Journal of religious culture = Journal für Religionskultur
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51 b
Die vor Ausrufung der Republik in der Türkei beginnende Geschichte der Säkularisierung bzw. des Laizismus kann auch als die Geschichte der Verwestlichung der türkischen Gesellschaft verstanden werden. Die mit der Säkularisierung einhergehenden Reformen betrafen zunächst das Militärwesen, wies dieses doch die größten Schwächen auf. Sie erstreckten sich im weiteren aber auch auf die Wirtschaft, das Regierungssystem und die Gesellschaft im allgemeinen. Während dieser vorrepublikanischen Phase war die Auseinandersetzung mit der andersartigen westlichen Weltanschauung und Denkweise unvermeidlich. Der bis in das 18. Jahrhundert zurück zu verfolgende Verwestlichungsprozeß wurde bereits in vielerlei Hinsicht untersucht. In der vorrepublikanischen Phase existierten nicht nur die konventionellen islamischen Anschauungen über Religion, sondern auch schon solche der neuen Weltanschauung, für die die Religion nicht dem mehr als selbstverständliche Grundlage menschlichen Denkens galt. Sie stellte vielmehr neu die Frage, was denn unter Religion überhaupt zu verstehen sei.
58
Bevor wir uns mit den soziologischen Untersuchungen über die Religiosität in der türkischen Gesellschaft beschäftigen, halte ich es für nützlich, vorher in den Grundzügen das lange Zeit vorherrschende Verständnis bei der Betrachtung der Religion durch die Soziologie in der Türkei zu berühren. Die Soziologen in der Türkei haben lange Zeit für das Thema Religion nicht genügend Interesse gezeigt. Zweifellos gibt es dafür einige Gründe. Der Hauptgrund ist der Einfluss der starren positivistischen Anschauung des 19. Jahrhunderts. Wie bekannt ist, hat Religion für A. Comte die Eigenheit einer primitiven, unterentwickelten Stufe in der Evolution des menschlichen Denkens. Nach der Philosophie des Positivismus hat die Religion in der modernen Zeit im Zuge der Entwicklung der modernen Wissenschaft keine grosse Bedeutung mehr. Mit anderen Worten, die positivistische Wissenschaft wird an die Stelle der Religion treten. Deswegen brauchen die Menschen keine Religion mehr. Die Bedeutung religiösen Glaubens wird nach und nach abnehmen und vielleicht wird die Religion sogar ganz verschwinden. Der Prozess der Modernisierung bedeutet gleichzeitig einen Rückgang in der Religiosität. Deshalb ist es sinnlos und unnötig sich für Religion zu interessieren und bedeutet, sich mit einem Gegenstand zu beschäftigen, der keine Zukunft hat. Nach einem Verständnis des Positivismus ist Religion ein Phänomen, dass primitiven und traditionellen Gesellschaften zu eigen ist. Aus diesem Grund sollten sich Sozialwissenchaftler und Anthropologen, die sich mit primitiven und traditionellen Gesellschaften befassen, für Religion interessieren. ...
151
Gemäß islamischem Recht bildet der Glaube, dass der Mensch nicht sinnfrei, sondern mit gewissen Verpflichtungen erschaffen wurde, und dass er für seine Taten im diesseitigen Leben, das zugleich auch ein Prüfungsfeld darstellt, im Jenseits zur Rechenschaft gezogen wird, eines der wesentlichen Glaubensinhalte. Dieses Prüfungssystem, in dem alle Handlungen des Menschen anhand bestimmter Kriterien bewertet werden, die man ahkam (sg. hukm) nennt, wird im usul al-fiqh (und im kalam) taklif (Verpflichtung) genannt. ...
230
ʿAzīmabādīs Erläuterung des Taǧdīd-Hadithes als Beispiel eines religiösen Autorisierungsdiskurses
(2017)
79
Das arabische Wort Allah entspricht dem deutschen Wort "Gott". Dabei handelt sich nicht nur um einen Eigennamen Gottes, also lediglich um eine Form der Anrede, sondern um den Begriff "Gott" in seinem vollen Inhalt. So verwenden auch die arabischen Christen für Gott das Wort Allah. Sprachlich besteht ein Zusammenhang mit dem hebräischen Elohim, aramäisch Aloy = Allah = Gott. Hier ist zu unterscheiden zwischen Allah und Ilah, wobei das letztere Wort für irgendeinen Gott steht, Allah aber für den einen bestimmten und einzigen Gott, der nach der islamischen Lehre schon im Juden- und Christentum bekannt war. Wenn der Prophet Muhammad von Allah spricht, ist daher immer dieser eine und einzige Gott gemeint und nicht eine unbestimmte Person unter mehreren. Im Begriff Gott ist also eine gemeinsame Grundlage des Judentums, Christentums und des Islam gegeben. Allerdings haben die Bibel und der Koran verschiedene Vorstellungen von Gott, was besonders in der Beschreibung seiner Eigenschaften zu Tage tritt. ...
27-10
Disziplin kann man nicht in äußeren Dingen finden, wie in der Erde, den Steinen oder Bergen, sondern nur im Inneren fühlender Wesen. Als gewöhnliche Menschen — Frauen wie Männer — sind wir uns darin gleich, Fehler und Qualitäten zu haben. Unter dem Einfluß von Leidenschaften — sogenannten klesas (nyon mongs) — wie Begierde, Wut oder Zorn, Stolz und Neid schaden wir anderen durch die zehn unheilsamen Handlungen von Körper, Sprache und Geist: Töten, Stehlen, Sexuelles Fehlverhalten, Lügen, Verleumden, grobe Rede, unsinniges Geschwätz, Habgier, Übelwollen und verkehrte Ansichten. Ab und zu entwickeln wir Vertrauen, liebevolle Zuneigung oder Mitgefühl und führen, davon motiviert, einige heilsame Handlungen durch, stehen anderen hilfreich zur Seite und nützen sogar der Gesellschaft.
138
Die ägyptische Al-Azhar Universität feierte in März des Jahres 1983 ihr tausendjähriges Gründungsjubiläum. Chronologisch ist dieses Jubiläum allerdings etwas umstritten. In Wahrheit sind seit der Gründung der Al-Azhar nämlich keine 1000, sondern bereits 1013 Jahre verstrichen. Die Bauarbeiten an der Al-Azhar Moschee hatten bereits im April 970 angefangen. Die tausend Jahre verstehen sich somit als Beginn des eigentlichen Studienbetriebs an der Al-Azhar, die als Institution einige Jahre älter ist. Schon im Jahre 1942 hatte eine 1000-Jahrfeier an der Al-Azhar abgehalten werden sollen. Laut islamischem Mondkalender waren in eben diesem Jahr 1000 Mondjahre vergangen, doch die Ereignisse des 2. Weltkrieges, in den ja auch Ägypten verwickelt war, machten jede Hoffnung auf dies bezügliche Feierlichkeiten zunichte. Die Al-Azhar-Universität nennt sich die älteste Universität der Welt, durchaus mit Recht. Wenngleich man zugeben muß, daß schon lange vor der Gründung der Al-Azhar, Schulen und Akademien für das Studium aller Wissensgebiete existierten, von denen die bedeutendsten gerade hier in Ägypten angesiedelt waren. Man denke nur an die altägyptische Akademie von On, welcher Ort später von den Griechen Heliopolis genannt wurde, oder an die berühmte antike Akademie von Alexandrien. Es ist somit kein Zufall, daß nach der Ausbreitung des Islam eben hier im Niltal das erste große islamische Wissenszentrum gegründet wurde. ...
273
Die wesentliche Glaubenslehre des Islam ist das Bekenntnis der Einheit Gottes (Tawḥīd). Jalāluddīn Rūmī (g. 1273) erzählt in einer der längsten Geschichten seiner Maṯnawī die geistige Entwicklung des Menschen, bis er von Zwiespalt, Zweifel und Sorge befreit wird und so Tawḥīd, d.h. Einheit und Frieden in sich erreicht. Die Geschichte des Wüstenarabers (A‛rābī) und seiner Frau, welche in diesem Artikel behandelt wird, legt die Stufen der geistigen Reise, das Voranschreiten der Seele zur Einheit und hierbei das Verhältnis von Vernunft und Seele des Menschen, die als ein Ehepaar versinnbildlicht werden, dar.
