Vom ersten zum letzten Mann : Murnaus Porträt einer Arbeitsgesellschaft
- Paralysiert starrt er ins Nichts. Gestern noch war er stolzer Portier eines Berliner Grandhotels; heute wird er aufgrund seiner Altersschwäche zum Toilettenwärter degradiert. Während der Protagonist aus Friedrich Wilhelm Murnaus 'Der letzte Mann' (1924) sein Schicksal noch gar nicht fassen, sich gefangen im Schock noch gar nicht regen kann, macht sich ein junger Mitarbeiter bereits daran, ihm die Portiersuniform auszuziehen. Dieser eigentlich simple Akt der Entkleidung erfährt durch seine filmische Inszenierung eine enorm starke semantische Aufladung: Zum einen wird die hier zivile Uniform, die den Namenlosen als Teil einer gesellschaftlich angesehenen Berufsgruppe ausweist, zum Symbol für die Arbeit selbst; das heißt, die Uniform ist (entsprechend ihres Bedeutungswandels, der sich zwischen dem 18. und dem frühen 20. Jahrhundert aufgrund der Reorganisierungen der Staats- und Gesellschaftsformen vollzog) weniger Verweis auf etwaige militärische Motive als vielmehr Medium zur Kommunikation all dessen, was sich mit der professionellen Position verbindet, wie Status, Modernität, Männlichkeit. Zum anderen erscheint sie in Anbetracht der langwierigen, schmerzvoll anmutenden Prozedur, die es erfordert, sie abzunehmen, wie eine zweite Haut, die dem Mann abgezogen werden muss. Im übertragenen Sinne veranschaulicht der Film damit genau jenes Problemfeld, das Wolfgang Engler in seiner 2005 erschienenen Schrift 'Bürger, ohne Arbeit' mit folgender Frage umreißt: "Was bleibt vom 'Menschen', wenn man die 'Arbeit' von ihm abzieht?" Es ist eine entscheidende Frage, wenn man bedenkt, dass die moderne Gesellschaft sich, um die prominente These Hannah Arendts aufzugreifen, im Ganzen zu einer Arbeitsgesellschaft entwickelt hat. Längst wird die Arbeit nicht mehr nur im notwendigen Zusammenhang mit der materiellen Basis gesehen, sondern darüber hinaus als bedeutende Variable im Prozess der sozialen Integration sowie Identifikation begriffen.
Author: | Judith Wimmer |
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URN: | urn:nbn:de:hebis:30:3-493663 |
URL: | http://www.passagen.at/cms/index.php?id=293 |
ISSN: | 0043-2199 |
ISSN: | 2510-7291 |
Parent Title (German): | Weimarer Beiträge : Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften |
Publisher: | Passagen Verlag |
Place of publication: | Wien |
Document Type: | Article |
Language: | German |
Year of Completion: | 2019 |
Year of first Publication: | 2013 |
Publishing Institution: | Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg |
Contributing Corporation: | Klassik Stiftung Weimar |
Release Date: | 2019/07/09 |
GND Keyword: | Murnau, Friedrich Wilhelm; Der letzte Mann; Industriegesellschaft <Motiv>; Sozialer Abstieg; Stummfilm; Expressionismus |
Volume: | 59 |
Issue: | 1 |
Page Number: | 10 |
First Page: | 55 |
Last Page: | 64 |
HeBIS-PPN: | 452218721 |
7 Künste und Unterhaltung / 79 Sport, Spiele, Unterhaltung / 791 Öffentliche Darbietungen, Film, Rundfunk | |
8 Literatur / 83 Deutsche und verwandte Literaturen / 830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur | |
Sammlungen: | Germanistik / GiNDok |
CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft | |
Sammlung Musik, Theater, Film / Literatur zum Film | |
Germanistik / GiNDok / Passagen Verlag | |
Zeitschriften / Jahresberichte: | Weimarer Beiträge / Weimarer Beiträge 59.2013 |
: | urn:nbn:de:hebis:30:3-493615 |
Licence (German): | Deutsches Urheberrecht |