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Im Vorwort zum Rotteck-Welckerschen Staatslexikon hielt der bekannte liberale Staatsrechtler Carl von Rotteck 1834 ein flammendes Plädoyer für den Wert politischer Bildung. Oberstes Ziel müsse es sein, die Menschen in den Stand zu setzen, die Rechte und Pflichten wahrzunehmen, die ihnen als "active Bürger eines constitutionellen Staates oder überhaupt als mündige [...] Bürger eines Rechtsstaates" zustünden. Die Synthese von Erziehung und Demokratie, die bis heute zum Katechismus des braven Republikaners zählt, hat hier im politischen Denken des deutschen Vormärz ihren Ursprung. Während aber Liberale wie Rotteck vor allem für die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien und die Einübung bestimmter sozialer Tugenden auf dem Boden der konstitutionellen Monarchie warben, waren es in dieser Zeit vor allem demokratische Denker und Publizisten, die in volkspädagogischen Bemühungen einen Weg erkannten, das "gelobte Land" der Demokratie und damit eine komplette Systemalternative zu erschaffen.
Exemplarisch für diese Richtung untersucht Katharina Schneider in ihrer lesenswerten Dissertation eine besonders spannende Intellektuellengruppe deutscher Exilanten in der Schweiz, die 1840 in Zürich den politischen Emigrantenverlag "Literarisches Comptoir" gründeten und aus dem benachbarten Ausland versuchten, publizistisch auf die politische Lage in Deutschland einzuwirken.
Saint-Simon sprach von der Organisation der Gesellschaft nach Maßgabe der Fähigkeiten ihrer Teilnehmer. Die Leitidee des "Chacun selon ses capacités" verspricht nicht Gleichförmigkeit, sondern Konstanz der Organisationsstruktur. Feudales Erbe und der vorherbestimmte Platz in der Welt sollten ersetzt werden durch komplementäre Kompetenzausübung. Gleichwohl orientierte sich die Freiheitshoffnung, die in der gerechten Ordnungsstruktur lag, wieder vertikal - das Ende der Netzmetapher, des Gewebes der Gleichheit. Die Autorin von Heinrich Heine und der Saint-Simonismus (1830-1835), Nina Bodenheimer, betont zu Recht, dass dieser Aspekt von großer Wichtigkeit ist. Sie geht mit der vergleichend angelegten Studie über das hinaus, was in im weiten Sinne kulturwissenschaftlichen Arbeiten gemeinhin geleistet wird. Die Kapiteleinteilung lautet: Heine und der Globe / Saint-Simonismus und Idealismus / Die Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Damit erfolgt die Präsentation vermittelt durch die Darstellung symbolischer Medien. Die saint-simonistische Zeitschrift zeigt Heine als Akteur im Literaturmarkt, nicht als ferne Dichterfigur zwischen den Sprechweisen von Ironie und Prophetie. Bodenheimers Studie betont die nachweisbaren Daten.
Die Bezeichnung 'Unglaubensgenosse' geht auf Heinrich Heine zurück; sie bildet den plastischen Ausdruck für eine Tendenz in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts, der die Autorin in ihrer Erfurter Dissertation nachspürt. Sie tut das nicht, indem sie etwa die behandelten Texte in das Säkularisierungsparadigma einzuordnen und damit die Säkularisierungsthese wiederzubeleben versuchte, die mit der Wiederkehr der Religion in den letzten Jahrzehnten als "Großtheorie der Moderne" abgedankt hat. Fritz verwendet statt dessen den von Charles Taylor und Hans Joas geprägten, wesentlich bescheideneren Terminus säkulare Option und meint damit die ab etwa 1800 "innerhalb vielschichtiger poetologischer Netze erzählbar" werdende "Möglichkeit, nicht zu glauben": 'Wir Unglaubensgenossen' möchte damit einerseits einen Beitrag zur Untersuchung säkularer Tendenzen und andererseits textueller Verfahren und narrativer Strukturen in diesem thematologischen Umfeld leisten. Ihr Ziel hat die Untersuchung erreicht, wenn sie die kontingente Genese der säkularen Option als literarisches Thema sichtbar macht, das in Wechselwirkungen mit gesellschaftlichen Entwicklungen steht; und wenn sich spezifische Textverfahren und poetologische Charakteristika des 'Unglaubens' herausarbeiten lassen, die die poetologische Dimension der literarischen Fassung der säkularen Option ausmachen. Dabei folgt sie recht unkritisch Joas' These von den drei Säkularisierungsschüben (1791-1803 vor allem in Frankreich; 1848-1880 in Deutschland; 1969-1973 in Westeuropa) und beschränkt sich bei der Auswahl ihrer Texte und Autoren auf die ersten beiden Phasen.
"So rezensieren ist viel schwerer als man - das heißt als ich - es gedacht habe", heißt es im Brief Fanny Lewalds an Adolf Stahr vom 15. Februar 1849 aus Berlin nach Oldenburg, wobei sie sich auf ihre Beschäftigung mit Bettina von Arnims, ihrer Berliner guten Bekannten, Briefroman "Ilius Pamphilius und die Ambrosia" bezieht und munter gegen die Geisteswissenschaft zu Felde zieht: "Mir, die eigentlich so plastisch produktiv ist, dass aus jeder Rezension bei mir eine Novelle wird, wenn ich mich nicht in Acht nehme, mir kann es gewiss nur eine nützliche Übung sein, weil es zu konkretem Denken zwingt. Sieh, solchen physischen Ekel habe ich vor Philosophie als Wissenschaft und vor ihrer Schulsprache, dass - ich gebe Dir mein Wort darauf - mir die Haut schauert bei dem preziösen Wort 'konkretes Denken'." (S. 498) Eine gesprächige, keineswegs redselige Schreiberin äußert sich hier beim Bericht über ihr Tagewerk en passant zum Lobe einer nützlichen "Übung" von Buchbesprechungen, die hoffentlich als Echo auf die literarische Produktivität im feuilletonistischen wie akademischen Raum auch in Zukunft zum Wohle einer breiten Information und als kritische Reaktion auf die Produktivität des Buchmarktes noch vielen zugutekommen möge.
Den 668 Seiten des ersten, vom Rezensenten ebenso dankbar wie anerkennend besprochenen Bandes des Briefwechsels von 1846/47 zwischen Fanny Lewald und Adolf Stahr aus dem Jahre 20141 ist der zweite Band für die wahrlich brisanten Jahre 1848/49 just 2015 auf dem Fuße gefolgt. Auch dieser soll hier freudig begrüßt und anteilnehmend bedacht sein
Vorliegende in zwei Bänden erschienene Untersuchung beruht auf einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft und legt in vier ausführlichen Fallstudien dar, inwieweit sich in dem "Zeitraum zwischen etwa 1780 und 1840" ein gleichsam emanzipiertes Verständnis von Kultur und Literatur entwickelt, das die Unterhaltung als Wert an sich legitimiert - im Gegensatz zum aufklärerischen Grundsatz der Verbindung von delectare und prodesse. Diesem Mentalitätswandel kann gar nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden, entwickelt sich doch aus ihm sowohl ein Buch- und Literaturmarkt im modernen Sinn als auch ein radikal verändertes Rollenverständnis zwischen Textproduzenten und ihren Rezipienten, eine Erschütterung, die sich nicht zuletzt in der Metaebene so mancher Werke dieser Epoche widerspiegelt - wobei die in der Studie untersuchten Protagonisten "nicht mit Verteufelungen" auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren, sondern "dem Bedürfnis nach 'bloßer' Unterhaltung sein Recht einzuräumen" versuchen.
Neben den Einzelstudien, die im Folgenden kurz umrissen werden sollen, führen die AutorInnen noch weitere als Akteure in diesem Prozess wichtige Persönlichkeiten an und entfalten so, unter Auswertung zahlreicher Quellen, ein umfassendes Netzwerk, das dem thematisierten Strukturwandel zugrunde liegt. Diesem verdienstvollen Unterfangen gebührt a priori schon einmal die höchste Anerkennung.
Staatsgründung als pädagogische Herausforderung : die Politisierung des Pädagogischen im Vormärz
(2017)
Im Jahr der deutschen Revolution 1848 schrieb der politische Journalist und Paulskirchenabgeordnete Arnold Ruge:
Die freie Staatsform braucht freie Menschen und erst die freie Staatsform bringt mit Sicherheit freie Menschen hervor. Ja, so ist es, dieser Zirkel ist vorhanden.
In diesem Zitat äußert Ruge ein von ihm wahrgenommenes Kernproblem der Situation während des Vormärz und der Revolution: Die Einführung der auf einem souveränen Volk basierenden demokratischen Staatsform, ohne dass das Volk zur politischen Selbstbestimmung in der Lage sei. Ruge verstand den politischen Systemwechsel als Aufgabe eines jeden Menschen, der das 'monarchische Prinzip' selbst überwinden müsse, um die Demokratie zu schaffen. Dazu bedürfe er jedoch der pädagogischen Unterstützung. Ebenso projektierte Ruge im Jahr 1849 einen sozialdemokratischen Staat der Zukunft, in dem die demokratische Erziehung der Jugend eine staatserhaltende Funktion hat. Ruge machte damit sowohl die Schaffung als auch die Erhaltung des projektierten demokratischen Staates zu Aufgaben des Individuums, die der pädagogischen Förderung bedürfen. Im vorliegenden Beitrag sollen beide politischen Funktionen des Pädagogischen dargestellt werden: die schaffende sowie die erhaltende Funktion.
Der jüdische Intellektuelle Ludwig Börne (1786-1837), der einer breiten Öffentlichkeit als Journalist, Literatur- und Theaterkritiker sowie Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland bis in die Gegenwart ein Begriff ist, soll 1821 geurteilt haben, dass Johannes Weitzel der beste deutsche politische Schriftsteller sei. Umso erstaunlicher bei einer solchen Eloge durch eine weithin bekannte und seine Zeit prägende Geistesgröße ist, dass der Name Johannes Weitzel und dessen Werk heute weitestgehend unbekannt sind. Wenn man weiterhin berücksichtigt, dass Weitzels schriftstellerisches Werk mit den Werken und den Lebenswegen von Johann Joseph von Görres (1776-1848), Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822) und Karl Wenzeslaus Rodeckher von Rotteck (1775-1840), Karl Theodor Georg Philipp Welcker (1790-1869) sowie Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) korrespondierte, mit allen denen er in einem direkten Austausch stand, wundert man sich umso mehr, dass ein solch wichtiger ideengeschichtlicher Impulsgeber - was sich übrigens auch daran zeigt, dass er als eher bürgerlicher politischer Autor selbst für das Demokratieverständnis der deutschen Frühsozialisten von großer Bedeutung war - dermaßen in Vergessenheit geraten konnte. Wolfgang Kötzlers 1961 aufgeworfene Frage "Und wem, außer wenigen Fachhistorikern, ist sein Name heute noch ein Begriff?" gilt jedenfalls auch heute noch.
Der Zeitabschnitt zwischen 1815 bis 1848, der demokratisch-republikanische Vorfrühling, wird in der Literaturhistorik kontrovers gesehen und diskutiert. Denn zum Einen war da das Sich Reibende der Menschen an Verhältnissen, die zusehends durch ökonomischen Druck gekennzeichnet waren, und ihr daraus resultierendes Unwohlsein. Es gab etwas Gärendes, eine Unzufriedenheit, die sich Bahn brechen sollte und zur politischen Eruption von 1848 führte. Da war aber auch das Streben derjenigen, die man im Nachhinein unter dem Begriff Biedermeier subsumiert hat, nach der ländlichen Idylle und dem Rückzug ins Private. Es gab den Wunsch von vielen, der Kapitalismus, der am Horizont aufzuziehen begann, möge einen selbst noch verschonen, es möge einen Ausweg geben, und so reagiert auch der literarische Klassiker jener Epoche, Georg Büchners Figur Lenz, der einem wirklichen Menschen nachempfunden ist, verstört auf die zunehmende Kapitalisierung seiner Umgebung. Auch Lenz versucht, sich ihr zu entziehen, und Generationen von Schulkindern wurden Zeugen seiner Flucht ins Gebirge, die vergeblich bleiben musste. Lenz blieb letztlich nichts, als sich in eine Welt zu fügen, die nicht die seine war. Von nun an tat er: "[...] Alles wie es die Andern taten, es war aber eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen; sein Dasein war ihm eine notwendige Last. – So lebte er hin."
Gab es wirklich keine Möglichkeit, sich aus einer Entwicklung zu retten, die ein anderer Klassiker aus jenen Jahren folgendermaßen beschrieben hat: "Die Bourgeoisie," das sagen Karl Marx und Friedrich Engels im "Manifest der Kommunistischen Partei", das erstmals zu Beginn des revolutionären Jahres 1848 erschienen ist, "wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose bare Zahlung."
Welche Optionen gab es, auf "das nackte Interesse" und "die gefühllose bare Zahlung" zu reagieren? Georg Büchner hatte für die Revolte optiert und hatte sie gelebt, er hatte fliehen müssen und war jung verstorben. Andere versuchten, sich einen privaten Rückzugsort zu schaffen. Die Französin Louise Michel jedoch stand für einen dritten Weg, der allein der ihre war: Sie wollte sterben. Und ihren Todeswunsch hat sie mit großem Pathos verkündet.
In Deutschland nahezu unbekannt, gehört der Schriftsteller Laurent Tailhade (1854-1919) zu den interessantesten Persönlichkeiten des literarischpolitischen Anarchismus im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts. Er verfasste zahlreiche Gedichte und Essays, trat aber auch als Autor polemischer Zeitungsartikel und als aggressiver Redner hervor, sodass sich an seiner Person exemplarisch das Zusammenspiel von literarisch-ästhetischer und politisch-provokativer Praxis darstellen lässt.
Berühmt wurde Tailhade durch seinen zynischen Ausspruch "Qu’importent les victimes si le geste est beau!" anlässlich des Attentats von Auguste Vaillant auf die Französische Nationalversammlung im Dezember 1893: Gegenüber der "Schönheit" des terroristischen Aktes spielten humanitäre Erwägungen für Tailhade scheinbar keine Rolle. Nur wenige Monate später, im April 1894, wurde er selbst Opfer eines Anschlags in dem Pariser Restaurant Foyot, wobei er ein Auge einbüßte, sich aber dennoch - dies ist neben der ‚Ironie des Schicksals‘ der eigentlich entscheidende Aspekt - weiterhin für anarchistische Ideen einsetzte. Im Folgenden soll versucht werden aufzuzeigen, wie sich die zur viel zitierten ästhetizistischen Provokationsformel geronnene Aussage Tailhades in dessen literarisch-intellektueller Entwicklung und im künstlerischen und politischen Kontext des 19. Jahrhunderts verorten lässt.
In Deutschland nahezu unbekannt, gehört der Schriftsteller Laurent Tailhade (1854-1919) zu den interessantesten Persönlichkeiten des literarischpolitischen Anarchismus im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts. Er verfasste zahlreiche Gedichte und Essays, trat aber auch als Autor polemischer Zeitungsartikel und als aggressiver Redner hervor, sodass sich an seiner Person exemplarisch das Zusammenspiel von literarisch-ästhetischer und politisch-provokativer Praxis darstellen lässt.
Berühmt wurde Tailhade durch seinen zynischen Ausspruch "Qu’importent les victimes si le geste est beau!" anlässlich des Attentats von Auguste Vaillant auf die Französische Nationalversammlung im Dezember 1893: Gegenüber der "Schönheit" des terroristischen Aktes spielten humanitäre Erwägungen für Tailhade scheinbar keine Rolle. Nur wenige Monate später, im April 1894, wurde er selbst Opfer eines Anschlags in dem Pariser Restaurant Foyot, wobei er ein Auge einbüßte, sich aber dennoch - dies ist neben der 'Ironie des Schicksals' der eigentlich entscheidende Aspekt - weiterhin für anarchistische Ideen einsetzte. Im Folgenden soll versucht werden aufzuzeigen, wie sich die zur viel zitierten ästhetizistischen Provokationsformel geronnene Aussage Tailhades in dessen literarisch-intellektueller Entwicklung und im künstlerischen und politischen Kontext des 19. Jahrhunderts verorten lässt.
