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Maren Lorenz untersucht die individuelle Wahrnehmung von Schwangerschaft durch ledige Frauen des 18. Jahrhunderts anhand von Prozessakten und ärztlichen Gutachten. Während der medizinische Nachweis der Schwangerschaft eine auf normativen Axiomen basierende Scheingewissheit ist, orientieren sich die Frauen selbst an individuellen Erfahrungsmustern, Wunsch- bzw. Abwehrdenken und der Kommunikation mit anderen. Die historische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Deutungsmustern körperlicher Vorgänge, die auch auf medizinischer Seite weit von heutigen Vorstellungen abweichen, und die Ungewissheit über einen Zustand, der sich erst mit (k)einer Entbindung klärt, führt zur Auflösung scheinbar transhistorischer Gewissheiten. Damit eng verknüpft sind sich wandelnde Definitionen über den Beginn des menschlichen Lebens.
Schillers Balladen genießen einen mehrdeutigen Ruf: Ihre Popularität ist nicht zu bezweifeln, und fast jeder hat einzelne Wendungen und Bilder vor Augen wie jenen Kranichschwarm, der plötzlich dunkel über dem Theater erscheint. Aber die Balladen sind didaktisch in fragwürdiger Form instrumentalisiert worden – ‚23 Strophen bis zur nächsten Woche auswendig lernen’ – und zudem lassen sie sich nur schwer in den Entwicklungsgang der modernen Lyrik einordnen. (...) Dies hat zur Unterschätzung der Texte und auch zu einer intellektuellen Herabstufung geführt. (...) Nun erschließen sich ‚Die Kraniche des Ibycus’ in der Tat beim ersten Lesen dem Verständnis, aber sie enthalten gleichwohl ein Programm, und so sollen sie gedeutet werden: Als Popularisierung zentraler Postulate der Weimarer Klassik, als exotische Form poetologischer Ideen, die in anderen Texten Schillers, etwa in seinem Aufsatz über die ‚Schaubühne’ oder in seinen ‚Briefen über die ästhetische Erziehung’, in esoterischer Form vorliegen. (...) Die Implikationen der Ballade und im Besonderen das in ihr dargestellte Verhältnis von Kunst und Religion lassen sich am besten in jener Passage erfassen, in der das Theater und die Theateraufführung, die zur Enttarnung der Mörder führt, beschrieben werden.
Most of the times the tragic mask of the madman has fascinated artistic and literary modernity, inspiring a series of painters and writers through its complex expre-sivity and semantics. Balancing between lie and truth, cov-ering and revelating, through anarchy and virtuosity, the mask of the tragic clown reflects loneliness, the anxieties and demones of the modern individual in a world of vio-lence and alienation. In Celan’s late poetry, the mask of the tragic clown describes another kafkian metamorphosis which the present paper analyses in a cultural, biographic and intertextual context.
Nach der Spaltung Europas infolge des Zweiten Weltkrieges und der NS-Kapitulation 1945 erreichte die Bundesrepublik eine militärische, ökonomische und kulturelle Integration in die westeuropäische Staatengemeinschaft, was eine rasche Angleichung ihrer Lebenswelten an bürgerlich-demokratische wie marktwirtschaftliche Prinzipien bedeutete. Die DDR hingegen suchte ihre Anbindung an die "sozialistischen Bruderländer", die mit einer stärker formierten gesellschaftlichen Neuorientierung verknüpft war.
Thomas Meinecke proklamiert seit seinem ersten Roman 'The Church of John F. Kennedy' (1996) das Bild einer nicht-essentialistischen Gesellschaft, in der Kategorien wie nationale Identität oder ethnische Homogenität aufgelöst werden.
In seinem zweiten Roman 'Tomboy' (1998) wird die Dekonstruktion von Identitäts-Postulaten auf Gender-Ebene fortgeführt. Literarisch äußert sich das in einer Dekonstruktion formaler Prinzipien des philosophischen Romans. Philosophische Fragen werden nicht wirklich diskutiert in dem Sinne, daß diskursiv verschiedene philosophische Standpunkte ausgeführt würden. Statt dessen werden Philosophie und Welt als Diskursereignisse dargestellt - was selbst wieder eine quasi-philosophische These ausmacht.
