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Institute
Data Mining
(2016)
In öffentlichen Debatten ist bereits viel spekuliert worden, auf welche Weise soziale Netzwerke die Zukunft ihrer Mitglieder vorhersehen und planen können. Diese Frage kann jedoch ohne Rekurs auf die Dominanz der angewandten Mathematik und der Medieninformatik nicht ausreichend beantwortet werden. Denn beide Praxis- und Wissensfelder haben mit ihren stochastischen Analysetechniken von Nutzeraktivitäten die digitale Vorhersagekultur der Sozialen Medien im Web 2.0 erst ermöglicht, die es früher in diesem Ausmaß und Machtanspruch noch nicht gegeben hat.
Prävention
(2016)
Prävention bezeichnet eine Sorge um etwas, das noch nicht geschehen ist und auch nicht geschehen soll – aber könnte. Stets wird ein möglicher Schaden antizipiert, um ihn durch Anstrengungen im Hier und Jetzt zu verhindern oder abzuschwächen. Prävention aktiviert, indem sie beunruhigt und verunsichert. Sie meint eine Erwartungshaltung, die Handlungsdruck erzeugt. So wird eine Gegenwart hervorgebracht, die systematisch mit Abwesendem rechnet: Abwesende Erkrankungen, Unfälle, Katastrophen, Straftaten und Wirtschaftskrisen bevölkern den momentanen Augenblick. Kein Schaden ist unwahrscheinlich oder abwegig genug, als dass er nicht seinen künftigen Schatten auf gegenwärtige Entscheidungen werfen könnte. Die Gegenwart wird zum Resonanzraum für Ungeschehenes.
Weltkulturerbe
(2016)
In der 1972 verabschiedeten 'World Heritage-Konvention' der Unesco gelobt jeder der Unterzeichnerstaaten "Erfassung, Schutz und Erhaltung in Bestand und Wertigkeit des in seinem Hoheitsgebiet befindlichen […] Kultur- und Naturerbes sowie seine Weitergabe an künftige Generationen". So wie in dieser Formel, ist das Konzept des 'Erbes' auch sonst begriffs- und diskursgeschichtlich mit dem der intergenerationellen Übertragung verknüpft. Das gilt für alle drei Aspekte des Erbe-Begriffs, wie er sich – in eben dieser Dreigliedrigkeit – seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet hat: für die zivilrechtlich kodizifierte Eigentumsübertragung, für die biologische Weitergabe von Eigenschaften (bzw. deren Anlagen) und für die kulturelle Traditionsbildung. Was aber heißt es eigentlich, Praktiken der Weitergabe von 'Kultur' mit der Bezeichnung 'Erbe' zu belegen?
Planwirtschaft
(2016)
Wer heute von Planwirtschaft spricht, meint damit in aller Regel ein überlebtes ökonomisches System, das sich als zutiefst defizitär erwiesen hat. Selbst die radikalsten Kritiker einer neoliberalen Wirtschaftsordnung vertreten bei allen Rufen nach vermehrten staatlichen Eingriffen im Grunde nicht den radikalen Anspruch allumfassender Kontrolle und eben Planbarkeit des gesamten (wirtschaftlichen) Zusammenlebens, für den der Begriff der Planwirtschaft in seiner eigentlichen Bedeutung steht. Will man Planwirtschaft nicht einfach als gescheiterte Alternative zum Kapitalismus zu den Akten, sondern vielmehr ihre imaginative Kraft als eine Form besonderen Zukunftswissen offenlegen, so ergibt sich aus dem Gesagten daher die besondere Notwendigkeit eines historischen Zugriffs auf das Thema.
