943 Geschichte Mitteleuropas; Deutschlands
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Vorliegend wird davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Rechtssätzen für die Vermessung des menschlichen Lebenslaufs seit 1750 erheblich zugenommen hat. Dies gilt in besonderem Maße für die Entstehung des rechtlich geschützten Raums der Jugend. Die Wandlung "vom 'jungen Herrn' zum 'hoffnungsvollen Jüngling'" hat ihre Wurzeln bereits im 18. Jahrhundert. Eine Verdichtung rechtlicher Regelungen ist aber vor allem im Vormärz zu bemerken. Hier sollen lediglich die gesetzlichen Neuerungen betrachtet werden.
Im folgenden Beitrag soll 'Jugend' im Vormärz in sozial- und kulturhistorischer Perspektive behandelt werden. Es soll dargestellt werden, wie 'Jugend' als eigenständige Lebensphase im ausgehenden 18. Jahrhundert entstand, welche Aufgaben der Jugendphase sukzessive zugeschrieben und welche Hoffnungen mit ihr verbunden wurden. Dabei soll an einer Fallstudie aus dem Wirtschaftsbürgertum auch diskutiert werden, ob die Vorstellung von 'Jugend', die in der zeitgenössischen Literatur zumeist mit revolutionärer Erneuerung und mit Protest gegen die älteren Generationen verbunden wurde, auch realhistorischen Entwicklungen entsprach. Betrachtet wird vornehmlich die männliche bürgerliche Jugend, da diese sowohl in der zeitgenössischen Literatur als auch in den öffentlichen Debatten um die Jugend die prominenteste Rolle spielte.
Im Theater des Terrorismus : zum öffentlichen Diskurs über den Linksterrorismus in den 1970er Jahren
(2007)
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, durch multiperspektivische historisierende Betrachtung sowie die Untersuchung des zeitgenössischen öffentlichen Diskurses zu einer historischen Einordnung des Terrorismus der RAF in den 1970er Jahren beizutragen. In dem zu diesem Zweck zunächst erarbeiteten ereignis- wie ideen- und mentalitätsgeschichtlichen Teil konnte gezeigt werden, dass die Entstehung der RAF nur vor dem spezifischen geschichtlichen Hintergrund der BRD der ausgehenden sechziger Jahre zu verstehen ist, dass Konstellationen wie die erste Große Koalition, die NS-Belastung von Vertretern aus Politik und Justiz oder der Vietnamkrieg essentielle Anschubkräfte zuerst der Studentenbewegung und sodann des Linksterrorismus darstellten. Als zentrales Moment der Terrorismusgenese wurde dabei der Verlauf der studentischen Protestbewegung herausgearbeitet, während dessen die staatliche Seite durch verbreitete Kritikimmunität und letztlich durch Rückgriff auf eine vornehmlich polizeiliche Lösung des Konfliktes zur exponentiellen Radikalisierung eines kleinen Teiles der Bewegung, und der Bestätigung und Verfestigung dessen ideologischer Prämissen maßgeblich beitrug. Militante Theoreme fanden so direkte Anknüpfungspunkte und zeitigten, nach dem Ende der Massenbewegung, subjektiv empfundenen Handlungsdruck hin zu neuen, militanten, von Kleingruppen getragenen Protestformen, zum Terrorismus. Hier und dies unterstreicht die Wichtigkeit multikausaler Erklärungsmuster – zeigte sich auch der Einfluss individueller Aspekte sowie gruppendynamischer Prozesse. Ersteres besonders dahingehend, dass aus ins Fanatische getriebener Ideologisierung heraus eine völlige Kongruenz des eigenen Lebens mit dem revolutionären Ideal und ein radikaler Bruch mit der bürgerlichen Existenz angestrebt wurde. Beides wurde durch die Mitgliedschaft in der RAF fast automatisch erreicht. Letzteres insofern, als dass der monolithische politisch-soziale Bezugsrahmen der späteren RAF-Mitglieder, der auch eine stark selektive Wahrnehmung der Realität bewirkte, den Schritt in den Untergrund begünstigte; und dass, dies gilt für die zweite RAF-Generation, durch Appelle an Solidarität und Kollektivität seitens der inhaftierten ersten Generation enormer moralischer Druck auf Sympathisanten generiert wurde, was in einer Perpetuierung der RAF als Gruppe resultierte. ...
