lyrischen Dramen Hofmannsthals gezeigt werden soll, eng mit dem Begriff der „Stimmung“ liiert, dessen Ursprung in den musikalischen Kosmogonien des Pythagoreismus und Platonismus mit der Idee einer verborgen tönenden, Mensch und Natur beeinflussenden Harmonie der Sphären liegt. Spätestens seit 1800 wird das klangmetaphysische Konzept der Sphären- und Weltharmonie, das am nachhaltigsten der deutsche Stimmungsbegriff transponiert, massiv von anthropomorphen Fortschreibungen überlagert, die den kosmogonischen Kern zur Metapher oder Konnotation depotenzieren und in disparate einzelwissenschaftliche Definitionen auflösen. Daher können sich um 1900 in einem umgangssprachlich gewordenen Stimmungs-begriff musikalische, literarische, philosophische und psychophysische Diskurse kreuzen, deren Vernetzungen seinen proteischen und synästhetischen Charakter betonen. Zugleich entstehen disziplinenspezifische Prototheorien, die großteils nicht mehr ineinander übersetzbar sind.
"[D]ie ganze Welt stürzt zusammen", schrieb Hofmannsthal am 26. November 1918 an Ottonie Gräfin Degenfeld. Drastisch schildert er das massenhafte Sterben an der Grippeepidemie in Wien ebenso wie die Angst vor Arbeiteraufständen, vor Schießereien und Plünderungen, vor freigelassenen Kriegsgefangenen und Kriminellen. Hofmannsthal hatte im k.u.k. Kriegspressequartier den Weltkrieg als Verteidigung der Kultur propagandistisch unterstützt. Spätestens nach dessen Ende erschien ihm wie vielen seiner Zeitgenossen der Weltkrieg als eine Katastrophe bisher unbekannten Ausmaßes, die alle materiellen wie geistigen Bereiche der Kultur fundamental averänderte. Seine ungeheure Zerstörungskraft kündigte einen Umbruchsprozess an, der zu einer völligen Neukonfiguration der politischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse, des individuellen Selbstverständnisses und der kollektiven sozialen Beziehungen führte. Wie Mathias Mayer bemerkt, war dementsprechend für Hofmannsthal die "Konfrontation von Chaos und Ordnung" das zentrale "Problem der Nachkriegszeit".
Das künstlerische Verhältnis zwischen Richard Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal ist auch heute noch in der Forschung ein kontrovers diskutiertes Thema. Viele Interpreten sind offenbar durch die sehr unterschiedlichen Temperamente beider Künstler dazu angeregt worden, ihre bewertenden Urteile weniger durch Werkanalysen als vor allem durch Persönlichkeitsstudien zu belegen.
"Der Turm" und der Krieg
(2016)
"Vor dem Turm. Vorwerke, halb gemauert, halb in Fels gehauen. Zwischen dem Gemäuer dämmerts, indessen der Himmel noch hell ist." Die Szenenbeschreibung zu Beginn von Hofmannsthals Trauerspiel "Der Turm" skizziert eine düstere, unbehagliche Situation. Ein wuchtiges Hindernis stellt sich da in den Weg, zur Hälfte von Menschenhand gebildet, zur anderen aus der Natur genommen. Dunkle Konturen, die sich eben erst, im Licht der Dämmerstunde, zu neuen Formen ordnen. Vom Blick der Herannahenden erfasst wird das massive Bollwerk im Vorfeld eines beeindruckend aufragenden Verlieses, jenes titelgebenden Turmes, der hier buchstäblich seinen Schatten voraus wirft.
Räumliche Lage und dramaturgischer Zeitpunkt treten zu einer doppelt bestimmten Schwellenposition zusammen, beide befinden sich vor dem Turm. Es sind Kriegszeiten, das Leben ist karg, die Söldner murren, sind aufgewühlt. Soldaten "auf Grenzbewachung" durchstreifen das Gelände.
