Stadienabhängiges Ausmaß der Lymphknotenmetastasierung und Lymphknotendissektion beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom : Änderungen durch die neue TNM-Klassifikation

  • Obwohl über die totale Thyreoidektomie als Therapie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms in der internationalen Fachliteratur weitgehend Einigkeit herrscht, wird das Ausmaß der Lymphknotendissektion weiterhin sehr kontrovers diskutiert. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie empfehlen die grundsätzliche zentrale Lymphknotendissektion sowie eine zusätzliche laterale oder mediastinale Lymphadenektomie bei klinischem oder makroskopischem Verdacht auf Lymphknotenmetastasen. Diese Empfehlung gilt weitestgehend unabhängig vom histologischen Tumortyp sowie von der Tumorgröße und -ausdehnung. Speziell für das differenzierte Schilddrüsenkarzinom bedeutet dies, dass die Empfehlungen für das papilläre und das follikuläre Malignom sich nicht unterscheiden, obwohl ein unterschiedlicher Metastasierungsweg – das papilläre Karzinom metastasiert vorwiegend lymphogen, während beim follikuären Tumor die hämatogene Metastasierung vorherrscht – seit langem nachgewiesen ist. Die Wertigkeit regionärer Lymphknotenmetastasen und der Lymphadenektomie ist beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom im Hinblick auf die Gesamtprognose nicht eindeutig geklärt. In einigen internationalen Studien an großen Patientenkollektiven konnte eine Abhängigkeit der Gesamtprognose von dem Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen und auch von der Durchführung einer grundsätzlichen Lymphadenektomie nachgewiesen werden, in anderen Studien ließ sich wiederum kein Einfluss errechnen. Demgegenüber ist jedoch der Einfluss von Lymphknotenmetastasen und einer Lymphadenektomie auf die Rezidivrate vor allem beim papillären Karzinom in den meisten internationalen Arbeiten bestätigt worden. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Lympknotenmetastasen okkult auftritt, d.h. selbst intraoperativ makroskopisch nicht festzustellen ist. Dies ließ sich auch anhand der eigenen Daten eindrucksvoll bestätigen. Die Wertigkeit einer ausgedehnteren Lymphknotendissektion ist also insbesondere beim papillären Karzinom weitgehend unumstritten, da erstens nur so auch okkulte Lymphknotenmetastasen erfasst werden und zweitens die Rezidivhäufigkeit gesenkt werden kann. Außerdem konnte am eigenen Krankengut beim papillären Karzinom eine signifikant häufigere und ausgedehntere Lymphknotenmetastasierung nachgewiesen werden als beim follikulären Karzinom, so dass ein unterschiedliches Ausmaß der Lymphadenektomie bei den unterschiedlichen differenzierten Schilddrüsenmalignomen zu fordern ist. Während beim follikulären Karzinom Lymphknotenmetastasen seltener und – nach der TNM-Klassifikation der UICC von 1997 – erst ab dem Stadium pT2 auftraten (dies galt auch nach der neuen TNM-Klassifikaton der UICC von 2002) und auf die ipsilateralen Kompartimente beschränkt waren, fanden sich beim papillären Tumor Lymphknotenmetastasen in allen pT-Stadien sowohl ipsi- als auch kontralateral. Daraus ist zu folgern, dass beim follikulären Tumor eine prophylaktische Lymphknotendissektion erst ab dem Stadium pT2 erfolgen muß und auf die ipsilateralen Kompartimente beschränkt werden kann, während beim papillären Karzinom grundsätzlich eine ipsilaterale modifiziert-radikale Neckdissektion sowie eine systematische zentrale kontralaterale Lymphknotendissektion zu fordern ist. Eine Abhängigkeit der Rezidivrate von der Durchführung einer grundsätzlichen zumindest ipsilateralen modifiziert-radikalen Neckdissektion konnte zwar am eigenen Krankengut aufgrund der Einschlusskriterien nicht untersucht werden, allerdings trat im Gegensatz zu anderen Studien an Daten von Patienten ohne Lymphknotendissektion bei einer Nachbeobachtungszeit von im Median 63 Monaten in nur einem Fall (0,8%) ein Lokalrezidiv auf, so dass hier die Rezidivrate betreffend von einem Benefit auszugehen ist. Des Weiteren konnte anhand des eigenen Krankengutes nachgewiesen werden, dass selbst „minimal organüberschreitendes“ Primärtumorwachstum – gemeint ist eine Infiltration des perithyreoidalen Weichgewebes bzw. der geraden Halsmuskulatur – bei gleicher Primärtumorgröße die Häufigkeit einer Lymphknotenmetastasierung beim papillären Karzinom signifikant erhöht. Leider wird durch die aktuelle TNM-Klassifikation der UICC von 2002 dieser Aspekt nicht berücksichtigt, im Stadium pT3 werden nach aktueller Klassifikation Tumoren mit und ohne organüberschreitendes Wachstum zusammengefasst. Ein weiterer Nachteil der neuen TNM-Klassifikaton gegenüber der Klassifikation von 1997 ist die Tatsache, dass nun zwar eine Dissektion von mindestens 6 Lymphknoten zur Einteilung in die Stadien pN0 oder pN1 gefordert wird, bei einer Lymphknotendissektion von weniger Lymphknoten aber eine Einteilung in das Stadium pN0 „erlaubt“ bzw. empfohlen wird. Dies birgt die Gefahr, dass Patienten mit Lymphknotenmetastasen nicht erkannt und falsch pN0 klassifiziert werden, was sicherlich einer ernsthaften wissenschaftlichen Aufarbeitung gerade des Risikos von regionären Tumorrezidiven nicht zuträglich ist. Sicherlich sind zur weiteren Untersuchung der Abhängigkeit der Gesamtprognose und der Rezidivrate von dem Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen und der Durchführung einer stadienabhängigen systematischen kompartimentorientierten Lymphadenektomie beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom prospektive multizentrische Studien mit einem deutlich längeren Nachbeobachtungszeitraum von mindestens 20 Jahren erforderlich. Allerdings lässt die vorliegende Untersuchung folgende Schlussfolgerungen zu: 1. Das Ausmaß der Lymphknotenmetastasierung ist beim follikulären und papillären Schilddrüsenkarzinom unterschiedlich, Lymphknotenmetastasen kommen beim papillären Karzinom signifikant häufiger und signifikant ausgedehnter vor als beim follikulären Tumor. 2. Eine grundsätzliche stadien- und kompartimentorientierte systematische Lymphadenektomie ist zumindest am spezialisierten Zentrum risikoarm durchführbar und scheint das Risiko von Lokalrezidiven zu senken. 3. „Minimal organüberschreitendes“ Wachstum erhöht das Risiko einer Lymphknotenmetastasierung signifikant, somit ist eine Zusammenfassung von organüberschreitenden und auf die Schilddrüse begrenzten Tumoren in einem pT-Stadium nicht sinnvoll.
