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New Philology: Das ist zunächst ein Schlagwort gegenwärtiger mediävistischer Methodendiskussion, und fast möchte man meinen, es hätte noch prägnanter formuliert werden können, wenn man etwas auf eine Bildung in Analogie zu anderen kurrenten ‚New-isms’ – New Medievalism (…) oder New Historicism (…) etwa – verfallen wäre: ‚New Philologism’. (…) Als Interdependenz (…) [einer] relativ situationsabstrakten ‚Formiertheit’ der poetischen Rede und der spezifischen situationellen variance des Textes (…) müsste man die soziale, also kommunikative Logik des mittelalterlichen Textes rekonstruieren können. Dabei dürfte dann auch sichtbar werden, daß die ‚Schließung’ des Textes nicht nur eine Generalisierung und Anonymisierung von poetischen Kommunikationssituationen voraussetzt (…) Sondern es könnte sich dann auch zeigen, daß an die stabile soziale Institution des Autors sowie an generalisierte und anonymisierte Kommunikationsverhältnisse gebundene und daher weitgehend invariante Text fortschreitend verzichten kann (…) auf jene Formierungen der literarischen Rede, welche unter den Voraussetzungen okkasioneller poetischer Kommunikation die Bedingung ihrer Möglichkeit waren. Der Text und seine Textualität sind dann etwas ganz anderes, weil seine Situationalität sich grundsätzlich verändert hat.
Im Stil stellt sich die Predigt in die Nachbarschaft der Predigtsammlungen des 12. Jahrhunderts. Der ausgesprochen hypokratische Satzbau findet seine Entsprechung in den längeren Stücken des deutschen Speculum ecclesiae, in denen der Bearbeiter wie in dieser Predigt sich nicht allzu weit vom lateinischen Text entfernte, und in Schönbach III, dem Predigtbuch des Priesers Konrad, der ebenfalls die hypotaktisch gegliederte Periode vorzieht. (...) Im Vergleich zum Priester Konrad wird diese Figur sehr zurückhaltend verwendet, wie überhaupt dieser Text im Vergleich zu der Weitschweifigkeit und Redseligkeit jenes Predigtbuches die lateinische Vorlage nur geringfügig erweitert und rhetorisch verbreitert.
Im Mittelalter war der Begriff der Nation zwar schon klar umrissen, aber die Nation in unserem Sinne gab es nicht. Das Wort ›Nation‹ ist entlehnt aus dem Lateinischen nâtio (-ônis), einer Ableitung von nâscî (nâtus sum), geboren werden, das mit dem lateinischen genus‚ Geschlecht, Art, Gattung verwandt ist. Das Wort bezeichnet seiner Etymologie nach eine Gemeinschaft von Menschen derselben Herkunft, die durch gemeinsame Abstammung verbunden sind; dann anschließend eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Kultur, Sprache. Demgemäß bezeichnete lat. natio schon in der Antike und noch lange im Mittelalter die Abstammung oder den Herkunftsort einer Person und zwar in Bezug auf politisch nicht organisierte Bevölkerungen. Anfangs bezeichnete also die Nation die Herkunft einer Gruppe von ausgewanderten Menschen, die sich mit der Bevölkerung vermengte, in die sie sich eingliederte. So wurde das Wort besonders gebraucht, um die Herkunft der Studenten einer Universität zu bezeichnen: es ist die Rede von ›Universitätsnationen‹, wobei »mit diesem Wort […] ursprünglich eher Himmelsrichtungen als Nationen im späteren Sinne gemeint«
waren. Es entstand in Paris die Einteilung in vier Nationen: Gallikaner oder Gallier, zu denen auch Italiener, Spanier, Griechen und Morgenländer zählten, Picarden, Normannen und Engländer, die auch die Deutschen und weitere Nord- und Mitteleuropäer beinhalteten. […] Es gab an der 1348 gegründeten Universität Prag ebenfalls vier gleichberechtigte ›Nationen‹, in die sich die einzelnen Studenten organisierten. Die polnische Nation umfasste die Studenten aus Preußen, Schlesien oder aus einer polnischen Stadt mit deutscher Bevölkerung, d. h. aus dem gesamten östlichen Raum; zur böhmischen Nation gehörten die Böhmen, die Tschechen, die Ungarn und die Südslaven, zur bayerischen Nation die Schwaben, die Bayern, die Franken, die Hessen, die Rheinländer und die Westfalen, zur sächsischen Nation die Norddeutschen, die Dänen, die Schweden und die Finnen. So hatte der mittelalterliche Nationbegriff nichts zu tun mit dem modernen, seit der Französischen Revolution in den Vordergrund getretenen, und noch weniger mit dem Nationalismus.
Es mag generell lohnend sein, bei Fazetien und Schwänken die eingefahrenen Wege von Stoff- und Gattungsgeschichte zu verlassen und analytisch genau zu werden, denn in den Niederungen des ‚niederen’ Erzählens sind komplexe Spuren epistemischer Verunsicherungen zu entdecken. Was indes speziell die Repräsentationen religiöser Praxis in frühmodernen Schwankerzählungen anbelangt, wäre von Fall zu Fall zu urteilen. So sehr Reliquienpraxis im 16. Jahrhundert ins Zentrum konfessioneller Konflikte gerät, so wenig kann das schwankhafte Erzählen von ihr immer schon eindeutig auf die Seite frühmoderner Pluralisierungen geschlagen werden. Solches Erzählen kann vielmehr einerseits als Ort konfessionalistischer Verarbeitung und Eindämmung sozialer, religiöser, ideologischer Differenz genützt werden. Andererseits steht es aber fallweise auch dort als Raum literarischen Probehandelns zur Verfügung, wo es schwer oder unmöglich zu sein scheint, Konkurrenzen relevanter Propositionen, Orientierungskomplexe oder Geltungsfonds durch Negativierung und Asymmetrisierung zu entschärfen. Dann dürfte indes von Pluralisierungen, auch solchen des Religiösen, die Rede sein. Einstweilen offen bliebe hierbei allerdings, ob es sich allein um die Verarbeitungs-, oder auch um Produktionsformen des frühzeitlichen Umbaus der Welt handelt.