Diese wird vor allem formal umgesetzt, was Prinzipien des 'philosophischen Romans' aus dem Grenzbereich der klassischen Moderne und der historischen Avantgarde entspricht, in dem sich in der Fortführung Nietzsches das Ende des essentialistischen Philosophierens bereits niedergeschlagen hat. Zu nennen wären hier etwa die Gaunergeschichten Walter Serners aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts oder Carl Einsteins Bebuquin (1906/09), dessen Figuren "in erster Linie Repräsentanten erkenntnistheoretischer und philosophischer Positionen" sind. Auch hier werden Philosopheme nicht diskursiv erörtert, sondern performativ ausgeführt.
Da Frankreich und dessen jüngste Geschichte für Börne mehr bedeuteten als ein Motiv seines schriftstellerischen Interesses und seiner Lebenswelt unter anderen, weil ihm sowohl Frankreich wie Deutschland, ob ausgesprochen oder latent, Welt und Gegenwelt waren, in denen sich Existenz wie Denken abspielten und abspiegelten, kann in diesem Rahmen nur auf wenige Facetten seines Schreibens eingegangen werden. Es wird sich daher im Wesentlichen um die Rolle handeln, die Frankreich und besonders Paris für seine Arbeit als Journalist und als Zeithistoriker
wie für den Ansatz seines geschichtsphilosophischen Denkens überhaupt gespielt haben.
The paper is aimed at contributing to an empirically grounded understanding of the psychosocial dynamics that underlie the relation between heteronormative images of masculinity, internalized heterosexism and health behavior of gay men in the global North. It is based on a qualitative interview study that focuses on the consequences of the internalization of dominant images of masculinity for the identity constructions of gay men and their HIV-related sexual risk behavior in Germany. In the paper it will be argued that 1) the tension between the authoritative image of masculinity that is determined by heteronormative discourses one the one hand and the gendered self-image that is shaped and threatened by connotations of a non-masculine homosexuality on the other constitutes a decisive issue of gay identity constructions, 2) a higher sexual risk behavior can be understood as a possible consequence of the internalization of masculine images and its impact on the self-esteem, if the self-image does not match the male ideal, and 3) this may include a paradoxical desire for the imagined masculinity that is experienced as violent with regard to one’s own psychodynamics. Finally, perspectives on gay masculinities that may transgress dominant heteronormative modes of subjectification are discussed.
Im Frankfurter Städel Museum ist ein Papst-Porträt zu sehen, das viele Geschichten erzählt: von Julius II., der als ebenso kriegerisch wie kunstsinnig galt, von einem Bildmotiv, das bis heute Standards setzt, und von technischen Methoden, die zeigen, dass hier wohl mehr Raffael drinsteckt, als manche wahrhaben wollen – wodurch das Bild rund 500 Jahre nach seiner Entstehung vielleicht selbst Geschichte schreibt.
Gut zwei Jahrzehnte nach dem Werther schrieb Johann Wolfgang Goethe nach Ansicht der enthusiastischen Zeitgenossen mit ‚Alexis und Dora‘ eine "seiner besten Compositionen". Schiller, Friedrich Schlegel, Jean Paul, Wieland, sie alle feierten in Alexis und Dora eine in altgriechischen Distichen abgefaßte Hymne auf die Liebe. Sie verstanden den Inhalt als Idylle, eine Kategorisierung, die der Autor am 7. Juli 1796 in einem Brief an Schiller, wie auch im Untertitel des Erstdruckes im 'Musen Almanach für das Jahr 1797', zunächst übernahm. Drei Jahrzehnte später, am 25.12.1825, bezeichnete Goethe das Gedicht im Gespräch mit Eckermann jedoch als Elegie. Für den ehemaligen Präsidenten des Internationalen Germanistenverbandes, den Göttinger Germanisten Albrecht Schöne, verkörpert dieser aus gattungstheoretischen Prinzipien abgeleitete Gegensatz zwischen Idylle und Elegie die Essenz eines bis in unsere Tage fortwirkenden Mißverständnisses dessen, was der Autor poetisch dargestellt habe. Er nennt in seiner Neuinterpretation einiger Goethetexte die auf Schiller und seine kurz zuvor veröffentlichte Schrift Über naive und sentimentalische Dichtung zurückzuführende Kategorisierung des Gedichtes im Sinne der "poetische[n] Darstellung unschuldiger und glücklicher Menschheit [...], die durch 'innere Notwendigkeit', 'Wahrheit', und 'Schönheit', durch 'Unschuld und Einfalt'" bestimmt ist, eine bis ins 20. Jahrhundert wirksame aber irreführende Rezeptionsvorgabe. Schillers Kategorien, aus ihrem Zusammenhang der ästhetischen Reflexionen herausgelöst, hätten das Verständnis des Werkes präformiert wie verstellt und aufgrund seiner Autorität eine jahrhundertelange Fehldeutung veranlaßt.
