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Im Stil stellt sich die Predigt in die Nachbarschaft der Predigtsammlungen des 12. Jahrhunderts. Der ausgesprochen hypokratische Satzbau findet seine Entsprechung in den längeren Stücken des deutschen Speculum ecclesiae, in denen der Bearbeiter wie in dieser Predigt sich nicht allzu weit vom lateinischen Text entfernte, und in Schönbach III, dem Predigtbuch des Priesers Konrad, der ebenfalls die hypotaktisch gegliederte Periode vorzieht. (...) Im Vergleich zum Priester Konrad wird diese Figur sehr zurückhaltend verwendet, wie überhaupt dieser Text im Vergleich zu der Weitschweifigkeit und Redseligkeit jenes Predigtbuches die lateinische Vorlage nur geringfügig erweitert und rhetorisch verbreitert.
Ursprünglich meinte ‚Formen’ in erster Linie die Medien der Aneignung – Literatur und Film, bildende Kunst und Musik-, bzw. die gesellschaftlichen Institutionen von Wissenschaft und Schule, Museum und Ausstellung. (...) In dem Maße, die Literaturwissenschaft aufgehört hat, das literarische Werk isoliert zu betrachten, ist ein legitimes Interesse auch der Literaturhistoriker an der Rezeption nicht-literarischer Themen und Formen ebenso gegeben wie an den nicht-literarischen Rezeptionsmedien.
New Philology: Das ist zunächst ein Schlagwort gegenwärtiger mediävistischer Methodendiskussion, und fast möchte man meinen, es hätte noch prägnanter formuliert werden können, wenn man etwas auf eine Bildung in Analogie zu anderen kurrenten ‚New-isms’ – New Medievalism (…) oder New Historicism (…) etwa – verfallen wäre: ‚New Philologism’. (…) Als Interdependenz (…) [einer] relativ situationsabstrakten ‚Formiertheit’ der poetischen Rede und der spezifischen situationellen variance des Textes (…) müsste man die soziale, also kommunikative Logik des mittelalterlichen Textes rekonstruieren können. Dabei dürfte dann auch sichtbar werden, daß die ‚Schließung’ des Textes nicht nur eine Generalisierung und Anonymisierung von poetischen Kommunikationssituationen voraussetzt (…) Sondern es könnte sich dann auch zeigen, daß an die stabile soziale Institution des Autors sowie an generalisierte und anonymisierte Kommunikationsverhältnisse gebundene und daher weitgehend invariante Text fortschreitend verzichten kann (…) auf jene Formierungen der literarischen Rede, welche unter den Voraussetzungen okkasioneller poetischer Kommunikation die Bedingung ihrer Möglichkeit waren. Der Text und seine Textualität sind dann etwas ganz anderes, weil seine Situationalität sich grundsätzlich verändert hat.
[Ulrich von Liechtensteins] Methode der Einbettung der Lieder in eine 'Autobiografie' zielt auf die Memoria seiner Person und isoliert sein Werk damit zwar nicht völlig vom Strom der Überlieferung, gibt ihm aber eine eigene Existenzform abseits der großen Liedersammlungen. [Johannes] Hadloub will im Rahmen der Züricher Konservierungsbestrebungen Lieder schaffen, die sich einerseits der Tradition höfischen Sanges vom Beginn an einfügen, andererseits aber der neuen Mediensituation gerecht werden. Bei Ulrich hat diese grundsätzlich noch keinen Einfluß auf die Lieder selbst, sondern nur auf die Art ihrer 'Bewahrung'. Bei Hadloub aber verändern sich die Lieder am deutlichsten in der Entwicklung zum neuen Genre der 'Romanzen' (...) bis hin zu Gottfried Keller und uns Wissenschaftlern eines Zeitalters, in dem ein neuer Medienwechsel erfolgt, der die Sinnlichkeit, die die gesungene Liebesdichtung auch als zu lesende Dichterliebe durch die individuelle Handschrift auf dem Pergament, und selbst in der Typografie des gedruckten Buches noch hatte, endgültig in die Imagination verlagern wird.
