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Der Roman "Die Wahlverwandtschaften" ist im ersten Ansehen ein Kammerspiel des Sozialen. Dessen Kern bilden die vier Hauptpersonen, umgeben von einer begrenzten Zahl von Nebenfiguren. Um nichts anderes scheint es zu gehen als um die Charaktere und ihre Beziehungen, die Konflikte und Motive, die psychologischen und sozialen Dynamiken. So mag man Ottilie recht geben, wenn sie in ihrem Tagebuch den berühmten Grundsatz von Alexander Pope zitiert: "...das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch" (417). Ist dieses aus bester Aufklärungstradition stammende Prinzip nicht eine treffendere inscriptio des Romans als die chemische Gleichnisrede von den Wahlverwandtschaften, die niemals wenn nicht fälschlich auf die Konstellationen des Romans angewendet werden kann? ...
Die Gattung Lobrede zwingt zur Einseitigkeit. Deshalb ist sie der Paradefall für den Konflikt zwischen Rhetorik und Wahrhaftigkeit, Paradefall damit für den Streit um Glanz und Elend der Redekunst. Der Glanz schöner Worte und das Elend von Schmeichelei und Lüge können nirgendwo so eindrucksvoll erscheinen wie in der Lobrede. Archetypisch zeigt dies der Gegensatz zwischen den Sophisten und Sokrates: Lob ist das Schaustück, an dem die einen die Macht und der andere die Falschheit der Redekunst erweisen. Doch nicht nur der Streit um die Rhetorik überhaupt, sondern auch die Geschichte der Rhetorik selbst, der historische Wertewandel innerhalb der rhetorischen Theorie wechselt bei der Lobrede in extremes Für und Wider. Das hat eine politische Dimension. Denn nach der Aristotelischen Trias ist die epideiktische Gattung ja die Form fragloser Rede. Im Gegensatz zur Gerichts- und Beratungsrede geht es in ihr nicht um Strittiges, sondern um feststehende Urteile und Ansprüche, die - anstatt zu diskutieren - nur vorzuführen sind. Als politische Dimension entspricht dem der Unterschied von Meinungsstreit und Herrschaftsrepräsentation. [...]Wie die Gattung Lobrede heute politisch konnotiert ist, läßt sich indirekt an der hohen Konjunktur des Wortes "Streitkultur" ablesen. Der deutlichste germanistische Beitrag dazu war die Lessing-Tagung 1991, die unter dem Titel "Streitkultur" den Kritiker, den Polemiker, den in argumentativer Schärfe auf produktiven Widerspruch setzenden Lessing als Vorbild für die eigentliche öffentliche Rede würdigte.
Ich möchte in meinem Beitrag zeigen, daß der Verzicht auf den Autor […] sachlich unhaltbar ist. Auf der Grundlage intertextualitätstheoretischer Argumente läßt sich der Autor aus der Textinterpretation nicht verabschieden. Vielmehr bleibt er selbst in Fällen von extremer Intertextualität ein notwendiger (wenngleich nicht hinreichender) Bezugspunkt der Interpretation. Eine Intertextualitätstheorie, die elementare Voraussetzungen ästhetischer Sinnbildung erfassen will, muß am Autorbegriff festhalten. Um zu verdeutlichen, daß meine Kritik am Autorkonzept der poststrukturalistischen Intertextualitätstheorie über das Feld der Literatur hinausreicht, beziehe ich mich im folgenden auf Beispiele aus verschiedenen Künsten, nämlich auf die Skulptur „String of Puppies“ (1988) des amerikanischen Künstlers Jeff Koons und auf Peter Handkes Text „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg am 27.1.1968“ (1969). Unbeschadet aller medialen und ästhetischen Unterschiede haben diese beiden Werke Eines gemeinsam: Aufgrund ihres hochgradig imitativen Charakters scheint das Konzept des Autors für die Erfassung ihrer Bedeutung keine Rolle zu spielen – jedenfalls nach Ansicht einiger Interpreten. Deshalb wirken sie auf den ersten Blick wie besonders überzeugende Belege für die poststrukturalistische These vom Tod des Autors.
