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Das Buch nimmt die Beobachtung zum Ausgangspunkt, dass wahrnehmende Lebewesen immer auch sich bewegende Lebewesen sind. Der Zusammenhang zwischen den Vermögen der Wahrnehmung und der Selbstbewegung wird hier als ein konstitutiver gefasst, der insofern Auswirkungen für das Verständnis und die philosophische Analyse des jeweiligen Vermögens hat. Im Fokus steht das wechselseitige Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Handeln beim Menschen und damit auch die Frage, in welcher Beziehung das begriffliche Denken zu den genannten Vermögen steht. Die Arbeit diskutiert Schriften von Wittgenstein, Anscombe, Merleau-Ponty, Dreyfus, McDowell, sowie neuere Beiträge aus der enaktivistischen und phänomenologischen Tradition.
Im ersten Kapitel wird der Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Handlung in der Erkenntnistheorie untersucht. Hier stehen enaktivistische Theorien, die auf den grundsätzlichen Handlungscharakter der Wahrnehmung verweisen, im Mittelpunkt. Anhand einer Kritik der Kamerametaphorik des menschlichen Blicks wird dafür argumentiert, dass die (visuelle) Wahrnehmung als aktiver Prozess verstanden werden muss. Das Sehen ist weder punktförmig noch bildhaft aufzufassen, vielmehr ist es eine stets prekäre Errungenschaft eines leiblichen Wesens im Austausch mit der es umgebenden Welt. Die Ergebnisse aus dem ersten Kapitel werden im zweiten Kapitel mit Ludwig Wittgensteins Überlegungen zum Aspektsehen in Kontakt gebracht. Wittgensteins Bemerkungen zum Sehen und Aspektsehen lassen sich als Anstoß zu einem pluralistischen Verständnis der Wahrnehmung verstehen. In Anbetracht der vielfältigen Diskussionen, für die Wittgensteins Bemerkungen über das Aspektsehen relevant sind, wird hier herausgearbeitet, inwieweit sie als eine Kritik an jeder Form des Gegebenseins in der Wahrnehmung verstanden werden können. Eine Diskussion des ebenso ungewöhnlichen wie wenig beachteten Beitrags Anscombes zur Theorie der Wahrnehmung, den sie hauptsächlich in »The Intentionality of Sensation« ausarbeitet, beschließt das zweite Kapitel.
Im dritten Kapitel geht es um den zweiten Teil der These, Wahrnehmung und Handeln seien wechselseitig voneinander abhängig. In diesem Kapitel geht es um Theorien, für die die Wahrnehmung nicht einfach Informationen über die Umwelt bereitstellt, sondern selbst Bestandteil des Handelns ist. Eine besondere Herausforderung besteht darin, die Rolle der Wahrnehmung sowohl für das geistesabwesende Tun als auch für das überlegte Handeln und auch für mentale Handlungen, wie etwa Entscheidungen, zu bestimmen. Besonders offensichtlich wird die Rolle der Wahrnehmung im Handeln immer dort, wo das Überlegen zurücktritt und das gekonnte Handeln auf die Wahrnehmung von Gelegenheiten angewiesen ist – also insbesondere dort, wo das Handeln Ausdruck spezialisierter Fähigkeiten ist.
Der Wahrnehmungsbegriff, der in der Arbeit im Mittelpunkt steht, ist gerade kein allgemeiner oder übergreifenden – und erst recht kein »zugrundliegender« Begriff der Wahrnehmung. Vielmehr soll Wahrnehmung plural verstanden werden: die Wahrnehmung im Alltag, die beobachtenden Wahrnehmung, die Wahrnehmung des Profis, die begriffliche Wahrnehmung. Diese Herangehensweise läuft zwangsläufig auch auf die Frage hinaus, inwiefern sich die menschliche Wahrnehmung und die Wahrnehmung der Tiere unterscheiden. Zwar gilt für Tiere wie für Menschen, dass sie wahrnehmen und sich bewegen – aber bestimmte Formen der Wahrnehmung sind klarerweise dem Menschen vorbehalten, etwa die ästhetische, die moralische und die begriffliche Wahrnehmung. Das vierte Kapitel diskutiert – ausgehend von der Frage nach der Begrifflichkeit der menschlichen Vermögen des Wahrnehmens und Handelns –, in welchem Verhältnis diese zu denen der Tiere stehen.
