Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin
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In einer wissenspolitischen Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit gegenwärtiger Realismuskonjunkturen entfaltet Eva Geulen in ihrem exemplarisch kritischen Beitrag hermeneutische "Schwierigkeiten mit Raabes 'Frau Salome'". Um den Text mit seiner Abundanz willkürlicher Allusionen und Wissensreferenzen nicht einfach historistisch aufzulösen, hebt Eva Geulen das auf Goethe rekurrierende Motiv der Haut in seiner doppelten Determinierung durch Natur und Kultur heraus und analysiert es im Hinblick auf seine Konsequenzen innerhalb des literarischen Textes. Dort führt es zu einer Egalisierung der im Text versammelten Exzentriker, ein Befund, der, so die Bilanz der poetologischen Ökonomie Raabes durch Eva Geulen, in keinem vernünftigen Verhältnis zum literarischen Ergebnis steht.
Die "Interjekte" geben Einblicke in die laufende Forschung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ZfL, dokumentieren Vorträge und präsentieren Tagungs- und Workshopergebnisse. Sie erscheinen in loser Folge digital und im Open Access ('Goldener Weg') hier auf der Website des ZfL und sind auch über CompaRe, das Fachrepositorium für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft bei der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, zugänglich. Das ZfL unterstützt damit den freien Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen im Internet. Seit 2018 werden die "Interjekte" von Mona Körte, Georg Toepfer und Daniel Weidner herausgegeben. Alle Beiträge durchlaufen einen internen Begutachtungsprozess und werden sorgfältig redigiert.
Testamente fungieren als Mittler zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie organisieren Memoria und Nachleben, beeinflussen Verwandtschaftsordnungen und bestimmen deren Reproduktion, sie verursachen oder lösen rechtliche, familiale, ökonomische Konflikte. Insofern zählt das Testament zu den wichtigsten kulturellen Formen des geregelten Übergangs von Leben zu Leben, durch den Tod getrennt.
Ulrike Vedders Studie analysiert das Testament im Spannungsfeld von Recht, Ökonomie und Kultur sowie im Zusammenhang mit Konzepten von Erbschaft, Vererbung und Nachleben. Sie entwickelt eine Poetologie des Testaments anhand der Literatur des 19. Jahrhunderts (von Jean Paul, Kleist, E.T.A. Hoffmann, Balzac, Heine, Droste-Hülshoff, Stifter, Melville, Keller, Storm, Fontane, Zola, James u.a.) und erforscht zudem das Testament als eine Form der Übertragung von Eigentum, Dingen, Rechten, Identität, Schuld, Leidenschaften. Als ein Medium für weitreichende - literarische und außerliterarische - Erbe- und Transferprozesse bildet das Testament eine zentrale Figur der kulturellen Tradierung sowie des Austausches zwischen verschiedenen Wissensfeldern, zwischen Literatur, alltäglicher Praxis und Wissenschaften.
Das Aufkommen der Biopolitik als Dispositiv der Moderne beschreibt Michel Foucault als Effekt einer Reihe von Transformationen, verbindet es allerdings an dieser Stelle nicht explizit mit den wissenschaftlichen Entdeckungen Darwins. Die Eingliederung des Menschen in das Kontinuum der lebenden Organismen ist aber eine der bedeutsamsten Konsequenzen von Darwins Theorie von der Abstammung des Menschen. Wenn parallel zu oder auch in Abhängigkeit von dieser Transformation des biologischen Wissens der Mensch als lebendiges Wesen sich auch politisch zu verstehen beginnt, stellt sich dann freilich die Frage, als was er dies tut. Wird dann der Organismus, das Individuum als biologische Entität zugleich zum politischen Subjekt? Und bedeutet dies dann eine Erweiterung des personellen, intellektuellen und vor allem ethischen Subjektbegriffs auf lebende Wesen, die zumindest potenziell die Grenzen des Menschengeschlechts überschreiten? Oder bedeutet diese fundamentale Umwälzung der Biopolitik ganz im Gegenteil eine objektivierende, Politik, Recht und Ethik auf Wissenstechnik einschränkende Verwaltung von lebenden Einheiten, deren Subjektstatus sich auf die Teilbedeutung des Unterworfenseins einengt? Foucaults eigene Rede von der Sorge eines administrativen Apparats um die Lebensvollzüge von Bevölkerungen legt Letzteres nahe. Jedoch bleibt seine grundsätzliche Formel vom Eintritt des Lebendigen in die Sphäre des Politischen und Historischen gegenüber beiden Auslegungen offen.
