BDSL-Klassifikation: 17.00.00 20. Jahrhundert (1914-1945) > 17.18.00 Zu einzelnen Autoren
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Diese Miszelle beabsichtigt, durch die Auslegung des Kapitel 62 von Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" den Begriff des 'Essayismus' zu erläutern. Sie erhebt nicht den Anspruch, die nahezu unabsehbare Forschungsliteratur zum Roman zu diskutieren, sondern beschränkt sich bewusst auf die von Musil angedeutete Konzeption.
Musils Drama "Die Schwärmer" ist in der Forschung bisher vergleichsweise stiefmütterlich behandelt worden. Diese Tatsache ist erstaunlich, da Musil es selbst als sein "Hauptwerk" bezeichnet hat. Für das Drama wurde ihm außerdem auf Vorschlag von Alfred Döblin der Kleist-Preis zuerkannt und anspruchsvolle Literaturkritiker besprachen es lobend nach seiner Erstaufführung im Berliner "Theater der Stadt". Freilich düpiert das Drama zunächst die Erwartung an die gattungstypische Handlungsorientierung.
Statt dessen finden sich ausgedehnte philosophische Diskussionen über die Bedingungen von Erkenntnis, über Partnerschaften und über Fragen der Lebensführung. Bianca Cetti Marinoni hat gezeigt, wie wichtig die gedanklich-konzeptionelle Arbeit auch für die Entstehung des Stückes war und es deshalb als "essayistisch" bezeichnet. Erschwerend kommt hinzu, daß die Verhandlungen zwischen den Figuren in einer äußerst dichten Sprache gestaltet sind, in die zahlreiche Metaphern und Vergleiche eingeflochten sind.
Unter den Schweizer Freunden Rilkes ist der Basler Historiker und Diplomat Carl Jacob Burckhardt (1891-1974) eine durchaus bemerkenswerte Gestalt. Die Entwicklung einer Beziehung zwischen dem jungen Mann aus Alt-Basler Familie und dem zunehmend vereinsamenden Prager Dichter zeigt auch der Briefwechsel zwischen beiden, der ganz im Kontext der "Schweizer Freunde" der zwanziger Jahre angesiedelt und zu lesen ist.
Zarathustra in den Tropen : der Text als Spirale der Wiederholung in Nietzsche und Robert Müller
(2010)
Der Einfluss Nietzsches auf die Autoren des Fin-de-Siècle und des so genannten „Expressionistischen Jahrzehnts“ wird unumstritten von der Kritik akzeptiert. Jedoch beschränkt sich diese Einschätzung auch in den jüngsten Abhandlungen (Ester 2001) aufgrund von Thesen aus den 70er Jahren (zum Beispiel die des kanonischen Bandes von Martens von 1971) auf den Parameter des Vitalismus. Die Untersuchungen zur Rezeption Nietzsches in dieser Zeit konzentrieren sich größtenteils auf 'Also sprach Zarathustra' und ignorieren oder unterschätzen somit andere philosophische Texte des Autors. Auf jeden Fall kann man den deutlichen Einfluss Nietzsches auf den deutschsprachigen Modernismus weder auf den 'Zarathustra' und sein vorherrschendes Thema den Übermenschen, noch auf die metaphysische Dimension seiner Philosophie beschränken, ein Umstand, den auch das fiktionale und essayistische Werk des Wiener Autors Robert Müller (1887-1924) musterhaft unter Beweis stellt. 'Der Mythos der Reise. Urkunden eines deutschen Ingenieurs' (1915) ist ein Beispiel für einen essayistischen Roman, der nicht nur direkt von der Philosophie Nietzsches, sondern auch gerade von der jeweiligen begrifflichen und diskursiven Methodologie sowie dem jeweiligen textuellen Konzept profitiert. Es handelt sich damit um Faktoren, die auch unter dem Zeichen des Essayismus gesehen werden müssen.
Zählen seit dem neunzehnten Jahrhundert angesichts einer sich beschleunigt industrialisierenden Gesellschaft die Sphäre der Industriearbeit und die Persona des Proletariats zu den festen Themenbeständen der Literatur, so wird diese Konstitution eines literarischen Diskurses "Arbeitswelt" in der Regel als Teil einer sich etablierenden Arbeiterkultur perspektiviert. [...] Um diesen Fragenkomplex zu erörtern, werde ich zunächst den Status zu klären versuchen, den Brecht der Sphäre der Arbeit und der sozialen Klasse des Proletariats für den gesellschaftlichen Prozess zuschreibt. In einem zweiten Schritt wird es mir darum gehen, die Funktion des Intellektuellen für das Proletariat zu skizzieren, wie Brecht sie in seiner Theaterästhetik programmatisch bestimmt; bevor ich schließlich eine Antwort auf die Frage zu geben versuche, welche Funktion dem Proletariat für die Identitätsbildung des Intellektuellen zukommt – oder besser gesagt: welche Funktion ihm zukam; denn aktuell scheinen die Intellektuellen ihr Interesse an der Arbeitswelt weitgehend eingebüßt zu haben.
Walter Benjamin spricht von 'wolkigen Stellen' in Kafkas Texten, die - stark vereinfacht gesagt - die Abkehr von 'unserer' bekannten, sinnlichen erfassbaren Welt und den Übergang in eine (wieder nach Benjamin) 'obrige' anzeigen. Diese 'wolkigen Stellen', an denen oft Kafkas 'Verwandlungen' stattfinden, sind sprachlich markiert: Hier endet der nach Kafka 'vergleichsweise' Gebrauch der Sprache, die ,empirische‘ Ebene wird verlassen und eine 'parabolische' (nach Fülleborn) erreicht.
