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Nachruf auf Ingo Fellrath
(2011)
Am 6. April 2010 ist Ingo Fellrath gestorben. Mit ihm ging ein profilierter, gesellschaftlich und politisch engagierter und überaus gründlicher Forscher der demokratischen Traditionen in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts und der deutsch-französischen Beziehungen bis ins 20. Jahrhundert von uns.
Das Findenkönnen ist dem Seindürfen verwandt; wo die kulturelle Überformung das Einzelphänomen nur als Bejahung seiner strukturgebenden Funktionen zuläßt, schließt sich das persönliche Detail von den Ausdrucksmitteln ab, in denen es zu sich kommen könnte. Daß Detailerkenntnis nicht mehr Naherkenntnis ist, sondern das Detail den Betrachter gleichsam blind anschaut, läßt sich auf die Möglichkeit übertragen, den Lebensentwurf der Dichterin des Vormärz zu beschreiben: Fanny Lewalds Roman "Jenny" (1843/1872) kann von seiner Protagonistin nicht bruchlos reden, weil die sprachliche Ausdrucksform ihre Brüche dem Verständigungszweck unter ordnet. Sprachliche Kommunikation, die erscheint, hängt dem Störungsfreien an; die unvermeidlichen Mißverständnisse und Fehldeutungen der Sprachbenutzer scheinen zu den gelingenden Kommunikationssituationen nur als Ausnahmen zugelassen zu sein. In diese Situation hinein versucht die Vormärz-Autorin zu sprechen. Ihre Worte suchen einen Ort, den es nicht gibt, den sie schreibend konstituieren muß und doch in dem Wissen, daß keine Reaktionen des etablierten Gefüges ihr freundlich antworten werden. In doppelter Außenseiterposition, als Frau und Jüdin, hängen an ihrer Sprache Wünsche: nach Festigkeit des Ausdrucks, dem Gehörtwerden, dem Blick, der versteht.
Am 13. Oktober 1844 erschien in den liberalen "Sächsischen Vaterlandsblättern" ein Schreiben des suspendierten Priesters Johannes Ronge an Bischof Arnoldi, der in Trier die seit dem Jahre 1800 nicht mehr veranstaltete Ausstellung des "heiligen Rocks Christi" wieder ins Leben rief. [...] Ein regelrechter "Pressekrieg um Ronge" brach aus, in dessen Verlauf immer wieder die Instanz der Zensur angerufen wurde. Zum einen verbunden mit dem Ruf nach Verschärfung der Zensur, zum anderen mit mehr oder weniger offenen Forderungen nach größerem Handlungsspielraum für die Presse. In den folgenden Ausführungen soll der Frage nachgegangen werden, welche Partei in dieser Auseinandersetzung den Widersacher übertönte. Schon das Ausmaß des "Rongeschen Tumults" lässt vermuten, dass die Frage der Pressefreiheit nur einer der dabei zur Sprache gebrachten Aspekte ist. Nach Werner Bein fungierte die Rongesche Bewegung als "ein Rückhalt für die demokratisch-freiheitliche Bewegung" und "Sammelbecken für die Kräfte, die sich nach der Revolution von 1848 eigenständig artikulieren konnten." Ronges Auftritt wurde von den einen als charakteristisch für die "Windbeutelperiode für Deutschland" gebrandmarkt, von den anderen als "ein neues Ostern", ein die "Auferstehung der Nation ankündigender Frühling" gepriesen. Jadwiga Sucharzewska versucht, nachzuvollziehen, welche demokratisch-freiheitlichen Bestrebungen die Veröffentlichung von Ronges Artikel ausgelöst und gefördert hat und auf welche Weise es trotz aller Meinungskontrolle in die schlesische Presse eingedrungen ist.
Die "Börsen-Nachrichten der Ostsee/Ostsee-Zeitung" waren eine der wichtigsten publizistischen Stimmen Pommerns und Preußens. Ihre liberale Haltung und ihr Mut angesichts widriger Umstände machen deutlich, was Journalismus leisten konnte - und leisten sollte. In der publizistischen Konkurrenzsituation während der Medienrevolution 1848/49 war das weltoffene, fortschrittsfreundliche, die alte sogenannte Unparteilichkeit bekämpfende, freiheitliche Blatt führend; es wurde erst unter polizeilichem Druck aufgehalten. Stofffülle und argumentative Kraft der "Börsen-Nachrichten" ringen noch heute Respekt ab.
Hubers Rezensionen für die "Göttinger Gelehrten Anzeigen" bilden ein Durchgangsstadium seiner theoretischen und praktischen Entwicklung ab. Noch war sein sozialpolitischer Standpunkt darin nicht ausgereift, doch dokumentieren sie anschaulich eine Stufe auf dem Weg zu seinen späteren Einsichten: den Überzeugungen vom eingeschränkten Wert konstitutioneller Bestrebungen, der überragenden Bedeutung der sozialen Frage und eines tätigen (protestantischen) Christentums.
