Arbeitspapier / Institut für Sprachwissenschaft, Universität Köln
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A.F. 19
Semantik für Sprechakte
(1972)
Semantik wird herkömmlicherweise als die Interpretation von Zeichenketten verstanden, die die Syntax liefert. Damit gibt sie aber ein dubioses Programm für die Beschäftigung mit natürlichen Sprachen ab. Ausgangspunkt für diese muß die Feststellung sein, daß Sprechen ein Handeln ist und kein Produzieren von Zeichenketten (außer vielleicht zu Demonstrationszwecken). Sprechhandlungen sind z. B.: jmd. Widersprechen, jmd. beschuldigen, sich ausreden bzw. entschuldigen usw. Über die Sprechhandlungen selbst werde ich im folgenden nichts weiter sagen; ich werde vielmehr ein Verfasser und Leser gemeinsames Verständnis, begründet in einer gemeinsamen Erfahrung, voraussetzen. In dem so angedeuteten Rahmen soll es die Aufgabe der Semantik sein, die Bedingungen für Sprechhandlungen zu explizieren: Welche Bedingungen muß z. B. eine Sprechhandlung erfüllen, um eine Beschuldigung zu sein (als Beschuldigung zu gelten, als solche akzeptiert zu werden o. ä.)? Dieses Programm möchte ich im folgenden exemplarisch entwickeln.
N.F. 18
Das Phänomen der Inkorporation, spezieller Nominalinkorporation (NI), wurde ursprünglich in der Forschung vor allem in nordamerikanischen Indianersprachen untersucht und zu ihrer typologischen Beschreibung herangezogen. Daraus ergab sich eine Definition von NI als einem morphologischen Verfahren, bei dem ein prädikativer Ausdruck (V) einen referenzfähigen Ausdruck (N) inkorporiert, um einen komplexen prädikativen Ausdruck (V) abzuleiten. Nach heutigen Erkenntnissen jedoch gilt NI als relativ universell vertretenes Verfahren, das in den Sprachen der Welt mehr oder weniger prominent zu finden ist. Strittig ist dabei, ob das Inkorporat nur seinen syntaktischen Status – dies wäre als weit gefaßte Definition zu bezeichnen – oder auch seinen Wortstatus – dagegen eng gefaßte Definition (=Komposition) – verliert. Mit dieser Frage verbunden scheint die Diskussion um den Status von NI innerhalb eines Sprachmodells: Handelt es sich um ein syntaktisches Verfahren und ist als solches produktiv mit einer relativen Eigenständigkeit der Elemente (Sadock 1986/Baker 1988) oder um Lexikalisierung (Mithun 1984), also um einen Wortbildungsmechanismus mit einer zumindest tendenziellen Verfestigung der beteiligten Elemente? Allen diesen Modellen gemeinsam bleibt jedoch die Tatsache, daß sie im Bereich der Morphologie ansetzen. Wir wollen in dieser Arbeit den umgekehrten Weg beschreiten und anhand des von Mithun (1984) aufgestellten Katalogs von Charakteristika nach Phänomenen "nicht-morphologischer" NI suchen und sie am Material der jeweiligen Sprache erörtern.
A.F. 18
I. Zum Problem der Possessivität im Cahuilla (Uto-Aztekisch, Süd-Kalifornien) -
Von "possessiv", ''Possessivität'' wird in den Grammatiken verschiedener Sprachen in mindestens zwei verschiedenen Zusammenhängen gesprochen: 1.) Im Zusammenhang mit den "Possessivpronomina" und mit "Genitiv", z. B. dt. 'Karls Vater', 'sein Tod', 'seine Verurteilung', 2.) Im Zusammenhang mit 'haben', 'gehören', 'besitzen'. Daß die beiden Zusammenhänge nicht koextensiv sind, zeigt sich etwa bei 'sein Tod', wo neben es kein *'er hat einen Tod' gibt. Ebenso ist neben 'Karls Vater' ein Satz wie *'Karl gehört der (oder: ein) Vater' abweichend, zumindest wenn es sich um den leiblichen Vater Karls handeln soll. Das zeigt sich auch, daß die von der TG lange geübte Praxis, die Genitiv-Syntagmen auf 'haben'-Syntagmen zurückzuführen, nicht den Tatsachen entspricht. In anderen indogermanischen Sprachen finden wir ähnliches wie im Deutschen. Wir wissen zwar, was "Possessivpronomina" qua morphologische Klasse sind; aber syntaktisch und erst recht semantisch ist das Phänomen ''Possessiv'' weitgehend ungeklärt.
[...]
Ich glaube nun in einer Sprache den Bereich der Probleme einigermaßen zu überschauen, die man traditionellerweise und ohne recht zu wissen wie, mit dem Terminus "possessiv" in Verbindung bringt. Die Sprache heißt CAHUILLA, wird im südlichen Kalifornien von wenigen Sprechern noch gesprochen und gehört zur Uto-Aztekischen Sprachfamilie.