Keine Macht für Niemand : gegen die Ehe: Luise Mühlbach, Louise Dittmar, Louise Aston, Wilhelm Marr
(2017)
Theoretisch-utopische Entwürfe der Frühen Neuzeit und der Aufklärung haben fast automatisch nur männliche Akteure im Blick. Wenn Frauen dennoch auftauchen, dann allenfalls als Gebärerinnen, Haushaltsverantwortliche oder Erzieherinnen. Und auch für 'anarchoide' Entwürfe des 18. Jahrhunderts - gleich ob theoretisch-utopische oder literarische - gilt: Es waren fast ausschließlich solche von Männern für Männer. Diese Sichtverengung änderte sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts, d.h. mit dem Eintritt von Frauen als Autorinnen in soziale und politische Diskurse. Denn Frauen - unter einer Mehrfachherrschaft: unter dem gleichen sozialen, ökonomischen und politischen Druck wie Männer, aber zusätzlich noch unter dem Druck eben der Männer - hatten ihre Anliegen selbst in die Hand zu nehmen, und sie nahmen sie in die Hand. Und es zeigt sich: Nicht wenige der Emanzipationsdiskurse, die bislang als demokratisch angesehen wurden und werden, waren mitnichten 'nur' demokratisch. Denn sie waren nicht selten anarchistisch oder 'anarchoid'. Das verdeutlichen zum Beispiel auch die Debatten um den Status von 'Ehe'.
Der Bürger als Anarchist : Friedrich Theodor Vischers "Auch Einer" erklärt dem Zufall den Krieg
(2017)
Vischers 1878 erschienener Roman ist ein Sonderfall selbst in der an originalen Einfällen nicht armen Literatur des 19. Jahrhunderts. Und nicht nur, weil es der einzige Roman eines Autors ist, der als Verfasser einer sechsbändigen Ästhetik berühmt war und erst in seinen letzten Lebensjahren mit seinem einzigen Roman gleich einen Bestseller landete. Das wirklich Erstaunliche an diesem Erfolg ist, dass dieses formal wie inhaltlich komplexe Erzählwerk, das in der zeitgenössischen Kritik eher auf zögerliche Resonanz stieß, über einen Zeitraum von einem halben Jahrhundert zu einem Kultbuch des deutschen Bürgertums wurde. Die Deutsche Verlags-Anstalt veröffentlichte den Roman in zahlreichen Neuauflagen bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, und seit der Jahrhundertwende wollten auch andere Verlage an dem Geschäft teilhaben.
Der Erfolg bei der bürgerlichen Leserschaft ist einerseits verständlich, denn "Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft" scheint auf fast programmatische Weise an den Interessen des Bildungsbürgertums orientiert: an den Fortschritten der Wissenschaft wie an der Fixierung auf die klassisch-romantische Tradition, nicht zuletzt an der preußisch-deutschen Staatenbildung von der Annektierung Schleswig-Holsteins durch Preußen, über den deutschen Krieg Preußens gegen Österreich 1860 bis zur Reichsgründung Bismarcks nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71.
Examinierung auf Schiff vor Landung. Sehr gut! 'Nichts zu verzollen?' - 'Nichts.' Sehr gut! Dann politische Fragen. Er fragt: 'Sie sind Anarchist?' Ich antworte [...] 'Erstens, was wir verstehen unter Anarchismus? Praktisch, metaphysisch, theoretisch, mystisch, abstraktisch, individuell, sozialisch Anarchismus? Als ich jung war', sage ich, 'alles das für mich war wichtig.' So wir hatten sehr interessante Diskussion, und war ich dann ganze zwei Wochen auf Ellis Island - [...].
Dies eine Episode, die Professor Pnin in gebrochenem Englisch in Vladimir Nabokovs gleichnamigen Roman erzählt. Gibt es ein anarchistisches Moment auch in Gottfried Kellers Prosa? Und falls ja: Wo und in welcher Weise wäre ein solches auszumachen? Im Hinblick auf die Novelle ‚Romeo und Julia auf dem Dorfe‘ fragt der Beitrag nach Resonanzen zwischen Kellers Novellen der 1850er Jahre und dem historischen Kontext anarchistischer Positionen des 19. Jahrhunderts. Hierbei wird auch die Frage zu erörtern sein, inwiefern den Erzähl- und Darstellungsverfahren Kellers eine als anarchistisch beschreibbare Logik innewohnt.
0. Wenn man als Anarchisten jemanden versteht, der davon überzeugt ist, dass es den Menschen möglich ist, ihr Zusammenleben so zu organisieren, dass Herrschaft in jeglicher Form verzichtbar ist, dann war Grabbe ganz sicher keiner. Auch gibt es in allem, was schriftlich von ihm überliefert ist, keinen einzigen Hinweis darauf, dass er sich jemals zustimmend zum Ideal der Herrschaftslosigkeit geäußert hätte. Wenn Grabbe m.E. dennoch zum Kontext des Themas Anarchismus im Vormärz gehört, so hat das andere Gründe.
1. Negativer Anarchismus
Das Programm, mit dem sich der noch ganz junge, 1801 geborene literarische Debütant mit seiner Tragödie 'Herzog Theodor von Gothland' (entstanden zwischen 1819 und 1822) von dem das literarische Feld seiner Zeit bestimmenden klassisch-idealistischen Diskurs in radikalster Weise abgrenzen will, ist das eines Frontalangriffs auf alle ihm zugrunde liegenden Wertvorstellungen und Deutungsmuster. Die hehren Ideale des klassisch-humanistischen Projekts (das Wahre, Gute und Schöne als zugleich Mittel und Ziel der menschlichen Veredelung durch einen umfassenden Bildungsprozess) werden im Gothland ebenso rigoros als nicht mit der Wirklichkeit kompatibel zurückgewiesen wie die aufklärerische Grundannahme der Perfektibilität des Menschen und die christliche Überzeugung von einem guten Gott, der die Geschicke im Sinne der an ihn Glaubenden und ihm Vertrauenden lenkt. Nach Grabbe ist so gut wie in jeder Hinsicht das Gegenteil der Fall.
Dort, wo der Weg der Geschichte sich gegabelt hat zwischen der Hinnahme des Gewohnten und dem Ausstieg aus ihm, so sanft wie tunlich oder so revolutionär wie nötig, da stoßen wir auf eine Reihe von Neuerern: Kritiker der gesellschaftlichen Verhältnisse oder der überkommenen Denkbahnen, z.T. auch Sprachkritiker, Sprachneuerer. Die "Linkshegelianer" bilden den Grundstock: Strauß, Feuerbach, Bruno Bauer, Stirner, Hess, in ihren Anfängen müssen wir auch Marx und Engels dazu zählen. Sie haben an schon etablierten politischen Lehren weitergearbeitet, aber sie haben, vor allem, neue Lehren und eine Kritik an allem Überkommenen in die Welt gesetzt. Zu einem beträchtlichen Teil haben sie sie nicht selbst erdacht. Bei französischen Revolutionären (oder auch Reformern) von Babeuf und Fourier bis zu Proudhon sind sie in die Lehre gegangen, Marx auch bei Ricardo und den Größen der britischen Nationalökonomie. Auf die Nachzeichnung jener Lehren soll es hier ankommen. Dazu greife ich einen heraus, der interessant ist, weil er von den Anfängen seiner Reflexion an, erst mit der Verarbeitung seines Judentums beschäftigt, sich zu einem Mitkämpfer der führenden kommunistischen Führerpersönlichkeiten entwickelt hat, aber auf anarchistische Weise; danach ist er auch noch bei den frühen Sozialdemokraten gelandet, eben Moses Hess.
Die "erste anarchistische Sammlung in deutscher Sprache" hat der vielleicht bedeutendste Historiker des Anarchismus, Max Nettlau, die von Ludwig Buhl 1844 herausgegebene 'Berliner Monatsschrift' genannt und im gleichen Atemzuge Edgar Bauers ein Jahr zuvor entstandenes, dann beschlagnahmtes und 1844 neugedrucktes Buch 'Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat' als anarchistische Schrift gewürdigt. Beide Texte entstammen dem lockeren Kreis der Berliner 'Freien', der aus dem Doktorklub der 1830er Jahre hervorgegangen ist und zu dem neben Edgar Bauer und Ludwig Buhl etwa Max Stirner, Arnold Ruge, Moses Hess oder Eduard Meyen gehörten und in dem Edgars Bruder Bruno die führende Rolle spielte.
Im Folgenden möchte ich den anarchistischen Motiven in den beiden von Nettlau genannten Texten nachgehen. Das bedeutet: Ich beschränke mich auf diese beiden Quellen und wage gar nicht erst den Versuch, anarchistischen Gedankengängen in anderen Schriften der Gruppe nachzuspüren oder gar eine Geschichte der Kritik im Bauer'schen Freundeskreis zu schreiben. Indem ich von einem Kreis spreche, halte ich die Abgrenzung bewusst offen und lasse die bekannten terminologischen und historischen Unterscheidungen zwischen Links- und Rechts-, Jung- und Althegelianern dahingestellt sein.
"Im Grunde ist der ästhetische Anarchismus viel gefährlicher als der politische", warnte Hans Sedlmayr, österreichischer Kunsthistoriker mit NS-Vergangenheit und höchst umstrittener Kritiker der modernen Kunst, in einem Beitrag für die Zeitschrift Scheidewege von 1978. Während die Aktionen der politischen Anarchisten historisch weitgehend folgenlos geblieben seien, habe die anarchische Ästhetik der künstlerischen Avantgarden in einer viel umfassenderen, permanenten Revolution alle Bereiche des menschlichen Lebens im 20. Jahrhundert erfasst.
Die Absage an die Kunst, die Logik, die Ethik, die Scham; an die Kirche, den Staat, die Familie; an die klassische Tradition Europas wie an jede Religion - ist in die Tages- und Bildzeitungen, in Film- und Fernsehen, auf das Theater und in die Happenings, in die Praxis des Lebens eingedrungen. Die Ursprünge dieser Entwicklung verortet Sedlmayr in der Frühromantik, genauer: den Texten von Friedrich Schlegel und Novalis - "ohne sie ist das anarchische 20. Jahrhundert in der Tiefe nicht zu begreifen."
In Schlegels frühem, Ende 1795 fertiggestelltem Aufsatz 'Über das Studium der griechischen Poesie' allerdings, der noch weitgehend den Maßstäben einer klassizistischen Ästhetik verpflichtet ist und vom Verfasser des Verlusts der Mitte bei seinen Überlegungen daher zustimmend angeführt wird, erscheint das Wort 'Anarchie' überwiegend negativ konnotiert. Es fungiert hier als Metapher für Charakter-, Gesetz- und Formlosigkeit, für moralischen Verfall und ästhetische Desorientierung auf dem Gebiet der modernen Dichtkunst.
Der Anarchismus stellt eine Form des Gefühls der Grenzenlosigkeit dar. Ob der politische Anarchismus auf dieser affektiven Basis entsteht oder einen anderen Ursprung hat, sei zunächst dahingestellt. Wie ist es aber möglich, dass sich dieses Gefühl immer wieder entwickelt, ohne sein Ziel - die Grenzenlosigkeit - je erreichen zu können? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich an der Wurzel dieses Gefühls ansetzen. Oft gründet das Gefühl überbordender Freiheit im Gefühl des Behütetseins bzw. des Schutzes, in dem man nur allmählich zum Wunsch der Überschreitung kommt, weil die Grenzen nicht fühlbar waren, innerhalb derer sich das Kind in seiner familiären Tätigkeitssphäre noch unbewusst bewegte. Gerade die Abwesenheit eines Kanons von Verhaltensregeln ermöglichte es dem Kind, den Fallen und Inklinationen transgenerationaler Verhaltensanweisungen gegenüber noch frei zu bleiben. In dieser Grenzferne des Kindes - sowie auch im Zustand der Resignation mancher Erwachsenen, die ihr Ziel nicht erreichen konnten und aufgeben mussten - kann das gedeihen, was jene "Lehre von der Freiheit als Grundlage der menschlichen Gesellschaft" erahnen lässt, die Erich Mühsams sozialistischer Prägung als sittlicher Zustand und geistige Welt gegolten hatte. Gesetzesferne bedeutet aber noch keine intendierte Gesetzlosigkeit.
Aus der Gesetzesferne trifft das Kind vielmehr allmählich auf die Regularien, die diese Gesetzesferne durch soziale Entitäten ablösen wollen. Die Grenzferne des Kindes hatte aber bereits tiefergreifend seine Handlungsauffassung geprägt. Im Folgenden möchte ich die These entwickeln, nach der ein Element des Anarchismus eine schon früh ansetzende Gefühlsform ist.
Mit "Stirners Einzigem" ist das Buch 'Der Einzige und sein Eigentum' von Max Stirner gemeint, das gegen Ende des Vormärz erschien. Das Buch war ein Skandalon, ein paradoxes Skandalon allerdings, weil es ideengeschichtlich dort am eingreifendsten wirksam wurde, wo die Reaktion verborgen und indirekt blieb, bei Marx und Nietzsche. Ich habe den diffusen Status des 'Einzigen', der sich daraus ergab und den er, obwohl kein Mangel an Sekundärliteratur herrscht, im Grunde bis heute behielt, in einer Wirkungsgeschichte dargestellt und diese mit einem sprechenden Neologismus eine Re(pulsions- und De)zeptionsgeschichte genannt.
Auf die Repulsionsgeschichte des Einzigen gemünzt ist das "Vade retro!" im Titel, denn eine Reihe durchaus bedeutender Denker sahen in Stirners Ideen tatsächlich den Inbegriff des Bösen, Teuflischen bzw. "aufgeklärterweise" den Einbruch des Tierischen, Unmenschlichen, Barbarischen, Zerstörerischen in die kulturelle Welt. Einige waren dabei so entschieden, dass sie ihre philosophische Position wesentlich - wenngleich undeklariert - in Abwehr von Stirners Ideen entwickelten.
Ich werde - nach einer biografischen Skizze zu Leben und Werk Stirners - diese Repulsionsgeschichte in ihren markanteren Stationen wie in einem Parcours durchlaufen, um zu zeigen, dass diese Bezeichnung adäquat ist. Die mit ihr verwobene Dezeptionsgeschichte, also die das Inhaltliche betreffenden Täuschungen, Selbsttäuschungen und Verdrängungen der Abwehrenden, können hier nur beiläufig zur Sprache kommen.
Was könnte Max Stirner, den Propheten des Individual-Anarchismus, mit der Urgestalt des kollektivistischen Anarchismus verbinden? Welche Gemeinsamkeit bestehen zwischen dem Stirner'schen "Mir geht nichts über Mich" und seiner Lobpreisung des "Egoismus" und Bakunins Kampf für die Befreiung der Menschheit? Steht nicht die Stirner'sche Kritik alles Religiösen diametral dem Bakunin'schen Setzen auf eine "neue Religion des Volkes" gegenüber? Ist Bakunin nicht gerade einer jener Freiheitsschwärmer, die Stirner immer wieder polemisch attackiert und - anders herum -, Stirner aus Bakunins Perspektive einer jener Bourgeois-Egoisten, die nur an sich selbst denken und die Idee der Freiheit nicht verstanden haben? Es liegt also mehr als nahe, beide Denker als miteinander unvereinbar zu erklären. Zeigen nicht alleine schon die endlosen Querelen zwischen individualistischen und sozialistischen (kollektivistischen, kommunistischen) Anarchisten, dass hier keinerlei Verbindung möglich ist? Und so, wie wenn von letzteren den ersteren bisweilen abgesprochen wurde, überhaupt Anarchisten zu sein - lässt sich das dann nicht umso mehr in Bezug auf Stirner selbst geltend machen?
Es wird im Folgenden nicht eine Geschichte der erwähnten Querelen innerhalb der anarchistischen Bewegung erzählt werden können, noch wird es im Kern darum gehen, Stirner als Anarchisten auszuweisen. Was dagegen gezeigt werden soll, ist, dass sich das Denken bzw. die Intention Stirners und Bakunins keineswegs derart unvereinbar gegenüber stehen wie oftmals angenommen.
Der französische Frühsozialist Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) gilt unumstritten als der "Vater der Anarchie". Auf ihn geht die positive Umdeutung des Begriffs "Anarchismus" zurück. Sein Einfluss und seine Bedeutung für die Entstehung des sog. wissenschaftlichen Sozialismus und auf die anarchistische Bewegung in Deutschland sind von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Er hat darüber hinaus, mehr noch als seine Vorläufer Claude-Henri Saint-Simon und Charles Fourier, größeren Einfluss auf den deutschen Diskurs über Sozialismus gehabt. Der Historiker Max Nettlau erklärte über seine deutsche Rezeption:
Proudhon wurde in Deutschland sehr beachtet, wo damals die radikale Philosophie um Arnold Ruge und Ludwig Feuerbach sich nach einer folgerichtigen Weiterentwicklung auf allen Gebieten sehnte, also dem die Theologie negierenden philosophischen Radikalismus, den den Staat negierenden politischen Radikalismus und die bestehenden Eigentumsverhältnisse negierenden ökonomischen Radikalismus zur Seite zu setzen bereit war.