Hans-Georg Soldat (Berlin) arbeitete als Literatur-Redakteur beim RIAS in West-Berlin und referierte "Zur Rolle von Westpresse und Rundfunk". Er berichtete, dass DDR-Autoren im RIAS-Literaturprogramm stark vertreten waren. In der DDR unzugängliche Bücher wurden in den RIAS-Besprechungen ausgiebig zitiert, um auf diese Weise die Literatursperre zu unterlaufen. Ein Indiz für die Wirkung dieser Vorgehensweise lieferte die Vorstellung einer DDR-Ausgabe einer sowjetischen Anthologie. Kurz nach der RIAS-Sendung avancierte das Buch vom Ladenhüter zur Bückware. Insgesamt sank jedoch der Stellenwert des Radios. Zitiert nach: Tagungsbericht "Der heimliche Leser in der DDR". 26.09.2007-28.09.2007, Leipzig, in: H-Soz-u-Kult, 14.11.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1747>.
In der Geschichtswissenschaft gilt der Erste Weltkrieg als die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" (Kennan). Er stand am Anfang einer Epoche gewaltiger Umwälzungen, die erst am Ende des 20. Jahrhunderts einer neuen Weltordnung Platz machen sollte, die allerdings noch immer instabil ist. Er bewirkte die Aufweichung der überkommenen bürgerlichen Sozialordnung Europas, beschleunigte den Niedergang des Bürgertums als führende gesellschaftliche Schicht, setzte neue politische Kräfte frei "einerseits faschistische Bewegungen, andererseits das sowjetische Experiment" die Europa und die Welt bis zur Unkenntlichkeit veränderten. Obgleich der Erste Weltkrieg der Höhepunkt der westlich-imperialen Herrschaft über ganze Regionen der Erde war, wurden währenddessen schon Ansätze für die weltweite Dekolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt. ... Die vorliegende Arbeit möchte diesem Forschungszweig eine weitere Fallstudie über das Kriegserleben einer Hamburger Bürgerfamilie hinzufügen. Die Treplins, ein junges Ehepaar mit drei kleinen Kindern, waren von 1914 bis 1917 über drei Jahre hinweg getrennt, während der Ehemann als Stabsarzt an der Front eingesetzt wurde. Ziel ist es, eine Alltagsgeschichte dieser Familie während dieser drei Jahre der Trennung zu schreiben, aus der hervorgeht, wie sich das Leben des Ehepaares und ihrer Kinder gestaltete und wie sie mit der Kriegs- und Trennungssituation umgingen. Quelle dieser Arbeit bildet der vollständig erhaltene Feldpostbriefwechsel des Paares. ....
Im Theater des Terrorismus : zum öffentlichen Diskurs über den Linksterrorismus in den 1970er Jahren
(2007)
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, durch multiperspektivische historisierende Betrachtung sowie die Untersuchung des zeitgenössischen öffentlichen Diskurses zu einer historischen Einordnung des Terrorismus der RAF in den 1970er Jahren beizutragen. In dem zu diesem Zweck zunächst erarbeiteten ereignis- wie ideen- und mentalitätsgeschichtlichen Teil konnte gezeigt werden, dass die Entstehung der RAF nur vor dem spezifischen geschichtlichen Hintergrund der BRD der ausgehenden sechziger Jahre zu verstehen ist, dass Konstellationen wie die erste Große Koalition, die NS-Belastung von Vertretern aus Politik und Justiz oder der Vietnamkrieg essentielle Anschubkräfte zuerst der Studentenbewegung und sodann des Linksterrorismus darstellten. Als zentrales Moment der Terrorismusgenese wurde dabei der Verlauf der studentischen Protestbewegung herausgearbeitet, während dessen die staatliche Seite durch verbreitete Kritikimmunität und letztlich durch Rückgriff auf eine vornehmlich polizeiliche Lösung des Konfliktes zur exponentiellen Radikalisierung eines kleinen Teiles der Bewegung, und der Bestätigung und Verfestigung dessen ideologischer Prämissen maßgeblich beitrug. Militante Theoreme fanden so direkte Anknüpfungspunkte und zeitigten, nach dem Ende der Massenbewegung, subjektiv empfundenen Handlungsdruck hin zu neuen, militanten, von Kleingruppen getragenen Protestformen, zum Terrorismus. Hier und dies unterstreicht die Wichtigkeit multikausaler Erklärungsmuster – zeigte sich auch der Einfluss individueller Aspekte sowie gruppendynamischer Prozesse. Ersteres besonders dahingehend, dass aus ins Fanatische getriebener Ideologisierung heraus eine völlige Kongruenz des eigenen Lebens mit dem revolutionären Ideal und ein radikaler Bruch mit der bürgerlichen Existenz angestrebt wurde. Beides wurde durch die Mitgliedschaft in der RAF fast automatisch erreicht. Letzteres insofern, als dass der monolithische politisch-soziale Bezugsrahmen der späteren RAF-Mitglieder, der auch eine stark selektive Wahrnehmung der Realität bewirkte, den Schritt in den Untergrund begünstigte; und dass, dies gilt für die zweite RAF-Generation, durch Appelle an Solidarität und Kollektivität seitens der inhaftierten ersten Generation enormer moralischer Druck auf Sympathisanten generiert wurde, was in einer Perpetuierung der RAF als Gruppe resultierte. ...
