830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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An einem Beispiel aus der Boppe-Überlieferung wird die Frage nach literarischer Kohärenz und Leistung meisterlicher Liebesdichtung behandelt. Die fünf Strophen des Liedes RSM Bop/1/500a sind sämtlich in andere, ebenfalls in der Kolmarer Liederhandschrift überlieferte Lieder integriert. Dieser Integrationsprozess zeigt ganz verschiedene Formen und einen je anderen Zuschnitt: Neben der fast unmotiviert erscheinenden Zusammenstellung unterschiedlicher Strophengruppen und der thematisch orientierten Verbindung älterer Einzelstrophen gibt es das aus einem übernommenen Motivkomplex entwickelte Meisterlied, dessen zeitliche Schichtung in der gelungenen produktiven Anverwandlung kaum mehr erkennbar ist.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Reinhard Jirgls im Jahr 2000 erschienen Roman "Die atlantische Mauer". Reinhard Jirgl, aus der DDR kommend, ist möglicherweise das, was man einen literarischen Nihilisten nennen könnte. Die atemlosen Monologe seines Buches "Die atlantische Mauer" lassen kaum einen Ausweg, sie sind bis in die letzten Verästelungen konsequent. Ahnung von Besserem gibt es nicht. Das Denken und Fühlen der handelnden, ach was, vor sich hin redenden Personen ist - ohne, dass sie es merken - von tiefstem Schwarz. Vier Figuren monologisieren geschlossen und nacheinander: Formales Bindeglied ist die Sprache und deren Darstellung - sie orientiert sich an Arno Schmidt und arbeitet mit den Zeichen »=« oder »&« und schreibt »1malig«. Sonderbarerweise wirkt es dennoch kaum einmal prätentiös, sondern trägt zum Eindruck der Atemlosigkeit bei. Tatsächlich gelingt wohl nur so die adäquate Wiedergabe eines Bewussteinsstroms.
Aspectos românticos, naturalistas e simbolistas em "A mulher sem sombra" de Hugo von Hofmannsthal
(2000)
'Die Frau ohne Schatten' ('The Woman without Shadow') by the Austrian author Hugo von Hofmannsthal, is a kind of fairy tale in which a large and complex web of symbols is woven around an abstract landscape and characters of an enigmatic nature. Despite its intangible atmosphere reminiscent of the Romantic era, a rather Naturalistic world is revealed as the narrator leads us through a huge city and follows the poor people in their lives of misery and suffering. This paper analyses this hybrid character of Hofmannsthal's text and identifies the various aesthetic traits present in it.
The bringing together of the two realms, that of Tristan and Isolde and that of Arthur, thus has a mutually corrosive effect. However, in the further course of the action Tristan and Isolde’s love regains some of its absoluteness: for instance Heinrich refrains from taking over the quarrel of lovers from Eilhart. He plays a double game, on the one hand reducing the absoluteness and self-sufficiency of love, on the other hand building it up again and thus preventing the establishment of a firm doctrine in the course of the narrative (…), as neither the Arthurian court nor the love of Tristan and Isolde provides an absolute norm. Heinrich wrote his romance for the Bohemian noble Raimund von Lichtenburg, and the account of the foundation of the Round Table and the self-directed activities of the knights have belonged (…). The initial Arthurian ideal has become a confirmatory ritual for an exclusive body of noblemen – that matches the spirit of the knightly societies.
Arabeske
(2000)
Aus dem pseudo-aristotelischen Problem XXXI wissen wir, daß alle hervorragenden Männer, ob Philosophen, Staatsmänner, Dichter oder Künstler [ ... ] Melancholiker gewesen sind. Seitdem gilt die Melancholie nicht nur als Signum des genialen Geistesmenschen, seit der Entdeckung des neuzeitlichen Subjekts begründet die melancholische Versenkung in das eigene Ich dessen Anspruch auf eine möglichst tiefgründende Innerlichkeit. Dabei wird in der Darstellung der Melancholie eine bemerkenswert konstante Topik zum Einsatz gebracht: die Farbe Schwarz, die sich metonymisch von der schwarzen Galle auf das finstre Gemüt und die Vorliebe des Melancholikers fiir alles Dunkle schlägt, ja selbst im 18. Jahrhundert den schwarzen Kaffee zur Ursache der Melancholie werden läßt, der auf die Hand gestützte Kopf, Gottferne, Einsamkeit, Geiz, erotische Veranlagung, unendliches Grübeln und anderes mehr. Der Anspruch auf Genialität und subjektive Innerlichkeit will nicht so recht zu dem topischen Schematismus passen, mit dem sich die Melancholie im kulturellen Gedächtnis präsentiert, läßt vielmehr Genialität und Innerlichkeit selbst zu melancholischen Topoi erstarren. Dieses widersprüchliche Verhältnis zwischen behaupteter Innerlichkeit und topischer Außenrepräsentanz lenkt den Blick auf die diskursiven Entstehungsbedingungen des Melancholieparadigmas.