Als Zeitraum für die Untersuchung seiner Rezeption in Deutschland bietet sich das Vierteljahrhundert von 1840, dem Erscheinungsjahr von Proudhons Studie „Qu’est-ce que la propriété?“, bis zum Jahr 1865, in dem er starb, an.
"Nicht darauf kommt es an, daß die Macht in dieser oder jener Hand sich befinde: die Macht selbst muß vernichtet werden, in welcher Hand sie sich auch befinde. [...] Freiheit geht nur aus Anarchie hervor - das ist unsere Meinung, so haben wir die Lehren der Geschichte verstanden."
Ludwig Börne, 1825
Das Börne-Zitat ist ein frühes Zeugnis dafür, dass der Begriff Anarchie in einem affirmativen Sinn Verwendung findet. Noch viele Jahre wird es dauern, bis sich mit Pierre-Joseph Proudhon jemand selbst als Anarchist bezeichnet und die Anarchie als die anzustrebende bestmögliche Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens bewertet. Bis dahin wurde Anarchie fast ausnahmslos negativ gewertet als ein chaotischer Zustand, in dem Willkür und Gesetzlosigkeit bestimmend sind. Anarchie galt (und gilt) als extremer Widerpart von (bürgerlicher) Ordnung.
Für Deutschland gilt nach wie vor, wie Olaf Briese es jüngst formulierte, "dass anarchistische Theorieanalysen aus dem Feld derjenigen kommen, die sich selbst als Anarchisten verstehen." Völlig zutreffend stellt er fest, dass "[u]niversitär-akademisches Milieu und anarchistisches Milieu sich nicht [...] aneinander beflecken [wollen]." Der vorliegende Band hat den Anspruch, diesem Muster nicht zu entsprechen. Er versammelt Beiträge aus beiden "Milieus", wobei insbesondere darauf hinzuweisen ist, dass sich gerade die deutsche Literaturgeschichtsschreibung mit der Thematik Anarchismus in der Literatur bislang so gut wie gar nicht beschäftigt hat. Und sicher wird es auch überraschen, wenn in diesem Kontext neben den explizit philosophischen Bezügen von Autoren wie Friedrich Schlegel, Christian Dietrich Grabbe, Gottfried Keller oder Friedrich Theodor Vischer die Rede ist.
Das Thema im Allgemeinen sollen die Funktionen des Kulturheros sein, die er an signifikanten historischen Stellen einnimmt, und die Verschiebungen, die sich in diesen Funktionen in unterschiedlichen historischen Phasen ergeben. [...] Da sie im politischkulturellen Feld agiert, ist der Figur erstens ein historisch-politischer Index eingeschrieben. Die Frage ist dabei, welchen staatspolitischen Index diese Gründungsfigur hat, das heißt, in welchem Verhältnis die Figur zu staatlich-politischen Gebilden und historischen Prozessen steht und in welcher Weise, durch welche Rituale, welche Praxis der Bezugnahme, welche Symbolkomplexe dieses Verhältnis angezeigt wird. [...] Als Heros eignet der Figur zweitens eine gewisse Monumentalität, zumindest jedoch Größe. [...] Er ist drittens eine Figur am Übergang zwischen Profanierung und Sakralisierung, zwischen Kultur und Kult, zwischen politisch-historischem Außenraum und innerem Imaginationsraum [...] Von besonderer Relevanz für den Diskurs über den Kulturheros ist dabei die Reichsgründung von 1871, da sich mit ihr eine Umbesetzung seiner Funktion vollzieht - so die erste Leitthese des vorliegenden Beitrags: Läßt sich seine Funktion vor der Reichsgründung als die einer Imagination von Einheit auf dem Boden einer allen Mitgliedern der Nation gemeinsamen Kultur bezeichnen, deren Garant der Heros war, so diversifiziert sich seine Funktion nach Erreichen eines einheitlichen Staatsgebildes, werden wechselnde Besetzungen der vakanten Stelle möglich, beispielsweise die des Narrativs einer Tradition der verspäteten Nation. Mit der Gründung des Literaturarchives im Jahre 1885, der bald weitere Gründungen und Gründungsprojekte folgen sollten, kommt eine weitere, eine ganz neue Dimension ins Spiel - so die zweite Leitthese: nun gelangen die Hinterlassenschaften - textförmige oder dingliche - des Kulturheros ins Archiv oder ins Museum. Damit werden neue Prozesse im "Kultus" um den Kulturheroen initiiert, werden Sakralisierungen durch Kultobjekte ermöglicht oder dazu gegenstrebige Tendenzen ins Werk gesetzt. Dadurch erhält das Nachleben der Kulturheroen gleichsam einen materiell-dinglichen Körper, werden ebenso Auratisierungsprozesse potenziert wie Entzauberung durch wissenschaftliche Forschung befördert. Abgeschlossen werden die Ausführungen durch einige methodologische Überlegungen zur Forschung im politisch-kulturellen Feld, insbesondere zum Verhältnis der Paradigmen Raum und Zeit sowie zum Aspekt der Gleichzeitigkeit.
Heiland oder Führer? : der Dichter als Kulturheros in der Literaturwissenschaft des George-Kreises
(2017)
Sowie der Heldenkult nicht länger die privilegierte Rezeption des 'heroischen' Werkes darstellt, wird er auf Politik umgestellt und dieser die Aufgabe zugewiesen, das Werk des Kulturheros gleichsam zu vollenden. Heldenpolitik kann aber niemals friedliche Politik sein. Claude Haas geht der Grundspannung zwischen 'kultischer' und 'politischer' Perspektivierung des Kulturheros im Folgenden am Beispiel jener Formation nach, die den Kulturheros in vielerlei Hinsicht in den Mittepunkt ihrer geistigen Bemühungen stellte und die seinen wirkmächtigsten Sympathisanten in der deutschen Tradition überhaupt bilden dürfte: an dem Kreis von Wissenschaftlern und Intellektuellen, sie sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts um den Dichter Stefan George herum gruppierten. Dabei ist es nicht der Kult um George selbst, den Claude Haas in den Blick bringen will, sondern zentrale wissenschaftliche Schriften aus seinem näheren Umfeld, die die Vorstellung des Kulturheros am differenziertesten - wie auch am problematischsten - entfalten. Diese sind nicht zuletzt insofern von Interesse, als sie der wissenschaftlichen Darstellung als solcher kultische Aufgaben zuweisen und sie die Wissenschaft implizit als eine Art Praktik zur Erschaffung des Kulturheros einsetzen. Dabei kann der wissenschaftliche Diskurs die Konturen sowohl eines privilegierten und exklusiven als auch die eines lediglich als vorläufig begriffenen Kultes annehmen, der nicht seinen eigenen Endzweck darstellt, sondern der in die große politische Tat einzumünden hat. Ein besonderes Gewicht kommt hier dem immanenten Anhänger des Kulturheros zu, denn dieser avanciert in der Konzeption der Figur selbst zur strukturgebenden Größe. An ihm zeigt sich erst, wo genau der Kulturheros zu sich selbst kommt - in der Kirche der Wissenschaft oder auf den Schlachtfeldern der Politik. Über die Analyse des Anhängers wird folglich der Frage nachzugehen sein, ob der Kulturheros eher als säkularer Gott (Heiland) oder als sakraler Herrscher (Führer) beschworen wird.
Vom Schriftexegeten, Kirchenlehrer und wahren Propheten respektive Apostel im 16. und 17. Jahrhundert, der mit Gotteshilfe Übermenschliches geleistet habe, über den Befreier der Vernunft und des Gewissens in der Aufklärung bis hin zum Nationalhelden, Heroen der deutschen Kultur und Vorbild bürgerlicher Lebensführung im 19. Jahrhundert - dies sind nur wenige Haupttransformationen, denen Luther im Laufe der Geschichte unterworfen wurde und an deren Vollzug sowie Tradierung die bildende Kunst entscheidend beteiligt war. Die Tatsache, dass sich jede Epoche, ja jede Generation "ihren eigenen Luther schuf", wurde zusammen mit der Heterogenität dieser zeitgebundenen Konstrukte spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch als ein gravierendes Forschungsproblem erkannt, das den deutschen Theologen und Kirchenhistoriker Heinrich Böhmer 1906 dazu veranlasste, ernüchtert festzustellen, dass es "so viele Luthers gibt, als es Lutherbücher gibt". In seiner herausragenden Studie zu Lucas Cranachs Bildnissen des Reformators von 1984 zeigte jedoch der Kunsthistoriker Martin Warnke, dass es bereits zu Lebzeiten und unmittelbar nach dem Tod des Wittenberger Theologen 1546 vor allem so viele Luthers gab, als es Lutherbilder gab. Cranach, der Hofmaler des sächsischen Kurfürsten, schuf mit den auffällig in ihrer Ikonografie variierenden und für die breite Öffentlichkeit bestimmten druckgraphischen Portraits ein wirkmächtiges "Image" des Reformators, das zum fundamentalen Bestandteil der protestantischen Publikationspolitik wurde und dabei zugleich gerade durch seine Mannigfaltigkeit eine mediale Angriffsfläche für das katholische Lager bot. Die Werke Cranachs, in denen das offizielle Bildnis des Theologen gleichsam generiert und autorisiert wurde, weisen differenzierte künstlerische Strategien der Sakralisierung und Heroisierung auf, welche von der Mehrzahl der etwa fünfhundert zeitgenössischen (Rollen-)Portraits Luthers kontinuierlich rezipiert und innovativ uminterpretiert wurden. Sie feiern den Wittenberger Bibelprofessor nicht nur als omnipräsenten und omnipotenten Gottesmann, sondern verklären ihn zur universellen Verkörperung der Reformation, zum personalisierten Sinnbild der neuen Theologie. Der Genese, den Facetten sowie der zeitgenössischen Rezeption dieses Phänomens in der Druckgraphik des 16. Jahrhunderts möchte der vorliegende Text anhand der exemplarischen Analyse ausgewählter Bildnisse des Reformators nachgehen.
Zeitgenossen und Nachfolger Wagners griffen die von ihm selbst akzeptierte Inszenierungsstrategie als nationaler Kulturheros auf. Wagners "außerordentliche Verflechtung mit der deutschen Geschichte" war von ihm selbst beabsichtigt und vom Ehrgeiz bestimmt, "mit seinem Werk an der Nationwerdung der Deutschen im 19. Jahrhundert mitzuwirken. Dies ist ihm in einem Ausmaß gelungen, wie es bei keiner anderen Gestalt der deutschen Kulturgeschichte seit Luther festzustellen ist." Das Wagnersche Werk wie seine Selbstinszenierungen wurzeln sowohl in der europäischen Moderne als auch im spezifisch deutschen kulturell-politischen Kontext des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Beide Bereiche verraten allerdings eine gewisse interne Brüchigkeit, wie sie schon Adorno als Wagners Grundmerkmal diagnostiziert hatte. Er konstatierte eine den Wagnerschen künstlerisch-theatralischen und politisch-selbstrepräsentativen Gesten inhärente Tendenz zur Selbstde(kon)struktion. Nachfolgend wird diese Brüchigkeit analysiert, die sich in die Produktionsbedingungen seiner als heroische Kulturtaten konstruierten Werke eingeschrieben hat.
Anders als Schiller taugt Goethe, nicht zum literarischen Stichwortgeber der Befreiungskriege. Zu offensichtlich ist seine Bewunderung für Napoleon, zu gering seine Bereitschaft, sich im hohen Alter noch patriotisch zu erhitzen. Schiller konnte sich aufgrund seines unerwarteten Todes im Jahr 1805 nicht mehr selbst zur erwachenden Nationalbegeisterung äußern. Zwar soll ihm der korsische "Eroberer" und "Unterdrücker", den er an keiner Stelle seines Werkes explizit nennt, "durchaus zuwider" gewesen sein, doch ist seine Funktionalisierung für patriotische Zwecke ein postumes Rezeptionsphänomen. Gerade Schillers späte historische Dramen laden zu identifikatorischen Lektüren ein. Das von Christian Jakob Zahn vertonte Reiterlied aus Wallensteins Lager, das die Überwindung der Todesangst zur erhabenen, ich-steigernden Freiheitserfahrung verklärt, erfreut sich bei Soldaten und Theaterbesuchern über Generationen hinweg großer Beliebtheit [...] Die Schiller zugeschriebenen Merkmale bleiben über einen langen Zeitraum stabil und verbinden sich mit den verschiedensten ideologischpolitischen Gehalten. Das Bild des Dichters speist sich dabei sowohl aus der Sphäre weltlichen Heldentums wie der religiösen Verheißung. [...] Die Kanonisierung Schillers zum Nationalhelden wird durch die territoriale Streuung und fragmentierte Überlieferung seiner Lebenszeugnisse kaum gebremst. Vielmehr entsteht das Bedürfnis zur Pflege des materiellen Erbes erst aus der Dynamik der Kultgeschichte. [...] Die Erhebung Schillers zum Garanten militärischer und moralischer Überlegenheit nimmt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts offen chauvinistische Züge an. Kritik an den Klassikern erscheint in diesem Zusammenhang als Hochverrat, der das Heil der Nation gefährdet.
Wie der Beitrag von Herbert Kopp-Oberstebrink zeigt, brachte tatsächlich gerade die Publikation von Immanuel Kants "Kritik der reinen Vernunft" (1781/87) - nicht zuletzt wegen Kants neuartiger Terminologie - einen regelrechten "Kommentierungsfuror" hervor, der christlicherseits interessanterweise hauptsächlich dem protestantisch-theologischen Umfeld entstammte. Anhand der Kant-Kommentare Georg Samuel Albert Mellins (1794/95), Arthur Schopenhauers (1819) und Hans Vaihingers (1881) zeigt der Beitrag, dass philosophische Kommentare selbst eigenständige Theoriearbeit leisten, deren Voraussetzungen sich aus der protestantisch geprägten (Bibel-)Hermeneutik herleiten, und in denen immer auch das Verhältnis von Philologie und Philosophie zur Debatte steht.
Claude Haas untersucht die Goethe-Kommentierung Heinrich Düntzers im späten 19. Jahrhundert, die konsequent gegen das säkulare Selbstverständnis der eigenen Disziplin verstößt - und von dieser damit wiederum als verachteter Außenseiter verstoßen wird. Düntzer unterläuft die Sakralisierung der Dichtung, indem er dem Dichter immer wieder im Namen einer - etwa sachlichen - Wahrheit widerspricht und diese Wahrheit noch dazu katholisch grundiert (und mit Spitzen gegen protestantische Goethe-Ausleger versieht). Denn Wahrheit ist dabei in Düntzers Augen erstens nicht schriftlich kodiert und gleicht zweitens strukturell der theologischen Figur des "deus absconditus", sodass sie gerade in dieser Abwesenheit 'sakralisiert' wird. Die 'katholisierenden' Kommentare Düntzers zu Goethes Iphigenie auf Tauris und Faust II erklären Literatur selbst gleichsam zu Religion und zeigen damit gewissermaßen die Kehrseite des Versuches, nicht mehr die Heilige Schrift, sondern den Kanon der Klassiker ins Zentrum der Textkultur zu stellen.
Arkanisierung des Vorklassikers : zur Lessing-Ausgabe von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen
(2017)
Die Spannung von religiöser und säkularer Kommentierung prägt nicht nur den Umgang mit der Bibel, sondern auch mit anderen Texten, etwa mit den 'Klassikern' der Nationalliteraturen. Kai Bremer untersucht am Beispiel der Lessing-Philologie eine Arkanisierungsstrategie, die den Kommentar selbst hermetisch abriegelt und nur für 'Eingeweihte' zugänglich macht. So zeigt er, dass die sog. "P/O", d.h. die Lessing-Ausgabe von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen (1925-1935) nur solchen Lesern zugänglich ist, die bereits umfassend mit der zeitgenössischen Lessing-Philologie vertraut sind und insbesondere die früheren Lessing-Kommentare der Editoren kennen. Somit 'arkanisieren' die Herausgeber ihren eigenen Kommentar und damit auch die eigenen philologischen Praktiken: Sie schaffen einen philologischen Raum, der - vergleichbar einem heiligen Raum - nur Eingeweihten zugänglich ist.
