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Michael Haneke stellt in seinem Kinofilm 'Das weiße Band' ein "Modell im historischen Gewand" zur Diskussion - ein Modell, mit dem der Filmemacher und Autor die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts als eine Geschichte der Gewalt zu analysieren versucht. Der Film bedient sich eines im 21. Jahrhundert anachronistisch anmutenden, didaktisch-aufklärerischen Ansatzes, was nur deshalb nicht naiv oder vermessen wirkt, weil es zugleich um das Scheitern dieses Ansatzes geht. Der aus ruhigen Schwarz-Weiß-Bildern komponierte Film hält nämlich nicht, was er eingangs 'verspricht': aus der Perspektive eines reifen, mit großem zeitlichen Abstand auf ein Kapitel seiner Jugend zurückblickenden Erzählers Licht in eine dunkle Angelegenheit zu bringen. Eines ehemaligen Pädagogen noch dazu, der den Zuschauer an die Hand nimmt, ihm geduldig und ohne Hast erklärt, an welchem Punkt er mit seiner Geschichte ansetzt und worin sein Anliegen besteht. Dieses vor allem aus der Novellistik des poetischen Realismus bekannte narrative Verfahren, die Rahmung durch den nachträglichen Kommentar des gereiften Erzählers (im Film als Voice-Over), schafft zunächst einmal Distanz. Die Schwarz-Weiß-Ästhetik sowie die die Konzentration des Zuschauers fordernde hohe Tiefenschärfe der Bilder tun ihr Übriges, um den Eindruck von Unmittelbarkeit und Nähe zu verhindern. Und doch verringert sich der Abstand im Laufe des Films, geleitet uns die sonore Altersstimme des Erzählers (Ernst Jacobi) an einen Abgrund, so meine These, der seine eigene und auch unsere potentielle Position als 'Mitwisser' und 'Mitschuldige' betrifft.
Durch Filme wie Benny's Video (Ö, Schweiz 1992) und Funny Games (Ö 1997) hat sich der österreichische Filmemacher Michael Haneke über die Grenzen Europas hinaus einen Namen gemacht als Kritiker des Mainstreamfilms, in dem die Darstellung von Gewalt dem Gesetz der stetigen Steigerung folgt.
Der Spielfilm ist seit seiner Erfindung vor mehr als hundert Jahren in mehrfacher Hinsicht eng mit dem Literaturwesen verknüpft. So ähnelt ein Drehbuch in seinem Aufbau einem Theaterstück, verwendet aber gleichzeitig Erzähltechniken, die aus Kurzgeschichten und Romanen bekannt sind. Den deutlichsten Eindruck der Verbindung zwischen Film und Literatur allerdings vermittelt ein Blick auf die große Anzahl an Adaptionen, welche jährlich auf die Leinwand gebracht werden. Vom jahrhundertealten Klassiker bis zum eben erschienenen Horror-Thriller werten Produzenten unermüdlich Dramen, Kurzgeschichten und vor allem Romane auf ihre mögliche (Wieder-)Verfilmbarkeit aus, erwerben gegebenenfalls die Rechte und übertragen das schriftliche Original - mit häufig stark verändertem Handlungsstrang - in audiovisuelle Unterhaltung. Unabhängig davon, ob es sich um 'hohe' oder 'triviale' Literatur handelt, gelingen dabei oft von der Kritik hoch gelobte und zeitlose Filme. Die Vorlage gerät dabei nicht selten in Vergessenheit. So wählte im August 2012 das British Film Institute Alfred Hitchcocks 'Vertigo - Aus dem Reich der Toten' (Vertigo, 1958) zum besten Film aller Zeiten. Pierre Boileau und Thomas Narcejacs Roman 'Von den Toten auferstanden' (D’Entre Les Morts, 1954), auf dem der Film beruhte, dürfte heute dagegen nur mehr den Wenigsten bekannt sein. Um einige weitere Beispiele berühmter filmischer Adaptionen zu nennen (basierend auf mehr oder weniger berühmten Romanen): Im Westen nichts Neues (All Quiet on the Western Front, 1930, Regie: Lewis Milestone, nach dem Roman von Erich Maria Remarque, 1928); Vom Winde verweht (Gone with the Wind, 1939, Victor Fleming, nach dem Roman von Margaret Mitchell, 1936); Einer flog übers Kuckucksnest (One Flew over the Cuckoo's Nest, 1975, Milos Forman, nach dem Roman von Ken Kesey, 1962), No Country for Old Men (2007, Joel und Ethan Coen, nach dem Roman von Cormac McCarthy, 2007), und Slumdog Millionaire (2008, Danny Boyle, nach dem Roman Rupien! Rupien! - im Original Q & A - von Vikas Swarup).