‚Institutionalität’ als leitender Konzeptbegriff zielt in dem hier gemeinten Sinn nicht auf eine Analyse von ‚Institutionen’ als historische Entitäten im Sinne von einzelnen ‚Organisationen’, ‚Körperschaften’, ‚Anstalten’. Es geht vielmehr um etwas, das sich das ‚Institutionelle’ an gesellschaftliche Strukturen des Kommunizierens und Handelns analysieren läßt: Formen der Geltungssicherheit und Stabilisierung, die in sozialen Ordnungen auch gewissermaßen ‚unterhalb’ der Ebene von durchgebildeten Organisationen oder Institutionen (im traditionellen Wortsinne) wie Ehe, Kirche, Staat, Universität usw. begegnen. (...)
Wenn man (...) fragte, welche Mechanismen es sind, die im Gegenzug zu (...) institutionellen Ungesichertheiten das Gelingen literarischer Kommunikation und die Wiederholbarkeit ästhetischer Rede am Hof gleichwohl möglich oder wahrscheinlich gemacht haben mochte, dann könnten jene Momente der Texte in den Vordergrund treten, von denen die folgenden Untersuchungen gleichfalls handeln: (...) [D]as [also], was (...) [Strohschneider] einmal die ‚Formiertheit’ höfischer Texte zu nennen versuchte. Gemeint sind Textmerkmale wie Schemata oder Topiken, welche die Rede gegenüber der Kontigenzen des Okkasionellen stabilisieren, welche kommunikative Wiederholbarkeit und Wahrscheinlichkeit von Dichtung dort produzieren, wo entsprechende außertextliche Institutionen noch fehlen.
Die Geltungssicherung von Texten durch die eigenhändige Unterschrift, welche einen abwesenden Körper ‚vergegenwärtigt’ in der Spur seiner (seit der Erfindung des Buchdrucks: einzigartigen) Bewegung, die Speicherung von symbolischem wie ökonomischem Kapital in Autographensammlungen (oder Autogrammkarten), Verfahren der konkreten-visuellen Poesie, die Praxis von Tätowierungen: Dies und anderes mehr zehrt noch immer in der einen oder anderen Weise von nicht-repräsentatorischen Dimensionen von Schrift. Zumindest setzt es solche Dimensionen der Unlesbarkeit doch voraus – wie dies auch noch die dumpfen Versuche der Auslöschung von Bedeutung durch Verbrennung von Büchern tun.
Im Mittelalter war der Begriff der Nation zwar schon klar umrissen, aber die Nation in unserem Sinne gab es nicht. Das Wort ›Nation‹ ist entlehnt aus dem Lateinischen nâtio (-ônis), einer Ableitung von nâscî (nâtus sum), geboren werden, das mit dem lateinischen genus‚ Geschlecht, Art, Gattung verwandt ist. Das Wort bezeichnet seiner Etymologie nach eine Gemeinschaft von Menschen derselben Herkunft, die durch gemeinsame Abstammung verbunden sind; dann anschließend eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Kultur, Sprache. Demgemäß bezeichnete lat. natio schon in der Antike und noch lange im Mittelalter die Abstammung oder den Herkunftsort einer Person und zwar in Bezug auf politisch nicht organisierte Bevölkerungen. Anfangs bezeichnete also die Nation die Herkunft einer Gruppe von ausgewanderten Menschen, die sich mit der Bevölkerung vermengte, in die sie sich eingliederte. So wurde das Wort besonders gebraucht, um die Herkunft der Studenten einer Universität zu bezeichnen: es ist die Rede von ›Universitätsnationen‹, wobei »mit diesem Wort […] ursprünglich eher Himmelsrichtungen als Nationen im späteren Sinne gemeint«
waren. Es entstand in Paris die Einteilung in vier Nationen: Gallikaner oder Gallier, zu denen auch Italiener, Spanier, Griechen und Morgenländer zählten, Picarden, Normannen und Engländer, die auch die Deutschen und weitere Nord- und Mitteleuropäer beinhalteten. […] Es gab an der 1348 gegründeten Universität Prag ebenfalls vier gleichberechtigte ›Nationen‹, in die sich die einzelnen Studenten organisierten. Die polnische Nation umfasste die Studenten aus Preußen, Schlesien oder aus einer polnischen Stadt mit deutscher Bevölkerung, d. h. aus dem gesamten östlichen Raum; zur böhmischen Nation gehörten die Böhmen, die Tschechen, die Ungarn und die Südslaven, zur bayerischen Nation die Schwaben, die Bayern, die Franken, die Hessen, die Rheinländer und die Westfalen, zur sächsischen Nation die Norddeutschen, die Dänen, die Schweden und die Finnen. So hatte der mittelalterliche Nationbegriff nichts zu tun mit dem modernen, seit der Französischen Revolution in den Vordergrund getretenen, und noch weniger mit dem Nationalismus.