Caroline Sauter beschäftigt sich am Beispiel der Theorie und Praxis des Kommentierens bei Walter Benjamin damit, wie traditionelle religiöse Kommentarformen in Kommentare zu moderner Literatur übertragen werden und vice versa. Dabei wird die strikte Grenzziehung zwischen Theologie und Säkularisierung unterlaufen, die gerade in der Benjaminforschung gerne bemüht und auf die Formel einer vermeintlichen Alternative von "Messianismus vs. Materialismus" gebracht wird. So zeigen zwei konkrete Beispiele aus Benjamins Einbahnstraße (1928) und seinen Brecht-Kommentaren (1938), dass Theologie und Philologie - laut Benjamin die beiden "Grundwissenschaften" des Kommentars - in seinem Kommentarwerk ineinander übergehen. Die Alternative von 'Theologie' einerseits und 'Säkularisierung' andererseits ist also für Benjamin nicht ohne weitere Differenzierung haltbar; vielmehr durchdringen die beiden Dimensionen einander gerade in seinem Umgang mit der Gattung des Kommentars, der ein kritisches Verständnis der Theologie selber anschaulich macht.
Annkatrin Buchens Beitrag mit dem Titel " Wenn es aber... bei mir anders wäre? Geschlechter-Rollen-Spiele und alternative Rollenentwürfe in Arthur Schnitzlers "Reigen"" setzt am Ehe- und Sexualitätsdiskurs an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert an. Der Hauptaugenmerk liegt auf den im Reigen inszenierten Geschlechterverhältnissen und den hierin geschaffenen Spielräumen. Die Verfasserin stellt fest, dass Schnitzler in seinem zyklisch angelegten Drama eine bemerkenswerte Beobachtung über den Umgang mit Sexualität und die damit verbundene Reziprozität männlicher und weiblicher Rollenentwürfe präsentiert. Dabei greift Schnitzler auf stereotypisierte Figuren zurück, die die moralische Repression von Sexualität mit der männlichen Dominanz respektive der weiblichen Unterlegenheit verbinden. Gleichzeitig stellt er diesen Figuren zum Teil radikale Gegenentwürfe weiblicher Frauenfiguren gegenüber und zeigt auf diese Weise die Problematisierung männlicher und weiblicher Rollenentwürfe zu einer Zeit auf, in der die explizite Thematisierung von Sexualität auf der Theaterbühne wie im Fall des Reigen zu einem öffentlichen Skandal führte.
Lukas Betzler beschäftigt sich mit der Dominanz weiblicher über männlichen Identitätsentwürfen, indem er die Gegenüberstellung von Femme fatale und Homme fragile als entscheidendes Charakteristikum der Erzählung "Der kleine Herr Friedemann" von Thomas Mann aus dem Jahr 1898 voraussetzt, die Interpretation dieses nur allzu binär wirkenden Geschlechterverhältnisses jedoch deutlich relativiert. Zu diesem Zweck schließt er diese Überlegungen mit dem Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" kurz und kommt dabei zu dem Schluss, dass sich die im Fokus stehende Geschlechterbeziehung mit den Symptomen der Krise der Geschlechterordnung um 1900 verbinden lässt. In dem Beitrag zeigt Betzler auf, dass sich die Inszenierung der Femme fatale als Schreckensvision von Weiblichkeit an einen dezidiert männlichen Blick des Protagonisten rückbinden lässt, der durch die Unzuverlässigkeit und die ironische Distanzierung des Erzählers wiederum ambivalent erscheint.
Aude Defurne diskutiert in ihrem Beitrag die Frage, inwiefern weibliche Autorinnen die bis dato dezidiert durch männliche Autoren geprägte (literarische) Tradition des Amazonenmythos aufnehmen und für die Modellierung kämpferischer und unabhängiger Frauenfiguren nutzbar gemacht haben. Anhand von Karoline von Woltmanns "Der Mädchenkrieg" aus dem Jahr 1815 stellt Defurne heraus, dass Woltmanns Erzählung an den Sagenkreis der Königin Libussa und den damit verbundenen Gründungsmythos des böhmischen Reiches noch vor den Frauenbewegungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts angelehnt ist, dabei bestimmten stereotypischen, negativ konnotierten Mustern der Amazone als entfesselter Furie folgt, dieser Variante jedoch einen positiven Neuentwurf der kämpferischen Frauenfigur entgegenstellt und die Autorin somit eine zentrale Repräsentantin der aus einer weiblichen Perspektive geprägten Fiktionen von Amazonengeschichten darstellt. Mit diesem literarischen Neuentwurf der Amazone um 1800 wird ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis überhaupt erst suggeriert, wenngleich dieses sich letztlich nicht durchsetzen kann und ebenso wie der Jungfrauenstaat scheitert.
In einem neueren Sammelband der Schnitzler-Forschung ist der Abschnitt, unter dem Beiträge zum Zusammenhang von Arthur Schnitzlers Werk mit der Psychologie versammelt sind, überschrieben mit: "Einmal noch: Psychoanalyse". Was, so mag man fragen, kann es nach fast hundertjähriger, intensiver Forschung zu Schnitzler und der Psychologie noch Neues zu diesem Thema zu sagen geben - und entsprechend: Was rechtfertigt die vorliegende Arbeit?
Tatsächlich dürfte den wissenschaftsgeschichtlichen und -systematischen Erkenntnissen über Schnitzlers Psychologie - immer verstanden als Schnitzlers theoretische Position zu psychologischen Fragestellungen und nicht als die psychische Disposition des Autors - nach den Arbeiten von Michael Worbs, Horst Thomé und Dirk von Boetticher kaum noch etwas vollkommen Neues hinzuzufügen sein. Schnitzlers Haltung zu Psychologie und Medizin, seine eigenen psychologischen Konzeptionen und vor allem sein Verhältnis zur Freudschen Psychoanalyse sind in der Forschung umfassend, man darf wohl sagen: erschöpfend kommentiert worden. Weiterhin von Interesse bleibt hingegen die Frage, wie sich Schnitzlers Haltung zur Psychologie in seinen literarischen Werken niederschlägt, welcher interpretatorische Gewinn also - allgemein poetologisch sowie bei der konkreten Textdeutung - aus Schnitzlers Psychologie gezogen werden kann.
Im vorliegenden Beitrag soll gezeigt werden, dass sich das Konzept des "Narzissmus" für die Charakterisierung von Schnitzlers Psychologie in besonderer Weise eignet.
Seiner Gattung nach ist das Monumentaldrama von Karl Kraus "Die letzten Tage der Menschheit" unzweifelhaft eine Satire. Einen Zugang zum Verständnis kann denn auch Schillers berühmte Satirebestimmung eröffnen. Sie steht in seiner Abhandlung "Über naive und sentimentalische Dichtung", die erstmals 1795/96 in den "Horen" erschien. Darin lautet die Definition der Satire als einer sentimentalischen Gattung folgendermaßen:
"In der Satire wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt. Es ist übrigens gar nicht nötig, daß das letztere ausgesprochen werde, wenn der Dichter es nur im Gemüt zu erwecken weiß; dies muß er aber schlechterdings, oder er wird gar nicht poetisch wirken. Die Wirklichkeit ist also hier ein notwendiges Objekt der Abneigung, aber, worauf hier alles ankömmt, diese Abneigung selbst muß wieder notwendig aus dem entgegengesetzten Ideale entspringen. […] Die pathetische Satire muß also jederzeit aus einem Gemüte fließen, welches von dem Ideal lebhaft durchdrungen ist. Nur ein herrschender Trieb nach Übereinstimmung kann und darf jenes tiefe Gefühl moralischer Widersprüche und jenen glühenden Unwillen gegen moralische Verkehrtheit erzeugen, welche in einem Juvenal, Swift, Rousseau, Haller und andern zur Begeisterung wird".
Marcel Proust musste bekanntlich einiges dafür tun, um die Aufregung zu lindern, die im Freundes- und Bekanntenkreis aufgekommen ist, wenn es um die Durchschaubarkeit biografischer Vorbilder für die eine oder andere seiner Figuren ging. Die Tatsache, dass der Autor die eigene Homosexualität von der Erzählerfigur auf andere Protagonisten gleichsam umgelenkt hat, spielt dabei eine zwar wichtige, aber nicht die entscheidende Rolle. Statt biografischem Voyeurismus kommt es darauf an, die Bewegungen, die zwischen Fiktion und Realität in beiden Richtungen verlaufen, genau zu erfassen.
Gerade die Unauffälligkeit, mit der es ihm gelingt, Gegebenheiten der Zeitgeschichte im Kontext der aristokratischen Zusammenkünfte als Teil der erfundenen Welt erscheinen zu lassen, gehört zu den fesselndsten Zügen des Romans 'In Swanns Welt‘. Eine in diesem Zusammenhang jedenfalls sehr bemerkenswerte Figur ist diejenige der Königin von Neapel. Sie gehört im fünften Teil des Romans "La Prisonnière" (erschienen 1923) zu denjenigen Gästen, die Baron Charlus in die Gesellschaft eingeladen hat, die die Verdurins veranstalten.
Kurt Oppert hat, vor allem gestützt auf Rilkes "Neue Gedichte", die Verbreitung der Bezeichnung 'Dinggedicht' initiiert. Obwohl die Forschung längst die Inadäquatheit der meisten Charakteristika, die Oppert unter anderem aus Rilkes Dinggedichten zu destillieren versuchte, herausgearbeitet hat, ist die Bezeichnung noch immer weit verbreitet. Aus guten Gründen, wie die folgende Analyse von "Die Flamingos" vor dem Hintergrund von Rilkes nuancierten kunsttheoretischen Reflexionen des Dingbegriffs zeigen wird.
Allerdings haften der vielfach rejustierten Typusbezeichnung 'Dinggedicht' noch immer hartnäckig und nicht immer offensichtlich Reste einer intuitiven Konstellation von 'Ding' und lyrischem Sprechen an, die einst das Zentrum von Opperts Überlegungen gebildet hatte. Es ist daher das Projekt dieses Beitrags, Rilkes Arbeit an einem neuen, andersartigen Verhältnis von 'Gedicht' und 'Ding' freizulegen. Oppert versteht das 'Dinggedicht' als einen "Gegentypus" zu Goethes "werdende[m] Gedicht mit seiner subjektiven, echt lyrischen Stimmungshandlung ", "der auf unpersönliche, episch-objektive Beschreibung eines Seienden angelegt ist".
Im Jahr 1894 stellt Frank Wedekind mit seinem Drama "Die Büchse der Pandora. Eine Monstretragödie" seine erste literarische Auseinandersetzung mit dem Lulu-Stoff fertig, später folgen die Bearbeitungen »Der Erdgeist« im Jahr 1895, "Die Büchse der Pandora" aus dem Jahr 1903 und 1913 die Zusammenführung "Lulu". Diese Urfassung markiert somit den Beginn einer knapp 20 Jahre andauernden Beschäftigung mit jener Thematik, die Wedekinds umstrittenen Ruf als Autor beim Publikum und den Zensurbehörden gleichermaßen begründet.
Angesichts der jegliche Deutung des Stückes überlagernden Sitten- und Schamlosigkeit des Stoffes wird häufig übersehen, dass Wedekinds erste Beschäftigung mit der Thematik im Rahmen der "Monstretragödie" zugleich einen zentralen Kulminationspunkt seiner bis dahin andauernden literarischen Beschäftigungen darstellt. Es sind in erster Linie zwei Themengebiete, die seine ersten Arbeiten bis dahin prägen: In seinem literarischen Erstling "Frühlings Erwachen" setzt er sich 1891 intensiv mit den Fragen der Sexualität und damit zusammenhängend der gesellschaftlichen Sexualmoral auseinander und schafft damit einen wichtigen thematischen Grundpfeiler - auch für spätere Werke
Das Buch "Kohelet" des Alten Testaments, auch unter den Titeln "Der Prediger Salomo" oder "Ecclesiastes" überliefert, entstand wahrscheinlich im 3. Jahrhundert vor Christus. Vor allem die Eingangskapitel gehören zu den bekanntesten Texten der sogenannten biblischen Weisheitsbücher. Das kann allein schon die Tradition einiger 'Geflügelter Worte' durch die Jahrhunderte bezeugen wie etwa die folgenden Sätze oder Wendungen: "Es ist alles ganz eitel"; "Nimmersatt"; "Und geschiehet nichts Neues unter der Sonne"; "Ein jegliches hat seine Zeit"; "Sich gütlich tun"; "Viel Büchermachens ist kein Ende".
Spuren eines Einflusses auf das Werk Hofmannsthals scheinen sich etwa im Auftrittsmonolog des "Jedermann" zu finden, wenn er mit seinem stattlichen "Haus", seinem "Hausgesind" oder seinen "Meierhöf voll Vieh" prahlt; denn auch "Kohelet" rühmt sich der von ihm gebauten "Häuser", in denen sein "Gesinde, im Hause geboren" für ihn arbeitet, sowie seiner großen "Habe an Rindern und Schafen".
Diese Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten sind allerdings nur indirekt, weil die direkte Vorlage für Jedermanns Eingangsmonolog eine Dichtung des Hans Sachs ist. Die Textpassage findet sich nicht in Hofmannsthals Hauptquelle, dem "Everyman" aus dem 15. Jahrhundert. So gestaltete sie Hofmannsthal nach seiner zweiten "Jedermann"-Quelle, dem 1549 gedichteten Geistlichen Spiel "Ein comedi von dem reichen sterbenden menschen, der Hecastus genannt".
"Wir haben diesen Dichter geliebt" : Hugo von Hofmannsthal und Eduard Korrodi ; Briefe und Dokumente
(2017)
Der Schweizer Journalist, Essayist und Literaturkritiker Eduard Korrodi, geboren am 20. November 1885 in Zürich, ist heute, mehr als 60 Jahre nach seinem Tod am 4. September 1955, selbst in Literaten- oder Germanistenkreisen nahezu unbekannt. Seinen Zeitgenossen hingegen galt er als wegweisender Mentor und Anreger, als "schweizerischer Geisteswärter", als "das literarische Bundesgericht" der Schweiz und allmächtiger "Literaturpapst". Diese einzigartige Position eines "Entdeckers" und "Erweckers", "Richters" und "Vernichters" hat er in der Feuilletonredaktion der "Neuen Zürcher Zeitung" zwischen 1915 und 1950 über 35 Jahre hin behauptet - "geliebt, geehrt" und "angegriffen", immer aber "ernst genommen", so dass kaum ein Schweizer Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihn nicht in Tagebüchern oder Memoiren "erwähnt" oder "in gereizter Weise 'behandelt'".
Als jüngster Sohn des angesehenen Lehrers, Schulbuchautors und Lyrikers "für den Hausgebrauch" Johann Heinrich Korrodi (1834-1910) und der Marie Zurgilgen (1852-1950), die der Vater 1882 in dritter Ehe geheiratet hatte, besucht Korrodi die Schule in Zürich und ab Oktober 1898 das Kollegium "Maria Hilf" in Schwyz. Ab dem Wintersemester 1905/06 studiert er deutsche Philologie, Alt-Isländisch und Kunstgeschichte in seiner Heimatstadt und wird hier, nach einem Berliner Auslandssemester im Winter 1907/08 bei Erich Schmidt und Richard Moritz Meyer,10 im Januar 1910 mit der von Adolf Frey (1855-1920) betreuten Dissertation "Stilstudien zu C.F. Meyers Novellen" zum Dr. phil. promoviert.
Hofmannsthal 25/2017
(2017)
"Ich mache die Orte zu meinen Sehnsuchtsorten, an die es mich zufällig verschlägt. Und ich lade diese Orte mit dem auf, was ich mitbringe – ganz ohne Erwartungen. So erstaunt es mich auch immer wieder, wie viel man aus einem Ort "herausholen" kann." So beschreibt Felicitas Hoppe im Interview mit dem Journalisten und Geografen Jens Nommel ihr Vorgehen bei der Konstituierung von Räumen in der diegetischen Welt. Diese Aussage ließe sich paradigmatisch auf das Gesamtwerk der Autorin übertragen, so sind es weniger Beschreibungen von realen Orten und Topografien, die sich hier finden, als vielmehr im Schreibprozess entstehende Imaginationsorte, die durch das Zusammentreffen eines den Orten Bedeutung zuweisenden Bewusstseins und der äußeren Beschreibung derselben entstehen. Dies geschieht, so die These dieses Beitrags, mithilfe einer Destabilisierung der strukturbildenden Elemente von Raum, Zeit und Kausalität, die in der Folge einen Vorstellungsraum öffnen, in dem physikalische Grenzen überwunden und im Modus der Gleichzeitigkeit alternative Seinsweisen erprobt werden können. Hoppe schließt dabei an die Darstellungstechniken der Literarischen Moderne an, greift die Diskussionen der Postmoderne vom Ende der großen Metaerzählungen, dem Tod des Subjekts und allgemeiner Geschichtslosigkeit auf und entwirft im Sinne einer Transmoderne alternative Darstellungsformen. […] Ziel des vorliegenden Beitrags ist demnach zunächst das Aufzeigen der Destabilisierungsprozesse in Bezug auf die genannten Elemente mithilfe einer textimmanenten Analyse der zeitlichen und räumlichen Struktur. Dabei werden, erstens, die verschiedenen Spielarten des Zeitbegriffs sowie Raumsemantiken auf der intradiegetischen Ebene in den Blick genommen, zweitens, Möglichkeiten der Zeit- und Raumgestaltung auf der Ebene des discours untersucht und schließlich der Prozess der Refiguration beleuchtet. Im Anschluss wird der Frage nach dem Funktionspotenzial der erarbeiteten Destabilisierungsprozesse sowie der Entwicklung derselben als ästhetisches Programm nachgegangen. Da die angeführten Destabilisierungsprozesse je nach thematischer Schwerpunktsetzung unterschiedliche Funktionen einnehmen, werden Hoppes Romane 'Pigafetta', 'Paradiese, Übersee', 'Johanna' und 'Der beste Platz der Welt' chronologisch analysiert und im Anschluss einem synthetisierenden Vergleich unterzogen.