II. Possessivität und Universalien -
In meinem ersten Vortrag bin ich davon ausgegangen, daß für eine gegebene Sprache bei guter Kenntnis derselben eine zunächst intuitive Erfassung eines Bereichs der Grammatik möglich ist, den man sodann durch eine Theorie und nachprüfbare Methoden schrittweise auf die Ebene des wissenschaftlichen Bewusstseins zu heben versucht. Es handelt sich um jenen Bereich, dessen Grundprinzipien semantischer Natur sind, an dem aber auch die Syntax einen wesentlichen Anteil hat. Wie man den Bereich nachher nennt, ist weniger wichtig; ich sehe kein Hindernis, den traditionellen Terminus "possessiv", "Possessivität" dafür zu verwenden. Auch heute, in dem zweiten Vortrag, in dem es zunächst vor allem ums Deutsche, dann aber um die Frage nach den sogenannten Universalien geht, will ich wieder davon ausgehen, daß es möglich ist, einen semanto-syntaktischen Bereich "Possessivität" intuitiv abzustecken. Ich will dafür zunächst einen prominenten Zeugen aufrufen, der das fürs Griechische getan hat: Aristoteles.
N.F. 17
In der Forschung zu Grammatikalisierungsphänomenen wurden die Untersuchungsergebnisse häufig in Form grafischer Schemata dargestellt. Die einschlägige Forschungsliteratur spricht daher von 'grammaticalization paths', 'chains' und 'channels'. Wir möchten in dieser Arbeit erstens einen Überblick darüber bieten, welche Grammatikalisierungspfade – und zu welchen traditionellen grammatischen Domänen – bisher vorgeschlagen wurden. Zweitens möchten wir mittels der Zusammmenstellung der Pfade in einem Gesamtbild veranschaulichen, wie ein Grammatik-Modell aussehen könnte, dem die Grammatikalisierungstheorie zugrunde liegt. Ein solcher Überblick ist aus mehreren Gründen problematisch: Zum einen liegen für einige Grammatikalisierungsentwicklungen verschiedene Vorschläge vor, von denen wir jeweils die auswählten, für die ausreichend Belegmaterial angeführt wurde. Ein anderes Problem stellt die Heterogenität der grafischen Schemata dar, für die wir versucht haben, ein einheitliches Format zu erarbeiten, um sie in unser Gesamtmodell zu integrieren. In gleicher Weise wurden die Vorschläge einbezogen, die nicht in grafischer Gestalt vorlagen. Ein grundlegendes Kriterium für die Auswahl aus der vielfältigen Literatur war, daß die Bewegung eines sprachlichen Elements entlang seines historisch belegten Pfades betrachtet wurde. Im ersten Teil der Arbeit wird die Gesamtgrafik in Bezug auf die von Himmelmann 1992 skizzierte Grammatikalisierungtheorie in einzelnen Aspekten erläutert. Der zweite Teil dient der Einordnung der historisch belegten Entwicklungen in das Gesamtschema, wobei zwei Pfade gesondert behandelt werden. Zum Abschluß möchten wir kurz auf die Möglichkeiten und die Mängel des Modells eingehen.
A.F. 17
Eines der Hauptmerkmale, welches das Ionisch-Attische von den übrigen altgriechischen Dialekten unterscheidet, ist die Vertretung des idg. * ā durch ē. Idg. *ā kommt in den übrigen Dialekten als ā vor. So entspricht zum Beispiel dem idg. *māter (lat. māter, ai. mātā) äol.-dor. mā́tēr, aber mḗtēr im ion.-att. […] Selbstverständlich ist die Zurückführung auf idg. Formen mit ā ein Ergebnis, zu dem man erst durch die Rekonstruktionsmethoden der Vergleichenden Sprachwissenschaft kommt. In dem Bereich des ion.-att. Dialekts wird jedoch weiter unterschieden, da bei bestimmten lautlichen Umgebungen (nach den Lauten i, e und r) im Att. – wie auch im Äol., Dor. – ā und kein ē vorkommt, wie man erwarten würde und wie es wirklich der Fall im Ion. ist. […]
1.2. Wegen dieser unterschiedlichen phonologischen Situation, die man im Att. […] findet, stellen sich in Bezug auf das phonologische System des Altgriechischen (des ion.-att. Dialekts) die folgenden wesentlichen Fragen: (A) Wie soll man im Att. die Anwesenheit von ā statt des erwarteten ē erklären? (B) (I) Wurde das urgr. ā direkt zu ē (ē̡) im Ion.-att. oder hat es eine Zwischenstufe gegeben in dem Sinne, daß es zunächst zu ǟ (vorderer, palataler Laut) wurde und später zu ē̡, obwohl es in der Schrift immer durch H (MHTEP) im Att. repräsentiert wurde?
(II) Wenn es wirklich eine Zwischenstufe mit ǟ gegeben hat, hat sie so lange gedauert, daß ǟ als ein selbständiges Phonem des phonologischen Systems der langen Vokale des Ion.-att. und besonders des Att. betrachtet werden kann?
Der zweite Teil der Frage (B) wird direkt mit dem Problem der Chronologie der Verschmelzung ("merger") von ǟ und ā̡ verknüpft. (Da die Gründe, die für den phonematischen Wert des ǟ sprechen, stark genug sind, wie durch die folgende Analyse gezeigt werden wird, wird ǟ hier im voraus als Phonem betrachtet, und das soll hier auch als Arbeitshypothese dienen.)