Im Literaturarchiv der Monacensia München liegt im Nachlass Otto von Taubes eine Mappe mit Briefen Hugo von Hofmannsthals. An Taube gerichtet sind fünfzehn Briefe - darunter zwei Gedichte Otto von Taubes mit handschriftlichen Kommentaren Hofmannsthals -, eine Postkarte, ein Telegramm, ein leerer Briefumschlag sowie eine in Hofmannsthals Namen geschriebene Nachricht von fremder Hand; hinzukommen ein kleines Schreiben Hofmannsthals an Baronin Marie von Taube und eine gedruckte Danksagung Gerty von Hofmannsthals an "Baron und Baronin Taube" für deren Teilnahme an Hofmannsthals Tod. Neun Gegenbriefe von Taube an Hofmannsthal verwahrt das Hofmannsthal-Archiv im Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt am Main. Wie Anspielungen in den überlieferten Schreiben belegen, ist auf beiden Seiten eine nicht unbeträchtliche Zahl von Sendungen verloren gegangen. Die erhaltenen Briefe bezeugen einen anfangs losen, später vertrauter werdenden Kontakt; Schwerpunkte bilden zwei Zeitschriftenprojekte: zunächst in den Jahren 1907/1908 während Hofmannsthals verantwortlicher Mitarbeit am "Morgen", dann nach 1922 im Rahmen seiner eigenen Zeitschrift, der "Neuen deutschen Beiträge", die von 1922 bis 1927 im Verlag der Bremer Presse erscheinen.
Nach ersten knappen Hinweisen von Karl Dachs und Rudolf Hirsch haben Eugene Weber und Wolfdietrich Rasch ausführlicher dargelegt, daß die Uraufführung von Büchners "Wozzeck"-Tragödie am 8. November 1913 im Münchener Residenztheater maßgeblich durch Hofmannsthal angeregt worden ist, der den Text eingehend bearbeitet und dem Fragment sogar einen Schluß hinzugedichtet hat. Die Briefe, die er in diesem Zusammenhang an CIemens von Franckenstein geschrieben hat, wurden auszugsweise zunächst von Weber und Rasch und nunmehr vollständig durch Ulrike Landfester publiziert. - Außer diesem Briefwechsel gibt es zum Münchener "Wozzeck"-Projekt jedoch noch eine weitere Korrespondenz, und zwar zwischen Hofmannsthal und Alfred Roller, die im Folgenden - mit zwei Schreiben von Eugen Kilian an Roller - mitgeteilt werden soll.
In der "Allgemeinen Kunst Chronik" (Wien) findet sich in der 24. Nummer (zweites Novemberheft, S. 661f.) des Jahrgangs 1891 eine Buchbesprechung Hugo von Hofmannsthals, die er in der Folge nicht wieder erwähnt hat (etwa brieflich oder in einer der Titellisten für eigene Ausgaben). Dadurch ist sie der Aufmerksamkeit der Forschung bislang entgangen und weder bibliographisch erfaßt noch jemals wieder gedruckt worden. Es handelt sich um eine Besprechung von Ola Hanssons Aufsatzsammlung "Das junge Skandinavien". Hofmannsthal hatte im Sommer desselben Jahres in der "Kunst Chronik" bereits seinen Bericht über "Die Mozart-Zentenarfeier in Salzburg" veröffentlicht.
Alle weiteren Aufsätze aus dem Jahr 1891, soweit wir von ihnen wissen, sind in der "Modernen Rundschau" erschienen. Bemerkenswert ist der hier mitgeteilte kleine Aufsatz insofern, als er das Spektrum der von Hofmannsthal schon in seinen frühesten Arbeiten mit Aufmerksamkeit bedachten nichtdeutschsprachigen Literaturen um den Bereich der skandinavischen Literaturen erweitert. Es zeigt sich, daß sich sein Blick von Anbeginn seiner kritischen Tätigkeit auf ganz Europa richtet.
Hofmannsthals Aufsatzentwurf "Die neuen Dichtungen Gabriele d’Annunzio’s" aus dem Jahre 1898, der hier zum ersten Male abgedruckt ist, belegt anhaltendes Interesse und eine um die Jahrhundertwende noch einmal aufllammende Sympathie, die erst 1912 in offene Ablehnung umschlagen wird. Gegenstand des ersten Teiles "Zwei Verherrlichungen der Stadt Venedig", welcher als beinahe abgeschlossen gelten kann, ist ein Bändchen von D’Annunzio mit dem Titel "L’Alllegoria dell’ autunno" (1895). Hofmannsthal kaufte es auf seiner Italienreise 1898. Über welche Dichtungen er darüber hinaus noch schreiben wollte, ist nicht bekannt. Einer genaueren Rekonstruktion der Beziehung zwischen D’Annunzio und Hofmannsthal bis zu diesem Zeitpunkt gelten die folgenden Hinweise.