Zwei Dinge gleich zu Beginn: Erstens – und dies betrifft einen persönlichen Aspekt – müsste ich auf die vor Gericht übliche Frage: 'Sind Sie mit der Autorin verwandt oder verschwägert?' mit 'Ja.' antworten und könnte ruhigen Gewissens jede Aussage zu und auch jede Beschäftigung mit 'Hoppe' verweigern. Da 'Hoppe' aber – wie wir (jetzt) aus sicherer literarischer Quelle wissen – keine Geschwister hat beziehungsweise sich diese nur erfindet und unverheiratet ist und folglich auch keinen Schwager haben kann, der als Germanist und als Berater in der 'freien' Wirtschaft arbeitet, kann ich mich – Dank sei der Einbildungskraft – auch ohne Bedenken frei und hoffentlich auch mit einem zwinkernden Auge zu 'Hoppe' und Hoppe äußern. Zweitens – dies betrifft mein Vorgehen – wird dieser Beitrag eher essayistischer und assoziativer Natur sein als strengen (literatur-)wissenschaftlichen Kriterien genügen. Ich werde versuchen, 'Hoppe' näher zu kommen – mit meiner Erfahrung als interessierter Leser gegenwärtiger philosophischer, historischer und soziologischer Literatur. Mein Blick ist neben anderem auch der eines Trainers, der im Hochleistungssport tätig war und den auch die sportlichen und spielerischen Aspekte des Textes interessieren und die Frage, was diese sportlichen Elemente mit 'Hoppe' zu tun haben. Ich möchte der Frage nachgehen, wie Hoppe diesen Gesichtspunkt produktiv in den Text integriert, um eine Entwicklung zu beschreiben – vom Eishockey zum Schreiben, vom Sport zur geistigen Arbeit. Schließlich interessiert mich, warum diese Entwicklung so und nicht anders verlaufen muss. Also, warum 'Hoppe' sowohl auf dem Eis als auch in der Musik scheitern muss – aber als Schriftstellerin besteht.
Im Rahmen meines Ansatzes möchte ich einen anderen Weg einschlagen und den autobiografischen Pakt (Lejeune) trotz besseren Wissens – das heißt trotz der Erkenntnis, dass es sich bei der literarischen Figur 'Felicitas Hoppe' offensichtlich um einen durch und durch konstruierten Charakter handelt – zunächst einfach akzeptieren. Deshalb soll (und muss) im Folgenden nicht trennscharf zwischen den Instanzen 'Felicitas Hoppe', 'Hoppe' und 'fh', so wie sie im Text in Erscheinung treten, differenziert werden. Vielmehr sollen diese verschiedenen, einer einzigen 'biofiktionalen' Person beziehungsweise persona zuschreibbaren Stimmen zusammengelesen werden, wobei in diesem Beitrag stets von 'Hoppe' gesprochen wird. Anders gesagt möchte ich den "Roman" – so die paratextuelle Genrebezeichnung des Titelblatts – Hoppe als mehrstimmige und traumlogische Inszenierung der Autorin Felicitas Hoppe lesen, wobei ich genauer der Rolle nachgehen möchte, die 'Hoppes' (fiktive) Mehrsprachigkeit innerhalb dieser Selbstinszenierung spielt.
Felicitas Hoppe entwickelt in ihrer fiktionalen Autobiografie 'Hoppe' (2012) ein komplexes Spiel mit Erzähl- und Erzählerkonventionen, Gattungs- und Leseerwartungen sowie mit Fakt und Fiktion. Offensichtlich changiert der Status dieses Textes: Für Fiktionalität sprechen etwa die paratextuelle Gattungskennzeichnung als "Roman", die Umschreibung auf dem Klappentext als "Traumbiographie" sowie die Rezeption als "Metaautobiografik". Auf Faktualität wiederum deuten eine ganze Reihe von epitextuellen und habituellen Inszenierungspraktiken hin, die den Text, gerade weil er gar nicht erst versucht, bloße Fakten zu schildern, als eine 'wahrhaftige' Autobiografie der 'realen' Autorin Felicitas Hoppes markieren. Der Text ist damit – wie es in Definitionen der Debatte um 'Autofiktion' heißt – von einer "oszillierenden Ungewissheit" zwischen autobiografischem und romaneskem Pakt, zwischen Fakt und Fiktion geprägt.
Felicitas Hoppes fiktionale Biografie 'Hoppe' (2012) soll [...] im Folgenden als Text vorgestellt werden, der das Spiel mit gesellschaftlichen und literarischen frames zu einem zentralen Gestaltungselement erhebt [...]. Die Kompromittierungen sozialer Erwartungsrahmen gegenüber Autorschaft und Autorperson, literarischer Fiktionalität und außerliterarischer Realität sowie zwischen Roman und Biografie lassen sich dabei als 'Sprünge' zwischen verschiedenen 'Rahmungen' beschreiben. Die zentrale Frage, ob moderne Ästhetik Einfluss auf die 'wirkliche Welt' nehmen kann, beantwortet Hoppe somit einerseits durch eine Art Rückeroberung und Wiederverrätselung der allzu 'öffentlich' gewordenen Autorinstanz und -biografie und andererseits durch ein Lektüreangebot, das den Leser in produktive Distanz zu gängigen Rahmungen setzen soll. Eine Schlüsselrolle spielen dabei Formen der literarischen Selbstthematisierung. Zunächst sollen zu diesem Ziel einige Aspekte der Goffman'schen Soziologie kurz rekapituliert werden.
Die Bedeutung des Raumes in literarischen Texten ist spätestens seit dem 'Spatial Turn' der Literatur- und Kulturwissenschaften unbestritten. Im Zuge jüngerer Debatten in den Geschichtswissenschaften haben sich parallel dazu Stimmen zu Wort gemeldet, die auf die Bedeutung des Raumes für historische Ereignisse und deren wissenschaftliche Darstellung hinweisen. Literatur, Literaturwissenschaft, Historiografie und Geschichtswissenschaft sind zudem disziplinär enger zusammengerückt, seit Hayden White auf die genuine Fiktionalität historiografischer Texte aufmerksam gemacht hat. Diese drei die Theoriebildung der Geisteswissenschaften betreffenden Aspekte sollen im Folgenden am Beispiel von Felicitas Hoppes Roman 'Johanna' (2006) zunächst zu einigen Beobachtungen hinsichtlich der Topografie des Raumes in historisch erzählenden Texten zusammengeführt und anschließend um einen Blick auf damit verbundene metafiktionale Aussagen ergänzt werden. Meine These lautet, dass die narrativ evozierten räumlichen Gegebenheiten der diegetischen Welt von Johanna die Erzählung grundsätzlich bedingen und metafiktional reflektieren. Die entworfenen Räume spiegeln nicht nur Geschehnisse auf zeitlich und räumlich getrennten Erzählebenen des Romans, sondern weisen auch poetologische Züge auf, indem sie das Potenzial von ‚Fiktionsräumen‘ ausloten.4 Mit der so gestalteten Fiktion setzt Hoppes Roman einen bestimmten Typus des Lesers voraus – einen postmodernen Idealleser, der der Polyfonie des Textes gewachsen ist, ja sich sogar aktiv auf das Spiel mit der rezeptiven Vieldeutigkeit einlassen kann, das der Roman erzeugt.
Im Folgenden sollen deshalb zunächst vereinzelte Aussagen zusammengeführt werden, aus denen sich ein poetologisches Kernthema ihres Schreibens erschließt: Als Kunstideal gilt Hoppe eine spezifische Verbindung von 'Realität' und 'Imagination', die letztlich auch in der oxymoronischen Selbstbezeichnung ihrer Texte als 'ehrliche Erfindung' mitschwingt, die von Literaturkritik und -wissenschaft so häufig aufgegriffen wurde. In einem zweiten Schritt wird argumentiert, dass dieses ästhetische Ideal in den literarischen Texten mehrfach bildlich dargestellt ist. Nach dieser Präzisierung der poetologischen Zielsetzung stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die explizit-essayistischen und implizit-fiktionalen Reflexionen zur literarischen Praxis stehen. Daran schließt die Hauptthese dieses Beitrags an: Die Bildlichkeit von Hoppes Texten lässt sich zeichentheoretisch als 'ikonisches Erzählen' spezifizieren und hier liegt eine narrative Form vor, die die angestrebte Verbindung von 'Realität' und 'Imagination' umsetzt. Auf der Basis eines vom Symbolbegriff abgegrenzten Ikonbegriffs wird argumentiert, dass in Hoppes Texten die konkrete Ebene inhärente Ähnlichkeitsbeziehungen zu einer abstrakten Ebene aufweist. Bedeutungszuschreibungen, so die Folgerung, lassen sich entsprechend dem Autonomieanspruch der Autorin, für ihre Texte weitgehend durch Abstraktions- und Analogisierungsverfahren ableiten.
Ausgangspunkt der folgenden Argumentation ist die Beobachtung, dass die Spezifik dieser Poetik stärker als bisher erfasst, von kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, die jeweils komplex miteinander verknüpft sind und zugleich weit über sich hinausweisen, getragen wird. In Hoppes Texten, so die Annahme, ist das Wechselspiel zwischen Sinn- beziehungsweise Kohärenzbildung und -störung sowie der Zusammenhang intratextueller, autointertextueller und intertextueller Verweise auf spezifische Weise an Überlappungen semantischer Felder gebunden – eine Spezifik, die weiterer Untersuchung bedarf. Im Anschluss an eine durch diesen Rahmen perspektivierte Lektüre von Safari im ersten und Iwein Löwenritter im zweiten, möchte ich im dritten Teil Überlegungen zur Interdependenz von semantischen Feldern und intertextuellem Verweissystem beziehungsweise Zitaten in 'variierenden Wiederholungen' darlegen. Im vierten Teil werde ich dies im Hinblick auf folgende vier Fragen weiterführen: erstens, wie mittels gezielter Überlagerung semantischer Felder Ambivalenz und Kohärenz hergestellt werden, zweitens, wie Ordnungen entstehen und gestört werden, drittens, wie kleinere mit größeren Bedeutungseinheiten und -ebenen korrelieren und, viertens, wie Konventionalisiertes aufgerufen wird, um es zu durchkreuzen und anschlussfähig für neue Verknüpfungen zu machen.
Im Folgenden soll daher, mit Schwerpunkt auf dem Roman 'Paradiese, Übersee', die Struktur von Hoppes Texten vor dem Hintergrund ihrer literaturhistorischen Kontexte aufgeschlüsselt werden. Diese, von der Kritik als irritierend wahrgenommene Struktur basiert auf der Abkehr von üblichen chronologischen und kausallogischen Ordnungsschemata und der gleichzeitigen Hinwendung zu einer Erzählstruktur, die ihren Sinn über variierende Verbindungen einzelner Elemente generiert. In der vorliegenden Untersuchung wird dieses Narrationsschema auf seine historischen Vorbilder hin untersucht, um das schöpferisch 'Neue', die innovative Formensprache des Hoppe'schen Erzählens fassbar zu machen.
Der folgende Beitrag unternimmt damit den Versuch, die 'Geschichtsverwicklungen' eines 'erzählerischen Fundamentalismus' in Abgrenzung zu bisherigen Deutungen unter dem Aspekt des zyklischen Erzählens und der Wiederholung zu beleuchten. In einem ersten Analyseschritt wird das Verhältnis von Rahmenhandlung und Binnenerzählungen einer Klärung zugeführt, um im Folgenden eine präzisere Charakterisierung der Erzählerfiguren des Zyklus zu ermöglichen. Dabei wird vorgeschlagen, den Erzählvorgang als performativen Akt zu begreifen, der bei Hoppe als Reenactment inszeniert wird.
Die Renaissance des Familien- oder Generationenromans in der (nicht nur deutschsprachigen) Gegenwartsliteratur ist in zahlreichen Untersuchungen der letzten Jahre zum Gegenstand gemacht worden. Um diese Wiederkehr eines Totgeglaubten rankten sich alsbald polemische Debatten, aus denen man ersehen konnte, dass es um weit mehr als das Wiedererstarken eines literaturwissenschaftlich recht schwammig definierten, unter Abgrenzungsschwächen (Familien- versus Generationenroman) leidenden, ästhetisch eher traditionellen Genres ging. Definitionsversuche wie derjenige der amerikanischen Komparatistin Yi-ling Ru brachten den Familienroman (scheinbar unauflöslich) in Zusammenhang mit den Kriterien der Verfallsgeschichte, der Chronologizität, der Schilderung integraler Familienriten und insbesondere mit einem unhintergehbaren Realismus der Darstellung. Dass der Umgang mit dem Thema 'Familie' über alle eher literarischen Koordinaten hinaus aber vor allem als Seismograf gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen verstanden wurde, zeigten schon die Kontroversen um den Stellenwert von Familie im deutschen Feuilleton, in dem etwa die Zeit-Literaturkritikerin Iris Radisch "[d]ie elementare Struktur der Verwandtschaft" gegen die "Monaden" der Gegenwartsliteratur in Stellung brachte: Gedeutet wurde die 'Rückkehr' der Familie so zugleich als Indiz für eine Sehnsucht nach traditionellen Strukturen, gerichtet gegen die Zersetzungskraft der Postmoderne, gegen das Single-Dasein als Lebensform. Andere wie Sigrid Löffler sahen in genauer Umkehrung der Werteskala gerade im Wiederauftauchen familiärer Narrative das konservative Revival einer spätestens mit Heimito von Doderers (1896-1966) Merowinger-Roman (1962) durch Hyperbolisierung in sich kollabierten Gattung.
In Felicitas Hoppes Roman 'Johanna' (2006) geht es nicht um die historische Johanna von Orléans (um 1412-1431) selbst, sondern um eine namenlose Ich-Erzählerin, die sich auf ihre mündliche Disputation im Fach Geschichte vorbereitet. Der Roman spielt nicht im 15., sondern im 21. Jahrhundert. Die Protagonisten sind die Ich- Erzählerin, die über Johanna von Orléans promoviert, ein Professor der Geschichtswissenschaft und sein Assistent, der von der Erzählerin auf den Spitznamen "Peitsche" getauft wird. Es geht also nicht um eine Märtyrerin, die von Geistlichen verhört und verurteilt wird, sondern um eine Doktorandin, die von einem Historiker mündlich geprüft wird. Anstelle des Todesurteils wird die Promovendin aus dem akademischen Betrieb ausgeschlossen. Es lassen sich also deutliche Parallelen zwischen den beiden Schicksalen erkennen. In beiden Fällen – ob innerhalb der Kirche oder der Universität – geht es um eine geistige Institution, die von Männern beherrscht wird und ihren eigenen 'Kanon' pflegt. Die Kirche bewahrt den Kanon der Heiligen; die Universität perpetuiert durch die Historiografie einen Kanon der wichtigsten Persönlichkeiten der Geschichte. In beiden Fällen werden die Argumente der Frau von den männlichen Juroren nicht akzeptiert beziehungsweise nicht ernst genommen. Diese Gemeinsamkeiten gilt es in diesem Beitrag vergleichend zu analysieren.
