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Anders aber als in den Deutungen der frühen dramatischen Schriften [...] ist 'Die Harzreise' bislang nicht als eine für die Topographie des jüdischen Gedächtnisses entscheidende Wegmarke eingeschätzt und interpretiert worden. Dies verwundert um so mehr, da "Die Harzreise" im Kontext eines ausgiebigen Studiums der "historia judaica" entstanden ist.
Ausgangspunkt der hier vorgenommenen Zusammenstellung einer ästhetischen Theorie, einer kunstgeschichtlichen Analyse und einer poetischen Darstellung des niederländischen Genres war eine Faszination. Annette von Droste-Hülshoff hatte in einem Prosafragment ein ästhetisches Experiment mit einer Gattung durchgeführt, deren ästhetische Besonderheiten theoretisch erst in jüngster Zeit und durch eine neuartige kulturgenetische Vorgehensweise von Hegel und Schnaase exponiert worden waren. Staunenswert dabei ist nicht nur, dass und wie Droste-Hülshoff die verschiedenen Bestimmungsstücke des Genres, die Ästhetik des Flüchtigen, die Ästhetik des Zweideutigen und die ästhetische Theorie des Interieurs, im sprachlichen Medium erprobt; verblüffend ist mehr noch, dass sie die implizit zwischen Hegel und Schnaase sich abzeichnende Differenz in der Einschätzung der ästhetisch lizenzierten Darstellung des Bösen narratologisch zu nutzen weiß und folgerichtig das niederländische Gesellschaftsbild in eine "Kriminalgeschichte" überführt.
Im Folgenden soll die Interferenz von Kunst und Mode, von Poesie und Publizistik, von Dichtung und sozialer Gestik thematisiert werden. Zu Hilfe kommt dabei eine Eigenart ästhetischen Begriffsgebrauchs, die, recht genutzt, den Nachteil der wissenssoziologischen Trennung zwischen einer ästhetischen und soziologischen Begriffsreihe behebt. Der Gebrauch ästhetischer Begriffe geht sprachgeschichtlich zum Teil weit über den ästhetisch definiten, engen Bereich des schönen und der Kunst hinaus in außerästhetische Felder des Anthropologischen, Medizinischen, Psychologischen und Sozialen. So lebt z.B. das Poesieideal von Anmut und Grazie begrifflich fort in den sozialen Bereichen der Mode und des Benehmens; so dient die Unterscheidung von Lächerlichem und Häßlichem gleichermaßen der Artikulation von Grenz- und Tabuverletzungen in polemischer Poesie einerseits und in Psychologien und Psychopathologien andererseits. Die Konzentration auf die Vielstimmigkeit eines poetischen Werkes schließt die Untersuchung nur eines für das Sozialverhalten relevanten Bereichs, etwa der Anstandsbücher, der Modejournale, der Diätetiken, der Psychopathologien, der Mentalitäts- und Sprachgeschichte zugunsten eines Interferenzspiels aller dieser
Spezialdiskurse aus.
Wenn am Ende der Beschreibung von Simplicius' Begegnung mit den Teufeln davon gesprochen wird, dass die ganze Geschichte ein "Traum" gewesen sein könnte, dann rekurriert Grimmelshausen damit auf ein spezifisches Argument der sogenannten Imaginationstheorie, die Johann Weyer in seiner — im "Simplicissimus" übrigens erwähnten — Schrift "de praestigiis daemon[um]" von 1563 mit großem (leider nur diskursiven) Erfolg in die Hexendebatte eingeführt hat.
[...] Ich möchte [...] zeigen, dass sich die [...] Teufel der Gewalt nicht nur bei den einfachen Soldaten in den Schlachten und Überfällen des Dreißigjährigen Krieges finden lassen, sondern auch auf der anderen Seite der Machtpyramide: bei der Staatsmacht.