Der Versuch, die Beziehung, oder vielmehr die vielfältigen Beziehungen zwischen der Welt der Texte und der Welt der Bilder zu erhellen, führt bald auf Fragen grundsätzlicher Natur, respektive […] zu antagonistischen Auffassungen: Besteht zwischen Texten und Bildern eine innere Analogie, eine wie auch immer geartete Entsprechung – oder kann eine solche zumindest bestehen? Existiert so etwas wie eine verbindende Tiefengrammatik von Text- und Bildphänomenen? Gibt es Gesetze oder doch Spielregeln der Repräsentation, welche beide "Welten" […] miteinander verbinden? Oder sind Texte und Bilder einander stattdessen unwiderruflich fremd? Haben sie sich womöglich […] als Konsequenz der Abkehr von logozentrischen Modellen der Weltauslegung voneinander entfremdet? Stehen sie einander auch dort, wo sie scheinbar und vordergründig ein gemeinsamer Gegenstand oder ein gemeinsames Thema verbindet, ja sogar dort, wo Texte sich ausdrücklich auf Bilder beziehen und Bilder sich Texten anlagern, unvermittelt und unvermittelbar gegenüber? Es ist keineswegs sicher, daß ein Text je sagen kann, was ein Bild zeigt, daß Worte Bilder und deren Gegenstände angemessen erklären, daß sie dazu beitragen können, uns Bilder besser verstehen oder gar besser sehen zu lassen. Umgekehrt darf und muß kritisch gefragt werden, inwiefern und unter welchen Bedingungen Bilder dabei helfen können, Worte und Texte zu verstehen.
Die […] Umdeutung der Beziehung zwischen Subjekt und "Wirklichkeit" […] konvergiert mit zentralen Anliegen der Ästhetik und Poetik. Eine zentrale Rolle spielen in diesem Kontext die theoretischen Konzepte von Einbildungskraft […]; diese wird im Lauf des 18. Jahrhunderts in ihrer Bedeutung stark aufgewertet, wird nicht allein zum zentralen poetischen Vermögen, sondern […] zum Organon der Erfassung und Deutung von Wirklichkeit. […] Der Prozeß dieser Wandlung soll […] an Beispielen literarischer Auseinandersetzung mit malerischer Darstellung von Landschaft illustriert werden. Leitend wird dabei die Hypothese sein, daß die Literatur, wo sie über die malerische Realisation spricht und den […] Anspruch des Mediums Malerei ernst nimmt, zugleich über sich selbst spricht […]. Landschaft ist ein Sujet, an dem die transzendentale Dimension ästhetischer Darstellung besonders nachdrücklich erörtern läßt. Landschaft "gibt" es nicht einfach; sie ist vielmehr seit jeher eine Funktion ihrer Darstellungen […]. Wenn Landschafts-Darstellung in der Malerei als ein Etwas-als-etwas-Sehenlassen charakterisiert werden kann, so reflektieren literarische Texte über malerische Landschaftsdarstellungen diesen Prozeß. Ihr Thema ist das Sehenlassen-als. (Dabei ist es zweitrangig […] ob es sich um die literarische Thematisierung realer oder imaginärer Gemälde handelt. Texte über Landschaftsdarstellungen sind also – insofern sie sich der "transzendentalen" Thematik zuwenden – zugleich autoreflexiv.)
Popular culture is always in process; its meanings can never be identified in a text, for texts are activated, or made meaningful, only in social relations and in intertextual relations. This activation of the meaning potential of a text can occur only in the social and cultural relationship into which it enters. (Fiske, 1991a: 3)
Clemens Lugowski fiel am 26.Oktober 1942 vor Lenigrad, achtunddreißigjährig. Bei allen zeitgebundenen Verfehlungen (...) ist wohl unbestreitbar, daß er eine der außergewöhnlichen Begabungen seines Faches darstellte. (...) Seine Dissertation „Die Form der Individualität im Roman. Studien zur inneren Struktur der frühen deutschen Prosaerzählung“ (gedr. 1932) (...) erfuhr verhaltene Zustimmung und erregte vielfach Befremden (...) auf Grund der – eigens für dieses Buch entwickelten – Begrifflichkeiten, auf die (...) [Jens Haustein] ausführlich zu sprechen kommt. (...) Die Begriffswelt Lugowskis ist, (...) [so Haustein], für den Mediävisten dienlich, als sie für eine Analyse der erzählerischen Differenzen zwischen mittelalterlichen Erzählwerken einsichtsfördernd herangezogen werden kann, also über ihren bislang und auch von Lugowski selbst vielleicht zu stark betonten diachronen Nutzen hinaus auch eine sinnvolle synchrone Verwendung finden sollte.
Offensichtlich fanden (...) [die Mönche] die Geschichten von Kampf und Liebe, die mit dem Namen Artus verbunden waren, viel spannender als 'Jesu Wunder und Passion' oder der 'Heiligen Leben und Leiden'. Die Klosterbrüder kannten anscheinend Geschichten von Ideal-König Artus und seinen tapferen Rittern, den hilfsbedürftigen Damen, die ihre Befreier mit Hand und Land belohnten, und den grandiosen Festen mit den edelsten Gästen. Das höfische Leben, für das der Name Artus stand, war der willkommene Gegensatz zum asketischen Klosteralltag. (…) Klosterkirche und Minnegrotte gehören von der Auslegungsdimension her zusammen: Bildungsgeschichtlich ist die Philosophie der Liebe, die der Minnegrotte zugrunde liegt, ohne die Theologie der Mönche und die Philosophie der französischen Hohen Schulen nicht zu denken. (…) Die Darstellungsmuster für die geistige Bedeutung von Klosterkirche und Minnegrotte sind sich weitgehend gleich.