Auf meinem Posten war ich bereits mit sieben; hinter mir, was (angeblich) noch gar kein Leben war, aber vor mir schon ein fantastisches Werk, das einzig aus meiner Einbildung lebte, neben den üblichen Kinderlektüren die einzige Nahrung meines fröhlichen Schreibens; dass dieses Werk eines eigenen Lebens bedürfte, um tatsächlich Inhalt und Form anzunehmen, stand nicht zur Debatte: Wozu seine Zeit mit einem Leben verschwenden, das sich im Werk wie von selbst erfindet und haltbarer als jedes Tagwerk ist. So denkt und schreibt nur ein Kind, das noch jede Legende für Wahrheit hält und das ich bis heute geblieben bin: ein denkendes Kind, das sich in Größe hineinträumt und schreibend den Zugang zu einer Welt erschafft, die mir (wie ich umgekehrt ihr) immer fremd bleiben wird, das aber (immerhin) weiß, dass sich die Geschichte des Lebens nicht in ein Buch binden lässt, sondern sich unablässig weitererzählt und weiterschreibt, von Text zu Text und Buch zu Buch und über die Ränder der Bücher hinaus, ohne Aussicht auf Rettung und Ende, scheinbar absichtslos hinein in die Welt, die sich sowieso nicht erzählen lässt. Die letzten Sätze werden die ersten sein und die ersten die letzten, und immer so fort, bis ich eines Tages (niemand weiß, wann), den Stift endlich aus der Hand legen darf.
[...] 'Eis und Schnee' [zeichnet] kein einheitliches Gesamtbild von Junghuhns Leben. Vielmehr präsentiert sich der Text als unabgeschlossener Entwurf einer Existenz in Bewegung, gleichsam als möglichkeitsbewusste Erfindung eines Lebens-Laufs, der sich am Vorbild der historischen Person orientiert und zugleich reale Handlungen und Ereignisse fiktional verfremdet. Denn anstatt die zentralen Stationen dieses außergewöhnlichen Lebens in narrativer Kontinuität zum linear geordneten Gesamtbild zusammenzufügen, bricht der Text die zeitliche und räumliche Einheit des Erzählten auf. Entscheidendes verbindet sich mit Nebensächlichem, und spielerische Wechsel der Erzählperspektive lassen die Konturen der Figuren verschwimmen. So handelt Hoppes fiktionale Bio-Grafie, welche im Akt des Schreibens zugleich selbstreflexiv die Aporien einer Erfassung des gelebten Lebens ausstellt, von den Möglichkeitsbedingungen und Untiefen narrativer Identitätskonstitution. Entlang des Leitfadens eines Entdeckerlebens fragt Eis und Schnee nach Bestimmungsmerkmalen und Grenzen des 'Eigenen' – und zwar in individueller wie in kultureller Hinsicht. Denn Junghuhns Grenzgänge in der Ferne Asiens kreisen beständig um die Frage, wer er selbst überhaupt ist, wovon er sich warum und wie abgrenzt, und wer von diesem Leben auf welche Weise zu erzählen vermag. Einige Aspekte dieser Fragestellung erkundet der vorliegende Aufsatz in einer narratologischen Analyse von Hoppes komplexer Erzählprosa in 'Eis und Schnee'. Die folgenden Lektüren zum Problemfeld literarischer Identitäts- und Fremdheitserfahrung orientieren sich an einer heuristischen Unterscheidung, die Andrea Polaschegg im Rahmen ihrer Arbeit über den 'Anderen Orientalismus' (2005) eingeführt hat, nämlich der Trennung zwischen den Begriffspaaren 'das Eigene' – 'das Andere' und 'das Vertraute' – 'das Fremde'.
Das Spiel, die Maskerade und andere Elemente des Karnevals sind Fixpunkte in beinahe allen Texten von Felicitas Hoppe. Sie tauchen aber nicht nur auf inhaltlicher Ebene auf, sondern sie sind zudem wesentliche Bestandteile des ästhetischformalen Erzählprogramms der Autorin. Im vorliegenden Beitrag soll unter Berücksichtigung von Michail Bachtins Konzepten der Dialogizität und Polyfonie das karnevaleske Moment in Felicitas Hoppes Erzählwerk, vor allem in den Romanen 'Paradiese, Übersee' (2003), 'Johanna' (2006), und 'Hoppe' (2012) herausgearbeitet werden und zwar auf Ebene des Sujets, der Sprache und der Textgattung. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei vorangestellt, dass das Motiv des Karnevals von seiner Anlage her keine bewusste narrative Strategie darstellt (auch wenn es durchaus als solches eingesetzt werden kann). Statt einer autorzentrierten Interpretation soll daher die 'Karnevalisierung' der Literatur ganz im Sinne Michail Bachtins als Traditionslinie und Textdynamik begriffen werden, die flexibel ist und die Individualität der einzelnen Autorinnen und Autoren in keinster Weise tangiert beziehungsweise formal einengt.
[...] wie die 'Berliner Kindheit' oft als eine 'Erinnerungspoetik' bezeichnet wird, deren treibende Kraft die "Ich-Konstitution" sei, ließe sich Hoppes 'Picknick der Friseure' als 'Ver(w)irrungspoetik' beschreiben. Der Prozess des Erinnerns und sich (Wieder)findens ist bei ihr noch verdichteter im Sinne eines 'Dickichts der Texte', als bei Benjamin. Die konsequente Verweigerung einer "homogenisierte[n] Ich- Bildung" rückt bei beiden Schriftstellern "die Frage nach den noch verbleibenden Formen der Identitätsbildung in den Mittelpunkt des Schreibens." Vor dem Hintergrund einer als desolat erfahrenen Wirklichkeit scheinen die 'Berliner Kindheit' und 'Picknick der Friseure' die "Wahrheit so behutsam aus der Dichtung hervor[zu]ziehen […] wie die Kinderhand den Strumpf aus 'Der Tasche'". Oder wie es in Hoppes Schlussgeschichte 'Not und Tugend' heißt: "[A]m Ende, beim Öffnen der Säcke, kam alles zum Vorschein, Feigheit und Gier und schlechte Gewohnheit und daß wir zu spät und mit Dreck an den Stecken ans Tageslicht gekrochen waren". Doch, und das ist das Wesentliche, "hier ist das Buch unserer Rettung", sodass wir „alt [werden können] in Würde". Damit birgt, wie Adorno es für Benjamin formuliert, die "Allegorie des eigenen Untergangs", das zersplitterte Geschichtswerk, auch bei Hoppe die Möglichkeit zur Selbstbehauptung.
Bücher, die Wirklichkeit werden, Figuren, die aus Geschichten in die Welt des Lesers eintreten, oder umgekehrt, Leser, die geheime Pforten zu fantastischen oder zu fiktionalen Welten aus ihrer Lektüre durchschreiten, gehören zum Inventar kinderliterarischen Erzählens, seitdem Lewis Carrolls (1832-1898) Alice an einem langweiligen Nachmittag dem weißen Kaninchen mit der Taschenuhr in sein Erdloch folgte und sich in Wunderland wiederfand. Eine Alice-Figur ziert als intertextuelle Allusion auch den Einband von Hoppe: Zu sehen ist ein kleines Mädchen mit Schleifen im Haar, vornübergebeugt zum Schnürsenkelbinden. 'Hoppe' ist natürlich kein Kinderbuch, sondern das autofiktionale Experiment einer Schriftstellerin, die bereits selbst Kinderbücher verfasst und übersetzt hat, die sich zudem gegen eine strenge Grenzziehung zwischen sogenannter Erwachsenen- und Kinderliteratur ausspricht und dafür plädiert, als Erwachsener die Bücher der eigenen Kindheit erneut zu lesen. Und so ist auch in Hoppe die Grenze zwischen sogenannter Kinder- und Erwachsenenliteratur äußerst durchlässig, springen doch bei einer ersten Lektüre bereits zahlreiche Anspielungen auf kanonische Texte der Kinderliteratur wie etwa Carlo Collodis 'Le avventure di Pinocchio' (1883), Mark Twains 'The Adventures of Tom Sawyer' (1876), Jules Vernes 'Les enfants du capitaine Grant' (1867/68), Frank L. Baums 'The Wonderful Wizard of Oz' (1900) und Astrid Lindgrens 'Pippi Långstrump' (1945-1948) ins Auge. Der autofiktionale Text 'Hoppe' mit seiner Doppelbiografie, einer verleugneten und einer vermeintlich 'verbrieften', mit seinem metaautobiografischen Spiel, stellt sicherlich die Fiktionalität eines jeden autobiografischen Schreibens noch einmal nachdrücklich aus.
Seit Beginn der 1990er Jahre rückt der Begriff des 'Autors' und der 'Autorschaft' wieder verstärkt in den Fokus literaturwissenschaftlicher Theoriebildung. Im Unterschied zu den subjektkritischen Konzepten der Postmoderne, insbesondere denjenigen des Poststrukturalismus, die in Roland Barthes' These vom Tod des Autors (1967) wohl am prominentesten widerhallen, gewinnt die Autorfunktion als legitime Bezugsgröße im interpretatorischen Zugriff auf den literarischen Text wieder an Bedeutung. Auch der Werkbegriff erhält infolge dieser Aufwertung des textgenerierenden Subjekts in Praxis und Theorie neue Aufmerksamkeit. Im Falle von Felicitas Hoppe wird über diesen Kontext hinaus die Betrachtung eines einzelnen Autorenwerks auch intrinsisch durch ihre Texte nahegelegt. Die inhaltliche und sprachliche Kontinuität zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten, die enge auto-intertextuelle Verknüpfung sowie Hoppes ästhetischer Autonomieanspruch verlangen in besonderer Weise nach einer Fokussierung des autorspezifischen Werkzusammenhangs.
Das im zweijährigen Turnus stattfindende International Symposium on Place Names (ISPN) wurde unter Leitung von Prof. Herman Breyer ausgerichtet.
In zahlreichen Vorträgen wurde herausgearbeitet, welche hohe Bedeutung die Namengebung für Straßen, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen für die Identitätsstiftung besitzen kann. Ein weiterer Aspekt, der in vielfältiger Weise diskutiert wurde, ist die Relevanz von Toponymen als Teil des historischen Erbes.
Gemeinsam mit dem Fach Germanistik an der Universität Stockholm richten die Fächer Germanistik und Translation Deutsch der Universität Helsinki in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Finnland und der Botschaft der Republik Österreich in Finnland vom 23. bis 25. August 2017 die siebente internationale Tagung zur kontrastiven Medienlinguistik aus. Der thematische Rahmen dieser Tagung lautet: Medienkulturen - Multimodalität und Intermedialität.
Die Jubiläumstagung feierte das 25jährige Bestehen des Franz Werfel-Programms. Viele Tagungsbeiträge analysierten Werke und Tendenzen der Literatur der österreichischen Moderne, andere suchten Erotik bei vergessenen oder jüngeren Autoren.
Die regelmäßig stattfindende internationale Konferenz des Franz-Werfel-Programms vertieft die Zusammenarbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und bietet einen spannenden Perspektivenaustausch nicht nur im Rahmen der Auslandsgermanistik, sondern auch zwischen ihr und der Literaturwissenschaft in Österreich.
Vom 16. bis 18. März 2017 fand am Institut für Germanistik der Universität Wroclaw eine internationale sprachwissenschaftliche Konferenz statt. Die Tagung mit dem Rahmenthema 'Intra- und interlinguale Zugänge zur deutschen Phraseologie und Parömiologie' wurde vom Lehrstuhl für Angewandte Linguistik des Instituts für Germanistik der Universität Wroclaw in Zusammenarbeit mit dem Institut für Slawistik (FR Westslawistik) der Universität Leipzig veranstaltet.
Die Studie bietet eine umfangreiche Korpusanalyse von direktiven und manipulativen Matrixprädikaten des Deutschen, deren Komplemente zwischen finiten und infiniten Sätzen variieren. In synchroner Sicht sind die unterschiedlichen Varianten des Komplementsatzes zwar grundsätzlich synonym, ihre Verteilungsmuster werden aber wesentlich von konzeptuell-semantischen, gebrauchsorientierten und psycholinguistischen Faktoren beeinflusst. In der diachronen Perspektive zeigt sich, dass einige auf den ersten Blick voneinander unabhängige Entwicklungslinien Interdependenzen aufweisen und auf einen gemeinsamen Entwicklungsprozess hindeuten. Für den dass-Satz und für den zu-Infinitiv wird jeweils eine Entwicklungslinie rekonstruiert, die sich von den traditionellen Ansichten in einigen wichtigen Aspekten unterscheidet.
[Smirnova, Elena: Deutsche Komplementsatzstrukturen : synchrones System und diachrone Entwicklung / Elena Smirnova. - [1. Auflage]. - Heidelberg : Universitätsverlag Winter, [2017]. - 286 Seiten : Illustrationen. - (Sprache - Literatur und Geschichte ; Band 48)
ISBN 978-3-8253-6722-0]
The study presents stylistic textual analysis based on examples of film reviews and similar texts devoted to film as published in a variety of German magazines and newspapers or their online versions. The text basis is formed by 470 texts about films from Der Spiegel, Focus, Die Zeit, Neue Zürcher Zeitung, sueddeutsche.de. etc. and for the comparative stylistic analysis German–Czech also from e.g. iDnes.cz.
[Malá, Jiřina: Texte über Filme : Stilanalysen anhand von Filmrezensionen und filmbezogenen Texten / Jiřina Malá. - Erste Ausgabe. - Brno : Filozofická Fakulta, Masarykova Univerzita, 2016. - 218 Seiten. - (Masarykova Univerzita$bFilozofická Fakulta : Opera Facultatis Philosophicae Universitatis Masarykianae ; 447) ISBN 978-80-210-8353-0]
"Aufstörung", "Verstörung", "Zerstörung" - damit wurde Jelineks dramatisches Schreiben von Beginn an belegt, ohne jedoch den Begriff der Störung zu definieren oder zu differenzieren. Ging es zunächst um die Zerstörung des bürgerlichen Dramas und Repräsentationstheaters, sucht das Sekundärdrama eine Auf- und Verstörung, ein komplexes Miteinander von Drama und "postdramatischem" Theatertext.
Ausgehend von kommunikations-, medien-, kultur-, literatur- und theaterwissenschaftlichen Ansätzen beschreibt Teresa Kovacs erstmals Jelineks Ästhetik der Störung und zeigt, was passiert, wenn Jelineks Sekundärdramen auf ihre "Vorlagen", auf Goethes "Urfaust" und Lessings "Nathan der Weise" treffen.
[Kovacs, Teresa: Drama als Störung : Elfriede Jelineks Konzept des Sekundärdramas / Teresa Kovacs. - Bielefeld : transcript, [2016]. - 307 Seiten. - (Theater ; Band 88) ISBN 978-3-8376-3562-1]
Das Totengedenken an die Opfer der Shoah zählt zweifellos zu den wichtigsten Inhalten von Paul Celans Dichtung. In formaler Hinsicht ist es vor allem ihr Gesprächs- bzw. Dialogcharakter, der insbesondere die neuere Celan-Forschung beschäftigte. Diese Monografie sucht beide Aspekte zu verknüpfen: Die Darstellung der Toten ist in Celans Werk nicht denkbar ohne die gleichzeitige Reflexion auf die Bedingungen ihrer poetischen Vermittlung. Das Totengedenken gelingt erst, wenn die in der Erinnerung des überlebenden Dichters anwesenden Toten einem "ansprechbaren Du" (Celan) kommuniziert werden. Doch sind die Toten mehr als nur Gesprächsinhalt; sie müssen vielmehr selbst als integrale Kommunikationsteilnehmer angesehen werden: »nicht sprachliche Wiedergabe, sondern Vergegenwärtigung durch Sprache«, wie Celan in seinen poetologischen Notizen bemerkt. Vor diesem Hintergrund wird ein trialogisches Kommunikationsmodell postuliert, das aus den drei intratextuellen Instanzen Dichter, Gesprächspartner, Toten besteht und das sich als strukturanalog zum Modell der Zeugenschaft erweist. Neben der systematischen Auffächerung des Kommunikationsmodells anhand Celans Meridian-Poetik und zahlreicher - gerade auch von der Forschung bislang vernachlässigter - Gedichte werden die poetischen Darstellungsweisen der Toten und der Shoah umfassend analysiert sowie ihr Ort innerhalb der Memoria-Forschung bestimmt. Darüber hinaus werden im Stigma-Diskurs und im Zwiespalt zwischen Totengedenken und Todessehnsucht auch kaum erforschte Aspekte von Celans Spätwerk in den Blick genommen.
[Karr, Ruven: Die Toten im Gespräch : trialogische Strukturen in der Dichtung Paul Celans / Ruven Karr. - 1. Aufl. - Hannover : Wehrhahn, 2015. - 274 S. - Zugl.: Saarbrücken, Univ., Diss., 2014.
