Verborgene Künstlerkonzepte in Kafkas Romanfragment "Der Verschollene"
- Am 23. September 1912 - Kafka hatte die Nacht zuvor "Das Urteil" zu Papier gebracht - kommentiert er seinen literarischen Durchbruch emphatisch: "Wie alles gewagt werden kann, wie für alle, für die fremdesten Einfälle ein großes Feuer bereitet ist, in dem sie vergehn und auferstehn." Das Schreiben als Schmelztiegel, als alchimistische Läuterung der unterschiedlichsten Traditionen - das bietet ein etwas anderes Bild, als es lange Zeit von der Forschung favorisiert wurde; die las Kafka mit Vorliebe voraussetzungslos, als Neuanfang, als Sonderfall, der sich keiner Epoche zuordnen lasse. Tatsächlich aber können gerade in den frühen Texten Kafkas, die, wie das Tagebuch belegt, während intensiver Auseinandersetzung mit den Werken von Dickens, Goethe und Kleist entstanden sind, Spuren literarischer Diskurse, Zitate und Anspielungen gesichert werden. Diese Zitationen aber sind vor allem auf ein poetologisches Interesse Kafkas zurückzuführen und beziehen sich bevorzugt auf traditionelle Künstlerkonzepte und -biographien. Es sind im "Verschollenen" zwei Traditionslinien, die den Text über das amerikanische Exil palimpsestisch grundieren: Zum einen werden biographische Details von Autoren eingearbeitet, insbesondere von Goethe und dem Freiheitskämpfer und Dichter Körner, so daß das frühe Fragment Kafkas als versteckte Künstlerbiographie gelesen werden kann. Karl ist ein Künstler, obgleich, oberflächlich betrachtet, seine Kunstbemühungen banalisiert oder sogar dementiert werden - er spielt Soldatenliedchen, er will nicht Schauspieler werden, sondern technischer Arbeiter. Die andere Traditionslinie, die ebenfalls im Zeichen einer Künstlerinitiation eingearbeitet wird, ist eine mythologische; in Kafkas Romanfragment werden Mythen wie die des Prometheus und des Musenpferdes Pegasos aufgenommen, zu ironischen Details verdichtet.
Author: | Franziska Schößler |
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URN: | urn:nbn:de:hebis:30:3-487359 |
URL: | http://hofmannsthal.de/?page_id=200 |
ISBN: | 3-7930-9183-X |
ISSN: | 0946-4018 |
ISSN: | 2510-7305 |
Parent Title (German): | Hofmannsthal : Jahrbuch ; zur europäischen Moderne ; im Auftr. der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft hrsg |
Publisher: | Rombach Verlag |
Place of publication: | Freiburg |
Document Type: | Article |
Language: | German |
Year of Completion: | 2019 |
Year of first Publication: | 1998 |
Publishing Institution: | Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg |
Release Date: | 2019/06/27 |
Tag: | Romanfragment |
GND Keyword: | Kafka, Franz; Der Verschollene; Fragment |
Volume: | 6 |
Page Number: | 25 |
First Page: | 281 |
Last Page: | 305 |
HeBIS-PPN: | 450638502 |
Dewey Decimal Classification: | 8 Literatur / 83 Deutsche und verwandte Literaturen / 830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur |
Sammlungen: | Germanistik / GiNDok |
Germanistik / GiNDok / Rombach Verlag | |
Germanistik / GiNDok / Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft | |
BDSL-Klassifikation: | 17.00.00 20. Jahrhundert (1914-1945) / BDSL-Klassifikation: 17.00.00 20. Jahrhundert (1914-1945) > 17.18.00 Zu einzelnen Autoren |
Zeitschriften / Jahresberichte: | Hofmannsthal : Jahrbuch / Hofmannsthal 6.1998 |
: | urn:nbn:de:hebis:30:3-487265 |
Licence (German): | Deutsches Urheberrecht |