Signatur, Hieroglyphe, Wechselrepräsentation : zur Metaphysik der Schrift in Novalis' "Lehrlingen"
(2004)
Die These, die ich in diesem Aufsatz entfalten möchte, besagt, dass sich die [...] Gedankenfigur einer Naturschrift aus drei Elementen zusammensetzt: Novalis verbindet zwei historische Modelle, die aus verwandten (aber nicht identischen) Traditionen stammen, mit einer aktuellen Debatte in der Naturphilosophie und -wissenschaft. Die Rede ist von der Signaturenlehre der Frühen Neuzeit, der Hieroglyphen-Diskussion des 18. Jahrhunderts und der Organismus-Debatte um 1800. Ich werde dabei so vorgehen, dass ich zuerst diese drei Größen isoliere und in einem zweiten Schritt ihre Synergie-Effekte vorführe
Die "Prinzessin Brambilla" ist die Geschichte eines medizinischen Heilungsprozesses, genauer: einer "Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerriittung" — so der Untertitel eines der einflussreichsten psychiatrischen Werke des frühen 19. Jahrhunderts, das auch Hoffman bekannt war: Johann C. Reils "Rhapsodieen". Wer eine Geschichte als Heilungsgeschichte inszeniert, bedarf eines erfahrenen Psychiaters, der die Therapie leitet: Im Falle der Prinzessin Brambilla ist das Meister Celionati,er, wie sich am Ende der Geschichte herausstellen wird, nicht nur einen Ciarlatano auf dem Römischen Karneval gibt, sondern zugleich ein Kenner der zeitgenössischen "Wissenschaft der Medizin" [...] ist [...].
Bücher und Publikationen in deutscher Sprache : aus der rumänischen Verlagsproduktion 1989-1999
(2004)
Zum verfilmten Faust
(2004)
Vorwort (5)
Laura Cheie – Phänomenologie und Poetik des Wasserbildes bei Georg Trakl (6)
Dana Dogaru – Probleme bei der Übersetzung von Kinderliteratur am Beispiel von James Krüss’ Florentine (18)
Laura Fota – „Bebuquin oder Die Dilettanten des Wunders”. Kritik einer Welt, in der das Wunder unmöglich geworden ist (29)
Dr. Mariana-Virginia Lãzãrescu – Hugo von Hofmannsthals Essays – eine “alles verschlingende Unform”? (55)
Palimariu Ana -Maria – Das literatur-theoretische Konzept im Frühwerk Hans Magnus Enzensbergers unter besonderer Berücksichtigung des sozialphilosophischen Einflusses der Kunstauffassung Th. W. Adornos auf die Poetik H. M. Enzensbergers (75)
Carmen Elisabeth Puchianu – Traditionalismus versus Modernismus am Beispiel von Thomas Mann und James Joyce
(Auszüge) (105)
Dr. Maria Sass / Kinga Erzse – Schwierigkeiten beim Übersetzen kinderliterarischer Texte, am Beispiel der Geschichten über Astrid von Karin Gündisch (122)
Annemarie Weber – Deutsche Kinder- und Jugendliteratur in Rumänien 1945-1989 – Bericht zum Forschungsprojekt an der Bielefelder Universität (135)
Dr. Mihaela Zaharia – Zum verfilmten Faust (144)
Adina – Lucia Nistor – Bu(h)(r)mann – Baumann – Bau(e)r. Ein Beitrag zur Wort- und Namengeschichte (159)
Horst Schuller – Bücher und Publikationen in deutscher Sprache Aus der rumänischen Verlagsproduktion 1989-1999 (175)
Das Thema "Heine und Goethe" scheint im wesentlichen erledigt, die wichtigen Stationen von Heines Auseinandersetzung mit der geliebten und gehaßten literarischen Vaterfigur sind beschrieben und untersucht. Zwei Perspektiven auf die Beziehung des 50 Jahre Jüngeren zum Weimarer Klassiker und Staatsminister herrschen dabei vor. Die eine hat ein Interesse, das man als biographisch-ideologisch bezeichnen könnte: Wie steht Heine zu Goethe? Welche Bedeutung hat die Auseinandersetzung mit ihm für die Genese seiner ästhetischen, philosophischen, politischen Positionen? In welchen Konstellationen bewegt sich Heine zwischen Goethe-Gegnern und -Verehrern, zwischen Liberalen und Romantikern, zwischen Nazarenern und Hellenen? [...] neben diese Perspektive, die den Zeitgenossen der "Wolfgang-Goetheschen Kunstperiode" also selbst durchaus geläufig war, tritt in der Heine-Forschung eine zweite, die nach binnenliterarischen Bezügen zwischen Heines und Goethes Schriften fragt.
