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Einführung zum 4. Tag
(2000)
Der 4. Tag war der Tag der Literaturwissenschaft und der Mystischen "Gebrauchsliteratur", die mit unterschiedlichen Methoden bearbeitet wurde – das Spektrum reichte von vorwiegend inhaltsbezogener, semiotisch fundierter Textauslegung über formalzentrierte Verfahren (Erzählanalyse), Text- und Überlieferungsgeschichte bis hin zu frömmigkeits- und sozialgeschichtlicher Einordnung und literaturwissenschaftlicher Heuristik. Die Frage nach dem "Sitz im Leben" im allgemeinsten und speziellen Sinn erweist sich als Leitmotiv; die Exposés verbinden oft die genannten Methoden in produktiver Weise, um die spezifische ‚Machart’ der Texte zu erschließen und sie zu verorten.
Die Paradoxie mystischer Lehre im ›St. Trudperter Hohenlied‹ und im ›Fließenden Licht der Gottheit‹
(2009)
Wenn Werke der mittelalterlichen volkssprachigen Mystik in Literaturgeschichten behandelt werden, so scheint oft die Wahl zwischen zwei Zugangswegen. Verbreitet ist, vor allem wenn es um Werke schreibender Frauen geht, eine autobiographische Lesart, bei der das sprechende Ich umstandslos mit der Autorin identifiziert wird. So entstand der Begriff der ‘Erlebnismystik’, in der literarische Zeugnisse unmittelbar als Bericht aus dem Leben gelesen wurden, einem Leben, das dann oft pathologisiert wurde.[…] Im Rahmen solch autobiographischer Authentizität scheint ein Anspruch auf Lehre, die ja gerade die interpersonale Übertragbarkeit von Regeln voraussetzt, unangemessen. Wenn man hingegen die literarische Konstruiertheit der Texte hervorhebt, […] gilt das Augenmerk vor allem der zentralen Paradoxie, an der sich diese Texte abarbeiten, nämlich der Versprachlichung des grundsätzlich die Sprache übersteigenden Augenblickes der unio. Wo die eine Richtung in Begriffen von ‘Erlebnis’ und ‘Erfahrung’ die biographische Echtheit der Texte beschwört, sieht die andere den besonderen Status der Texte gerade in ihrer Literarizität. Solche Elemente literarischer Konstruiertheit aber, die Werke geistlicher Literatur in die Nähe weltlich-fiktionaler Dichtung verschieben, erscheinen aus ganz anderer Perspektive ebenfalls unvereinbar mit Lehrhaftigkeit. Was beide Interpretationsweisen dabei in der Regel aus den Augen verlieren, ist der Aspekt des lehrhaften Sprechens […]. Beide von mir ausgewählten Beispiele sind deutlich der Didaxe verpflichtet und präsentieren sich als an ein Publikum gerichtet, das sie belehren möchten.