ISBN 978-3-86525-430-6]
Die tschechische und die deutsche Wissenschaftssprache sind sich aufgrund der direkten geographischen Nachbarschaft und einer jahrhundertelangen Verbundenheit ähnlich. Dennoch bestehen Unterschiede, die im interkulturellen Kontakt zu Irritationen und Missverständnissen führen können. Agnes Goldhahn stellt kulturell bedingte Differenzen der sprachlichen Gestaltung tschechischer und deutscher Wissenschaftssprache am Beispiel Wissenschaftlicher Artikel aus dem Bereich der Linguistik vor. Neben einer Analyse des äußeren Textaufbaus geht sie auf die Sprachhandlung 'Textkommentierung' ein, was vor allem in den Bereichen der Personalität und Modalität große Unterschiede zwischen den tschechischen und den deutschen Texten offenbart.
[Goldhahn, Agnes: Tschechische und deutsche Wissenschaftssprache im Vergleich : wissenschaftliche Artikel der Linguistik / Agnes Goldhahn. - Berlin : Frank & Timme, [2017]. - 218 Seiten : Illustrationen. - (Forum für Fachsprachen-Forschung ; Band 133)
ISBN 978-3-7329-0332-0]
Im Vordergrund der Publikation stehen Beiträge, die sich intensiv mit dem Phänomen der Kollokation beschäftigen. Der erste Teil der Sammlung konzentriert sich auf die intra- und interlingualen Aspekte der Kollokationen. Der zweite Teil wird den didaktischen Studien der Kollokationen gewidment, mit dem Akzent auf der Wichtigkeit der Integration fester Wortverbindungen in den DaF-Unterricht.
[Kollokationsforschung und Kollokationsdidaktik / Peter Ďurčo (Hg.). - Wien : LIT, 2016. - 236 Seiten. - (Studien zur Linguistik ; Band 22) ISBN 978-3-643-50784-6]
In diesem Beitrag wird gezeigt, dass das Wort Volk seit einigen Jahren ein Schlüsselwort politischer Diskurse in Deutschland darstellt. Dies bedeutet im Sinne Wolf-Andreas LIEBERTs (2003) nicht nur, dass es von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren verwendet wird, um gegensätzliche Ideale und Antworten auf die Frage nach der eigenen individuellen und kollektiven Identität zu formulieren, sondern auch selbst zum Gegenstand von Kontroversen und damit diskursbestimmend wird. Dass diese jüngere Entwicklung eine besondere ist, machen Analysen deutlich, die die Verwendung des Wortes in unterschiedlichen und hinsichtlich nationaler und sozialer Identitäten dynamischen Phasen der deutschen Geschichte in den Blick nehmen.
Dort, wo es zu einem intensiven kulturellen Kontakt, Austausch und Transfer zwischen Gemeinschaften kommt, lassen sich Kategorien wie Identität und Alterität nicht immer scharf voneinander trennen, sondern erscheinen eher als "ständig zu aktualisierende soziale Konstruktionen" (NEULAND 2013: 168). Sie können zudem auch zu transkulturellen innovativen sprachlichen Schöpfungen führen. Die Sprache ist wegen ihrer identitätskonstitutiven Funktion fester Bestandteil des Modells der multiplen Sprachidentität von Marijana KRESIĆ (2007). Ausgehend von diesem Modell wird im Beitrag das enge Verhältnis von Identitätskonstruktion - Standardsprache - Sprachgebrauch diskutiert und anhand von ausgewählten Beispielen dargestellt. Die identitätskonstitutive Funktion der Sprache basiert auf der Selektion von Normen aus dem Sprachsystem, wobei der Sprechende durch die Verwendung sprachlicher Zeichen, "seine (soziale und/oder personale Identität) [begründet], d.h. er markiert, wer er als Individuum ist bzw. welcher sozialen Gruppe er zugehört" (KRESIĆ 2007: 19). Im Rahmen der Besprechung dieses Konzepts wird geprüft, wie Formen interkulturellen Sprachgebrauchs (z. B. Kiezdeutsch) in dieses Modell eingefügt werden können.
In diesem Beitrag wurden deutsche Entlehnungen in der albanischen Mundart in Kosova untersucht, welche in verschiedenen semantischen Bereichen verwendet werden. Schriftliche Quellen zu diesen Germanismen fehlen völlig, daher wurden sie durch mündliche Befragung von Informanten inventarisiert. Den Schwerpunkt dieser Untersuchung bilden der Bekanntheitsgrad und die Akzeptanz dieser Lehnwörter. Die Befragung hat ergeben, dass die Lehnwörter in den hier untersuchten semantischen Bereichen durchschnittlich von über 70% der Befragten erkannt wurden. Im Allgemeinen konnten keine großen Unterschiede im Erkennungsgrad bei männlichen und weiblichen Befragten festgestellt werden, wohingegen bei der Variable Alter eine etwas größere Diskrepanz beobachtet wurde, was das Erkennen oder Nichterkennen der deutschen Entlehnungen anging.
Aufgrund soziokultureller Unterschiede im Bereich der Rechtsordnungen und demnach auch in den Terminologien kommen beim juristischen Übersetzen etliche Divergenzen zum Vorschein. Im Falle der Null- oder partiellen Äquivalenz zwischen den Termini der Ausgangs- und Zielsprache (AS und ZS) drohen nicht nur Missverständnisse zwischen den Parteien, sondern auch fatale Folgen. Um dem vorzubeugen, muss der Übersetzer als Kenner der Rechtsbegriffe und ihrer Rolle in den Rechtssystemen als Mediator nicht nur interlinguale, sondern v.a. interkulturelle Konflikte in Bezug auf das (Miss)Verstehen lösen. Die theoretischen Ansätze werden durch Erfahrungen aus einer weitläufigen Enquete unter sowohl Auftraggebern als auch unter beeidigten Übersetzern ergänzt
In diesem Beitrag wird korpusbasiert, qualitativ und aus kontrastiver Sicht anhand ausgewählter Einzelbeispiele untersucht, welchen Beitrag die Frame-Semantik bei der Analyse konzeptueller Metaphern im aktuellen Migrationsdiskurs in der deutschen und italienischen Presse leisten kann. Sie macht es möglich, unterschiedliche Perspektivierungen bei der Betrachtung des Phänomens herauszukristallisieren, da semantische Frames ein facettenreiches Angebot für den Blickwinkel der Betrachtung bereitstellen. Auch Metaphern selbst besitzen diese Eigenschaft der Perspektivierung, vor allem auch solche, die charakteristisch für einen kulturspezifischen Kontext stehen. Zu den Möglichkeiten, die der Einsatz von Metaphern bietet, zählt vor allem der "Highlighting und Hiding"-Effekt (LAKOFF/JOHNSON 1980), indem Metaphern bestimmte Aspekte betonen oder verdunkeln. Um welche es sich dabei im Einzelnen handelt, hängt von mehreren Faktoren ab, wie zum Beispiel der politischen Orientierung von Journalisten oder Politikern oder der wirtschaftlichen Lage eines Landes.
Sprache gehört zu den wesentlichen Aspekten der Interkulturalität. Zuerst wird eine kurze Einführung in die soziolinguistische Interkulturalitätsforschung gegeben, besonders in Hinblick auf interlinguale Strategien als Forschungsfeld. Als theoretischer Rahmen wird der Forschungsansatz des Sprachmanagements vorgestellt, mit dem die Konstruktionsprozesse sprachlicher Verständigung in interkulturellen Situationen auf verschiedenen Ebenen umfassend behandeln werden können. In der Fallstudie geht es um eine deutsch-polnischen Inszenierung von Familie Schroffenstein (Heinrich von Kleist). Die in dieser Inszenierung verwendeten alternativen Strategien wie rezeptive Zweisprachigkeit, Sprachaustausch oder Einbeziehung der weniger verbreiteten Partnersprache weisen neue Anwendungsmöglichkeiten für die deutsche Sprache im mehrsprachigen Kontext auf, die auch in der Forschung und Lehre der interkulturellen Germanistik berücksichtigt werden sollten.
Die linguistic landscapes als alltägliches Phänomen vermitteln neben der unmittelbaren Konfrontation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auch Einblicke in die spezifischen, kulturell vorstrukturierten Kommunikationssituationen, die auch für den Fremdsprachenunterricht interessante Impulse bieten können. Der Beitrag befasst sich mit den linguistic landscapes als wissenschaftlichem Paradigma in seinen verschiedenen Erscheinungsformen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf das aktuelle Paradigma gelegt, das auch für das Forschungsfeld des Fremdsprachenlernens und -lehrens eine erweiterte empirische Basis schafft. Im Anschluss daran wird das sprachdidaktische Potential von Sprachlandschaften fokussiert, indem auf die sprachliche Vielfalt eingegangen wird, die in der Stadt Brünn überall im öffentlichen Raum feststellbar ist. Das Projekt "Linguistic landscapes von Brünn (Brno)" spiegelt nicht nur die Sprachkontakte und die Sprachenpolitik in diesem Raum wider, sondern macht auch die hier ablaufenden Kulturkontakte transparent und zeigt, wie der öffentliche Raum als Diskursplattform genutzt wird.
Potenzial interkultureller Konzeptualisierung und Hermeneutik am Beispiel des Flüchtlingsdiskurses
(2017)
In diesem Beitrag soll untersucht werden, wie die in größtmöglicher Breitenwirkung erzielende Online-Kommunikation deutscher und österreichischer Akteure des politischen Zentrums sowie der politischen Peripherie das Zusammenspiel kultureller Konstellationen im weiteren Sinn innerhalb des Flüchtlingsdiskurses die kulturelle Identität der eigenen bzw. der anderen Bezugsgröße konzeptuell-semiotisch konstruiert und inwieweit kulturelle Unterschiede populistisch oder zum besseren Verständnis der involvierten Kulturen genutzt werden. Dabei soll eine Methode erprobt werden, die einerseits die Einflüsse der kulturellen Konstellationen wie Landes- bzw. Regionalkultur vs. andere Kulturgemeinschaften, jeweiliges Selbstverständnis der drei Gesellschaftssektoren, Organisations- und Gruppenkulturen erfasst sowie ihre Synergie auswertet, andererseits auch die erforderlichen interdisziplinär ausgerichteten hermeneutischen Instrumente definiert.
Der wissenschaftliche Artikel ist eine Textsorte, die weltweit und zahlreich von der scientific community produziert und rezipiert wird. Doch obwohl es sich um eine international bekannte und häufig verwendete Textsorte handelt, zeichnen sich wissenschaftliche Artikel je nach Herkunft und Sprache durch zahlreiche Unterschiede aus. In diesem Beitrag folgt auf eine kurze Darstellung von Unterschieden deutscher und tschechischer wissenschaftlicher Artikel eine kontrastive Betrachtung der Fußnoten innerhalb dieser Texte. Interessant ist diesbezüglich nicht nur, welche unterschiedlichen Typen von Fußnoten in deutschen und tschechischen wissenschaftlichen Artikeln Verwendung finden, sondern auch, inwiefern die sprachlichen Merkmale der Fußnoten denen der Texte selbst entsprechen bzw. von ihnen abweichen.
Thema des vorliegenden Beitrags ist das interaktionale Potenzial des Scherzens in seiner Funktion als kooperativ entfaltete Handlung der Kritik. Im Fokus liegen speziell Kontexte, die als 'interkultureller Dialog' markiert sind und in denen sich die Interaktionsaufgabe stellt, an diskursiven 'kulturellen Grenzen' verständigungsorientiert zu arbeiten. Exemplarisch wird an einer Gesprächssequenz zwischen deutschen und ägyptischen Studierenden gezeigt, wie gerade im gemeinsamen Scherzen Konstruktionen kultureller Zugehörigkeit und Differenz kritisch-konstruktiv bearbeitbar werden, auch in beziehungsorganisatorisch schwierigen Situationen. Als entscheidend erweist sich die damit verbundene Initiierung "kulturellen Handelns". Grundlage der Untersuchung ist ein sprachwissenschaftlicher kritisch-diskursanalytischer Zugang zum Material ('Oldenburger Ansatz' der Kritischen Diskursanalyse), in dessen Rahmen diskurssemantische und interaktionsanalytische Perspektiven zusammengeführt werden.
Zieht man ein Fazit aus den verschiedenen Aspekten der Disziplinen Fremdsprachenerwerb, Musikerziehung und Interkulturelle Erziehung, führt dies zu interdisziplinären Überlegungen darüber, inwieweit sich eine Kooperation miteinander für jeden der Bereiche als sinnvoll erweist bzw. erweisen kann. Musik und Sprache haben sehr viel gemeinsam - beide sind nach einem Regelsystem konstruiert d.h. Wörter und Klänge werden zu größeren funktionellen Einheiten wie Sätzen und Phrasen zusammengefügt. Diese Regelsysteme bestimmen jeweils auch die Beziehungen ihrer einzelnen Teile zum Ganzen und bestimmte Abhängigkeiten der sprachlichen und musikalischen Elemente voneinander. Sie werden vom Menschen durch unbewusste Lernprozesse erworben. Der Beitrag stellt die Ergebnisse einer Studie dar, die an der Pädagogischen Fakultät Hradec Králové durchgeführt wurde und die sich dem Thema Musik im Fremdsprachenunterricht widmet. Es wurden ausgewählte Deutschlehrwerke analysiert und anschließend eine Umfrage unter Fremdsprachenlehrern durchgeführt. Musik im Fremdsprachenunterricht (FSU) zu verwenden, hat ein großes Potenzial. Deshalb sollte sie ein fester Bestandteil in jeder Phase des Fremdsprachenerwerbens sein.
In diesem Beitrag geht es zunächst um den aktuellen Stand der Forschung über das Verhältnis von Sprache und Emotionen mit besonderer Berücksichtigung der Untersuchungen zum Deutschen und Tschechischen. Anschließend werden einige Teilaspekte des Themas behandelt: die Unterscheidung zwischen emotionsausdrückender und emotionsbezeichnender Lexik, die Rolle der bildlichen Sprache sowie das Verhältnis vom Sprachübergreifenden und Einzelsprachlichen bei der Verbalisierung von Emotionen. Abschließend wird der Frage nachgegangen, welche Konsequenzen die im Rahmen eines Projektes ermittelten Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede bei der Versprachlichung von Emotionen im Deutschen und Tschechischen für die Behandlung emotionsrelevanter Lexik im DaF-Unterricht bei tschechischen Muttersprachlern haben können.
Beim Gebrauch einer Fremdsprache durch Anfänger handelt es sich offensichtlich um "Spielarten interkultureller Kommunikation" (FÖLDES 2007: 614). Eine bezüglich der arabischen Auslandsgermanistik ergiebige Auseinandersetzung mit der Schreibfertigkeit gelingt erst, wenn interkulturelle und handlungsorientierte Aspekte zusammen und sprachkomparatistisch berücksichtigt werden. Davon ausgehend lässt sich dann erklären, inwieweit mögliche differente Verhaltens- und Handlungsmuster in der deutschen und der arabischen Sprach- bzw. Kulturgemeinschaft das Schreiben in der deutschen Sprache beeinflussen. Neben Faktoren im sprachsystematischen und lexikalisch-semantischen Bereich lässt sich dies im pragmatischen Bereich an zwei Parametern des kommunikativen Verhaltenstyps (Grad der Expressivität sowie der der Ritualisierung) untersuchen. Mögliche differente Verhaltens- bzw. Handlungsweisen werden hier anhand von arabischen Germanistikstudierenden geschriebener Aufsätze bzw. E-Mails diskutiert.
In jüngerer Zeit finden in der Sprachwissenschaft nach einer langen Phase der Zurückhaltung kulturwissenschaftliche Orientierungen wieder vermehrt Aufmerksamkeit. Dabei bleiben allerdings zwei Bereiche nach wie vor im Hintergrund, deren Relevanz gleichwohl außer Frage steht: die Interkulturalität in der Linguistik und die kulturwissenschaftlich-interkulturelle Fremdsprachendidaktik. Hier bestehen weiterhin zahlreiche offene Forschungsfragen. Aus diesem Grunde widmet sich Band 11 der Aussiger Beiträge gerade solchen sprach- und kulturübergreifenden Fragestellungen. Mehrere der in diesem Band präsentierten Beiträge sind insbesondere auf fremdsprachendidaktische Fragestellungen ausgerichtet, die immer von den spezifischen Bedingungen des kulturellen und sprachlichen Umfeldes abhängen. Hieraus resultieren differenzierte und aktuelle Forschungsanliegen und praxisorientierte Anforderungsprofile, die so in die Reflexion eingebunden werden. Das vorliegende Heft will so Anstöße für weitere Untersuchungen im breiten Spannungsfeld interkultureller Fragestellungen geben.