Im Jahr 1895 verherrlichte Annunzio bei irgend einem festlichen Anlaß die Stadt Venedig in einer Rede, die sich nicht mit den Reden vergleichen läßt, welche man bei ähnlichen Anlässen zu halten pflegt. Er gab dieser Rede, als sie später veröffentlicht wurde, die Überschrift: "Allegorie des Herbstes", und in der That bildet ihren Inhalt die Vision und Schilderung einer hochzeitlichen Vereinigung Venedigs mit dem Herbst. Man fühlt sich an jene frostigen Personificationen erinnert, an jene Kunstform, deren sich drei vergangene Jahrhunderte bis zur völligen Erschöpfung ihres Reizes, ja über die Grenze des Erträglichen bedienten.
Und wirklich scheinen sich die gewaltigsten visionären Augen und der kühnste an unerhörten Gleichnissen reichste Freund, den die lateinischen Völker im jetzigen Zeitraum besitzen, endgültig dieser majestätischen lateinischen Kunstform zugewandt zu haben: der gewaltigen, das gesammte Dasein umschließenden Allegorie, den prunkvoll hinrauschenden Triumphzug, der aus blendenden Gleichnissen aufgethürmten Ehrensäule. Seit einigen Jahren sehe ich kein Werk von ihm entstehen, das nicht dastünde wie eine Trophäe.
Die Freundschaft mit Felix Oppenheimer festigte sich nach 1893, und der Briefwechsel ist Ausdruck der häufigen Kontakte. Was dieser Freundschaft zugrunde lag, ist heute schwer zu sagen, auch weil die Briefe Oppenheimers an Hofmannsthal fast völlig fehlen. Der Ton ist immer sehr vertraulich, wird aber selten herzlich oder intim. Ein- oder zweimal zu Anfang ihrer Bekanntschaft mußte Hofmannsthal den Freund beschwichtigen, weil sich Oppenheimer vernachlässigt fühlte, der wohl spürte, daß der berühmte Freund der Gebende war. Nach Oppenheimers Heirat wird der Ton - wohl auch aufgrund der Aufgaben, die er inzwischen übernommen hatte - "geschäftsmäßiger", das Verhältnis distanzierter. Inzwischen, ab ca. 1909, war nämlich Yella zu Hofmannsthals wichtigstem Briefpartner in der Familie Oppenheim er geworden. Trotz oder gerade wegen des Altersunterschiedes von zwanzig Jahren herrschte von Anfang an ein herzlicher, inniger Ton vor.
Hugo von Hofmannsthal - Yella, Felix und Mysa Oppenheimer : Briefwechsel ; Teil II: 1906-1929
(2000)
Hugo von Hofmannsthal und Robert Michel : Briefe / mitgeteilt und kommentiert von Riccardo Concetti
(2005)
Die Herausgabe des Briefwechsels zwischen beiden Autoren bietet nun eine Gelegenheit, dem Vergessen entgegenzuwirken: Neben dem Versuch, die Konturen dieser am Rande der österreichischen Literaturgeschichtsschreibung gebliebenen Figur zu umreißen, soll aufgezeigt werden, aus welchen Motiven heraus Hofmannsthal Michel unterstützte und ihm eine nicht marginale Rolle bei seinen Kriegspublikationen einräumte, ja, ihn im Laufe der Zeit geradezu als Inbild des österreichischen Dichters ansah.
Hugo von Hofmannsthal und Julius Meier-Graefe : Briefwechsel / herausgegeben von Ursula Renner
(1996)
Hugo von Hofmannsthal - Robert und Annie von Lieben : Briefwechsel / herausgegeben von Mathias Mayer
(1996)
Das Gewicht, das der Begegnung zwischen dem "Naturforscher und Erfinder" Robert von Lieben und Hofmannsthal zukommt, ist ihrer hier vorgelegten Korrespondenz nicht zur Gänze zu entnehmen. Zu wenig ist über ihr persönliches Verhältnis aus Zeugnissen Dritter bekannt, zu viele Briefe - vor allem nach der Jahrhundertwende - müssen wohl verlorengegangen sein. Was aber den Rang dieser Berührung der Sphären unmißverständlich dokumentiert, ist die Rolle, die die Figur Robert von Liebens im Werk Hofmannsthals eingenommen hat. Dreimal, so scheint es, hat sich Hofmannsthal daran gemacht, Züge des Freundes entweder in einen fiktiven Kontext hinüberzuspiegeln oder - im ergreifenden Nachruf auf den Frühverstorbenen - sein "geistiges Antlitz" für die Nachwelt festzuhalten. Die Werke, in denen Liebens Physiognomie verwandelt aufscheint, sind durch mehr als dreißig Jahre getrennt und zeigen die anhaltende Faszination durch einen Mann, der nicht zu den engsten Freunden des Dichters zählte.