Ein Plädoyer für das Stolpern, wie es der Titel dieses Beitrags ankündigt, ist prekär, da es die Gefahr des Stürzens in Kauf nimmt. Die schlimmeren Unfälle allerdings gehen oft auf das Fehlen von Grenzhindernissen zurück. Erinnert sei nur an den hinterlistigen Schwellenabbau, den der amerikanische Physiker Alan Sokal an der Demarkationslinie der two cultures betrieb – und damit die Herausgeber der bis dato hochangesehenen Zeitschrift Social Text tüchtig blamierte, die nicht bemerkten, daß der Artikel Transgressing the Boundaries voller Absurditäten steckte. Sokals offensive Beseitigung der Barrikaden zwischen Geistes- und Naturwissenschaften paßte so gut ins postmoderne editorische Konzept, daß man gar nicht mehr darauf reflektierte, ob die Transgressionen im Einzelnen Sinn machten – etwa die dekonstruktivistische Überwindung der Schwerkraft oder die feministische Liberalisierung der mathematischen Axiomatik. Die transliminalen Verheißungen klangen zu verführerisch, als daß man über sie gestolpert – und damit der kompromittierenden Falle entgangen – wäre. ...
Das Thema der Tagung soll die Frage nach dem Subjekt, seiner Konstitution, seinem Handlungsraum, seiner Fähigkeit zu handeln und dem traditionell und aktuell gegebenen Fundus von Verantwortlichkeit sein. Die Frage ist angesichts einer so ausgebauten Diktatur wie der nationalsozialistischen von großer Relevanz, ist jedoch ebenso peinlich wie unerläßlich. Sie war peinigend für alle, die in jenem Reich nicht ganz so funktionieren konnten oder wollten wie von den Führern erwartet, und sie bleibt peinlich bei jedem Rückblick auf das, was damals überhaupt möglich war und was getan und unterlassen wurde. Vielleicht ist die Frage aber auch zu heroisch gestellt. Vielleicht enthält sie schon eine Vorannahme über das Verhältnis des einzelnen zu dem Geschehen in seiner Gegenwart, die historisch überholt oder zu modifizieren ist. Gerade in diesem Arbeitskreis geht es nicht an, nach einer irgendwoher abgeleiteten festen Größe "handlungsfähiges Subjekt" zu suchen, sondern muß die Kategorie selbst analysiert, auf ihre Tauglichkeit hin befragt werden. Die Frage wird sich bestenfalls annäherungsweise beantworten lassen. Es gibt weder statistisches noch analytisches Material, aus dem sich irgend etwas über die Verfassung der handelnden und duldenden Subjekte direkt ablesen ließe. Die Beteiligten mit Ausnahme der striktesten Mitläufer hatten, solange das "Dritte Reich" währte, allen Grund, ihre Einstellungen, Motivationen, ihre Willensbekundungen und Handlungen im Dunkeln zu lassen. Je weniger darüber geredet werden durfte, um so weniger machten sie auch sich selbst klar, wie es um ihre Verantwortung oder Mitverantwortung stand. Die nachträgliche Reflexion darüber ist voll von Zuschreibungen und Hypothesen. Die ehrlichsten autobiographischen Zeugnisse aus dem Abstand von Jahren oder Jahrzehnten enthalten meist ein Eingeständnis, daß man sich das damals Miterlebte gerade in seinem subjektiven Faktor von später aus nicht mehr authentisch vorstellen konnte. Als Notbehelf wähle ich hier ein Verfahren, weitgehend Zitate von damals aus vielen Bereichen zusammenzutragen: einzelne Beobachtungen, Selbst- und Fremdeinschätzungen aus einer ganzen Skala zwischen NS-Loyalen und strikt oppositionellen. Die Projektion und Weiterdeutung suche ich dadurch wenigstens durchsichtig zu machen, daß ich den verschiedenen Ebenen der Selbststilisierung und Fiktionalisierung nachgehe. Um der unvermeidlichen Unsauberkeit der Kontamination von eigentlich weit getrennten Positionen wenigstens tendenziell entgegenzuwirken, möchte ich einzelne von ihnen in ihrem Umfeld genauer betrachten.