830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Wie, so frage ich, soll man als Literaturhistoriker noch über Martin Walser schreiben, ohne unter Verdacht zu geraten, ihn für seine Friedenspreis-Rede mit einem Angriff auf sein literarisches Werk abzustrafen? Auf den Knien, wie Frank Schirrmacher oder auf dem Bauch, wie Franziska Augstein ? Muß man "zittern" wie der Geehrte, wenn nüchterne Analyse und nicht Huldigung das Ziel ist? Wird man zu den "Überführungsexperten (...) auf der Suche nach jenem letzten, allen Verdacht bestätigenden Beweis" gezählt, wenn man sich auf die philologische Suche nach den Quellen der Frankfurter Rede begibt?
Es ist bereits ein Topos der Goethe-Philologie, daß den "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" insgesamt ein eher geringes Interesse zukommt [...].Das Erzählwerk ist [...] zuerst einmal Unterhaltungsliteratur. Einer Rahmenhandlung mit begrenztem, auf jeden Fall überschaubarem Personal sind kleinere Erzählungen eingepaßt, die als Erzählungen in der Erzählung einem durch ein aktuelles Krisengeschehen verunsicherten Hörerpublikum zwecks Zerstreuung dargeboten werden. [...] Die Rede von einem "Nebenwerk" ist auch gattungspoetologisch zutreffend, insofern die Unterhaltungen als kleineres Prosawerk Ende des 18. Jahrhunderts im Schatten des Romans standen. [...] Erst die Romantik und dann die Neuromantik sahen die innovativen Elemente des Erzählwerks, das die hochentwickelte romanische Novellistik in die deutsche Literatur einführte. [...] Dokumentiert werden soll, daß die "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" wohl nicht zuletzt [...] als "Nebenwerk" bis in die aktuelle Gegenwart hinein unter einem gewissen Minderinteresse und einer gelegentlich allzu flüchtigen Behandlung zu leiden haben. In der Folge soll das Erzählwerk selbst im Mittelpunkt stehen: Zuerst wird die Entstehungsgeschichte behandelt, anschließend werden die inhaltliche Dimension und – damit verbunden – das Verhältnis von Rahmenhandlung und Binnenerzählungen in den Blick genommen.
So wie man sich bei der Laterna magica der Illusion einer Geistererscheinung hingeben und gleichzeitig wissen kann, daß es sich 'lediglich' um eine Darstellung handelt, so kann man auch in der Kunst zwei Ebenen des Rezipienten "separat" ansprechen: seine Sinne und seinen Verstand. Für die Literatur, in die man diese medialen Effekte nicht "tatsächlich" integrieren kann, wird die Magia naturalis zum "metaphorischen" Modell. Einer der Literaten, der diesen Transformationsproze theoretisch und praktisch durchführt, ist Jean Paul.
Ich werde im Folgenden zeigen, daß Fontane in "Effi Briest" mittels der Raumgestaltung eine Topographie des Fremden entwirft, die mit dem Verlauf und den Krisen der dargestellten Ehe korrespondiert. Der Roman projiziert die Ehekonflikte des Paares Effi–Innstetten auf den dargestellten Raum. Er tut dies über den Gegensatz von "Natur" und "Kultur", der als kulturgeschichtliches Ordnungs- und Denkmuster die Geschlechterrollen gleichermaßen wie die Topographie strukturiert. In diesem Vorgehen gerät Fontane der Romanraum zum "Ort der Zivilisationsarbeit". Und eben darin gelangt jenes "versteckt und gefährlich Politische" zum Ausdruck, das Fontane so sehr interessierte.
Die auf der Ebene des Figurenbewußtseins in der Schlußszene sich reflektierende innere Form des Stücks, die das Dramengeschehen bestimmende Umformung der Titelfigur zur Symbolgestalt, bildet Goethes Antwort auf die den ästhetisch-poetologischen Diskurs seiner Zeit bestimmende Fragestellung nach dem Verhältnis von Kunst und Leben ab, von der aus sich schließlich auch eine Selbstbegründung der Gattung Geschichtsdrama ergibt. Dieser poetologischen Dimension des Egmont, die von der Forschung bislang kaum oder allenfalls nachrangig beachtet worden ist, soll im folgenden nachgegangen werden. Dabei gilt es zunächst, die Umformung der Titelfigur zur Symbolgestalt auf der Handlungsebene in ihrer final gerichteten Logik und Dynamik nachzuvollziehen.
Kurz nachdem Jean Paul im Jahr 1796 den letzten Teil des Romanmanuskripts Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs an seinen Verleger abgeschickt hatte, brach er in die damalige Kulturhauptstadt Weimar auf. Dort traf er zum ersten Mal den von ihm mit Distanz bewunderten Goethe. Während dieser Besuch von Goethe selbst unkommentiert blieb, fand eine aus dem gleichen Jahr stammende Äußerung Jean Pauls eine um so größere Resonanz bei dem um sein Image besorgten Dichterfürsten. ...