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Die Forderung nach mehr und besserer Bildung zu stellen, hieß im Neuhumanismus um 1800 bekanntlich, auf eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Sinnlichkeit und Vernunft zu drängen. Weniger bekannt ist indessen, mit welchem Nachdruck zur Zeit der Weimarer Klassik Bildungsfragen in Anknüpfung an Schriften Platons als ein im Kern erotisches Problem erörtert wurden. Obgleich meist sorgfältig camoufliert, läßt sich die Thematisierung des Eros als Bildungstrieb von Winckelmanns "Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke" über Arbeiten Wilhelm von Humboldts bis hin zu Goethes "Faust"-Tragödie rekonstruieren. In diesem Zusammenhang erweist sich letztere als eine fundamentale Kritik am „klassischen“ Bildungskonzept: Während von Humboldt im Eros eine schöpferische Urkraft und fortschrittstiftende Dynamik sieht, von der schon die Griechen geahnt hätten, daß sie das Chaos zum Kosmos ordne, präsentiert Goethe den Eros als eine Macht, welche zu vermeintlich Großem drängend ins Chaos zurücktreibt. Ebenso wie das sich bildende Individuum bei von Humboldt streben auch Faust und seine Parallelfiguren eine Ganzheit ihrer individuellen Vermögen an, wobei es auch ihnen im Kern darum geht, sich mit autonomen Geburtsakten den Traum der Unsterblichkeit zu erfüllen. Goethe allerdings deckt mit seinem Trauerspiel die Nachtseite solchen Ganzheitsanspruches auf, indem er zeigt, daß die Aneignung der Lebenserzeugung durch den Mann einhergeht mit einer Verleugnung des Lebenserzeugenden in der Frau sowie einem – in der Moderne zunehmend zerstörungsmächtigen – Menschenhaß überhaupt.
Weimar ohne Goethe gibt es nicht im Bewußtsein der Weltkultur. Die Stadt verdankt ihren Mythos zuallererst der originären Gestalt Goethes, dem bürgerlichen Dichter, der zum Anbruch der Moderne neue Bereiche des Fühlens und Denkens literarisch-poetisch erschließt, der hier den größten Teil seiner Lebenszeit verbringt. Aber daß "die berühmtesten Deutschen [...] lange hier gewohnt, dafür kann man billigerweise Weimar selbst nicht verantwortlich machen. Der Ort ist keine Fabrik berühmter Leute", wußte man bereits kurz nach Goethes Tod.
Die Auffassung, daß Goethes Überlieferungspraxis vornehmlich davon diktiert sei, "der Flüchtigkeit des Geschehens und Geschriebenen durch schriftliche Aufzeichnungen dauerhaft entgegenzuwirken" und "für die Nachwelt [...] einen Fundus zu gestalten" oder von einem "elementare[n] Bedürfnis nach Ordnung in Lebensführung und Gestaltung", dürfte schon der von Goethe selbst demonstrierte Umgang mit seinem Nachlaß entgegenstehen. [...] Mittlerweile herrscht auch in der traditionellen Germanistik Konsens, daß Goethes "grundsätzlicher Status autobiographischen Schreibens [...] nicht eigene Identität gleichsam objektiv dar[stellt], sondern [er] 'erschreibt' sie als spezifische Identität mit dem Zielpunkt der Schreibgegenwart", wie es Benedikt Jeßing [...] im neuen Goethe-Handbuch formuliert.
Mit Interesse habe ich den "Spiegel" Nr. 39/08 gelesen und war besonders angetan vom Beitrag "Goethes allmächtige Fee" über Ghibellino sowie dessen Interview. 2003 war sein inzwischen so gelesenes wie umstrittenes Buch "Goethe und Anna Amalia - Eine verbotene Liebe?" erschienen (3. Aufl., Weimar 2007); die akademische Wissenschaft, besonders die wie immer weltfremden Weimarer jener Institute mit den stets wechselnden Namen, protestierte. Ulrike Krenzlin wertet Ghibellinos Buch in den "Weimarer Beiträgen" 4/2007 als zumindest debattenwürdig und ernstzunehmend. So denke ich auch. Sehr ernst sogar!...