217
Seit der Antike wird über das Thema der Ästhetik, über das Schöne, diskutiert. Diese Diskussion, die mit der Frage „Was ist schön?“ anfängt und was „schön“ als Wert ausdrückt, was die Quelle des Schönheitsgefühls bei dem Menschen ist, und auch die Frage nach dem Prozess der Entstehung eines ästhetischen Urteils, wird bis zur heutigen Zeit geführt. Heutzutage ist das ästhetische Verständnis des Propheten Muhammed nicht nur Untersuchungsthema, die Muslime haben im 21. Jahrhundert die von ihm erhaltenen ästhetischen Werte durch direkte Übertragung in ihr Leben und in ihre Lebensweise integriert. Die Koranforschung hat ergeben, dass der Sinn für Schönheit eine Fähigkeit bezeichnet, die dem im Koran erwähnten Menschen mit der Geburt gegeben worden ist. Im Propheten Muhammed hat das in ihm vorhandene Potenzial in der vorislamischen Zeit durch Aufrechterhaltung und durch göttliche Erziehung, die ihm nach dem Erhalt der prophetische Mission zuteil wurde, den Höhepunkt erreicht. In diesem Sinne ist sein Auftreten schön und die Schönheit beim letzten Propheten kein Zufall. Die Schönheit, die dem Koran folgend mit dem ersten Menschen, Adam, begann, fand ihre Vollendung im Propheten Muhammed Denn für den Propheten Muhammed war die Schönheit nicht lediglich ein philosophischer Wert, sondern im Gegenteil eine Lebensweise. Zu Beginn der Behandlung des ästhetischen Themas Am Anfang der Beschäftigung des Korans mit der Frage der Ästhetik liegt vor allem in den Worten der glaubenden Menschen, in ihrem Verhalten, den Zielen, die sie erreichen wollen, und in ihrem Glauben und ihren Gottesdiensten. Nach dem Koran ist es Allah, der die Geschöpfe verschönert, diese Schönheit wurde den Geschöpfen während ihrer Erschaffung gegeben. Mit anderen Worten hat Allah die Geschöpfe schön erschaffen. In der islamischen Welt gibt es Philosophen und Islamwissenschaftler, die über die Vorstellung der Schönheit Überlegungen anstellen...
236
Dieser Artikel ist eine Einführung in die islamische Religionspädagogik im osmanischen Reiches von der Vormoderne bis zur Gründung der türkischen Republik. Der Frage nach dem Beginn einer islamischen Erziehung wird vor allem anhand primärer Quellen nachgegangen. Die Wissensvermittlung von einzelnen und bestimmten Wissenschaften geschieht hauptsächlich mit Hilfe arabischer Handbücher, die auf die Zeit der Vormoderne zurückgehen und sich mit islamischer Pädagogik befassen. Zudem werden anhand von konkreten Einzelfällen kulturelle Einflüsse beleuchtet und die Veränderungen eines erziehungsliterarischen Themas chronologisch und tabellarisch aufgezeigt. In diesem Artikel finden jeweils drei weitere Aspekte punktuell Berücksichtigung: Der Austausch von Erziehung, Religion und Sprache. Das Osmanische Reich hat, um die Bevölkerung nach seinen eigenen ideologischen Vorstellungen zu erziehen, dafür wie alle anderen Staaten Bildungseinrichtungen geschaffen. In der osmanischen Zeit lag der Schwerpunkt dieser Institutionen hauptsächlich auf Religionslehre. Bis zum 17. Jahrhundert wurden Religions- und Naturwissenschaften in derselben Institution gelehrt. Von der Gründung des Reiches bis zu seinem Niedergang blieben diese Bildungseinrichtungen bestehen; wurden aber mit der Zeit inhaltlich reformiert. Man kann diese Einrichtungen, welche vom Staat und von verschiedenen Stiftungen gegründet und weiterentwickelt wurden, in zwei Hauptgruppen unterteilen: in formale Bildungsinstitute und verbreitete Bildungsinstitute.