Hugo von Hofmannsthal lernte die Fürstin und spätere erfolgreiche Schriftstellerin Mechtilde Lichnowsky Anfang 1909 in Berlin kennen. Am 18. Februar schreibt er an seinen Vater:
Heute trinken wir Thee in dem neuen ganz amerikanisch prunkvollen Esplanade-Hotel bei der Fürstin Lichnowsky, geb. Arco, die eine ganz charmante junge Frau ist.
Wahrscheinlich wurden schon bald Briefe mit Verabredungen ausgetauscht. Die ersten gesichert datierten Briefe der hier veröffentlichten Korrespondenz stammen aus dem Frühjahr 1910. Hofmannsthal und Mechtilde Lichnowsky begegneten sich zumeist im Rahmen der Premieren von Hofmannsthals Stücken und im Ambiente der vornehmen Berliner Salons der Gräfin Harrach, Schwiegermutter von Mechtilde Lichnowskys Schwester Helene, und Cornelia Richters, der Tante von Hofmannsthals Freund Leopold von Andrian, in denen Aristokratie, Großbürgertum, Intellektuelle und Künstler vor dem Ersten Weltkrieg miteinander Umgang pflegten. Hofmannsthal, der die Berliner Gesellschaft in "Leute, Leute, Leute" und "die paar Menschen", welche ihm wichtig waren, unterteilte, fand in der Gräfin Lichnowsky nicht nur eine jener schönen kultivierten Frauen, die ihn anzogen, sondern auch einen Menschen, mit dem er sich im Gespräch austauschen konnte und auf dessen Urteil er Wert legte.
Hugo von Hofmannsthal lernte die Fürstin und spätere erfolgreiche Schriftstellerin Mechtilde Lichnowsky Anfang 1909 in Berlin kennen. [...] Wahrscheinlich wurden schon bald Briefe mit Verabredungen ausgetauscht. Die ersten gesichert datierten Briefe der hier veröffentlichten Korrespondenz stammen aus dem Frühjahr 1910. [...] Auch wenn die vorliegende Korrespondenz Lücken aufweist und vermutlich über das letzte hier dargebotene Briefzeugnis hinaus, die Trauerbekundung um den Tod von Wilhelm Freiherr Schenk von Stauffenberg, andauerte, vermag sie doch einen Eindruck von dieser vielschichtigen Beziehung zu geben. [...] Unter den Themen, die der Briefwechsel anschlägt dominiert das Gespräch über Hofmannsthals Werke, Projekte und Theateraufführungen. Besonders Anteil nimmt Mechtilde Lichnowsky an Max Reinhardts Berliner Inszenierung des "König Ödipus". [...] Sämtliche Texte der Korrespondenz werden aus den Handschriften geboten; lediglich Hofmannsthals Briefe an seinen Vater und an seine Frau Gerty, die im Deutschen Literaturarchiv Marbach a.N. aufbewahrt werden, sowie die Auszüge aus seinen Tagebüchern, werden nach den Kopien im Freien Deutschen Hochstift, Frankfurt a.M., zitiert.
"Ich bin Hofmannsthal das erstemal Anfang 1902 begegnet. In seinem Rodauner Haus, wohin mich Hermann von Keyserling brachte. Jahre also, nachdem ich schon der Bezauberung durch seine Gedichte und einige Aufsätze unterlegen war. Ich sage Gedichte, denn auch seine kleinen Dramen nahm ich für solche. Seinen Aufsätzen hatte ich unter anderem den ersten Hinweis auf englische Dichter wie A. C. Swinburne und den Ästheten und Essayisten Walter Pater verdankt, auch auf andere, von denen später mein erstes Buch gehandelt hat, das im übrigen auch die Brücke war, die mich, da mir jede andere Verbindung mit ihm gefehlt hat, zu Hofmannsthal hinüberführen sollte."