The history of German migration policies was a growth industry during the 1990s. The political battles of the present, such as asylum legislation, integration, and citizenship reform, created growing interest in the German historical experience of migration, migration controls and citizenship law. At the time, the only major work to tackle the subject was Klaus Bade's pioneering study of Prussian migration policies before the First World War, recently republished in an updated edition.[1] Initially, interest in German migration policies was guided largely by two leading questions. Histories of citizenship in Germany tended to adopt a long or a comparative perspective, which sought to test the hypothesis that German citizenship law and its implementation in practice reflected a particularly ethnic German conception of nationhood.[2] Histories of migration policy, by contrast, tended to focus on particular episodes in which a German tendency to view migrants primarily with regard to their usefulness, and not as potential immigrants and future citizens, clearly emerged, especially with regards to histories of the German Empire, the First World War, National Socialism, the Second World War and the post-war treatment of Gastarbeiter. The Weimar Republic, in contrast, was usually passed over in a few pages that highlighted the continuity of labor market control.[3] This state of affairs was remarkable because research on other countries highlighted the interwar period as an epoch of massive change in international migration policies. Race and ethnicity loomed larger than they had before, as indicated by the implementation of a quota system and barred zones in the United States. Moreover, with the First World War came the introduction of documentation requirements and the creation of labor-management bureaucracies that facilitated the distinction between citizens and aliens, as well as attempts to match labor supply to labor demand. Gérard Noiriel had even gone so far as to argue, largely with a view to migration and documentation policies, that the practices of Vichy had their roots in republican reforms of the late 1920s and 1930s.[4] Jochen Oltmer's magisterialHabilitationsschrift closes this gap all but completely. Based on a thorough reading of the archival record and contemporary public debate, his book shows that the transition from the politics of the First World War to the politics of National Socialism in the years of a labor shortage was more complicated previously assumed. He also highlights that migration policy was a field in which the Weimar Republic's problems emerged with particular poignancy. Oltmer's account is organized thematically rather than chronologically, though his subjects are arranged in the order in which they emerged as the main foci of internal administrative and public political debate. In the Weimar Republic's early years, these topics concerned ethnic Germans left outside the Empire's post-Versailles borders, prisoners of war and political refugees. In the later years, the position of migrant workers gained more prominence. While publicly committed to aiding fellow Germans, the republic's practice was ambivalent. The arrival of former residents of Alsace--mostly skilled workers in industries where labor was in demand, from a territory unlikely to be re-conquered soon--was welcome, but emigration of ethnic Germans from areas under Polish control was actively discouraged. The official view of these potential emigrants was less positive, their numbers were larger by several orders of magnitude and maintaining a visible German minority outside Germany's eastern borders seemed a good way to bolster the German case for a revision of the Treaty of Versailles. Migrants from Poland who could not prove they had been persecuted could therefore only expect accommodation in forbidding refugee camps in remote locations. As Oltmer's third chapter shows, this attitude also shaped the Weimar Republic's response to ethnic German emigration from Russia, which peaked during the famine years of the 1920s. Individual ethnicity was, therefore, not a dominant factor in the treatment of refugees; aliens of all ethnic backgrounds remained in a precarious position in the Weimar Republic, regardless of whether they were former prisoners of war who had opted to stay, or Jewish refugees from eastern and southeastern Europe who loomed relatively large in public debates or refugees from Soviet Russia. Ethnicity and race also loomed large in debates on the desirability of labor immigration. In general, the attitudes of state governments had more