  • Although thyroidectomy is the established standard therapy for thyroid cancer, the extent of lymphadenectomy is still discussed controversially. The guidelines of the „ Deutsche Gesellschaft für Chirurgie“ recommend a central lymph node dissection as the principle therapy and an additional lateral or mediastinal lymph node dissection in case of clinical or macroscopic suspicion of lymph node metastasis. This therapy is recommended independently of the size, extent and histological type of the primary tumour. The metastatic invasion of the papillary carcinoma concerns primarily the regional lymph nodes while the follicular carcinoma spreads predominantly hematogenious. However, it has not yet been proven, whether regional lymph node metastasis and lymphadenectomy influence the survival. Although studies with high numbers of patients have been conducted, only some of them showed a better prognosis in patients with lymph node dissection, other studies could not prove this correlation. Concordant all international studies showed a lower relapse rate especially for the papillary carcinoma if a systematic lymph node dissection was performed. Moreover there is a large proportion of occult lymph node metastasis in differentiated thyroid cancer. This could also be confirmed on the basis of our own data. For papillary cancer a more extended lymph node dissection is still discussed, because this is the only possibility to detect occult metastases and therefore to lower the relapse rate. Our study found a significant increase in the extent and frequency in the occurence of lymph node metastasis in papillary than in follicular thyroid carcinoma. Based on these findings we concludet hat the extent of lymph node dissection for the papillary and follicular tumour has to be different. In follicular thyroid cancer lymph node metastases occurred more rarely, only ipsilateral and – according to the TNM-classification of the UICC of 1997 and 2002 – only in stage pT2 to pT4. In papillary carcinoma lymph node metastases were found in all TNM-stages ipsilateral and contralateral. A lymph node dissection in follicular thyroid tumour has to be done only in TNMstages pT2 to pT4 and can be limited to the ipsilateral compartments. In papillary carcinoma a lymph node dissection should be performed in all TNM-stages and should include the ipsilateral and contralateral compartments. A dependency of an at least ipsilateral modified radical neck dissection on the relapse rate could not be proved in this study due to the inclusion criteria. In our patients only one relapse was found, all patients underwent at least an ipsilateral lymph node dissection with a median follow up of 63 months. Other studies without prophylactic lymph node dissection showed a higher relapse rate of the tumour. Based on these findings a lymph node dissection can be assumed to be beneficial. Our series showed, that already minimal extrathyroid extension – infiltration of the sternothyroid muscle or perithyroid soft tissue – significantly increases the rate of lymph node metastases in papillary tumours of the same size. Unfortunately the new TNM-classification of 2002 does not consider this aspect. Tumours of all size with minimal extrathyroid extension and tumours larger than 4 cm without extrathyroid extension are summarized in stage pT3. Prospective randomized studies on large collectives with a minimum follow up of 20 years are necessary to investigate the correlation of lymph node metastasis or a systematic lymph node dissection with the survival and relapse rate. Nevertheless the following conclusions can be drawn by the present study: 1. The extent of lymph node metastasis is different in papillary and follicular thyroid cancer – the extent and frequency in which lymph node metastasis occurs in papillary carcinoma is significantly higher than in follicular carcinoma. 2. A pT-stage- and compartment-oriented systematic lymph node dissection is feasible with a low risk at least at a specialized centre and seems to lower the relapse rate. 3. Minimal extrathyroid extension significantly increases the risk of lymph node metastasis. Based on this a combination of tumours with and without minimal extrathyroid extension in one pT-stage is not recommended.

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Metadaten
Author:Robert Heinrich Lienenlüke
URN:urn:nbn:de:hebis:30-39634
Place of publication:Frankfurt am Main
Referee:Arnulf R. Wahl, Frank GrünwaldGND
Advisor:Arnulf R. Wahl
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2007/04/02
Year of first Publication:2006
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2007/01/17
Release Date:2007/04/02
Page Number:101
First Page:1
Last Page:99
Note:
Diese Dissertation steht leider (aus urheberrechtlichen Gründen) nicht im Volltext im WWW zur Verfügung, die CD-ROM kann (auch über Fernleihe) bei der UB Frankfurt am Main ausgeliehen werden.

Vorliegende Arbeit wurde in Auszügen in dem Publikationsorgan “Langenbecks Archives of Surgery“ veröffentlicht.
HeBIS-PPN:334084539
Institutes:Medizin / Medizin
Dewey Decimal Classification:6 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 61 Medizin und Gesundheit / 610 Medizin und Gesundheit
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