Experiment
(2016)
Das Experiment ist ein zentraler Bestandteil des neuzeitlichen Zukunftswissens, weil Zukünftigkeit ein wesentliches Element jedes Experiments darstellt. Experimente entfalten stets ihre eigenen chronotopischen Strukturen, in denen sich Planung, Organisation und Realisierung ihrer Vorhaben abspielen. Sie erstrecken sich in der Zeit, haben notwendig eine Dauer und entwerfen von der Gegenwart des Experimentators bzw. des Beobachters aus eine Vergangenheit und eine Zukunft. Während der Blick auf das Vergangene der Vergewisserung über das Vorhandene, Geleistete und Erworbene dient, ist die Perspektive auf das Zukünftige der Antriebsmotor des Unternehmens. Sie gibt den Experimenten eine Orientierung, wobei, soll die Forschung als eine explorative, nicht als eine bloß bestätigende erfolgreich sein, man nie vorher gewusst haben kann, was später einmal das Ergebnis gewesen sein wird. Die vorausliegende, von einem unvermeidbaren Nicht-Wissen geprägte Zeit spielt in Experimenten deshalb eine entscheidende Rolle, weil in ihr sich dasjenige befindet, auf welches das Verfahren zielt: das Hypothetische, das Neue. Experimenten kommt so auch eine prognostische Komponente zu: Sie blicken in eine eigene, selbstentworfene Zukunft, sie verheißen aber auch, einen effizienten Weg zum Wissen über und zur Gestaltung von Zukunft bereit zu halten.
Tiere
(2016)
Eine Geschichte des Zukunftswissens ließe sich ohne Tiere nicht schreiben. Zu oft haben sie sich vom "Pflock des Augenblicks", an den Nietzsche bekanntlich 'das' Tier mehr oder minder gewaltsam kettete, losgerissen (wenn sie denn überhaupt jemals dort stillstanden), um dem Menschen in verschiedenen Kulturen, Zeiten und Konstellationen die Zukunft zu bedeuten: Ob sich der indische 'Rig-Veda' direkt an den Kuckuck als wohlmeinenden "Weissagevogel" wendet oder gegen die Taube als "Unglücksvogel" ansingt, ob Tacitus vom germanischen Pferdeorakel berichtet, Dido in Vergils 'Aeneis' gebannt "auf die geöffneten Leiber der Opfertiere" blickt und ihre "noch zuckenden Eingeweide" befragt, oder der Pentateuch die Gräuel der anderen Völker auch darin erkennt, dass sie mithilfe von Schlangen die Zukunft deuten – stets sind es spezifische Tiere, mit denen durch verschiedene Techniken und in unterschiedlichen Narrativen ein sonst verwehrter Blick in die Zukunft ermöglicht werden soll. Und so soll es im Folgenden anhand des mehrfachen Auftritts von Vögeln zunächst um diese bis heute nachwirkende animale Mediengeschichte der Zukunft gehen, in der Tiere als be- und allererst zu deutende Zeichen(-Träger) der Zukunft entworfen werden – und als prekäre Medien der Zukunft diese gleichwohl beständig unterlaufen. Schließlich und viertens stellt sich jedoch auch die Frage nach dem Zukunftswissen der Tiere selbst, womit sie nicht mehr als Medien oder Inhalte der Zukunftsvorhersage erscheinen, sondern vielmehr selbst als antizipierende Zukunftsreisende auftreten.
Prodigien
(2016)
Gegenstand dieses Essays ist eine in der frühen Neuzeit weit verbreitete historische Kulturtechnik der Vorzeichendeutung, nämlich die Vorhersage der Zukunft aus Ereignissen oder Gegenständen, die nicht dem Lauf der Natur zu entsprechen scheinen. Der Oberbegriff für solche Abweichungen lautet zeitgenössisch Praesagium, oder, häufiger, Prodigium, das sich von dem Verbum defectivum 'aio', 'sagen', ableitet. Es geht demzufolge um im Gegenstand selbst befindliche Vorhersagen, die direkt oder indirekt auf Gott zurückgehen. Mit Prodigien werden meist ungewöhnliche Veränderungen im gestirnten Himmel bezeichnet, worunter z.B. das Auftauchen von Kometen oder Meteoren, aber auch Devianzen vom Lauf der Natur auf der Erde gehören, wobei unter Letzteren vor allem – und darum soll es hier besonders gehen – Monstren, also Missgeburten bei Tieren und Menschen, gefasst werden.