Sealsfields Mobilität, die ihn zwischen 1823 und 1858 viermal zwischen den Kontinenten pendeln lässt, rhythmisiert sein Leben und Arbeiten. Sie ist die Voraussetzung seiner transatlantischen Doppelperspektive, übernationalen Geschichtssicht wie international wirksamen publizistischen Vorgehensweise und liefert die Zäsuren für ein Agieren, das in zwei Phasen erfolgt, abhängig vom Wohnsitz in den USA und in Europa. Daran orientieren sich die nachfolgenden Ausführungen. Deren Ziel ist es an Hand der Buchveröffentlichungen zu erläutern, wie Sealsfield für seine innovative Schreib- und internationalisierte Vermarktungsstrategie potente Verlage als nützliche Dienstleister funktionalisiert und so das engagierte Erzählkonzept für die Selbstorganisation im literarsozialen Gefüge des Vormärz umsetzt.
"… einen bleibenden Verleger" : Notizen zur Ausgabe der "Schriften" von Karl Leberecht Immermann
(2011)
Karl Leberecht Immermanns parallel zu der juristischen Laufbahn verfolgte schriftstellerische Karriere war bereits in ihren Anfängen von der Schwierigkeit geprägt, eine verlässliche Verleger-Beziehung aufzubauen. Mit dem sicheren Blick für die nicht nur ökonomische Bedeutung einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einem Verlagshaus benannte Julius Campe, in dessen Verlag ebenfalls einzelne Schriften Immermanns erschienen sind, diese Problematik bereits im Jahr 1826.
Die "historische Bedingtheit" ist nicht nur ein Charakteristikum der Texte Anastasius Grüns, sondern ließe sich auf die Beschäftigung mit der Literatur des österreichischen Vormärz insgesamt übertragen. Die politisch engagierte Literatur zwischen 1830 und 1848 ist dieser "historischen Bedingtheit" vielfach zum Opfer gefallen, und selbst innerhalb der Literaturwissenschaft sind zahlreiche dieser politischen Schriftsteller vollständig vergessen. Setzt man sich diesem Verdikt entgegen, stößt man auf eine ganze Reihe von Schriftstellern österreichischer Provenienz, die zwischen 1830 und 1848 aktiv - und zumeist aus dem Exil - gegen die Metternich'sche Restauration anschrieben. Exemplarisch richtet Andreas Macho in diesem Beitrag auf einen von ihnen den Fokus. Nicht weil seine Schriften mustergültig wären, sondern weil die verwendeten Formen und Themen tiefe Einblicke in den Buchmarkt und die Publikationsbedingungen im österreichischen Vormärz geben. Und auch die Vita des dargestellten Schriftstellers verdeutlicht die Produktionsbedingungen von Literatur unter einem System restriktiver Zensur und Überwachung, wie Österreich sie für den gesamten Deutschen Bund vorbildlich praktizierte.
Erst in der Zeit zwischen 1815 und 1848 dockte die neuere österreichische Literatur an den Kanon der deutschsprachigen Literatur an. Ein beträchtlicher Teil der heute noch viel gelesenen und in den Schulen unterrichteten Dichter zwischen Restauration und Vormärz kam bekanntlich aus dem Kaisertum Österreich: Genannt seien nur Franz Grillparzer, Nikolaus Lenau, Johann Nestroy, Ferdinand Raimund und Adalbert Stifter. Über das Wiener Verlagsumfeld dieser Autoren, deren Lebensmittelpunkt die kaiserliche Residenzstadt häufig war, ist aber nach wie vor wenig bekannt. Das Bild eines von Zensur und Metternichscher Repression eingeschnürten Buchmarkts besteht nicht zu Unrecht; was aber in den Wiener Buchhandlungen verkauft und verlegt wurde, und wer die dort ansässigen Verleger waren, ist nach wie vor weitgehend 'terra incognita' der Germanistik. Dieser Beitrag möchte daher in aller Kürze einige Schlaglichter auf das Verlagswesen des vormärzlichen Wien werfen, das zu dieser Zeit die größte deutschsprachige Stadt und zugleich das multiethnische Zentrum des Kaisertums Österreich war. Eingegangen wird zunächst auf die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen des Buchhandels, danach werden einige wichtige Wiener Verlage und ihre Produktion im Überblick dargestellt.
Julius Campe wich zwar keiner Auseinandersetzung mit der Obrigkeit aus, wenn sie ihm notwendig erschien, aber er ging dabei doch stets kalkuliert vor und war sich der Risiken immer bewusst. Kaum jemand hat im Vormärz die Grenzen, welche staatliche Repression und Überwachung der Literatur und ihrer Vermarktung setzten, stärker ausgereizt als der "Odysseus des deutschen Buchhandels", wie Heine ihn genannt hat. Seine Arbeitsweise machte ihn zum Prototypen des modernen Verlegers, war aber auch charakteristisch für den Vormärz, dessen Beschränkungen paradoxerweise seinen Aufstieg erst ermöglicht haben. [...] Das zweite Verlagsverbot gegen Hoffmann und Campe erging im Januar 1847 in Österreich, und in diesen Kontext gehören die vier Dokumente, die im Folgenden vorgestellt werden. Die Buchhandelskorrespondenzen von und an Julius Campe, Gustav Mayer, Viktor von Andrian-Werburg, Gustav Remmelmann und Carl Gustav Heinrich Welsch betreffen die Frage nach der strategisch besten Antwort auf diese Repressionsmaßnahme. Sie befinden sich im Archiv des Heinrich-Heine-Instituts, Düsseldorf (im so genannten 'Nachlass Campe') und werden hier erstmals veröffentlicht.