Rezension zu Joachim Höppner/Waltraud Seidel-Höppner: Etienne Cabet und seine Ikarische Kolonie. Sein Weg vom Linksliberalen zum Kommunisten und seine Kolonie in Darstellung und Dokumentation. Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle "Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850", Bd. 33. Frankfurt/M.: Peter Lang, 2002.
[Rezension zu:] Vanessa van Ornam: Fanny Lewald And Nineteenth-Century Constructions of Feminity
(2004)
Rezension zu: Vanessa van Ornam: Fanny Lewald And Nineteenth-Century Constructions of Feminity. New York, Washington, D.C./Baltimore, Bern, Frankfurt am Main, Berlin, Brüssel, Wien, Oxford: Peter Lang, 2002 (North American Studies in Nineteenth-Century German Literature, hrsg. v. Jeffrey L. Sammons, Bd. 29).
Rezension zu Karl August Varnhagen von Ense/Heinrich Düntzer: "durch Neigung und Eifer dem Goethe'schen Lebenskreis angehören": Briefwechsel 1842-1858. Herausgegeben von Berdt Tilp. Teil 1: Einführung und Text. Teil 2: Kommentar (Forschungen zum Junghegelianismus, hrsg. v. Konrad
Feilchenfeldt und Lars Lambrecht, Band 7), Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/Main 2002
Bei der Durchsicht von literarischen und literarkritischen Werken der 1830er und 40er Jahre wird schnell deutlich, daß jedes einen anderen 'Goethe' hat. Damit ist nicht nur den Tatsachen Rechnung getragen, daß jeder der Autoren seine ganz individuelle Sicht auf Goethe zur Geltung bringen will - um des eignen Profils und der Distinktionsgewinne willen - und daß jede der sich ausdifferenzierenden ideologischen Positionen,
die dem Vormärz sein besonderes Gepräge geben, sich ihre spezielle, pejorative oder verklärende Mystifikation zurechtlegt.
Hartmann and his Prague friends, whether German-Gentile or German-Jewish, rallied enthusiastically to the cause of what at first was a reawakening of suppressed Bohemic cultural nationalism and a move towards across-fertilisation of the two main lingual cultures (Czech/German) andthe three main ethnicities (Czech/German/Jewish) of the country. They soon saw themselves as a "Jungböhmische Bewegung" to correspond to Young Germany. The Prague writer Rudolf Glaser founded a literary journal called 'Ost und West' for the express purpose of bringing together German and Slavic literary impulses under the Goethean motto: "Orient und Occident sind nicht mehr zu trennen". With Bohemia as the bridge, 'Ost und West' published German translations from all the Slavic languages including Pushkin and Gogol, contributions by German writers sympathetic to the cause of emerging nations like Heinrich Laube, Ferdinand Freiligrath, Ernst Willkomm, but above all the Prague circle of Young Bohemians like Alfred Meissner, Isidor Heller, Uffo Horn, Gustav Karpeles and Ignatz Kuranda. Also Hartmann made his literary debut in the journal with a love poem entitled "Der Drahtbinder", and featuring a subtitle which was in keeping with the spirit of the times: "nach einem slavischen Lied".
Die beiden bisher unveröffentlichten Briefe von August Hermann Ewerbeck an Georg Weerth vom 2. Januar bzw. 22. Februar 1849 befinden sich im Fonds 23 des Moskauer Rußländischen Staatlichen Archivs für Sozial- und Politikgeschichte (RGASPI). Seit 1933 gilt das gesondert eingerichtete Archiv der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ) als verschollen. Beide Briefe berühren die gleiche Thematik wie der von Galina Golovina und Martin Hundt in den MEGA-Studien 1997/1 veröffentlichte Marx-Brief an Friedrich Kapp vom Dezember 1848: die fortdauernde Finanzmisere der NRhZ nach ihrem Wiedererscheinen in den Nachmittagsstunden des 11. Oktobers (Ausgabedatum 12. Oktober 1848). Darüber hinaus vertiefen sie aus der Sicht Ewerbecks, eines der rührigsten Korrespondenten der NRhZ, unsere Kenntnisse über seine Tätigkeit sowie die von Weerth für das Blatt in der Revolution von 1848/49.