Das Thema "Robert Musil und die Photographie", für das Karl Corinos Bildbiographie die Materialbasis bereitstellt, ist nicht nur - dies allerdings auch - von kultur- und mediengeschichtlichem lnteresse, sondern entfaltet auf verschiedenen Reflexionsebenen die grundsätzliche Problematik der Repräsentation. Dabei stellt die Photographie in Musils Werk nicht etwa einen zentralen, systematisch erörterten Themenkomplex dar; im Mann ohne Eigenschaften siedelt sich das Thema eher beiläufig an den Rändern des Textes, in seinen Lücken und Nischen an, von wo aus es allerdings, so möchte ich behaupten, die Mitte des Textes in den Blick nimmt.
Kafkas Romanfragment "Das Schloß" wird üblicherweise nicht mit einem persönlichen Handlungsspielraum oder Emanzipation in Verbindung gebracht. Und doch lohnt es sich, den Roman neu zu betrachten und die Frage zu stellen, ob man sich K. nicht auch als einen glücklichen Menschen vorstellen kann, dem sich durchaus ein Raum für Agency öffnet. Zwar ist die Schlosslandschaft, in der K. sich bewegt, alles andere als frei, und doch wird der Roman durch zahlreiche Ereignisse bestimmt, in denen K. auf eigentümliche Weise frei wirkt. [...] K.s Agency zeigt sich demnach vor allem dann, wenn man sich nicht so sehr auf seine absurde Unfreiheit, sondern eher auf seine absurde Freiheit konzentriert. Dieser Perspektivwechsel soll mit Hilfe des Konzepts des Institutionenromans vorgenommen werden. Es eignet sich nicht nur dazu, K.s Gefangensein auf dem Schlossterritorium zu analysieren, sondern ebenso, seinen geschickten Befreiungskampf in den Blick zu bekommen, indem man das Zusammenspiel von Arbeit und Müßiggang in unterschiedliche institutionelle Kontexte einordnet. K.s Freiheit taucht so in unübersichtlichen Schichtungen und Zusammenhängen auf und K. versteht sie zu nutzen, indem er sich, wie Kant es fordert, mit Entschlossenheit und Mut seines eigenen Verstandes bedient. Aufgrund der Gegenmacht des Schlosses kommt es aber auch zu 'Bedienungsfehlern' des Verstandes. Deshalb erzählt der Roman neben K.s Erfolgen auch von den Widerständen und Rückschlägen beim optimistischen Gebrauch der Kant'schen Aufklärungsformel. Den theoretischen Rahmen meiner Untersuchung bilden Konzepte, welche die Unterdrückung (Campe), Aushebelung (Vogl) und Förderung subjektiver Agency (Rancière) zum Thema haben.
Frühe Leser von Kafkas Erzählung 'In der Strafkolonie' verwarfen ihre schockierende, perverse Offenheit. Wie Hans Beilhack schon 1916 schrieb, sei Kafkas Erzählung sadistisch, und ihr Autor sei ein "Lüstling des Entsetzens". Otto Erich Hesse ging einen Schritt weiter, indem er behauptete, Kafka und seine Leserschaft seien "Ekel erzeugen[de]" sexuelle Scheusale, die "sich an derartigen Quälereien erlustier[en] und aufgeil[en]." Selbst Kafkas Bewunderer fühlten sich verpflichtet, sich von den sexuellen Exzessen zu distanzieren, wie auch von der Beschuldigung, daß sie perverses Vergnügen aus ihr zögen. Kurt Tucholsky, der erste öffentliche Verteidiger der Erzählung, befürchtete, Kafkas Beschreibungen von Nadeln, die einen nackten Körper durchdringen, würden Vergleiche zu den allgemein bekannten sadomasochistischen Schriften des "parfümierten Salonsadisten" Hans Heinz Ewers ziehen. Doch Tucholsky betonte, daß man weder Kafka noch den Protagonisten seiner Erzählung, einen Offizier, korrekterweise als einen "Sadist[en]" bezeichnen könne. Zwar mag der Text einem perverse sexuelle Phantasien ins Gedächtnis rufen, aber das eigentliche Thema von In der Strafkolonie ist politischer Natur: Es geht um die Schilderung eines militärischkolonialen Regimes, das Amok läuft.
Die zweibändige Brecht-Biographie "Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln" des DDR-Germanisten Werner Mittenzwei (1927–2014) gilt bis heute als Standardwerk. Seit ihrem Erscheinen 1986 im Aufbau-Verlag und ein Jahr später im westlichen Suhrkamp Verlag erlebte sie mehrere Auflagen. In der zeitgenössischen bundesrepublikanischen Kritik fand sie ein eher verhaltenes Echo. Das hatte politische und wissenschaftsgeschichtliche Gründe. Mittenzweis Werk, das bis dahin in der DDR Unerhörtes zu Brecht und der marxistischen Intellektuellengeschichte aus den Archiven zutage gefördert und kritisch dargestellt hatte, geriet schnell in den Schatten der von der Sowjetunion ausgehenden radikaleren Umwertungen während der Perestroika- und Glasnost-Politik. Das Echo war aber sicher auch deswegen verhalten, weil Mittenzweis biographische Methode weder traditionellen noch zeitgenössischen Erwartungen - etwa der Diskurstheorie, des Strukturalismus oder der Dekonstruktion - entsprach, denen Kategorien wie Autor und Werk und damit auch das Genre der Biographie überhaupt fragwürdig geworden waren. Liest man dreißig Jahre später Mittenzweis bedeutendstes Werk wieder, so relativieren sich beide Vorwürfe. Heute erscheint das Buch als der nur kurzzeitig mögliche Versuch, Brecht kritisch aus einer Epoche, einer Bewegung heraus zu verstehen, welcher der Biograph selbst noch angehörte.