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Die literarische Moderne hat sich zwar in den großen Kulturzentren ausgebildet, ist aber ein gesamt-europäisches Phänomen. Gemeinsam ist den verschiedenen Ausformungen der literarischen Moderne nicht nur die im Ganzen einheitliche Tradition, aus der sie herkommen, sondern ein Merkmal, das sie gegenüber anderen Epochen zur spezifischen macht: die vorherrschende Unverständlichkeit ihrer Texte. Unverständlich sind Texte wohl auch früher gewesen, wahrscheinlich in der Geschichte aller Literaturen sogar häufig. Was solche frühere "Unverständlichkeit" von derjenigen der Moderne unterscheidet, ist die Notwendigkeit, mit der sie hier auftritt. Auch bestimmte Texte von Goethe ("Werther", "West-östlicher Divan"), Mörike ("Maler Nolten"), Büchner ("Woyzeck"), Lenz ("Hofmeister") oder Jean Paul mögen den Zeitgenossen nicht recht verständlich gewesen sein. Für viele ist das geradezu belegt. Dennoch waren sie es in einer anderen Weise: innerhalb eines bestimmten Systems, ohne dass dieses System, das eines der Verständigung war oder sein sollte, gestört gewesen wäre. Das bedeutet, dass sie bei einiger Bemühung verständlich werden konnten und es de facto auch wurden, wenngleich oft erst Jahre später.
Hofmannsthal 1/1993
(1993)
Das Jahrbuch der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft tritt an die Stelle der Hofmannsthal-Blätter und der Hofmannsthal-Forschungen, die Quellen und Dokumente zu Hofmannsthals Leben und Werk vorgelegt und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinem CEuvre gefördert haben. Es führt deren Konzeption weiter, soll aber zugleich den Gesprächsraum für alle jene Themen eröffnen, die sich mit dem Namen dieses Autors verbinden. Zur Diskussion steht also Hofmannsthals Schaffen und mit ihm die sogenannte klassische Moderne, ihre Herkunft und ihre Fortschreibung bis heute. Mit Hofmannsthal und seinem Werk sind Genese und Ausbildung der Moderne in besonderer Weise verknüpft. Seine Texte bilden den Ort eines Gesprächs der Kulturen. So sind methodisch Interdisziplinarität und komparatistisches Verfahren gleichermaßen vorgegeben.
In der Thematik der Beiträge präsentiert sich das breite Spektrum dessen, was Hofmannsthals Rolle in seiner Zeit ausmacht: Aufnahme der Tradition und Entwurf des Künftigen. Dieses Spektrum reicht von der Literatur in allen ihren Gattungen bis zur Philosophie, Psychologie und Psychoanalyse genauso wie von bildender Kunst, Architektur, Musik und Film zu Geschichte und Sozialgeschichte, Technik und Technikgeschichte; es bezieht Fragen der Lebenswelt und Politik ebenso ein wie Probleme der Bewusstseins- und Religionsgeschichte, der Bildungs- und Wissenschaftshistorie. So steht nicht das Werk Hofmannsthals allein im Vordergrund, sondern die Literatur in ihren Beziehungen zu anderen Literaturen und den genannten angrenzenden oder weiter entfernten Bereichen.