Adalbert Stifters im Jahr 1857 publizierter Roman "Der Nachsommer" ist oft als Bildungs- und Erziehungsroman, als humanistische Bildungsutopie oder als restaurative Sozialutopie gelesen worden. Im Gefolge dieser Gattungszuordnungen wurden vor allem Fragen der Bildung und Ästhetik, der Sozialgeschichte und Politik zu Deutungszugängen des Texts. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, den Roman aus einer ganz anders gerichteten Perspektive wahrzunehmen: in seiner Bezogenheit auf das Thema des Todes und der Endlichkeit. Bereits das Titelwort "Nachsommer" deutet auf Vergänglichkeit hin. Gelesen als Metapher für Lebensphasen verweist es sowohl auf eine erneut intensivierte Vitalität als auch auf den näher rückenden Tod. Die Jahreszeiten Herbst und Winter fungieren traditionell als Todesallegorien. Unter dem Vorzeichen dieser Allegorik entfalten viele der im Roman dargestellten Zeitphänomene auch eine eschatologische Bedeutungsdimension. [...] Eschatologische Aussagen können als Aussagen über ein Endschicksal der Welt, der Menschheit und / oder eines einzelnen Menschen aufgefasst werden. In der Epoche des österreichischen Spätbiedermeier, das heißt in den mentalitätsgeschichtlichen Milieus Stifters und seiner Leserschaft, steht angesichts dieses Aussagekomplexes nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit einer in der Dogmatik der christlichen Religion und des katholischen Lehramts verankerten Glaubenshoffnung zur Diskussion. Können die Menschen auf ein zukünftiges Leben in der himmlischen Gemeinschaft mit Gott hoffen oder sind entsprechende Hoffnungen skeptisch zu verabschieden? Auch wenn konkrete kirchlich-theologische Positionen zum Themenkreis der 'letzten Dinge' in ihrer Komplexität hier nicht differenziert zu entfalten sind, so können sie dennoch als Bezugspunkt für ein Nachdenken über Stifters Pessimismus dienen. Werden die Glaubensinhalte der christlichen Eschatologie skeptisch verneint, so soll diese Negation als zentraler Aspekt des dem Stifter'schen Werk von Sebald attestierten Pessimismus verstanden werden. Sicherlich handelt es sich bei dieser Begriffsbestimmung um eine Hilfskonstruktion mit vorläufigem Charakter. Zumindest gibt sie aber eine erste Definition und vermeidet ein Sprechen in vagen Polysemen. Wie unscharf und wie wenig aussagekräftig die Termini Optimismus / Pessimismus zur Beschreibung des Romans von 1857 letztendlich sind, wird im weiteren Verlauf des Beitrags zu zeigen sein. Im Anschluss an die Lektüre zweier Textpassagen aus dem "Nachsommer" möchte ich hierzu den Blick auf ideengeschichtliche Kontexte des Romans richten. Dabei soll vor allem auf zwei Texte ausführlicher eingegangen werden: auf Bernard Bolzanos "Athanasia oder Gründe für die Unsterblichkeit der Seele" und Johann Gottfried Herders "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit".