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"Mit Bettina und Savigny in traulich scherzendem Gespräche den Sonnenuntergang betrachtet. Savigny heim, wir allein zurük und gute Nacht, Hand in Hand, in denen die ersten Küsse glühen, tief bewegt zu Bette…" Das notierte Philipp Hössli, Gast auf dem Landsitz der von Arnims in Wiepersdorf, in sein Tagebuch am 21. September 1822. Im Frühjahr 1821 war der 21jährige Philipp Hössli aus Nufenen, Graubünden, in Berlin zum Studium eingetroffen, hatte sich umgehend bei Wilhelm von Humboldt und Carl Friedrich von Savigny vorgestellt und wurde von diesem herzlich willkommen geheißen. Savigny machte ihn mit seiner Familie, darunter auch seiner Schwägerin, Bettina von Arnim, bekannt. "Die Frau von Arnim begleitet", "Bald weg zu Frau von Arnim", "Zu Madame von Arnim", "Bei Frau von Arnim" – fast für jeden Tag findet sich ab Juni 1822 ein solcher Eintrag in Hösslis Tagebuch. Im Juli heißt es dann: "Zu Bettina. Wunderbare Stunden!" Eine glühende Liebesgeschichte zwischen Bettina und ihrem 15 Jahre jüngeren "Schweizerknaben" nimmt ihren Lauf. "Nach dem Essen an die Castanien.…Dann auf die Bäume gestiegen. Wonniges Gefühl…" "Dann eilen wir in ihr Zimmer aufs Sopha. … In reinster, innigster Liebe beisammen. Über Freundschaft gesprochen." ...
Punktierkunst
(2005)
Ach, Festschriften. Was soll man zu diesem weiter und weiter vor sich hinwesenden Wesen noch sagen? Unwesen? Nun, es gibt natürlich Ausnahmen von der Sitte, mehr oder weniger lieblos herausgekramte oder lieblos verfasste Schreibversuche von Kollegen, Schülern, Freunden, oder solchen, die sich dafür halten, als Hommage für einen mehr oder weniger alt gewordenen Mann zusammenzudrucken. Eine solche Ausnahme zu sein versprechen Titel, Umfang und Adressat einer 2004 im Heidelberger Synchron Verlag erschienenen, von Rüdiger Campe und Michael Niehaus herausgegebenen Festschrift. Der Titel: "Gesetz. Ironie". Eine feine Symmetrie. Sechs Buchstaben auf der linken, sechs Buchstaben auf der rechten Seite. C’est chic. Und die Worte sind gut, und gut gewählt. Wer wird schon an einem Buch vorbeigehen, das ein solch schönes Wortpaar ziert. Und dann auch noch ein rätselhafter Punkt in der Mitte, der erst recht Neugierde weckt. Der Umfang: Einvierteltausend Seiten, also ein Viertel des Üblichen. Im fettsüchtigen Zeitalter des Quadriple-XLFood ein Leichtgewicht. Der Adressat: Manfred Schneider, 60 Jahre, und in seiner Wissenschaft, dem Nachdenken über Literatur, so etwas wie ein Garant für das Zusammentreffen von Strenge und Ironie, wie die Herausgeber zu Recht hervorheben. Also, drei Gründe, die Festschriftsache etwas näher zu betrachten. ...
Was hält die Gesellschaft zusammen? Wie schafft man es, dass sich die Menschen nicht gegenseitig massakrieren? Wo ist der Frieden? Alte Fragen, fürwahr. Die Antworten liegen seit jeher geborgen irgendwo zwischen Selbstorganisation und Fremdorganisation, zwischen Selbstherrschaft und Fremdherrschaft, zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz. Konkret: Brauchen die Menschen, um friedlich miteinander auszukommen, eine Instanz, die ihnen zeigt, wo es lang geht? Oder finden und haben die Menschen einen Grund in sich selbst, um nicht zu Mördern zu werden?
Der französische Arbeitsrechtler Alain Supiot hat nun eine Antwort auf diese Fragen gegeben, eine Antwort in einer Zeit, in der – trotz George W. Bush, Interventionsvölkerrecht und europäischem Direktivenwahn – die Teile über das Ganze, das Periphere über das Zentrale, das Internet über das Diktaphon zu triumphieren scheinen. ...
Im Jahre 1721 setzt der preußische König Friedrich Wilhelm I. für das Herzogtum Preußen ein sogenanntes "Landrecht" in Kraft. Anders als der moderne Gesetzgeber begnügt sich der König dabei nicht mit der bloßen Publikation des Gesetzes, sondern er fügt dem Gesetzestext am Schluss ein ausdrückliches, an die Gerichte gewendetes Anwendungsgebot bei. Damit soll augenscheinlich eine bestimmte Argumentationslinie, mit der die Gerichte die Nichtanwendung des Gesetzes begründen könnten, von vornherein abgeschnitten werden: Der Einwand mangelnder Observanz, so heißt es in diesem Anwendungsgebot, sei kein Grund, das Landrecht nicht anzuwenden. Mangelnde Observanz entbinde die Richter keinesfalls von der Pflicht, das Landrecht ihrer Urteilstätigkeit zugrunde zu legen. Denn es sei gerade die Schuldigkeit der Richter, "unsere Gesetze zur Observanz zu bringen". Derartige Anwendungsgebote sind häufig anzutreffender Bestandteil vor allem der frühneuzeitlichen "Landrechte" und "Reformationen". In der Regel beinhalten sie ein in erster Linie an die Rechtsstäbe gerichtetes Gebot, das betreffende Landrecht "gleich nach beschehener Publication aller Orths ad observantiam" zu bringen – so die Formulierung etwa im Trierer Landrecht von 1668. Häufig ist dies dann verbunden mit dem Verbot, weiterhin neben oder gar an Stelle des neu ergangenen Landrechts das bislang gerichtsgebräuchliche Gewohnheitsrecht anzuwenden. In diesem Muster hält sich auch das eingangs zitierte Anwendungsgebot König Friedrich Wilhelms I., nur dass hier überdies ganz gezielt ein bestimmter Gegeneinwand von Seiten der Gerichte vorweggenommen wird: der Einwand nämlich, dass ein Gesetz – und sei es auch nach allen Regeln promulgiert und bekanntgemacht – so lange keine Wirksamkeit entfalten könne, als es nicht zur "Observanz" gelangt sei. In den reichskammergerichtlichen "Decisiones" Johann Meichsners etwa findet sich dieses Argument wie eine unbestrittene Selbstverständlichkeit vorgetragen: "Statutum enim, quod non est receptum in observantia, licet fuerit publicatum, nullas habet vires, ideo ligare non potest." ...
Die Ausbildung des theoretischen Denkens in Griechenland vollzog sich nicht erst mit Platon und Aristoteles, sondern kündigte sich bereits im 6. Jh. an. Schon im archaischen Griechenland, in den frühen Ontologien der Vorsokratiker und bei den naturrechtlichen Vorstellungen der Sophisten, ist ein Fortschritt des Denkens in Richtung Rationalität erkennbar. Das ist der Ausgangspunkt der Untersuchung von Tobias Reichardt. Aber wie ist es zu dieser – im Vergleich zu allen anderen antiken Hochkulturen Vorderasiens – einzigartigen Ideen-Evolution in Griechenland gekommen? Wie war das griechische Mirakel möglich? Auf diese Frage versucht Reichardt eine neue Antwort zu geben: Das theoretische Denken ging aus der neuen Organisationsform der polis und der darin eingelassenen Praxis der schriftlichen Gesetzgebung hervor. Dadurch gelang es erstmalig, die Ausdifferenzierung einer öffentlichen (Herrschafts-)Sphäre mit der Idee einer "guten Ordnung" als Leitgesichtspunkt allen politischen Handelns zu verknüpfen. ...
"Law after Auschwitz", das jüngste Buch des kanadischen Rechtswissenschaftlers David Fraser, ist keine streng durchgeführte Abhandlung mit nur einer strukturbildenden Fragestellung, sondern eine Sammlung von historischen, philosophischen und soziologischen Betrachtungen über den Holocaust, das Recht, die Justiz und die Juristen in verschiedenen Ländern. Anders als der Titel vermuten lässt, geht es Fraser keineswegs darum, die Erfahrung der Massenvernichtung als einzigartigen Zivilisationsbruch und nachhaltigste Zäsur in der Menschheitsgeschichte darzustellen. Das Buch reiht sich nicht in die inzwischen lange Serie von Studien ein, die aus einem "Davor" und "Danach"-Blickwinkel Auschwitz auf seine Folgen hin untersuchen, wie es bekanntlich für ›das Denken‹ im Allgemeinen, die Theologie, die Möglichkeit, Gedichte zu schreiben u.s.w. bereits geschehen ist. Fraser setzt der Grundrichtung dieser Literaturgattung eine drastische Kontinuitätsbehauptung entgegen: Auch bei den Normen, die den Massenmord regelten, handelte es sich um Recht und damit um ein Instrument, das heute nach wie vor ähnlich verwendet wird. Kritisiert werden Deutungsmuster, die das Recht unter der NS-Herrschaft als Nicht-Recht, Rechtsperversion oder Legalitätsfassade etikettieren und damit aus dem Rechtsgeschichtsverlauf ausklammern wollen. Auch Verbrechen können und konnten (im formellen Sinn) legal sein: Nazi law was law. Diese These ist eine Art Gravitationszentrum, das die weit in verschiedene Bereiche ausgreifende Darstellung (sie enthält Auseinandersetzungen mit der Philosophie Agambens sowie mit verschiedenen juristischen Behandlungen von NS-Verbrechen in Frankreich, den USA, Großbritannien, Kanada und Australien) vor dem Zerfall in völlig unzusammenhängende Einzelteile bewahrt. So gerät das Buch zu einem Thema mit Variationen; kaum ein Kapitel, in dem Fraser nicht dem heutigen Juristen vor Augen führt, dass sein Stoff und seine Methoden sich in vielen Aspekten nicht wesentlich von denen seiner deutschen Kollegen aus der Zeit von 1933 bis 1945 unterscheiden. ...
Zweihundert Jahre Erbrechtsgeschichte Deutschlands, Frankreichs und der USA, rekonstruiert anhand von Gesetzgebung und Diskursen zu Testierfreiheit, Familienerbrecht, Fideikommiss und Erbschaftssteuerrecht: jedes Thema für sich ein rechtshistorisches Schwergewicht. Und im Vorwort zu den kaum mehr als 300 Seiten wird die Frage aufgeworfen, "was wir daraus über die Evolution normativer Strukturen moderner Gesellschaften, und insbesondere über das Verhältnis von Individuum, Familie und Gesellschaft lernen können" (9). ...
Was aber steht eigentlich an so lehrreichem Konkreten in diesem gerühmten Buch vom "Geist des römischen Rechts"? Jhering eröffnet es mit einem universalgeschichtlichen Paukenschlag:
"Drei Mal hat Rom der Welt Gesetze diktiert, drei Mal die Völker zur Einheit verbunden, das erste Mal, als das römische Volk noch in der Fülle seiner Kraft stand, zur Einheit des Staats, das zweite Mal, nachdem dasselbe bereits untergegangen, zur Einheit der Kirche, das dritte Mal infolge der Reception des römischen Rechts im Mittelalter zur Einheit des Rechts; das erste Mal mit äußerem Zwang durch die Macht der Waffen, die beiden anderen Male durch die Macht des Geistes. Die welthistorische Bedeutung und Mission Roms in Ein Wort zusammengefaßt ist die Überwindung des Nationalitätsprinzips durch den Gedanken der Universalität."
(Geist I § 1, 1) Es folgen zwei ziemlich ungleich umfangreiche "Bücher", davor wie erwähnt ein methodischer Vorspann von ca. 90 Seiten. ...
Der italienische Büchertisch ist reich gedeckt. Enger wohl als anderswo ist die Verbindung zwischen der Welt der Gelehrten, der Universitätsausbildung und dem breiten Publikum. Es ist nicht anstößig, ein großes Thema auf hundert Seiten gemeinverständlich zu behandeln, nur die wichtigste Literatur zu verzeichnen und das Ganze in gefälliger Form unter die Leute zu bringen. Der Verlag Laterza hat mit seiner kleinformatigen Serie "Universale" gerade die Nr. 856 erreicht, in einer parallelen "Biblioteca Essenziale" die Nr. 56. Dort gibt es Klassikertexte, "Einführungen" in alle Künste und Wissenschaften, aber auch zugespitzte Thesen, aus der Rechtsgeschichte etwa von Bretone und Talamanca "Il diritto in Grecia e a Roma" oder Grossis "Prima lezione di diritto". Auch die beiden letzten Bändchen beider Reihen, die hier vorgestellt werden, stammen von bekannten Rechtshistorikern. ...