Mit diesen Worten gedenkt Kassner nach mehr als einem Menschenalter, im Jahre 1946, der Anfänge dieser Freundschaft und der Rolle, die sein Erstlingswerk dabei gespielt hat. In der Tat beruft er sich in dem zu Beginn des neuen Jahrhunderts erschienen Band "Die Mystik, die Künstler und das Leben", für jeden Kundigen deutlich, in der allgemeinen geistigen Haltung vielfach auf Hofmannsthal und zitiert, offen oder verdeckt, an mehreren Stellen dessen Werk.
[...]
wie dünn ist alles Glück! ein seichtes Wasser:
Man muß sich niederknieen, daß es nur
bis an die Schultern reichen soll.
[...]
merk auf, merk auf! Einmal darf eine Frau
so sein, wie ich jetzt war, zwölf Wochen lang,
einmal darf sie so sein!
[...]
und Wangen haben, brennend wie die Sonne.
Hofmannsthal: "Die Frau im Fenster".
Dianora zu Braccio
Trotz aller seelischen Zwiespalte habe ich nie im Leben
ein stärkeres Lebensgefühl, eine wildere Lebensfreude,
ein größeres Bedürfnis, mich ganz und gar an alles
Schöne hinzugeben gefühlt, wie jetzt. Wie nahe stehen
einem in solchen Augenblicken die Verse der "Frau im
Fenster"! Man liest sie wie eigene hinaus geschrieene
Bekenntnisse.
Alfred Walter Heymel an Eberhard von Bodenhausen.
Berlin, 3. April 1912
[…] denn bei den vielen Fehlern, mit denen mich
meine Vorfahren und das Schicksal ausgestattet
haben, habe ich vielleicht doch die Tugend der Treue
der Gefühle, einer unerschütterlichen Anhänglichkeit
an meine Freunde und eine Fähigkeit, nichts aus dem
Leben zu verlieren [...]
Heymel an Otto Vrieslander. Berlin, 22. Mai 1912
Hugo von Hofmannsthal - Maximilian Harden : Briefwechsel / herausgegeben von Hans-Georg Schede
(1998)
Die Korrespondenz zwischen Hugo von Hofmannsthal und Maximilian Harden bietet Einblicke in eine Bekanntschaft, die während der Dauer eines Jahrzehnts - 1896 bis 1908 - zwischen persönlicher Verbundenheit und geschäftlichen Interessen wechselhaft schillerte. Harden galt als schwierig. Fast alle seine Freundschaften endeten in spektakulären Zerwürfnissen oder in bitterem Schweigen. Das hatte verschiedene Ursachen: etwa seine exponierte Stellung als der wohl prominenteste Publizist der Regierungszeit Wilhelm II., der sich mit der Mißgunst seiner weniger einflußreichen Kollegen und mit der Feindschaft derer, die er in seinen Artikeln oft unbarmherzig angriff, auseinandersetzen mußte; ferner ein nicht unbegründetes Mißtrauen, ob die Aufmerksamkeiten, die ihm entgegengebracht wurden, ihm "als Menschen" galten, wie er einmal mit Blick auf Harry Graf Kessler an Hofmannsthal schrieb, oder nicht lediglich einem "über das Papier einer Wochenschrift Verfügenden" (Brief von Pfingsten 1905); schließlich der agonale Grundzug seines ebenso unbestechlichen wie selbstgerechten Charakters, sein Einzelgängertum und sein Wissen um die eigene, immer am Rande der Erschöpfung über Jahrzehnte fortgesetzte gewaltige Arbeitsleistung. All dies trug dazu bei, den persönlichen Umgang mit ihm zu komplizieren.