Daß die Gestaltung der arbeitsfreien Zeit – der „Freizeit“ – nicht zuletzt geprägt wird von den Bedingungen, unter denen man seine Arbeitszeit verbringt, ist eine weitverbreitete Erkenntnis, die gerade auch in der „Literatur der Arbeitswelt“ regelmäßig artikuliert worden ist. Kein Autor jedoch hat so drastisch eine direkte Abhängigkeit der Freizeit von der Arbeitszeit behauptet wie Alexander Kluge. Seine kleine Episode über die Italienreise des Arbeiters Pförtl und seiner Freundin Hella, die im Original von einer ganzen Reihe von Parallelgeschichten über die „Ostertage 1971“ begleitet wird, legt es darauf an, alle konventionellen Vorstellungen von Freizeit und Feiertagen zu demontieren. Gegen die Vorstellung einer „freien“, erfüllten und von den Menschen selbst gestalteten Zeit stellt Kluge das Bild einer ganz und gar unfreien, von der Arbeitswelt bis ins letzte Detail beherrschten Zeit, die noch nicht einmal der Erholung dient.
1932 erscheint Clemens Lugowskis Arbeit über die Romane Jörg Wickrams, in der er die Spezifika des vormodernen Romans herausarbeitet: er ist nach Lugowski durch eine sogenannte "Motivation von hinten" charakterisiert, die über die sich in Kausalketten vollziehende "Motivation von vorne" dominiert. Was sich im Vordergrund der Handlung innerhalb der Zeit ereignet und auf ein vorherbestimmtes Resultat zuläuft, wird weniger aus den Ereignisketten selbst als aus der im Hintergrund wirkenden göttlichen Vorsehung entwickelt [...] Es liegt nahe zu fragen, inwiefern sich der Ansatz von Martinez von der Theorie phantastischer Literatur unterscheidet, die ja (etwa nach Tzvetan Todorov) mit dem Moment der Unschlüssigkeit des Lesers, ob er die Ereignisfolge der innerliterarischen Realität oder aber den Vorstellungen eines Protagonisten zurechnen soll, eine ganz ähnlich strukturierte "doppelte Welt" wie auch Martinez behauptet. Den knappen Erläuterungen zufolge ist der Begriff der "doppelten Welten" insofern enger als der der phantastischen Literatur, als er "mit der paradoxen Koexistenz von kausaler und finaler Motivation nur einen speziellen Fall übernatürlichen Geschehens darstellt"; er ist aber andererseits auch weiter, insofern "die finale Motivation der doppelten Welt nicht notwendig als übernatürlich markiert sein muß".
Paul Celans Gedichte begleiten uns schon ein halbes Jahrhundert und sind doch weitgehend fremd geblieben. Manchen Anstrengungen zum Trotz haben sie ihre Widerständigkeit bewahrt und befremden noch immer, sind also im Sinne von Harald Weinrich "imagines agentes" par excellence. Ihre ebenso herausfordernde wie leise anklopfende Poetik ist wenig erkannt, geschweige verstanden worden. Dabei frappiert dieser Dichter mit seiner Aufforderung: „Machs Wort aus.“ Ob dieser imperativischen Zumutung möchte es einem beinahe die Sprache verschlagen. Doch bemerkt man dann vielleicht, dass es nur an einem selbst liegt, sie wiederzuerlangen und das Wort von neuem auszumachen. Zu einer solchen Neubestimmung des Wortes und der Sprache fordern Celans Gedichte auf, seit die großen Verheerungen und Verwerf- ungen dieses zu Ende gehenden zwanzigsten Jahrhunderts über die Menschen hereingebrochen sind. Zu keiner früheren Zeit sind sie von so systematischer Vernichtung heimgesucht worden wie in diesem Jahrhundert.
Wie, so frage ich, soll man als Literaturhistoriker noch über Martin Walser schreiben, ohne unter Verdacht zu geraten, ihn für seine Friedenspreis-Rede mit einem Angriff auf sein literarisches Werk abzustrafen? Auf den Knien, wie Frank Schirrmacher oder auf dem Bauch, wie Franziska Augstein ? Muß man "zittern" wie der Geehrte, wenn nüchterne Analyse und nicht Huldigung das Ziel ist? Wird man zu den "Überführungsexperten (...) auf der Suche nach jenem letzten, allen Verdacht bestätigenden Beweis" gezählt, wenn man sich auf die philologische Suche nach den Quellen der Frankfurter Rede begibt?