Auch wenn Stimmen, welche die prinzipielle Überlegenheit des Buches gegenüber der Kinoadaption propagieren, nie gänzlich verstummen, finden Literaturverfilmungen immer wieder hohe Anerkennung (es sei hier nur nebenbei erwähnt, dass alle oben genannten Adaptionen - mit Ausnahme von Vertigo - mit dem Oscar in der Kategorie 'Bester Film' ausgezeichnet wurden).
Im Unterschied zu seinem Führer war Joseph Goebbels, als Minister für Volksaufklärung und Propaganda zugleich oberster Film-Zensor von Nazi-Deutschland, kein Freund von politischen Propagandafilmen. Auch ideologisch plakative Botschaften waren ihm zuwider. In einer Rede vor der Reichsfilmkammer sagt er: "Nicht das ist die beste Propaganda, immer sichtbar zutage zu treten, sondern das ist die beste Propaganda, die sozusagen unsichtbar wirkt, das ganze Leben durchdringt, ohne daß das öffentliche Leben überhaupt von der Initiative der Propaganda irgendeine Kenntnis hat." Wie lässt sich im Genre des Melodramas, das die Nazis neben Komödien bevorzugten, eine 'Propaganda' vermitteln, die dem Machtsystem, den politischen und kriegerischen Zielen des Nazi-Regimes dient? Nicht vor allem dadurch, dass man ideologische Botschaften einschmuggelt, sondern indem man das Unbewusste der Massen ergreift, indem man die Massen in eine mythische Welt taucht, die von Politik und Weltgeschehen scheinbar ablenkt und die - so unsere These - masochistische Dispositionen bedient und verstärkt. Besonders die Ufa-Melodramen mit Zarah Leander zapfen in subtiler Weise masochistische Lustquellen an, bieten entsprechenden Triebregungen phantasmatische Objekte und Tableaux an, die unsichtbar wirken, das ganze Leben durchdringen und öffentlich gar nicht als 'Propaganda' wahrnehmbar sind. Um das zu erkennen, muss man sich von einigen hartnäckigen Vorurteilen gegenüber dem Thema des Masochismus befreien.
Fellinis Faulpelze
(2013)
Fellinis OEuvre, so könnte man mit etwas Mut zur Vereinfachung sagen, kennt vor allem zwei Arten von Filmen: solche, in denen es stets voran, und solche, in denen es gar nicht erst losgeht. Ersteres führt uns in mustergültiger Weise 'La strada' aus dem Jahr 1954 vor Augen, Fellinis weltberühmte Ballade vom Unterwegs- und Unbehaustsein, die immer wieder und durchaus zu Recht als frühes Road Movie gehandelt wird, letzteres 'I vitelloni' von 1953, ein, wenn man so will, Proto-Slacker-Movie, das ausschließlich in einem nicht identifizierten Badeort an der Adria spielt und statt der Straße die Gasse als prominenten Ort des Geschehens ausweist. Dass dies einen nicht unerheblichen Unterschied bedeutet, versteht sich von selbst. Schließlich führt eine Straße von A nach B, eine Gasse hingegen nur von A nach A', das heißt einen anderen Winkel von A. Den Sachverhalt etwas überspitzend, ließe sich somit sagen, dass es demjenigen, der die Straße benutzt, um eine Ortsveränderung geht, wohingegen derjenige, der sich auf der Gasse bewegt, nicht wirklich weg, sondern bleiben will. Eindrucksvoll belegen dies die Helden aus 'I vitelloni', und das bereits in dessen Titelsequenz, weswegen es sich lohnt, dass wir sie uns einmal etwas genauer anschauen: Nachdem sich die Blende öffnet, fällt unser Blick auf einen kleinen Platz, der - es ist schon lange nach Mitternacht - wie ausgestorben daliegt. Von links aus einer engen Gasse kommend, treten die fünf jungen Männer, ineinander gehakt und in linearer