142
Yajnavalkya : seine Philosophie – seine Soteriologie ; Klaus Mylius zum 80. Geburtstag gewidmet
(2010)
173
Seit mehr als 14 Jahrhunderten glauben Muslime, Sunniten wie Schiiten, daran, dass der Prophet Muhammad (gest. 632) der letzte Prophet sei und nach ihm bis zum jüngsten Tag weder weitere Propheten noch Gesandte kommen werden. Im 19. Jahrhundert ist eine neue islamische Bewegung in Erscheinung getreten. Diese neue islamische Glaubensgemeinschaft der sogenannten "Ahmadiyya"1 wurde 1891 von Mirza Ghulam Ahmad im indischen Punjab ins Leben gerufen. Anfangs erhob er den Anspruch, ein Erneuerer (mugaddid) des Islam zu sein. Einige Jahre später ging er, über seinen Aufruf zur Erneuerung hinausgehend, dazu über zu erklären, er sei der verheißene Messias und Mahdi2 des Islam. Schließlich verkündete er, göttliche Offenbarungen erhalten zu haben und ein Prophet Gottes zu sein. Diese Verkündigungen widersprechen, theologisch gesehen, eindeutig den Glaubenslehren der orthodoxen Muslime und riefen folglich ihren Zorn hervor. Trotzdem wurde die Ahmadiyya als eine unabhängige islamische Gemeinde im Jahre 1901 in Qadian registriert. ...
218
Die Scharia umfasst nach muslimischer Auffassung alle Fragen des Lebens und gibt Anweisungen für das Verhalten in Familie, Gesellschaft sowie gegenüber Gott. Insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zwar infolge der Anwerbung sogenannter ,Gastarbeiter‘ und der Aufnahme von Flüchtlingen aus mehrheitlich islamischen Ländern hat sich das Thema Scharia in Deutschland, wie in vielen anderen nicht-islamisch geprägten Gesellschaften, zu einem ausgesprochen heiklen Streitgegenstand entwickelt. Ein nicht unbedeutender Teil der im Westen lebenden Muslime will sein Leben nach den Schariavorschriften ausrichten. Diese Vorschriften stehen jedoch nicht immer in Einklang mit dem Ordnungssystem oder den Werten der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Muslimische Gelehrte entwickelten im Zuge dessen ein spezielles Konzept des so genannten Fiqh al-aqallīyāt („Minderheitenrecht“), welches Fragen der Minderheiten im schariarechtlichen Rahmen entsprechend ihrer Lebensumstände behandeln soll. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Frage, wie der Umgang der Muslime mit Nichtmuslimen im Allgemeinen und mit deren religiösen sowie gesellschaftlichen Feierlichkeiten im Besonderen schariarechtlich bewertet wird. Diese Fragestellung wird anhand von drei Rechtsgutachten (fatwa Pl. fatāwā) Yūsuf al-Qaraḍāwīs, eines der wohl populärsten und anerkanntesten Gelehrten der Gegenwart im sunnitischen Islam, beantwortet.
27-08
1. Die Lehre des Buddhismus ist die Lehre von Ursache und Wirkung. Buddha sagt:"Wer das bedingte Entstehen versteht, versteht Dharma, wer den Dharma versteht, versteht das bedingte Entstehen". Dharma ist die Lehre des Buddha. Dharma bedeutet "Wahrheit", "Gesetzmäßigkeit", "Naturgesetzt". Die gesamte Lehre von Buddha handelt von Menschen, von uns und von der Natur. Buddha hat ein andermal gesagt: "Die Lehre über das Entstehen in Abhängigkeit ist sehr tiefgründig und subtil". Nur mit dem Intellekt können wir es nicht "verstehen." Wörter sind leider nur ein lineares intellektuelles Mittel, was begrenzt ist....
