Vom heiligen Ernst zum organisierten Gelächter : über Antisemitismus bei Fassbinder, Handke und Walser

  • Um die Vorwürfe zu entkräften, die gegen sein Stück Der Müll, die Stadt und der Tod erhoben wurden, gab Rainer Werner Fassbinder folgende Inhaltsangabe: "Die Stadt läßt die vermeintlich notwendige Dreckarbeit von einem, und das ist besonders infam, tabuisierten Juden tun, und die Juden sind seit 1945 in Deutschland tabuisiert, was am Ende zurückschlagen muß, denn Tabus, darüber sind sich doch wohl alle einig, führen dazu, daß das Tabuisierte, Dunkle, Geheimnisvolle Angst macht und endlich Gegner findet." Fassbinder äußert sich hier, als hätte er ein Stück im Stil von Brechts Rund­ und Spitzköpfen geschrieben. Doch gerade er hat dem Dunklen, Geheimnisvollen, Angstmachenden, das er vom Tabu ausgehen sieht, selbständige Gestalt erst gegeben, als er die Figur des "reichen Juden" in den Mittelpunkt seines Stücks rückte. "Dieser Jude", sagt Fassbinder, "ist reich, ist Häusermakler, trägt dazu bei, die Städte zuungunsten der Menschen zu verändern; er führt aber letztlich doch nur Dinge aus, die von anderen zwar konzipiert wurden, aber deren Verwirklichung man konsequent einem überläßt, der durch Tabuisierung unangreifbar scheint." Während die anderen, die Mächtigen der Stadtverwaltung, mit der "Dreckarbeit" jeweils einen Zweck verfolgen, führt der Jude sie um ihrer selbst willen aus. Davon handeln seine Monologe: "Es muß mir egal sein, ob Kinder weinen, ob Alte, Gebrechliche leiden. Es muß mir egal sein. Und das Wutgeheul mancher, das überhör ich ganz einfach. Was soll ich auch sonst. [...] Soll meine Seele geradestehen für die Beschlüsse anderer, die ich nur ausführe mit dem Profit, den ich brauche, um mir das leisten zu können, was ich brauche. Was brauch ich? Brauche, brauche – seltsam, wenn man ein Wort ganz oft sagt, verliert es den Sinn, den es ohnehin nur zufällig hat. Die Stadt braucht den skrupellosen Geschäftsmann, der ihr ermöglicht sich zu verändern. Sie hat ihn gefälligst zu schützen." (S. 681). ...
Metadaten
Author:Gerhard ScheitGND
URN:urn:nbn:de:hebis:30-1116052
Document Type:Report
Language:German
Year of Completion:2006
Year of first Publication:2006
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Release Date:2008/11/25
GND Keyword:Handke, Peter; Fassbinder, Rainer Werner; Walser, Martin; Antisemitismus
Page Number:13
First Page:1
Last Page:13
Note:
Der Beitrag basiert auf: Verborgener Staat, lebendiges Geld : zur Dramaturgie des Antisemitismus / Gerhard Scheit, Freiburg (Breisgau) : Ça Ira, 1999, ISBN: 978-3-924627-63-8, ISBN: 3-924627-63-0, sowie dem Essay "Realismus zum Tode" aus: Jargon der Demokratie : über den neuen Behemoth / Gerherd Scheit, Freiburg [Breisgau] : Ça-Ira-Verl., 2006, ISBN: 978-3-924627-95-9, ISBN: 3-924627-95-9, S. 173ff.
HeBIS-PPN:210296941
Institutes:keine Angabe Fachbereich / Extern
Dewey Decimal Classification:8 Literatur / 83 Deutsche und verwandte Literaturen / 830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
Sammlungen:Germanistik / GiNDok
BDSL-Klassifikation:18.00.00 20. Jahrhundert (1945-1989) / BDSL-Klassifikation: 18.00.00 20. Jahrhundert (1945-1989) > 18.14.00 Zu einzelnen Autoren
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