Formation, ins Bild, überqueren, von der mitschwenkenden Kamera verfolgt, den Platz, um sodann nach links in eine andere Gasse abzubiegen, wobei sie stark zu schlingern beginnen. Ihr Gang verliert folglich an Zielstrebigkeit und Geschwindigkeit, wodurch sie den Moment, in dem sie durch das keilförmig von oben in den Bildkader hineinragende Haus 'verschluckt' werden, hinauszögern. Doch noch immer geht es, wenn auch verlangsamt, voran, und das Aus-dem-Bild-Treten scheint unausweichlich. Dass es hierzu letztlich nicht kommt, verdankt sich einem an dieser Stelle einigermaßen unerwarteten freeze frame, der gerade noch rechtzeitig die Bewegung der Vitelloni einfriert und dadurch für deren Verbleiben im Kader sorgt - ein filmischer Kniff, mittels dessen Fellini eine höchst subtile Vorabcharakterisierung seiner Helden vornimmt. Denn diese werden uns die kommenden ca. hundert Filmminuten vor allem als eines präsentieren: notorische Bleiber, die keinerlei Anstalten machen, sich vom Fleck zu rühren, sei es in wörtlichem oder übertragenem Sinne.
In der Medien- und Filmwissenschaft, von deren semiologischen Ansätzen sich Pierre Bourdieu scharf abgrenzt, wird sein Konzept der symbolischen Herrschaft vergleichsweise wenig rezipiert. Darin selbst sind einige blinde Flecken, die von Bourdieu nicht reflektiert wurden. Zu den blinden Flecken gehören zum einen die Nichtberücksichtigung der darstellerischen, ästhetischen wie narrativen Eigenlogiken des Films, zum anderen die Nichtberücksichtigung der Eigensinnigkeit der ZuschauerInnen in der Rezeption und Aneignung filmischer Inhalte, zwei Aspekte, die die symbolische Herrschaft des oder im Film unterlaufen können. Da Bourdieu weder Filme inhaltlich analysiert noch Rezeptionsstudien durchführte, wird fälschlicherweise von der Form auf die Schichten der ZuschauerInnen geschlossen. Im Anschluss an die zentrale Thematik der symbolischen Herrschaft (symbolischen Gewalt, symbolischen Macht) lassen sich diese Konzepte allerdings gewinnbringend auf die verschiedensten Dimensionen und Instanzen der medialen Analyse an der Schnittstelle zwischen Medien- und Filmwissenschaft sowie der Filmsoziologie, im Folgenden insbesondere die Soziologie des Films respektive die Soziologie durch Film, anwenden.
Jósef Tarnawa, ein Überlebender von Auschwitz, in Großaufnahme in einem Sessel. Er zeigt seine verblasste, eintätowierte Häftlingsnummer: Es ist die Nummer 80064. Er berichtet von deren Entstehung. '80064': so auch heißt dieses Video, 2004 gedreht von dem international renommierten wie auch umstrittenen polnischen Künstler Artur Zmijewski. Mit der Großaufnahme des Überlebenden ruft der Film fast schon vertraute Bilder videographierter Augenzeugenschaft auf, denken wir nur an die gefilmten Interviews der Yale Archives for Holocaust Testimonies oder Claude Lanzmanns Film 'Shoah'. Doch dann weitet sich die filmische Einstellung und wir werden gewahr: Der Überlebende sitzt in einem Tätowierstudio. Der Filmemacher Artur Zmijewski kommt nun selbst ins Bild; er redet auf den Überlebenden ein, will ihn bewegen, seine Häftlingsnummer hier im Studio zu erneuern, sozusagen: 'nachgravieren' zu lassen. Joséf Tarnawa sträubt sich, doch Zmijewski lässt nicht locker. Es folgt ein quälendes Streitgespräch kreisend um die Erneuerung der Nummer; es endet damit, dass der Überlebende seinen Widerstand aufgibt. Die Nummer wird nachtätowiert.