Alle Menschen sind sterblich; doch was sie verbindet, trennt sie zugleich. Denn der Tod ist zwar gewiss, aber sein Eintreten unbestimmt; nur dass wir sterben werden, ist sicher, nicht wie, wo oder wann. "Mit der Gewißheit des Todes geht die U n b e s t i m m t h e i t seines Wann zusammen", betonte Heidegger im § 52 von 'Sein und Zeit'; und gerade die Differenz zwischen Gewissheit und Unbestimmtheit generiert den Tod als die "eigenste Möglichkeit" des Daseins. Denn wir sterben nicht gemeinsam, sondern allein, in verschiedenen Augenblicken. Selbst Katastrophen oder Unfälle, ja sogar die Todesarten der Liebe - Tristan und Isolde, Romeo und Julia - respektieren eine Reihenfolge. Die mögliche Solidarität der Lebenden gegen den Tod wird also von vornherein durchkreuzt: in der fatalen Evidenz des Überlebens, Spur der Unfähigkeit, den eigenen Tod widerspruchsfrei zu imaginieren. So oft "wir den Versuch dazu machen", beobachtete Freud, ein Jahr nach Beginn des Ersten Weltkriegs, "können wir bemerken, daß wir eigentlich als Zuschauer weiter dabeibleiben." Im Innersten sind wir von unserer Unsterblichkeit überzeugt; folglich können und werden wir länger leben als die Personen an unserer Seite; folglich können und werden wir länger leben als unsere Eltern, Freunde oder Feinde. Schon im Begriff des Überlebens artikuliert sich das Wissen von drohender oder bewältigter Gefahr, aber auch das Wissen vom - manchmal gefürchteten und erlittenen, manchmal gewünschten, ersehnten oder bewirkten - Sterben der anderen. Der Tod ist asymmetrisch und ungerecht, Ausdruck opaker Natur, die das Repertoire kultureller Deutungen und Rituale außerordentlich strapaziert und erweitert, um dennoch das Versprechen einer natürlichen Gleichheit der Sterblichen stets zu blamieren, unabhängig davon, wie viele Verfassungen und Manifeste der Menschenrechte es bekräftigen.
Ich werde zu zeigen versuchen, dass der Begriff 'Überleben' bei Foucault zwar nicht besonders auffallend ist, aber doch immerhin in einer signifikanten Weise verwendet wird, und ich werde argumentieren, dass die von Charles Darwin populär gemachte Spencersche Wendung 'survival of the fittest', die das Leben und Überleben-Wollen im Register der Biologie und damit im kalten Licht eines genealogisch-evolutionären Denkens bezeichnet - ich werde sie kurz diskutieren -, auch Foucaults Begriffsverwendung formatierte: Als ein kleiner, ambivalenter Index am Rand seiner Texte, der zum einen auf Theorien verweist, die Foucault als "Bio-Politik" kritisierte, der zum anderen aber die "kalte" Systematik der Diskursanalyse und ihre stille Verwandtschaft mit Theorien der Lebenswissenschaften anzeigt. In jedem Fall aber bezog Foucaults Begriffsverwendung sich auf einen Denkhorizont, der von Darwins schillerndem 'catchword' eröffnet wurde.