or less come full circle since the days of the empire. Whereas Prussia had been most concerned about the impact of Polish immigrants on national homogeneity before 1914, Bavaria and Baden-Württemberg proved most rigid after 1919. However, the majority of migrant workers were interested in jobs in Prussia, in the industrial areas of the Ruhr and, more prominently, in the agricultural east, which continued to rely on the access to Polish labor markets, particularly for potato planting and harvesting. In theory, the states and the empire had a powerful new tool to control labor migration: the obligatory work permit, issued only if no German applicants could be found for a job. Things were, however, not so simple in practice. Political interest in ethnic homogeneity was equal to interest in increasing the supply of food, a goal that could only be achieved, East Elbian landowners claimed, if Polish seasonal workers remained available to German employers. Immigration was, however, regarded with distaste by the völkisch right, Prussia's conservative bureaucracy and the Social Democrats, who viewed Polish laborers as an obstacle to the long-overdue modernization of rural Prussia through mechanization and unionization. The solution, fixed quotas for migrant laborers set to decline every year, proved unworkable, as rural employers turned to undocumented laborers. Moreover, the German government did its bit to undermine respect for legality in immigration matters. Seeking to reimpose a de facto policy forcing Polish migrants to return home for part of the year to prevent their settlement in Poland, German officials came into conflict with Polish determination to cut the state's ties to long-term emigrants, and were frequently forced to aid migrants in clandestinely crossing the border, before an unequal agreement could be concluded with Poland in 1927 that confirmed the status of Polish workers as second-class migrants excluded from social insurance and subject to a forced return for part of the year. Oltmer's comprehensively documented study does more than simply fill a gap in existing research. He unearths a striking pattern to Weimar policies, which could be found in many other fields of policy and may contribute to explaining why successive Weimar governments had such a difficult time in gaining the population's respect. Public pronouncements frequently contradicted secret or semi-secret policies. Official quotas for foreign workers, for example, were unofficially raised and little attempt was made to sanction employers of undocumented workers. Such actions exposed the Republic to criticism from the right and created a climate in which even more restrictive National Socialist policies could acquire broad popular support. Oltmer's book thus treats a question at the center, not the periphery, of the Weimar years.
Otto Hufnagel war bis vor dem Ersten Weltkrieg ein typischer wilhelminischer Bildungsbürger. Er wurde 1885 als Sohn eines protestantischen Frankfurter Volksschullehrers und Veteranen des Kriegs von 1870 geboren, legte 1905 das Abitur ab und studierte in Heidelberg und Leipzig Geschichte, Deutsch und Latein. Während die kontroverse Bewertung seiner Dissertation zeigte, dass (nur) ein Teil der Leipziger Historiker in ihm ein wissenschaftliches Talent sah, waren auch die Skeptiker sicher, dass es sich bei Hufnagel Junior ebenfalls um einen vorbildlichen Lehrer handeln würde. Dieses Urteil bestätigte Hufnagel seit 1911 in der waldeckischen Hauptstadt Arolsen, wo er sich auch in der breiteren Öffentlichkeit der Residenzstadt hervortat: als glühender Bismarck-Verehrer, Marine-Apologet und Kriegsbefürworter. Das sollte sich erst ändern, als Hufnagel seit 1915 persönlich mit den Schrecken des Krieges konfrontiert wurde. Als er im Herbst 1918 in das einer relativ gemächlichen Revolution entgegenblickende Arolsen zurückkehrte, tat er dies als überzeugter Demokrat und Republikaner, der bald zu einer der führenden Persönlichkeiten der Waldeckschen DDP aufstieg. Als Mitglied des Landtages beschäftigte sich Hufnagel intensiv mit den besonderen Problemen der Waldeckschen Verfassung und ihrer Implikationen für eine Neuordnung der Beziehungen zwischen Bevölkerung, Fürst, Staat und Reich. Waldeck war 1866 von der preußischen Annexionswelle verschont geblieben, aber 1867 halb-freiwillig in die Rolle einer preußischen Dependance mit einem Monarch minderen Ranges gewechselt. Eine der beherrschenden Fragen der waldeckschen Landespolitik war daher - neben der Revolution - die Möglichkeit eines Anschlusses an Preußen (den Hufnagel befürwortete) und bereits vor 