Der vorliegende Band nimmt künstlerische Auseinandersetzungen mit Zeugenschaft im Film, im Theater, in der Literatur, in der Bildenden Kunst und in der Performancekunst in den Blick und stellt dabei grundlegende Fragen: Was gilt als Zeugnis und wer ist ein Zeuge? Wie verhalten sich Zeugnis, Wahrheit und Fiktion zueinander? Wie wird Zeugenschaft, wie wird die epistemische und moralische Rolle von Zeugnissen in der Kunst reflektiert und kommentiert? Dabei werden gattungsspezifische Aspekten der jeweiligen Kunstformen herausgearbeitet, aber auch allgemeinere Fragen über das Verhältnis von Kunst und Zeugenschaft thematisiert. Gewinnen wir, indem wir uns mit künstlerischer Zeugenschaft auseinandersetzen, auch einen neuen Blick auf Begriff und Phänomen von Zeugenschaft? Oder ist ein solch allgemeiner Begriff von Zeugenschaft gar nicht anzustreben angesichts der kaum überschaubaren Fülle unterschiedlicher Phänomene des Zeugnisgebens? Fragen über Fragen, auf welche dieser Band Antworten sucht. Doch wir möchten an dieser Stelle auch einige Thesen darüber artikulieren, welche Facetten von Zeugenschaft ganz spezifisch durch Kunst in den Blick geraten – und wodurch sich insbesondere die künstlerische Auseinandersetzung mit Zeugenschaft vom Umgang mit Zeugen und Zeuginnen in anderen Kontexten unterscheidet.
The discipline of adaptation studies has come a long way from its academic inception in novel-to-film studies. Since George Bluestone's seminal 1957 study Novels into Film, often regarded as the starting point of modern day Anglo-American adaptation studies, the discipline has seen a continual widening of its methodology as well as of the material scholars are willing to regard as adaptations. Particularly since the turn of the 21st century and the increasing institutionalization of the discipline as distinct from literary or film studies, adaptation scholars have widened the scope to include a broad range of media, encompassing not only the traditional adaptations from novels and drama into film, but also novelizations of various other media, video game and comic adaptations, TV series, opera, theme parks and tie in vacations, and many more. Others have included the study of media franchises as dependent on adaptation. As part of this redefinition of the discipline, scholars have also widened their discussion to bring to the centre aspects that were not originally the main focus of adaptation researchers' comparative textual analyses, including industrial structures, legal frameworks, and, most frequently and emphatically, questions of intertextuality and the cultural and ideological embeddedness of adapted texts.
Bericht über die Tagung "Beziehungskrisen: Deutsch-türkische
Verhältnisse in Literatur und Film"
(2017)
Zwischen dem 14. und 16. November 2017 wurde an der Ege Universität-Izmir eine Internationale Tagung veranstaltet, welche im Rahmen zweier Germanistischer Institutspartnerschaften (GIP) vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wurde. Die Kooperation zwischen der Universität Paderborn und der Ege Universität sowie die Partnerschaft zwischen der Universität Hamburg und der Istanbul Universität trugen dazu bei, dass diese Tagung mit dem Schwerpunkt "Beziehungskrisen: Deutsch-türkische Verhältnisse in Literatur und Film" zustande kam.
Unter der Leitung der Ege Universität und der Beteiligung der Universität Paderborn, Istanbul und Hamburg fand vom 14. bis zum 16. November 2017 die erste internationale/kooperative Vierer-Tagung im Rahmen der Germanistischen Institutspartnerschaft an der Ege Universität in Izmir statt. Wissenschaftler und Interessierte reisten aus verschiedenen Städten wie Istanbul, Ankara, Eskişehir, Berlin, Paderborn, Hildesheim und Hamburg für die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte GIP Tagung an und leisteten mit gebiets- und themenbezogenen Vorträgen einen besonderen Beitrag dazu, eine international sehr vielschichtige Plattform entstehen zu lassen, die mehr als nur den literaturwissenschaftlichen Austausch ermöglichte