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"Nur die oberflächlichen Eigenschaften dauern", so Oskar Wilde in seinen 'Sätzen und Lehren zum Gebrauch der Jugend': "Des Menschen tieferes Wesen ist bald entlarvt". Ausgehend von der These, dass der Poetik Jelineks ein "Lob der Oberfläche" eingeschrieben ist, möchte ich im folgenden die Rolle der Mode beleuchten, und zwar nicht nur als Oberflächenphänomen, sondern auch als Übergangsphänomen, das an der Schwelle zwischen Oberfläche und Tiefe in Erscheinung tritt.
Unsere Ausgangsthese ist, dass sich die unterschiedlichen methodischen Zuspitzungen und Richtungswechsel, die die Philologie seit ihrer disziplinären Ausdifferenzierung im 19. Jahrhundert erlebt hat, als Parametrisierung des Verhältnisses von Konjektur und Krux beschreiben lassen. Anders gewendet: Konjektur und Krux markieren die Grenzen eines epistemischen Bezirks, der von unterschiedlichen philologischen Methodenpolitiken konfiguriert wird. Die sich daraus ergebende "disziplinäre Matrix" an Verfahrensweisen, die den Anspruch erheben, 'Methode' zu sein, hat insofern politischen Charakter als die Entscheidung für bzw. gegen eine bestimmte Verfahrensweise implizit oder explizit ein Interesse verfolgt, das in aller Regel über das Anliegen einer bloßen Textrekonstruktion entschieden hinausreicht: Es geht darum, die Bedingungen festzulegen, unter denen eine philologische Aussage als 'wissenschaftlich qualifiziert' gelten darf.
Wir möchten im folgenden den Versuch unternehmen, das zu skizzieren, was wir die 'philologische Frage' nennen. Darunter verstehen wir die Frage nach dem epistemischen Status philologischer Theorie und der daraus resultierenden Praxis: Auf welche philologischen Traditionen und theoretischen Prämissen nehmen die hier versammelten Texte Bezug, in welchem Kontext stehen sie? Auf welche Ziele wird die philologische Tätigkeit hin ausgerichtet – wie wird das 'Erkenntnisinteresse' der Philologie definiert? Welches Autorschaftskonzept und welches Textverständnis werden zugrunde gelegt? Der Ausgangspunkt all dieser Fragen ist die etymologische Bedeutung des Begriffs „philologia“, gefasst als 'Liebe zum Wort'. Der Philologe ist demgemäß ein Wort-Liebhaber. Doch was heißt hier 'Liebe'? Und was ist überhaupt ein Wort?
Geht man davon aus, die Aufgabe der Philologie sei eine – wie auch immer geartete – »historische Textpflege«, die auf die »Ermittlung und Wiederherstellung von Texten« abzielt, dann steht die Aufgabe der Wiederherstellung in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Lesbarmachen und der Bewahrung eines Texts: In welchem Maße darf man in einen überlieferten Text eingreifen, um ihn lesbar zu machen? In welchem Maße muss man einen Text in seiner überlieferten Form bewahren? Die Formulierung ›in welchem Maße‹ macht deutlich, dass es sich um eine Frage der Angemessenheit handelt, deren Antwort zum einen davon abhängt, mit welchen Schwierigkeiten sich die Aufgabe der Wiederherstellung des Textes konfrontiert sieht, zum anderen von der gerade vorherrschenden ›Methodenpolitik‹, die gleichsam als »stilgemäßer Denkzwang« fungiert. Konjektur und Krux markieren dabei – so haben wir einleitend erklärt – zwei komplementäre Positionen, zwischen denen die Methodenpolitiken der Editionsphilologie changieren. Die Konjektur, gefasst als »plausible Vermutungen zur Verbesserung des Textes«, ist eine inferentielle Intervention, um einen lücken- oder fehlerhaften Text wieder herzustellen mit dem Ziel, ihn lesbar und verstehbar zu machen. Die Krux, gefasst als indizierte Nicht-Intervention, bewahrt den Text in seiner Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit – auch auf die Gefahr hin, dass Lesbarkeit und Verstehbarkeit darunter leiden.