The discourses on textuality and literacy that can be observed in the Kyot-Excursus in 'Parcival' by Wolfram von Eschenbach and in the Magnetbergerzählung of the 'Reinfried von Braunschweig' will serve here as examples in an attempt to historicize textual models. My essay will focus on how the limits of textuality could be defines within those 13th-century aristocratic orders of knowledge to which court literature can provide an access. What emerges within this context are concepts and ideas that lie beyond the scope of modern scholarly systems; these narratives indicate a way of dealing with textuality and literacy that, rather than referring to the textual discourse, may remain instead on the phenomenal surface of the material or (as if the textual discourse did not exist) may embody implicitly the circumstances that it signifies.
Es mag generell lohnend sein, bei Fazetien und Schwänken die eingefahrenen Wege von Stoff- und Gattungsgeschichte zu verlassen und analytisch genau zu werden, denn in den Niederungen des ‚niederen’ Erzählens sind komplexe Spuren epistemischer Verunsicherungen zu entdecken. Was indes speziell die Repräsentationen religiöser Praxis in frühmodernen Schwankerzählungen anbelangt, wäre von Fall zu Fall zu urteilen. So sehr Reliquienpraxis im 16. Jahrhundert ins Zentrum konfessioneller Konflikte gerät, so wenig kann das schwankhafte Erzählen von ihr immer schon eindeutig auf die Seite frühmoderner Pluralisierungen geschlagen werden. Solches Erzählen kann vielmehr einerseits als Ort konfessionalistischer Verarbeitung und Eindämmung sozialer, religiöser, ideologischer Differenz genützt werden. Andererseits steht es aber fallweise auch dort als Raum literarischen Probehandelns zur Verfügung, wo es schwer oder unmöglich zu sein scheint, Konkurrenzen relevanter Propositionen, Orientierungskomplexe oder Geltungsfonds durch Negativierung und Asymmetrisierung zu entschärfen. Dann dürfte indes von Pluralisierungen, auch solchen des Religiösen, die Rede sein. Einstweilen offen bliebe hierbei allerdings, ob es sich allein um die Verarbeitungs-, oder auch um Produktionsformen des frühzeitlichen Umbaus der Welt handelt.
Spruchreihen im Lied
(2009)
In der Innsbrucker Handschrift der Lieder Oswalds von Wolkenstein steht als eines der letzten Lieder Kl. 115, eingetragen nach 1438, offenbar eines der spätesten Lieder Oswalds. Schon Wilhelm Grimm hat gesehen und Josef Schatz und Albert Leitzmann4 haben es im Einzelnen nachgewiesen, dass es sich bei diesem Lied um eine Umarbeitung von Freidank-Sprüchen in Liedstrophen handelt, die freilich als Oswalds eigene Lehre dargeboten werden […]. Die enge Anlehnung an die Quelle lässt erkennen, dass Oswald einer Handschrift folgte, die in etwa der von Hermann Paul als ursprünglich postulierten Anordnung von Freidanks Sprüchen entsprach. [...] Versucht man, Inhalt und Aussageweise des Lieds zusammenfassend zu charakterisieren, ist man auf höchst allgemeine Stichwörter angewiesen: Es handelt sich um elementares geistliches und weltliches Orientierungswissen und um konsensfähige Urteile, dargeboten in kurzen Sprüchen, prägnanten gnomischen Feststellungen. Derartige Sprüche hat Oswald auch sonst gern zitiert. Nirgends aber hat er diesen vielfältigen Weisheits- und Erfahrungsschatz so ausschließlich benutzt wie in dieser Bearbeitung von Freidanksprüchen, nirgends hat er so wenig auf Kohärenz der Aussagen geachtet. Haben die Zeitgenossen beim Vortrag dieses Liedes nicht ebenso wie wir die gedankliche Einheit vermisst?