"Lebensvollendung" : von den Goethe-Lektüren des frühen 20. Jahrhunderts zur Entstehung der Gerontologie
- Alexander Schwieren untersucht die Bedeutung Goethes für die im frühen 20. Jahrhundert sich formierende Gerontologie. Zwar habe deren eigentlicher Gründungsvater Hans Thomae seine Disziplin ab den 1960er Jahren auf eine Wissenschaftsanmutung verpflichtet, die auf literarische und künstlerische Bezugnahmen zusehends verzichten musste, doch wirke die zentrale Rolle, die v. a. Goethes Alterswerk in der Vorgeschichte der Gerontologie gespielt habe, bis heute nach. So lasse sich in den Schriften Eduard Sprangers - vermittelt wesentlich über Dilthey - der Versuch beobachten, den späten Goethe unter entwicklungspsychologischem (und nicht etwa unter biologischem) Gesichtspunkt als einen Autor auszuweisen, der an seiner eigenen Vollendung im Alter gescheitert sei. Spranger weist dies an den Perspektiv- und Standortwechseln insbesondere von Wilhelm Meisters Wanderjahre nach, die in den Augen Schwierens wichtige Erkenntnisse der Narratologie vorwegnehmen, die Spranger selbst jedoch konsequent als entwicklungsbedingte Kompositionsschwäche begreift. Georg Simmels bekannte Gegenposition, die kategorische ästhetische Aufwertung des Goethe'schen Alterswerks, festige ebenfalls einen Diskurs, der das Alter als Entwicklungsstadium eigenen Rechts betrachte. Die Divergenz zwischen biologischer und psychologischer 'Lebenskurve', wie sie etwa in Charlotte Bühlers Unterscheidung zwischen 'Verenden' und 'Vollenden' manifest werde und wie sie auch Erich Rothackers Überlegungen zum Alter grundiere, habe die Gerontologie anfangs bewusst, später oft unbewusst oder gar uneingestanden unter dem Rückgriff auf ihre Lektüre des späten Goethe formuliert. V. a. die Vorstellung, dass das Alter ›scheitern‹ könne und dass es eine genuine 'Aufgabe' darstelle, wäre Schwieren zufolge ohne die gerontologische Beschäftigung mit Goethes Spätwerk in den 1920er und 30er Jahren kaum denkbar gewesen.
Author: | Alexander Schwieren |
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URN: | urn:nbn:de:hebis:30:3-528044 |
ISBN: | 978-3-86599-349-6 |
Parent Title (German): | Goethe um 1900 / Claude Haas, Johannes Sterzinger, Daniel Weidner (Hg.) ; LiteraturForschung ; 32 |
Publisher: | Kulturverlag Kadmos |
Place of publication: | Berlin |
Document Type: | Part of a Book |
Language: | German |
Date of Publication (online): | 2020/01/15 |
Year of first Publication: | 2017 |
Publishing Institution: | Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg |
Release Date: | 2020/01/20 |
GND Keyword: | Goethe, Johann Wolfgang von; Rezeption; Gerontologie; Spranger, Eduard; Simmel, Georg; Buhler, Charlotte Malachowski; Rothacker, Erich |
Page Number: | 21 |
First Page: | 140 |
Last Page: | 159 |
HeBIS-PPN: | 458880795 |
Dewey Decimal Classification: | 8 Literatur / 80 Literatur, Rhetorik, Literaturwissenschaft / 800 Literatur und Rhetorik |
8 Literatur / 83 Deutsche und verwandte Literaturen / 830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur | |
Sammlungen: | Germanistik / GiNDok |
CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft | |
CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin | |
BDSL-Klassifikation: | 13.00.00 Goethezeit / BDSL-Klassifikation: 13.00.00 Goethezeit > 13.14.00 Zu einzelnen Autoren |
Licence (German): | Deutsches Urheberrecht |