Philosophieren heißt überleben lernen. Ursprünglich schien das Gegenteil der Fall. Bei den Stoikern hieß philosophieren sterben lernen. Doch auch sterben lernen hieß natürlich überleben lernen. Die stoische Einübung in den Tod war letztlich eine Entmächtigungsstrategie, mit der die überwältigenden täglichen Ängste in Bann gehalten werden sollten - eine elitäre, weil intellektuelle Strategie, denn sie setzte darauf, - vermeintliche - Fehlurteile zu entlarven. Wer sich vor dem Sterben fürchtet, erliegt, so die Logik dieser Philosophie, nur einer falschen Einschätzung dessen, was wirklich furchtbar und fürchtenswert ist. Hans Blumenberg hat das Ensemble der Mächte, die uns in Furcht schlagen, unter den Sammelbegriff eines "Absolutismus der Wirklichkeit" gebracht. Damit meinte er schon die archaische Situation, in der "der Mensch die Bedingungen seiner Existenz annähernd nicht in der Hand hatte und, was wichtiger ist, schlechthin nicht in seiner Hand glaubte. Er mag sich früher oder später diesen Sachverhalt der Übermächtigkeit des jeweils Anderen durch die Annahme von Übermächten gedeutet haben." Es geht dabei um die Umwandlung von Angst in Furcht, also von einem unspezifischen Ohnmachtsgefühl angesichts der Vielzahl von Bedrohungen, die oft auch nicht versteh- und erklärbar sind, in eine durchschaubare Macht, der das Übel zugeschrieben und die so auch ein Stück weit gebannt werden kann. Auch wenn der Mensch keine Waffe gegen die wirkliche Gefahr in Händen hält, so glaubt er es doch zumindest und wird durch diese Waffe handlungs- und überlebensfähig - ein, wenn man so will, narratives Placebo. Vorgeschobene imaginative Instanzen sind für Blumenberg, was der Lebensangst abhilft.
Auch wenn die Zukunft dem Menschen nicht bekannt ist, gehört sie zu den Aspekten, die den Horizont für Bildung ausmachen. Kinder und Jugendliche sollen sich so bilden, dass sie zukunftsfähig werden. Selbst wenn sich nicht genau angeben lässt, was zu einer zukunftsfähigen Bildung gehört, besteht kein Zweifel darüber, dass Frieden, Umgang mit kultureller Diversität und Nachhaltigkeit zu 'den' Bedingungen zukunftsfähiger Bildung gehören. Alle drei Bereiche sind miteinander verschränkt. Wenn Fragen des Friedens bearbeitet werden, spielen Probleme der kulturellen Vielfalt und der Nachhaltigkeit eine Rolle. Eine Erziehung zur Nachhaltigkeit ist ohne Berücksichtigung kultureller Vielfalt und sozialer Gerechtigkeit nicht möglich. Dass alle drei Aufgabenfelder von höchster Aktualität sind, ist offensichtlich. Es gilt eine 'Kultur des Friedens, der kulturellen Vielfalt' und 'der Nachhaltigkeit' zu entwickeln. Damit sind grundlegende gesellschaftliche Veränderungen impliziert, bei deren Realisierung dem Bereich der Erziehung und Bildung und insbesondere der Schule eine wichtige Aufgabe zukommt. Im Weiteren möchte ich drei zentrale Aufgabenfelder einer zukunftsfähigen Bildung skizzieren. Dabei werde ich zunächst bei meinen Ausführungen zur Friedenserziehung auf Diskussionen zurückgreifen, die in den 1970er Jahren begonnen wurden, aber bis heute nichts an Aktualität verloren haben.
Im Folgenden möchte ich Aspekte der Dynamik des Überlebensbegriffs anhand der Untersuchung einiger kultureller Stränge verfolgen, die sich in der westdeutschen Survival-Bewegung der 1980er Jahre kreuzen. Da es keine umfassende Darstellung und auch keine akademische Literatur zum Thema gibt, möchte ich vor allem einen ersten Versuch der Eingrenzung und Lesart der Survival-Bewegung vorschlagen und untersuchen, welcher Überlebensbegriff hier zum Tragen kommt.
Paul Baran, 1926 in Polen geboren, als Zweijähriger in die USA gekommen, hatte nach Abschluss seines Studiums Ende der 1940er Jahre bereits Erfahrung in der Entwicklung des ersten kommerziellen Computers UNIVC gemacht. 1959 trat Baran in den Dienst der RAND Corporation und war mit der Beforschung von Konzepten der Dezentralisierung von Kommunikationsnetzwerken betraut. "On Distributed Communications Networks" stellte das erste Ergebnis seiner Arbeit dar und erschien in der Reihe der Arbeitspapiere des RAND. Obwohl 1962 Computer gerade erst zwanzig Jahre existierten, extrem teuer waren, raumfüllende Ausmaße hatten und ihre Vernetzung exotische Technologie darstellte, kulminiert Barans Konzept bereits in der visionären Frage: "Is it time now to start thinking about a new and possibly non-existant public utility, a common user digital data communication plant designed specifically for the transmission of digital data among a large set of subscribers?"