Ein auffälliger Unterschied zwischen den Vermögen des Menschen und denen der Tiere – so wird sich herausstellen – ist die Flexibilität und Pluralität der menschlichen Vermögen. Doch diese Pluralität ist kein natürliches Faktum, sondern Produkt bestimmter Tätigkeiten und Praktiken. Erst im tätigen Umgang mit der Welt, durch den Erwerb bestimmter Techniken und innerhalb bestimmter Praktiken verwirklicht sich die grundsätzliche Offenheit der menschlichen Vermögen. Diese Idee, dass unsere natürlichen Vermögen in Kontakt und Auseinandersetzung mit unserer Lebenswelt sich allererst entwickeln, ist Gegenstand des fünften Kapitels.
Die konstitutiven Beziehungen zwischen Wahrnehmung und Handeln in den Mittelpunkt dieser Untersuchung zu rücken, ist dabei Ausdruck eines bestimmten Philosophieverständnisses, nämlich eines, das das wahrnehmende, denkende und handelnde Lebewesen in den Fokus seiner Untersuchung stellt – nicht das einzelne Vermögen, sondern der ganze Organismus sind der point of interest.
Adorno führt in seinem Werk der Negativen Dialektik, anhand einer Kant-Kritik, aus, dass Freiheit nur negativ bestimmt werden kann. Dazu bedient dieser sich der Methode der bestimmten Negation. Dieser Ansatz wird auf Nauckes Konzept des negativen Strafrechts übertragen und gezeigt, dass auch Naucke dieses nur negativ bestimmt. Dabei stellt das negative Strafrecht eine Position dar, welche dem affirmativen Strafrecht kritisch gegenübersteht und dieses kontinuierlich hinterfragen und begrenzen soll.
Erasmus, christlicher Humanismus und Spiritualität in Spanien und Neu-Spanien (16. Jahrhundert)
(2020)
Schriften des Erasmus von Rotterdam (1466/69–1536) entfalteten während des 16. Jahrhunderts eine große Wirkung in Spanien. Auf Grundlage der klassischen wie der jüngeren Historiographie widmet sich der Aufsatz diesem religions- und kulturgeschichtlichen Phänomen – mit Seitenblicken auf Luther – in vier Teilen: Nach einer Skizze zu Leben und Werk des christlichen Humanisten behandelt der zweite Teil den Erasmianismus in Spanien von seiner Erfolgsgeschichte in den 1520er Jahren (etwa bei Hof, an den Universitäten und in Übersetzungen) bis zur Verfolgung seiner Anhänger seit den 1530er Jahren durch die Inquisition. Drittens werden neuere Forschungstendenzen diskutiert, die das klassische, von Marcel Bataillon geprägte Bild korrigieren und weiterentwickeln, auch im Hinblick auf das ambivalente Verhältnis von Scholastik und Humanismus. Der letzte Teil widmet sich dem Einfluss des Erasmus in Neuspanien (Mexiko) am Beispiel von (Erz-) Bischöfen und Mönchen sowie von frühkolonialen Fallstudien.
Die Zigarettenalben entwickelten sich in den 1930er Jahren zu einem vitalen Instrument der Wirtschafts- und Gesellschaftskommunikation. Da sowohl die Zigarettenindustrie als auch das NS-Regime manipulativ auf soziale Gruppen einwirken wollten, war es folgerichtig, dass Wirtschaft und Politik das beliebte Massenmedium als Kommunikationsinstrument einsetzten, um von dem propagandistischen Synergieeffekt zu profitieren. In den Zigarettenbildern mit NS-Inhalten manifestiert sich die Assimilation ökonomischer und propagandistischer Interessen, die seit Beginn der Professionalisierung von Werbung und Propaganda eingesetzt hatte. Die NS-Propaganda knüpfte bei der strategischen und operativen Planung an die Forschung der Weimarer Zeit an, die sich mit den sozialpsychologischen Grundlagen der Propaganda, Massenkommunikation und Werbewirkung sowie der Propaganda der Entente während des Ersten Weltkrieges auseinandergesetzt hatte.
Die kommunikationspolitische Allianz zwischen Politik und Wirtschaft beruhte nicht auf gesellschaftspolitischer Konformität, sondern auf einem vielschichtigen, beidseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Die Beteiligung der Zigarettenindustrie an der NS-Propaganda war bis auf wenige Ausnahmen kein Ausdruck einer politischen Gesinnung, sondern rein monetären Motiven geschuldet oder wie bei Reemtsma auch unternehmenspolitische Strategie. Letztendlich profitierten die Zigarettenfabrikanten wirtschaftlich, denn sie konnten an dem gesellschaftpolitischen Interesse der Bevölkerung in Bezug auf NS-Themen im Rahmen der Sammelwerke partizipieren. Aber auch das NS-Regime profitierte wirtschaftlich. Neben den finanziellen Vorteilteilnahmen und der Multiplikation der NS-Ideologie profitierte das NS-Regime von den Zigarettenbildern auch als psychologisches Instrument der Truppenbetreuung, denn das Oberkommando der Wehrmacht erachtete die Zigarettenbilder für die Betreuung der Soldaten als unerlässlich.
Mit der Nutzung der Zigarettenalben begab sich aber auch das NS-Regime in Abhängigkeit zur Zigarettenindustrie, denn Populärkultur erfordert effektive Produktionsmittel und Distributionskanäle, die die Multiplikation der Medien gewährleisten sowie ambitionierte Unternehmer, die eine Gewinnmaximierung verfolgen. Das RMVP musste der Wirtschaft daher einen gewissen Freiraum bei der Themenwahl belassen, damit das Medium insgesamt nicht an Akzeptanz bei der Bevölkerung verlor. Angesichts der Tatsache, dass die so genannte Bekenntnisliteratur bei der Bevölkerung nie auf große Resonanz gestoßen und ab 1934 kaum noch nachgefragt war, bildeten die Zigarettenalben eine der wenigen Plattformen, auf der das NS-Regime über soziale Schichten hinweg Bevölkerung erreichen konnte. Die Einflussnahme des NS-Regimes war damit ebenso begrenzt, wie die der Unternehmen, denn beide mussten den sozialpsychologischen Bedürfnissen der Bevölkerung Rechnung tragen. Sowohl Wirtschaft als auch Politik mussten, um Akzeptanz zu finden, die Themen bedienen, die vom Rezipienten nachgefragt wurden.
Die Untersuchungen belegen, dass die Zigarettenalben, die in den 1930er Jahren publiziert wurden, nicht ausschließlich zur Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda verwendet wurden, sondern auch von Gemeinschaften genutzt wurden, die ihre spezifischen politischen und ideologischen Interessen vertreten wollten. Neben den Vertretern des sozialistischen Lagers war es die SA, die die Zigarettenalben als Sprachrohr für ihre eigenen Interessen in Anspruch nahm. Bei der Parteiarmee war es insbesondere der sozialistisch geprägte Flügel um Ernst Röhm, der mit den Alben der sympathisierenden Firma Sturm seine Interessen vertrat, die primär darin bestanden, eine Partizipation an der Macht zu legitimieren und einzufordern. Darüber hinaus boten die Zigarettenalben der Parteiarmee die Möglichkeit, die eigene Historie in der deutschen Geschichte zu verorten und eine Traditionslinie bis zu den Freiheitskriegen zu ziehen. Damit konnte die SA mit den Sturm-Alben sowohl eine faschistische Bewegungskultur etablieren, als auch eine eigene Historie installieren. Die SA und ihre Mitglieder erhielten so einen Identifikationsraum, der ihnen die Möglichkeit bot, sich als selbstbewusste und eigenständige Organisation zu definieren.