168
197
Paul Tillich wurde 1929 nach Frankfurt/M., wo es damals noch keine Theologische Fakultät gab, auf den Lehrstuhl für Philosophie mit der Verpflichtung berufen, „Philosophie und die Soziologie einschließlich Sozialpädagogik“ zu vertreten. Der ordinierte Pfarrer verstand die Konzentration auf die Philosophie gerade nicht als Absage an die Theologie; er sah sich immer als ein Grenzgänger, ohne Überläufer zu werden. Was seine Verbindung zur „Frankfurter Schule“ anbelangt, so wurde der Jude Theodor Wiesengrund Adorno von Tillich habilitiert; mit Max Horkheimer veranstaltete er Seminare. Während seiner Frankfurter Zeit hat sich Tillich z. B. dem Verhältnis von Protestantismus und Profanität zugewandt: „Das Heilige liegt nicht außerhalb des Profanen, sondern in seiner Tiefe. Es ist der schöpferische Grund des Profanen“; Kultur ist ihrer Substanz nach Religion. 1929 schloß sich Tillich der SPD an, aus der er 1933 austrat. Dennoch mußte er am 10.5.1933 mit ansehen, wie auf dem Frankfurter Römer auch ein Exemplar seines Buches „Die sozialistische Entscheidung“ verbrannt wurde. Zusammen mit Max Horkheimer wurde Tillich am 13.4.1933 „beurlaubt“ und am 20.12.1933 aus dem Staatsdienst entlassen. Er emigrierte in die USA, wo er 1965 starb.
Auch den großen katholischen Theologen Karl Rahner SJ, der sich 1937 in Innsbruck für katholische Dogmatik habilitierte, zeichnet eine ähnliche Breite des Wissens und Denkens aus. 1964 erhielt er den „Prestigelehrstuhl“ Romano Guardinis (Lehrstuhl für christliche Weltanschauung) in München. Seine akademische Lehrtätigkeit und sein Wirken als Konzilstheologe machten ihn schon in jungen Jahren weit über Deutschland und Europa hinaus bekannt.
155
Protestantismus im Territorium : Heinrich Steitz (1907 - 1998): Biographie als Zeitgeschichte
(2012)
193
Anonyme Protestanten?
(2014)
Selbst bei theologisch so verschiedenen Charakteren wie Dorothee Sölle und Paul Tillich wurden religionskulturelle Unterschiede zwischen Personen durch den Verweis auf Gemeinsamkeiten in ihrem Leben und Handeln als „anonyme Christen“ zumindest relativiert, wenn nicht gar durch diese umfassende Kategorie ganz eingezogen. Differenzen zwischen Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung der betreffenden Personen spielen dann kaum noch eine wesentliche Rolle.
Im Rückblick auf zwei Jubiläen soll im Folgenden die Brauchbarkeit der Kategorie „Anonyme Christen“ am Sonderfall „Anonyme Protestanten“ überprüft werden.
192
Der Titel bedarf einer besonderen Begründung! 800 Jahre Elisabeth von Thüringen: Katholische und Evangelische Kirche begehen z. B. in Hessen mit einer Fülle von Veranstaltungen 2007 das „Elisabethjahr“. Die Ev. Kirche in Kurhessen-Waldeck und die Ev. Kirche in Hessen und Nassau haben unter dem Titel „Krone, Brot und Rosen. 800 Jahre Elisabeth von Thüringen“ einen umfangreichen Veranstaltungskalender vorgelegt. Bereits an ihrem 775. Todestag lassen die hessischen Landeskirchen und Bistümer in ökumenischer Eintracht, aber mit unterschiedlicher Akzentuierung das Elisabethjahr beginnen. „In einem war man sich schnell einig: Elisabeth kann sicher nicht als moderne Sozialapostolin gedeutet werden, die auf die reine Mitmenschlichkeit setzte; dafür waren ihre Christusfrömmigkeit und ihre Christusnachfolge zu stark ausgeprägt; sie verband praktizierte Caritas mit tiefer Gottesbeziehung. Es gab aber ein hartes Ringen um ein gemeinsames Erscheinungsbild des Gedenkens. Das Attribut ‚heilig‘ war für die evangelische Seite nicht akzeptabel. Für Protestanten ist die fürstliche Wohltäterin nur Elisabeth von Thüringen, und so steht es auch auf dem Logo für evangelische Gedenkveranstaltungen. Auf dem Logo für ökumenisch verantwortete Veranstaltungen wird kompromißhaft zusammengefügt: ‚Heilige Elisabeth. Elisabeth von Thüringen‘ “ (Gernot Facius). Wenn ich im Folgenden weiter von der „Hl. Elisabeth“ rede, soll dieser Hintergrund nicht vergessen werden.