Die Freundschaft zwischen Hugo von Hofmannsthal und Clemens von Franckenstein hat bisher in der Forschung wenig Beachtung gefunden. Nicht nur ist die Korrespondenz der beiden Männer nur in verstreuten Auszügen publiziert worden; ihre Freundschaft stand vor allem immer in gewissem Maß im Schatten derer zwischen Hofmannsthal und Clemens' jüngerem Bruder Georg von Franckenstein. Mit Georg von Franckenstein verband Hofmannsthal eine tiefe, warme Beziehung, dokumeniert durch einen Briefwechsel, der weitaus umfangreicher ist als derjenige mit Clemens, und Georg war es auch, an den Hofmannsthal die Worte schrieb: "immer aber ist zwischen uns die Wurzel der Freundschaft, Vertrauen, gesund und heil geblieben und wird es hoffentlich, bis der Tod des einen von uns unsere Freundschaft in dieser Welt auflöst."! Durchaus ebenfalls herzlich, fehlt dem Briefwechsel Hofmannsthals mit Clemens doch insgesamt der Grundton inniger Zuneigung, der denjenigen mit dem jüngeren Bruder auszeichnet, und die in gemeinsamer Liebe zur Sprache begründete Selbstverständlichkeit des vertraulichen Austausches.
Bei aller gelegentlichen Spröde der Korrespondenz zwischen Franckenstein und Hofmannsthal ist die hier von letzterem beschworene Sympathie auf den zweiten Blick das solide Fundament einer Beziehung, die in dem Maß an Bedeutung gewann, in dem Dichter und Musiker einander gegenseitig schöpferische Impulse zu geben vermochten.
Hugo von Hofmannsthal und Josephine Fohleutner : Briefe 1881–1902 / mitgeteilt von Katja Kaluga
(2006)
Die vorliegende Edition will anhand von insgesamt 92 Briefen, Karten und Telegrammen von Hofmannsthal und 27 Briefen von Josephine Fohleutner versuchen, die verbliebene Leerstelle zu füllen und einen Beitrag zu seiner frühen Biographie zu bieten. Erhalten haben sich vornehmlich Briefe aus der Kindheit und frühen Jugend Hofmannsthals, ferner eher sporadisch gewechselte Nachrichten aus der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, von denen die meisten, auch in dichterer Folge, während der Sommerreisen geschrieben wurden. Während seiner Reisen schrieb Hofmannsthal fast täglich an die Eltern, die seine Briefe oft an die Großmutter zur Lektüre weitergaben.
Im Sommer 1913 folgt Elsa Bruckmann, geb. Prinzessin Cantacuzène einem Rat Rudolf Kassners und reist mit ihrem Gatten Hugo das Paar hatte am 24. November 1898 in Starnberg geheiratet - Anfang Juli nach Noordwijk aan Zee, um hier, im "am schönsten gelegenen Badeort der holländischen Küste", nach längerer Krankheit Stärkung zu suchen. Die regen- und sturmreichen Wochen "am nordischen Meer" mit seinem melancholischen "feuchten Grau" inspirieren sie zu fruchtbarem lyrischen Schaffen und lassen den Wunsch aufkommen, den am Ort wohnenden Dichter Albert Verwey kennenzulernen. So bittet sie dessen alte Münchner Freundin Hanna Wolfskehl um Vermittlung, die "diese Anfrage gleich" weiterleitet und dem Ehepaar Verwey die unbekannten Gäste in liebevoller Ausführlichkeit vorstellt:
Also Herr Direktor Bruckmann ist einer der ersten Verleger Deutschlands […] aus einer ächten alten Münchner Patrizier-Familie! seine Frau ist aber die Seele des Unternehmens! sie ist eine geborene Prinzessin Cantaguzeno […] hat den größten officiellen Salon für Kunst! sie war die Egeria von Hofmannsthal, sie ist eine Freundin von Klages! Karl und ich lieben sie sehr weil sie so eine richtige Frau und Dame ist und lieb dabei – sogar Stefan George hat sie gern. Gundolf verehrt sie sehr u.s.w. und ihr Neffe der junge Hellingrath ist der, der den Hölderlin neu herausgiebt. Den Winter sah ich sie wenig weil sie viel krank war. Nun ist sie zur Erholung an der See! Also wenn Sie wollen dann lassen Sie sie bitten! Ja so – den Mann auch! der versteht seine Sache wohl sehr aber alle Menschen reden nur von ihr.
"[…] sie war die Egeria von Hofmannsthal" - eine heute wohl überraschende Antonomasie, bei der offen bleibt, ob sie Elsa Bruckmann oder Hanna Wolfskehl nach deren Erzählung gefunden hat.