1926 die Frage nach dem Status des Vermögens eines Quasi-Monarchen (wo sich Hufnagel anspruchsvoll, aber kompromissbereit zeigte). Waldeck gehörte nach 1918 zunächst zu den deutschen Regionen, welche dem bürgerlichen Liberalismus besondere Möglichkeiten zu eröffnen schienen - dafür sprach bereits vor 1914 die Tatsache, dass Friedrich Naumann Reichstagsabgeordneter für Waldeck und Pyrmont gewesen war; nach dem Krieg kam das Wirken von ihrer Begeisterung für Kaiser und Reich abgekommenen Persönlichkeiten wie Hufnagel hinzu. Allerdings machte der weitere Verlauf der Ereignisse deutlich, dass auch in Waldeck der bürgerliche Liberalismus schwierigen Zeiten entgegenging. Zwar schien sich relativ lange die Chance zu bieten, alle liberalen Kräfte in einer Partei zu vereinigen oder zumindest im Landtag zu einer Fraktion zu schmieden, aber diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Die DDP wurde alsbald - trotz des politischen Geschicks Hufnagels - im bürgerlichen Lager von rechts überholt, wobei die Tatsache, dass in Menks Darstellung die liberale Haltung zu sozialen Fragen stark in den Hintergrund tritt, eine mögliche Begründung erahnen lässt. Die Taktik der bürgerlichen Rechten, Hufnagel öffentlich an den Pranger zu stellen, etwa durch Verweis auf die Folgen seiner politischen Aktivität für Unterrichtsausfall an seiner Schule oder durch Berichte über vermeintliche Verfehlungen im Landtag (beispielsweise Protokollfälschung) endete in einer Prozesskette, aus der Hufnagel zwar siegreich hervorging, die ihn aber zermürbte und 1924 dazu bewog, ins liberale Frankfurt überzusiedeln. Folgt man dem Urteil Gerhard Menks, so wurde Waldeck sehr bald ein weiterer Staat, in dem eine demokratische politische Kultur bereits vor 1933 von innen ausgehöhlt wurde und wo für kritische Geister weniger Platz blieb als für Demagogen, die nach 1933 erfolgreich blieben. In Frankfurt betätigte sich Hufnagel vorwiegend als Lehrer und Wanderer, kaum noch als Politiker und politischer Publizist. Insofern bedeutete die Machtergreifung 1933 zwar eine Zäsur, aber keine unmittelbare politische Bedrohung; eine Entlassung des wenig exponierten Lehrers stand offenbar ebensowenig zur Debatte wie ernsthafte Sanktionen. Die Versetzung innerhalb Frankfurts konnte als Strafe oder Belohnung gedeutet werden. 1944 zog Hufnagel mit seiner Schule nach Westerburg, um den Folgen des Bombenkrieges zu entgehen, starb aber noch im selben Jahr. Hufnagel war gewiss kein Politiker der ersten Reihe. Der vorliegenden Biografie gelingt es aber, anhand der detaillierten Betrachtung einer - zugegebenermaßen spröden - Person ein liberales Milieu der 'Provinz', das entscheidend von Lehrern geprägt wurde, neu und in vielfacher Hinsicht erstmals zu beleuchten. Dies geschieht auf der Grundlage akribischer Recherchen, die durch den beinahe kompletten Verlust des Nachlasses Hufnagels erschwert wurden, sowie umfassender Kenntnisse der Landesgeschichte, die immer in den breiteren historischen Kontext eingebettet wird. Ein 776 Seiten umfassender Dokumentenanhang enthält publizierte Quellen zu Hufnagel, zur Geschichte der waldeckschen und Frankfurter DDP, zur Revolution von 1918 und zur allgemeinen Regionalgeschichte des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Während der Rezensent sich eine deutlich rigorosere Straffung des Manuskripts gewünscht hätte, das zu ausladenden, sich im Rahmen der Darstellung mehrfach wiederholenden Schilderungen neigt, so werden andere Nutzer des Buches die Tatsache begrüßen, dass der Autor auch mit der allgemeinen Historiografie der Epoche nicht vertraute Leserinnen und Leser an jeder Stelle in den allgemeinen Kontext seiner Betrachtungen einführt. Es handelt sich insgesamt um ein Produkt einer gründlichen, leidenschaftlichen Forschungsarbeit, welche die Geschichte des Weimarer Liberalismus um eine biografische und regionalgeschichtliche Dimension erweitert und damit die Frage nach den Gründen für sein Scheitern der Beantwortung ein Stück näher bringt. Redaktionelle Betreuung: Nils Freytag
Peter Suhrkamp und sein Verlag stehen für den kulturellen Wiederaufbau: Suhrkamp erhält 1945 die erste Verlagslizenz, sein Programm prägt die geistige Identität der jungen Republik. Der Verleger wirkt im Stillen als Katalysator bei der Entstehung von Werken, er gibt Autoren die intellektuelle Heimat, in der entstehen kann, was zur literarischen Signatur Nachkriegsdeutschlands werden wird. Die Frage nach seinem Erfolgsrezept beantwortet Wolfgang Schopf mit einem Blick auf die Schätze des »Archivs der Peter Suhrkamp Stiftung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität«.