Im Sommer 2000 erhielt der Verfasser [i.e. Justus H. Ulbricht] vom Präsidenten der Goethe-Gesellschaft den Auftrag, für das Jahr 2001 zur Hauptversammlung eine Ausstellung zur Gesellschaftsgeschichte zu organisieren. Aufgrund gesellschaftsinterner Debatten über Anlaß und Umfang der Exposition, vor allem aber über Intention und Dramaturgie des Ausstellungskonzepts, wurde die Eröffnung auf den Sommer 2003 verschoben ..., die Debatten dauern an. Die folgenden Bemerkungen skizzieren die wesentlichen Konturen einer kritischen Goethe-Gesellschafts-Geschichts-Betrachtung und fragen nach den Bedingungen der Erinnerung an das Wirken der organisierten Goethe-Verehrer in Deutschland und Weimar.
Die Melancholie bildet im ausgehenden 18. Jahrhundert das Gravitationszentrum zahlreicher moralphilosophischer Debatten und polarisiert die Intellektuellen. „Wie hältst Du’s mit der Melancholie“, lautet die Gretchenfrage unter rationalistischen Aufklärern und deren empfindsamen Gegnern. Der 1774 publizierte Werther-Roman thematisiert mit besonderer Intensität die unterschiedlichen Facetten der Melancholie – er schildert die von ihr ausgehenden Gefährdungen ebenso wie ihre inspirierenden Wirkungen und bringt damit die Melancholie in ihrer ganzen Bandbreite zur Darstellung. Die der Aufklärung verpflichtete Psychopathologie steht neben dem eigenwilligen Melancholiekult der Empfindsamkeit.
This paper describes the creation and preparation of TUSNELDA, a collection of corpus data built for linguistic research. This collection contains a number of linguistically annotated corpora which differ in various aspects such as language, text sorts / data types, encoded annotation levels, and linguistic theories underlying the annotation. The paper focuses on this variation on the one hand and the way how these heterogeneous data are integrated into one resource on the other hand.
Eine Möglichkeit, über Autobiographie in theoretisch-systematischer Hinsicht nachzudenken, ist, sie zwischen Geschichtsschreibung und Literatur zu verorten. Dies ist jedoch keinesfalls zwingend, d.h. damit soll keine ontologische Gattungsbestimmung vorgenommen werden. Autobiographische Texte verstehen sich nicht per se als historiographische Dokumente, auch wenn Historiker / innen sie in diesem Sinne lesen mögen, während sich die literaturwissenschaftliche Aufmerksamkeit auf das textuelle Vermittlungsmedium historischer Selbst- und Weltentwürfe richtet.
Die Untersuchung der Goetheschen und Heineschen Betrachtungen eines für das kulturelle Gedächtnis prominenten Ortes, des Amphitheaters in Verona, [soll zeigen], auf welche Weise unterschiedliche Verfahrensweisen vor Ort zu differenten Bedeutungen vom Gedächtnis der Orte führen. Diese sind auch in der gegenwärtigen theoretischen Diskussion virulent. Dabei gilt es nicht nur, das "Gedächtnis der Orte" vom Konzept der "Gedächtnisorte", der lieux de mémoire zu unterscheiden, sondern auch, die je verschiedene Bedeutung der Orte in unterschiedlichen Gedächtnistraditionen - wie beispielsweise der ars memoriae, einer Kultur des Gedenkens und dem Freudschen Gedächtnismodell - herauszuarbeiten. Das steht im Zusammenhang der Notwendigkeit, die Lektüre- und Textmetapher, die in ihrer universellen Verwendung in den gegenwärtigen Kulturwissenschaften ihre Konturen zu verlieren droht, auf ihre Spezifik und ihre theoretische Stimmigkeit hin zu befragen.