A.F. 16
Problemstellung: Die Junggrammatiker rekonstruierten die Paradigmen der idg. Verbalflexion nach dem Muster des formenreichen Altindischen und Altgriechischen; ihr Verfahren wird von weiten Kreisen noch heute befolgt. Seit dem Bekanntwerden des Hethitischen haben einzelne Forscher den umgekehrten Weg eingeschlagen und ein formenarmes System als Ausgangspunkt der Entwicklung erklärt.
N.F. 16
This paper is concerned with developing Joan Bybee's proposals regarding the nature of grammatical meaning and synthesizing them with Paul Hopper's concept of grammar as emergent. The basic question is this: How much of grammar may be modeled in terms of grammaticalization? In contradistinction to Heine, Claudi & Hünnemeyer (1991), who propose a fairly broad and unconstrained framework for grammaticalization, we try to present a fairly specific and constrained theory of grammaticalization in order to get a more precise idea of the potential and the problems of this approach. Thus, while Heine et al. (1991:25) expand – without discussion – the traditional notion of grammaticalization to the clause level, and even include non-segmental structure (such as word order), we will here adhere to a strictly 'element-bound' view of grammaticalization: where no grammaticalized element exists, there is no grammaticalization. Despite this fairly restricted concept of grammaticalization, we will attempt to corroborate the claim that essential aspects of grammar may be understood and modeled in terms of grammaticalization. The approach is essentially theoretical (practical applications will, hopefully, follow soon) and many issues are just mentioned and not discussed in detail. The paper presupposes a familiarity with the basic facts of grammaticalization and it does not present any new facts.
N.F. 15
Grammatical relations – in particular the relation 'subject of' – and voice are of central concern to any theory of universal grammar. With respect to these phenomena the analysis of Tagalog (and the Philippine languages in general) has turned out to be particularly difficult and continues to be a matter of debate. What traditionally has been called passive voice in these languages […] appears to be so different from voice phenomena in the more familiar Indo-European languages that the term 'focus' was introduced in the late 1950s to underscore its 'exceptional' nature [...]. Furthermore, […] an inflationary use has been made of the term 'ergative' in the last decade; it can thus no longer be assumed that it has an unequivocal and specific meaning in typologizing languages, apart from the technical definition it might be given within a particular framework. But if the Philippine 'focus' constructions are neither passive nor ergative, how else can they be analysed? [...] In this paper a ease will be made for the claim that 'focus' marking should be analysed in terms of orientation, a concept used […] for capturing the difference between English (and, more generally, Indo-European) orientated nominalisations such as 'employ-er' or 'employ-ee', and unorientated nominalisations such as 'employ-ing'. This approach implies that 'focus' marking is derivational rather than inflectional as often presumed in the literature. This is to say that what is typologically conspicuous in Tagalog is not the 'focus' phenomenon per se, since this is very similar to orientated nominalisations in many other languages, but rather the very prominent use of orientated formations (i.e., derivational morphology) in basic clause structure.
A.F. 15
The aim of any Automatic Translation project is to give a mechanical procedure for finding an equivalent expression in the target language to any sentence in the source language. The aim of my linguistic translation project is to find the corresponding structures of the languages dealt with. The two main problems that have to be solved by such a project are the difference of word order between the source language and the target language and the ambiguous words of the source language for which the appropriate word in the target language has to be chosen. The first problem is of major linguistic interest: once the project has been worked out, it will give us the parallel sentence structures for the two languages in question. Since there is no complete analysis of any language that could be used for the purpose of automatic translation, we decided to build up our project sentence by sentence. The rules which are needed for translating each sentence will have to be included in the complete program anyway, and the translation may be checked and corrected immediately. The program is split up into subroutines for each word-class, so that a correction of the program in case of an unsatisfactory translation does not complicate the program unnecessarily.
A.F. 14
Georg von der Gabelentz (1840-1893) war Zeitgenosse und theoretischer Gegenspieler der Junggrammatiker. […] 1881 veröffentlichte er seine heute noch brauchbare 'Chinesische Grammatik', 1891 sein großes theoretisches Werk 'Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse' (2. Auflage 1901 von A. Graf von der Schulenburg herausgegeben; Neudruck 1969 als 'Tübinger Beiträge zur Linguistik 1' von G. Narr und U. Petersen).
[...]
[I]m vorliegenden Zusammenhang [interessiert] die Frage, ob die Unterscheidung der beiden Systeme etwa für die genealogisch-historische Sprachforschung einen Fortschritt in der Theorie bedeutet. Die mannigfachen und oft widersprüchlichen Neigungen, Tendenzen usw. in der sprachlichen Entwicklung dürften teils im analytischen, teils im synthetischen System ihren letzten Grund haben. So scheint die konservative Tendenz in der Sprache auf dem analytischen System zu beruhen, während das synthetische System die Gelegenheit zur Fortentwicklung bietet und zu einer solchen durch die Vielfalt gebotener Ausdrucksmöglichkeiten anregt.