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Schillers Balladen genießen einen mehrdeutigen Ruf: Ihre Popularität ist nicht zu bezweifeln, und fast jeder hat einzelne Wendungen und Bilder vor Augen wie jenen Kranichschwarm, der plötzlich dunkel über dem Theater erscheint. Aber die Balladen sind didaktisch in fragwürdiger Form instrumentalisiert worden – ‚23 Strophen bis zur nächsten Woche auswendig lernen’ – und zudem lassen sie sich nur schwer in den Entwicklungsgang der modernen Lyrik einordnen. (...) Dies hat zur Unterschätzung der Texte und auch zu einer intellektuellen Herabstufung geführt. (...) Nun erschließen sich ‚Die Kraniche des Ibycus’ in der Tat beim ersten Lesen dem Verständnis, aber sie enthalten gleichwohl ein Programm, und so sollen sie gedeutet werden: Als Popularisierung zentraler Postulate der Weimarer Klassik, als exotische Form poetologischer Ideen, die in anderen Texten Schillers, etwa in seinem Aufsatz über die ‚Schaubühne’ oder in seinen ‚Briefen über die ästhetische Erziehung’, in esoterischer Form vorliegen. (...) Die Implikationen der Ballade und im Besonderen das in ihr dargestellte Verhältnis von Kunst und Religion lassen sich am besten in jener Passage erfassen, in der das Theater und die Theateraufführung, die zur Enttarnung der Mörder führt, beschrieben werden.
Es mag generell lohnend sein, bei Fazetien und Schwänken die eingefahrenen Wege von Stoff- und Gattungsgeschichte zu verlassen und analytisch genau zu werden, denn in den Niederungen des ‚niederen’ Erzählens sind komplexe Spuren epistemischer Verunsicherungen zu entdecken. Was indes speziell die Repräsentationen religiöser Praxis in frühmodernen Schwankerzählungen anbelangt, wäre von Fall zu Fall zu urteilen. So sehr Reliquienpraxis im 16. Jahrhundert ins Zentrum konfessioneller Konflikte gerät, so wenig kann das schwankhafte Erzählen von ihr immer schon eindeutig auf die Seite frühmoderner Pluralisierungen geschlagen werden. Solches Erzählen kann vielmehr einerseits als Ort konfessionalistischer Verarbeitung und Eindämmung sozialer, religiöser, ideologischer Differenz genützt werden. Andererseits steht es aber fallweise auch dort als Raum literarischen Probehandelns zur Verfügung, wo es schwer oder unmöglich zu sein scheint, Konkurrenzen relevanter Propositionen, Orientierungskomplexe oder Geltungsfonds durch Negativierung und Asymmetrisierung zu entschärfen. Dann dürfte indes von Pluralisierungen, auch solchen des Religiösen, die Rede sein. Einstweilen offen bliebe hierbei allerdings, ob es sich allein um die Verarbeitungs-, oder auch um Produktionsformen des frühzeitlichen Umbaus der Welt handelt.