Spuren der Elisabeth-Verehrung finden sich aber nicht nur in Deutschland und in Ungarn. Auch in Italien, Portugal, Tschechien, ja sogar in Skandinavien und den baltischen Ländern erinnert man sich an die deutsche Nationalheilige des Mittelalters...
194
Jubiläen haben es in sich! In diesem Jahr werden wir vor allem an den großen Philosophen Immanuel Kant erinnert, der am 12.2.1804 in Königsberg in Preußen gestorben ist. Sein Denkmal am Königsberger Dom hat den Krieg und auch die Russen überstanden. Am populärsten ist bis heute Kants Erläuterung von „Aufklärung“: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung!“1 Nicht nur, daß die 1784 niedergeschriebene Abhandlung Kants nicht am Anfang der deutschen Aufklärung steht, sondern eher ihr Schwanengesang ist: In der Regel wird auch verschwiegen, daß der Autor selbst die prinzipielle Gültigkeit dieser Sätze entscheidend einschränkte, wenn er am Schluß seiner Abhandlung alle radikalen Konsequenzen ausdrücklich verwarf und das Grundgesetz des friderizianischen Preußen pries: „Räsonniert, soviel als ihr wollt, und worüber ihr wollt, nur gehorcht!“ Kant hat den Angriff Napoleons auf Europa, den Zusammenbruch Preußens und Österreichs nicht mehr erlebt. So ist ihm die bittere Erfahrung erspart geblieben, daß von den Idealen einer Revolution meistens nur verwirklicht wird, was machtpolitisch brauchbar ist...
196
Ich beginne mit einer etwas vereinfachten Darstellung der sogenannten 'Letzten Dinge' (Eschata) in der traditionellen (neu)scholastischen Theologie (Vgl. Siegfried Meier, Sterben, Tod und Auferstehung, in: Schulinformationen, Paderborn, 30. Jg., Nr. 2, 2000, S. 61ff.). Diese geht davon aus, daß sich im Tod die unsterbliche Seele vom sterblichen Leib trennt. Der Leichnam verfällt, die Seele hingegen kommt ganz allein vor das Gericht Gottes. Daher nennt man dieses Gericht auch das besondere Gericht (iudicium particulare). Derjenige, der im Zustand der Heiligkeit verstorben ist und alle zeitlichen Sündenstrafen schon in diesem Leben abgebüßt hat, dessen Seele kommt sofort in den Himmel. Stirbt hingegen ein Mensch im Zustand der Todsünde, beginnt durch den Richterspruch Gottes die sofortige Verdammnis in der Hölle. Der mittelmäßige Mensch, der weder als Heiliger noch als Todsünder gestorben ist, muß eine Zeit der Läuterungsqualen im Fegefeuer erleiden. Schwere und Menge der noch nicht abgebüßten Sündenstrafen bestimmen die Dauer und Intensität des dortigen Aufenthaltes. Erst danach kann die Seele in den Himmel gelangen. Am letzten Tag der Weltgeschichte, dem sogenannten 'Jüngsten Tag', kommt es zur Auferstehung der Toten. Das bedeutet, daß die Seelen mit dem toten Körper wieder zu lebendigen Menschen vereinigt werden. Dann wird Gericht gehalten über den ganzen Menschen. Dieses Gericht wird daher als das allgemeine Gericht (iudicium universale) bezeichnet. Nach diesem Gericht gibt es nur noch Himmel und Hölle.
Was das Fegefeuer und den damit verbundenen Ablaß anbelangt, so haben sich die Reformatoren mit diesem Bild von Tod und Auferstehung kritisch auseinandergesetzt, was aber Gemeinsamkeiten, die auch im Blick auf gemeinsames Erbe antiker Philosophie begründet sind, nicht ausschließt...