Es ist bereits ein Topos der Goethe-Philologie, daß den "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" insgesamt ein eher geringes Interesse zukommt [...].Das Erzählwerk ist [...] zuerst einmal Unterhaltungsliteratur. Einer Rahmenhandlung mit begrenztem, auf jeden Fall überschaubarem Personal sind kleinere Erzählungen eingepaßt, die als Erzählungen in der Erzählung einem durch ein aktuelles Krisengeschehen verunsicherten Hörerpublikum zwecks Zerstreuung dargeboten werden. [...] Die Rede von einem "Nebenwerk" ist auch gattungspoetologisch zutreffend, insofern die Unterhaltungen als kleineres Prosawerk Ende des 18. Jahrhunderts im Schatten des Romans standen. [...] Erst die Romantik und dann die Neuromantik sahen die innovativen Elemente des Erzählwerks, das die hochentwickelte romanische Novellistik in die deutsche Literatur einführte. [...] Dokumentiert werden soll, daß die "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" wohl nicht zuletzt [...] als "Nebenwerk" bis in die aktuelle Gegenwart hinein unter einem gewissen Minderinteresse und einer gelegentlich allzu flüchtigen Behandlung zu leiden haben. In der Folge soll das Erzählwerk selbst im Mittelpunkt stehen: Zuerst wird die Entstehungsgeschichte behandelt, anschließend werden die inhaltliche Dimension und – damit verbunden – das Verhältnis von Rahmenhandlung und Binnenerzählungen in den Blick genommen.
So wie man sich bei der Laterna magica der Illusion einer Geistererscheinung hingeben und gleichzeitig wissen kann, daß es sich 'lediglich' um eine Darstellung handelt, so kann man auch in der Kunst zwei Ebenen des Rezipienten "separat" ansprechen: seine Sinne und seinen Verstand. Für die Literatur, in die man diese medialen Effekte nicht "tatsächlich" integrieren kann, wird die Magia naturalis zum "metaphorischen" Modell. Einer der Literaten, der diesen Transformationsproze theoretisch und praktisch durchführt, ist Jean Paul.
Ich werde im Folgenden zeigen, daß Fontane in "Effi Briest" mittels der Raumgestaltung eine Topographie des Fremden entwirft, die mit dem Verlauf und den Krisen der dargestellten Ehe korrespondiert. Der Roman projiziert die Ehekonflikte des Paares Effi–Innstetten auf den dargestellten Raum. Er tut dies über den Gegensatz von "Natur" und "Kultur", der als kulturgeschichtliches Ordnungs- und Denkmuster die Geschlechterrollen gleichermaßen wie die Topographie strukturiert. In diesem Vorgehen gerät Fontane der Romanraum zum "Ort der Zivilisationsarbeit". Und eben darin gelangt jenes "versteckt und gefährlich Politische" zum Ausdruck, das Fontane so sehr interessierte.
Die auf der Ebene des Figurenbewußtseins in der Schlußszene sich reflektierende innere Form des Stücks, die das Dramengeschehen bestimmende Umformung der Titelfigur zur Symbolgestalt, bildet Goethes Antwort auf die den ästhetisch-poetologischen Diskurs seiner Zeit bestimmende Fragestellung nach dem Verhältnis von Kunst und Leben ab, von der aus sich schließlich auch eine Selbstbegründung der Gattung Geschichtsdrama ergibt. Dieser poetologischen Dimension des Egmont, die von der Forschung bislang kaum oder allenfalls nachrangig beachtet worden ist, soll im folgenden nachgegangen werden. Dabei gilt es zunächst, die Umformung der Titelfigur zur Symbolgestalt auf der Handlungsebene in ihrer final gerichteten Logik und Dynamik nachzuvollziehen.
Kurz nachdem Jean Paul im Jahr 1796 den letzten Teil des Romanmanuskripts Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs an seinen Verleger abgeschickt hatte, brach er in die damalige Kulturhauptstadt Weimar auf. Dort traf er zum ersten Mal den von ihm mit Distanz bewunderten Goethe. Während dieser Besuch von Goethe selbst unkommentiert blieb, fand eine aus dem gleichen Jahr stammende Äußerung Jean Pauls eine um so größere Resonanz bei dem um sein Image besorgten Dichterfürsten. ...