Als Beginn der Theatermoderne gelten der Forschung gemeinhin Max Reinhardts vielgestaltige Versuche, das etablierte Modell des Repräsentationstheaters zu überwinden. Konzeptionell niedergeschlagen haben sie sich erstmals in den Überlegungen zur innenarchitektonischen Ausgestaltung des Berliner 'Kleinen Theaters', die Reinhardt in seinem Brief an den mit dem Projekt betrauten Freund Berthold Held vom 4. August 1901 anstellt: "Von der Bühne müssen meiner Ansicht nach unbedingt Stufen ins Publikum führen. Das können wir gut brauchen und erhöht die Intimität, vielleicht an jeder Seite ein paar Stufen, worauf in der Skizze gleich Rücksicht genommen werden möge." Die von Reinhardt gewünschten Stufen sollen die Einheit des den Bühnen- und Zuschauerraum umfassenden Raum-Zeit-Kontinuums markieren und so die programmatische Revision der im Laufe des 18. Jahrhunderts erfolgten Ausgliederung des Zeichenraums Bühne aus dem weltlichen Raum-Zeit-Kontinuum symbolisieren. In gleicher Weise markiert wird diese Revision der etablierten Kommunikationssituation Theater schon in Hugo von Hofmannsthals frühem lyrischen Drama 'Der Tod des Tizian' (1892), in dem dieser die Figur des Pagen ins Proszenium treten und das Publikum direkt ansprechen lässt, um die den Zuschauerraum vom Zeichenraum Bühne trennende Rampe in metaleptischer Geste zu überspielen. Bestimmt man das Repräsentationsparadigma, das durch diese Operationen überwunden werden soll, mit Jacques Derrida semiologisch als ein wesentlich durch die "Exteriorität des Signifikanten" bestimmtes Zeichenmodell, dann ist es wohl angemessen, die (im gemeinsamen Konzept der Salzburger Festspiele kulminierenden) Versuche Reinhardts und Hofmannsthals, mit dem Repräsentationsparadigma zu brechen, als ein von der Intention zur Interiorisierung des Signifikanten gesteuertes Programm zu bezeichnen.
Uluslararası Savaş ve Kültür Sempozyumu, Amasya Üniversitesi ve Kıbrıs Balkanlar Avrasya Türk Edebiyatları Kurumu (KIBATEK) iş birliği ile 17-19 Kasım tarihleri arasında Amasya Üniversitesinde gerçekleştirilmiştir. Savaş, kültürü şekillendiren, yönlendiren ve değiştiren ve kültürle olan bu ilişkisinden dolayı kendi diyalektiğini doğuran bir olgudur.
Die Kulturabteilung der Deutschen Botschaft Ankara, das DAAD-Informationszentrum Ankara und die Hacettepe Universität boten im Frühlingssemester 2017 für interessierte Masterstudierende und Doktoranden ein Workshop-Seminar zu kulturellen Konzepten von in den Werken von Zafer Şenocak an. Konzepte von Migration, Transkulturalität, Sprachvarietäten standen besonders im Fokus der Veranstaltung.
Bericht über die Tagung "Beziehungskrisen: Deutsch-türkische
Verhältnisse in Literatur und Film"
(2017)
Zwischen dem 14. und 16. November 2017 wurde an der Ege Universität-Izmir eine Internationale Tagung veranstaltet, welche im Rahmen zweier Germanistischer Institutspartnerschaften (GIP) vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wurde. Die Kooperation zwischen der Universität Paderborn und der Ege Universität sowie die Partnerschaft zwischen der Universität Hamburg und der Istanbul Universität trugen dazu bei, dass diese Tagung mit dem Schwerpunkt "Beziehungskrisen: Deutsch-türkische Verhältnisse in Literatur und Film" zustande kam.
Unter der Leitung der Ege Universität und der Beteiligung der Universität Paderborn, Istanbul und Hamburg fand vom 14. bis zum 16. November 2017 die erste internationale/kooperative Vierer-Tagung im Rahmen der Germanistischen Institutspartnerschaft an der Ege Universität in Izmir statt. Wissenschaftler und Interessierte reisten aus verschiedenen Städten wie Istanbul, Ankara, Eskişehir, Berlin, Paderborn, Hildesheim und Hamburg für die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte GIP Tagung an und leisteten mit gebiets- und themenbezogenen Vorträgen einen besonderen Beitrag dazu, eine international sehr vielschichtige Plattform entstehen zu lassen, die mehr als nur den literaturwissenschaftlichen Austausch ermöglichte
Mit der Untersuchung von vorintegrativen Sprachförderung von Neuzuwanderern unter dem Aspekt des Spracherwerbs und der Integration bewegt sich Nimet Tan mit ihrer Dissertation, die unter der Leitung von Prof. Dr. Hermann Funk entstanden ist, im weiten und interdisziplinären Feld der Spracherwerbs- sowie Sprachkontakt- und Integrationsforschung. Die Aktualität und Relevanz einer Arbeit, die sich mit dem Umgang Mehrsprachiger mit ihren sprachlichen Potenzialen und damit auch mit den gesellschaftlichen Herausforderungen kultureller und sprachlicher Heterogenität beschäftigt, soll hier dargelegt werden.
Türkiye'de çevirmen yetiştiren kurumların sayısının hızla artmasına karşın, çevirmen adaylarının uygulamaya ilişkin yetkinliklerini artırmayı hedefleyen, nitelikli eserlerin çok az olması düşündürücüdür. Bunda, çeviribilimin nispeten genç bir bilim alanı olmasının yanı sıra, yabancı dil edincine öncelik verilmesinin ve çevirmen adaylarının çeviri edinçlerini çeviri yaparak geliştirecekleri yanılgısı (bkz. Hagemann/ Hönig 2011) önemli bir etkendir. Oysaki çevirmen adayının, metinleri çeviri odaklı çözümleyebilme yetisine sahip olması çok önemlidir. Yücel'in de belirttiği gibi, "Bu beceriyi ve bilinci geliştirmek için öğrencilerin, metinlerin nitelik ve işlevlerini bilmenin ötesinde bir metnin nasıl farklı biçimde çevrilebileceği becerisini kazanmaları gerekmektedir".
Das Exzerpt stellt ein Mittel dar, Fachwissen auf dem Wege der Textreproduktion in individuelles Wissen eines Lernenden umzuwandeln. Dies macht das Exzerpieren zu einer der Kernkompetenzen angehender DeutschlehrerInnen und wirkt sich sowohl auf den Erfolg im Studium als auch im späteren Berufsleben aus. Ziel dieses Aufsatzes ist es, mit textlinguistischen Analysemethoden und -verfahren festzustellen, inwieweit die Studierenden im Lehramtsstudiengang Deutsch als Fremdsprache in der Türkei die Fähigkeit des Exzerpierens als Teilfähigkeit des akademischen Schreibens am Ende ihres Studiums beherrschen. An der Untersuchung nahmen insgesamt 23 Studierende aus dem 4. Studienjahr der Abteilung für Deutsche Sprache und ihre Didaktik der Marmara-Universität in Istanbul teil. Insgesamt wurden 20 von den Studierenden verfasste Exzerpte ausgewertet. Die Auswertung der Studentenexzerpte erfolgte nach drei Hauptbewertungskriterien: Gliederung und Bezug zum Primärtext, inhaltliche Gestaltung des Exzerpts und Strategien beim Schreiben von Exzerpten. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die Exzerpierkenntnisse der meisten an der Untersuchung beteiligten Studierenden am Ende ihres Studiums nicht ausreichend entwickelt sind und sie deshalb vermutlich Schwierigkeiten mit dem Exzerpieren von Texten im weiteren Studium, z.B. Masterstudium haben werden, insbesondere bei der Anfertigung von Seminararbeiten, für die eine Reihe von Aufsätzen zu exzerpieren sind.
Köşker 2015 yılında yayımlanan "Yabancı Dil Öğretiminde Kültür Aktarımı: Fransız Dili Örneği" başlıklı makalesinde geçmişten günümüze süregelen hedeflerin aksine dil öğrenmenin temel amacının artık öğrenilen dili konuşan kişilerle yazılı veya sözlü iletişim kurabilmek olduğunu belirtmiş, ancak Zeuner (1997) gibi o da konuşma ve anlama üzerine kurulu yazılı ve sözlü iletişim yetisini kullanabilmek için sadece dilbilgisi kurallarını bilmenin yetmediğini, bunun yanı sıra etkileşime girilen kişilerin yaşadıkları topluma ilişkin kültürel değerler hakkında da bilgi sahibi olmak ve dili konuşanların sözel olmayan mesajlarını da anlamak gerektiğini vurgulamıştır. Köşker ve Zeuner'in bu görüşlerinden hareketle bu çalışmada Milli Eğitim Bakanlığı Talim ve Terbiye Kurulu Başkanlığının 2016-2017 öğretim yılından itibaren 5 (beş) yıl süreyle ders kitabı olarak kabul ettiği ve okullarda 2016-2017 eğitim-öğretim yılında yaygın olarak kullanılan Türkiye'de hazırlanmış ve basılmış olan Schritt für Schritt Deutsch Ortaöğretim A1.1 Düzeyi Almanca Ders Kitabı (Çelen Öztürk, 2016) içerdiği kültürel öğeler bakımından Tomková'nın (1992) ve Arıkan ve Saraç'ın (2010) geliştirmiş oldukları ölçütler doğrultusunda mercek altına alınmış ve veriler betimsel analiz yöntemi ile çözümlenerek, yorumlanmıştır. Veriler, Schritt für Schritt Deutsch Ortaöğretim A1.1 Düzeyi Almanca Ders Kitabında hedef dilin konuşulduğu ülkenin günlük yaşamına ve kültürüne ilişkin Türkçede 'Ülke Bilgisi' olarak karşılık bulan Landeskunde kavramı bağlamında coğrafi, tarihsel, sayısal, istatistiksel vs. gibi bilgilere yer verildiğini, bunun ötesinde öğrencilerin hedef dil kültürel öğeleri görmelerini ve duymalarını ve bu yolla zihinlerinde hayal edebilmelerini sağlayan ve kendi kültürü ile hedef dilin kültürünü karşılaştırabileceği ve empati kurabileceği düzenlemelere gidildiğini, ancak gerek 'Kültürlerarasılık' kavramı bağlamında yapılması öngörülen etkinliklerin gerekse ‘Ülke Bilgisi’ olarak karşılık bulan Landeskunde kavramı bağlamında sunulan coğrafi, tarihsel, sayısal, istatistiksel vs. gibi bilgilerin sayıca oldukça sınırlı olduğunu ortaya koymuştur. Araştırma kitapta yabancı olanı doğru anlayabilmek için mutlaka bilinmesi gereken hedef dilin konuşulduğu ülkeye has kültürel değerlere çok az değinildiğini ve erek dili konuşanların sözel olmayan mesajlarını da anlayabilme becerisini de geliştirecek türde düzenlemelere gidilmesi gerektiğini ortaya koymuştur.
In the present research a pronunciation training, which was implemented within the scope of the seminar "Reading skills II", is being discussed. Turkish students in their first year, studying German Language Teaching at Uludağ University participated in this research. After a theoretical grounding, the conception of the pronunciation training and how it was implemented in the seminar will be introduced. The aim of this study is to examine, how the detected phonetic problems of the students can be eliminated through a targeted pronunciation training and how it can be perceived by the students. Orientated on the Qualitative Evaluation by Kuckartz et al. (2007) the analysis has been carried out. Therefore a questionnaire and a group-interview have been applied. Considering the evaluated results, possible perspectives for the specific field of research and teaching practice have been presented.
Werbung stellt in einer von Globalisierung und Transkulturalität geprägten Welt ein Phänomen dar, das nicht nur omnipräsent ist und uns mit Glücksversprechen und Idealbildern in Plastik(-schein-)welten verführt, sondern zunehmend als populäre Form der Kunst gepriesen wird, deren Wirkung durch ausgefeilte Formen der Rhetorik sowie eine suggestive bzw. manipulative Bildersprache gekennzeichnet ist. Fach- und insbesondere Fremdsprachen bilden einen wesentlichen Bestandteil im sprachlichen und stilistischen Repertoire der Werbesprache. Der Beitrag gliedert sich denn auch in zwei Abschnitte: Im ersten Teil der Untersuchung wird das sprachliche und stilistische Repertoire (Fachsprachen, Jugendsprache, Dialekt, Fremdsprachen (Anglizismen) der Werbesprache dargestellt. Der zweite Teil der Untersuchung beinhaltet eine exemplarische Analyse von türkischen und deutschen bzw. deutschsprachigen Werbeanzeigen im Hinblick auf die Verwendung von Anglizismen.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit einem Gedicht Heiner Müllers, das dieser in unmittelbarer Reaktion auf den Zusammenbruch des osteuropäischen Sozialismus verfasste. Da dieses Gedicht in mehreren Etappen geschrieben und publiziert wurde, gibt es Einblicke in die von Umbruch und Verwerfungen gekennzeichnete Entstehungssituation, die der Beitrag erläutern will.
Es kann gleichermaßen als eine vorläufige Lebensbilanz des Autors gelesen werden, wo sich selbstkritische Äußerungen zu den Irrtümern mit denen einer geschichtlichen Epoche kreuzen. Da die eingenommene Haltung zu diesem komplexen Veränderungsprozess und die Bewertung dieser Wende durch den Autor auch wiederum einer Selbstkritik unterworfen wurde, versucht der Beitrag, einen Einblick in die geschichtsphilosophische und ästhetische Werkstatt des Autors Heiner Müller zu geben
Alfred Döblin ist einer der erfolgreichen Schriftsteller, der die Eigenschaften der Literatur und Medizinwelt in seinen Werken vereint. Problematische Beziehungen des Menschen mit sich selbst und mit seiner Umgebung, seine Zerrissenheit in der Groβstadt, seelische Krankheiten prägen seine literarischen Werke und seine literarische Kreativität steht unter dem Einfluss seiner medizinischen Kenntnisse und insbesondere unter den seelischen Motiven. Aus diesem Grunde besteht immer die Möglichkeit, in seinen Werken diesen medizinischen Einflüssen häufig zu begegnen.
Döblin stellt in der Erzählung "Die Ermordung einer Butterblume" die Erlebnisse des Herrn Michael Fischer bei einem Waldspaziergang dar. Die Komplexität der Figur wird durch den Erzähler und seine Erzählweise konkretisiert. Denn die Konstruktion des Textes ist ebenso wichtig wie der Inhalt. Deswegen führt die Konstruktion des Textes dazu, den gesamten Text durch den Erzähler und die wechselnden Erzählperspektiven aufzuklären. Außer der wichtigen Funktion des Erzählers wird die Erzählung auch mit der außerordentlichen Figur in Betracht gezogen. Die Figur ist in einer Auseinandersetzung mit sich selbst und hat seelische Probleme. Seine seelischen Probleme werden durch den Erzähler und seine Erzählweise untersucht und aufgeklärt. Die Einflüsse dieser seelischen Probleme werden durch die Verfolgung des Erzählers gefunden und die Spuren/Motive werden durch die Einstellung des Erzählers gegenüber der erzählten Welt gelöst.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage des Geschlechts der Macht im Kolonialismus anhand der thematischen Konstellation von "Weiblichkeit, Männlichkeit und Asymmetrie" in Alfred Döblins Amazonastrilogie. Anders als frühere Beiträge über die Trilogie, die sich mit den Themen "Kolonialismus", "Interkulturalität", "koloniale Gewalt Struktur" und mit anderen sich auf ästhetische und publizistische Schriften des Autors ergebenden thematischen Schwerpunkten befassen, wird die Dialektik von Macht und Gender im Selbstermächtigungsprozess der Amazonen zunächst als destruktiv für innerindianische Geschlechtsverhältnisse und dann kontraproduktiv für die von eigenen Ehemännern angenommene antikoloniale Strategie betrachtet. Eigene Ehemänner geraten ins Kreuzfeuer der Kritik und Gewalt, wobei antikoloniale Front sozusagen dadurch unterminiert wird. Nachgewiesen wird im Beitrag, wie Amazonen, ihren politischen Zynismus betreibend, eher zu Alliierten der Kolonisatoren werden und unbewusst zur Verankerung des Kolonialismus beitragen. Des Weiteren wird untersucht, wie die selbstreflexionsfähigen und vernunftbegabten Amazonen aus früheren politischen Fehlentscheidungen lernen, ihre gegen eigene Ehemänner gerichteten politischen Gesten und Überzeugungen nun von Grund auf umzudenken, um in eigener Kulturordnung Eintracht zu stiften, wodurch eine zukunftsorientierte gemeinsame antikoloniale Front ermöglicht werden könnte.