Mantik
(2016)
Die etymologischen Wurzeln der Mantik liegen im Umkreis der griechischen Orakel, in der 'manteía', der Weissagung, und im 'mántis', dem Seher. Hiervon ausgehend bezeichnet Mantik zunächst einmal ein prärationales Bewusstsein von Wirklichkeit. Es handelt sich dabei nicht zwingend um das Bewusstsein eines zukünftigen Geschehens (die mantisch wahrgenommenen Sachverhalte können ebenso gut auch in einer verborgenen Vergangenheit liegen), in jedem Fall aber um das Bewusstsein eines Geschehens, das erst noch Wissen werden muss, in jedem Fall also ein 'zukünftiges Wissen' ist.
Teleologie
(2016)
Im Begriff der Teleologie (τελος, griechisch für 'Ende', 'Grenze', 'Ziel') verbindet sich die Zukunft mit der Gegenwart auf eine eigentümliche Weise: Das, was kommen wird, bestimmt das, was ist; die Zukunft gibt der Gegenwart eine Richtung, eine Form. Aristoteles spricht mit Blick auf diese formative Wirkung der Zukunft auf die Gegenwart von einer 'causa finalis', einer Zweckursache; Christian Wolff führt dafür im Jahr 1728 den Begriff der Teleologie ein. Aristoteles konzipiert die 'causa finalis' im Rahmen seiner 'Physik'; Wolff entwirft die Teleologie als zentrales Element einer Naturphilosophie. Teleologische Konzepte beziehen sich also auf die Erscheinungen der Natur, spätestens seit Immanuel Kants 'Kritik der Urteilskraft' (1784) und der dort vorgenommenen Verknüpfung von Teleologie und Organologie noch spezifischer auf die Erscheinungen der 'belebten' Natur. Spricht man von der Teleologie, dann geht es also nicht so sehr um die Ziele, die ein Mensch gegenwärtig haben und an deren zukünftiger Verwirklichung er arbeiten kann, sondern um 'naturimmanente' Zweckursachen, um die teleologische Struktur des Lebens selbst. Die Theoriegeschichte des teleologischen Denkens ist deshalb untrennbar mit der Geschichte der Biologie verbunden, wobei die Debatten um die biotheoretische Notwendigkeit bzw. Nutzlosigkeit der Teleologie insbesondere in den letzten zweihundert Jahren kontrovers verlaufen und bis heute noch nicht entschieden sind.
Wunsch
(2016)
Wünsche sind gedanklich-sprachliche Repräsentationen von abwesenden Dingen oder Zuständen, deren Anwesenheit für den Wünschenden erstrebenswert – 'wünschenswert, wünschbar' – ist. Dabei ergibt sich eine enge Verbindung von Wünschbarkeit und Zukünftigkeit: Es gehört zum Charakteristikum vieler Wünsche, dass in ihnen das Erwünschte als 'noch nicht' anwesend, aber als in Zukunft erreichbar vorgestellt wird. Ein solches Herbeiwünschen eines zukünftigen Zustands kann auf möglichst vollständige Befriedigung abzielen, etwa wenn das Aussprechen eines Geschenkwunsches – oder auch seine Niederschrift auf einem Wunschzettel – dafür sorgen soll, dass man später genau die gewünschte Gabe erhält. Am theoretisch namhaftesten findet sich diese Reduktion des Wünschens auf den Augenblick seiner Erfüllung in Sigmund Freuds Deutung des Traums als einer „Wunscherfüllung“, die „bequem“ und „vollkommen egoistisch“ gewährt werden könne.