Die Lenkungshoheit über die Medien und die nationalen Symbole erlaubte es dem NS-Regime, die kommunikationspolitischen Maßnahmen stringent nach den eigenen politischen Zielen auszurichten. Da die Autonomie des Öffentlichkeitssystems völlig aufgehoben und alle Publikationen der staatlichen Kontrolle unterlagen, mussten auch die Zigarettenfabrikanten die Inhalte der Sammelalben regimekonform ausrichten. Den-noch konnten weder Politik noch Industrie bei der Kommunikationspolitik völlig autark agieren, denn aufgrund der Wechselbeziehung zwischen Kommunikator und Rezipient waren beide Parteien gezwungen, die Bedürfnisse der Bevölkerung und ihre sozialpsychologischen Identifikationsräume zu berücksichtigen. Die Propaganda des Nationalsozialismus war daher, wie in den Kommunikationswissenschaften vielfach dargestellt, kein dispositionales Konzept, bei dem das Individuum einem Reiz-Reaktions-Schema folgt.
Die Berücksichtigung der sozialpsychologischen Bedürfnisse der Rezipienten wurde insbesondere bei der Integrationspropanda verfolgt.
Professor Dr. Karl-Otto Apel, Emeritus für Philosophie an der Goethe-Universität, ist am 15. Mai 2017 im Alter von 95 Jahren an seinem Wohnort in Niedernhausen im Taunus gestorben. Er war einer der wichtigsten Philosophen seiner Zeit und hat die Philosophie in Deutschland und weit darüber hinaus nachhaltig geprägt.
Die Frage der Frauenrechte in Afghanistan diente nach dem Sturz des Taliban-Regimes als Legitimation für das militärische und entwicklungspolitische Engagement der internationalen Gemeinschaft. Jedoch existieren bis heute nur wenige empirische Arbeiten, die Aufschluss über Lebenslagen afghanischer Frauen geben und Interventionen lokaler Akteur*innen untersuchen, die diese adressieren. Die vorliegende Dissertation, die in der feministischen Ethnologie und in der Ethnologie der Menschenrechte verortet ist, trägt dazu bei, diese Forschungslücken zu schließen.
Die Daten wurden in mehrmonatigen teilnehmenden Beobachtungen in zwei afghanischen Frauenrechts-NGOs und einem Frauenrechtsnetzwerk erhoben, ergänzt von 38 Interviews. Vier Interventionsformen gegen Gewalt an Frauen werden analysiert: Neben Frauenselbsthilfegruppen und Frauenhäusern sind dies Interaktionen mit religiösen und anderen Machtakteuren. Nach Merry (2006) werden die Interventionen als Aushandlungs- und Übersetzungsprozesse divergierender Vorstellungen über Geschlechternormen und soziale Praktiken innerhalb des afghanischen Normenpluralismus konzeptualisiert.
Die Studie liefert Ergebnisse auf mehreren Ebenen. Erstens werden sowohl spezifische Bedingungen für die Wirksamkeit der untersuchten Interventionsformen herausgearbeitet als auch ihre jeweiligen Begrenzungen, welche in den vorherrschenden Machtdynamiken begründet sind. Deutlich wird zweitens der Nutzen der universalen Menschenrechte als Bezugs- und Legitimationsrahmen für die Aktivist*innen, wobei sich gleichermaßen zeigt, wo sich der Bezug auf Menschenrechte als problematisch erweist. Um Rückschlüsse für zukünftige Interventionen von Frauenrechts-NGOs auch über den afghanischen Kontext hinaus ziehen zu können, wird drittens eine Erweiterung des Theorie-Praxis-Modells nach Merry (2006) vorgeschlagen, welche die Kontextualisierung in Machtverhältnisse miteinbezieht, sowie Begrenzungen als Indikatoren für Aushandlungsspielräume postuliert.