Die Bewunderung war ziemlich einseitig. Schon im späten 18. Jahrhundert pilgerte, wer sich zur "geistigen Welt" rechnete oder von ihr sich angezogen fühlte (im Besonderen auch, wer klassische künstlerische Weihen für den eigenen Kunstehrgeiz erhoffte), in das mitteldeutsche Residenzstädtchen Weimar. Es kam durchaus darauf an, Kontakt zum vielseitig interessierten und daher vielbeschäftigten, vielgerühmten Geheimen Rat zu suchen. Excellenz war exclusiv, hatte sich als Mittelpunkt
einer nun schon vom gebildeten Europa bewunderten "deutschen Geistescultur" herauskristallisiert.
Es gibt vernünftige Gründe, die Ära des Vormärz auf die Zeit zwischendem Sommer 1830, als in Europa verschiedene Insurrektionen aufflammten, und dem Vorfrühling des Jahres 1848 zu begrenzen. Im Sinn dieser Beschränkung gehört die nicht zustande gekommene Zusammenarbeit zwischen dem Weltliteraturschöpfer und dem aufstrebenden, aber be-reits 1826 in den Musikerhimmel abberufenen Weber kaum zum Thema "Goethe und die Musik des Vormärz", da die Sache zu weit im Vorfeld liegt. Doch erscheint sie im Hinblick auf das Verhältnis von Goethe zu den Jüngeren, den beiden Generationen der Künstler im Vormärz, ebenso symptomatisch wie das konfliktöse Verhältnis zu Ludwig van Beethoven.
Beethovens kompositorische Tätigkeit wird zum Paradigma musikalischen Denkens, und seine Kompositionen bilden im 19. Jahrhundert die zentrale Basis musikalischer Formenlehre. In diesem institutionalisierten Modus erscheint Beethoven - mit Avital Ronell formuliert - "wie der Höhepunkt eines Bildungsromans", auf den "nur noch ein Abstürzen
folgen kann." Der damit initiierte "Goethe-Effekt" bestimmt in hohem Maße die ästhetischen Diskussionen der folgenden Jahrzehnte: Beethoven bleibt kompositorischer Referenzpunkt, gegen dessen Autorität ein neueres sinfonisches Schaffen sich nur mit größten Schwierigkeiten zu etablieren vermag.
Die ästhetische Autorität, die Beethoven wie Goethe in der doppelten Bewegung des Begründens und des Vollendens einer Gattung zugesprochen bekommen, erstreckt sich nicht zuletzt aber auch auf das künstlerische Medium selbst. Beethoven erscheint als herausragende Gestalt am Höhe- und Endpunkt einer langen kompositorischen Entwicklung, in der die Potentiale der Musik - ihr "innigstes Wesen" - zur vollen Entfaltung gelangen
Hatte Heine für seine Person eine Mittelstellung zwischen dem sinnlichen, indifferent pantheistischen Goethe und dem sentenziösen Freiheitsdichter Schiller angestrebt, so bevorzugt hingegen Büchner eindeutig zu Ungunsten Schillers und der rhethorischen Tendenz "Goethe und Shakspeare". Der seit Hans Landsberg (1900) und Paul Landau (1909) etwas abgestandenen Lehrtradition, dernach Büchner an Shakespeare und den "Sturmund Drang" anknüpft, gibt der folgende Beitrag im Anschluß an Friedrich Sengles Betonung des Wally-Skandals eine politisch kritischere, vormärzlichere Wendung.
Der jüdische Schriftsteller und aggressiv-polemische Publizist Saul Ascher (1767-1822) fing nach den napoleonischen Befreiungskriegen das Befinden einer Generation von deutschen Intellektuellen mit einem Reizwort ein. "Die höchsten Interessen der menschlichen Natur, Religion, Vaterland, Recht, erwarben in dem Gemüth der deutschen Denker nunmehr ein eigenes Gepräge, das sich durch eine Gemüthsäusserung aussprach, die man füglich 'Germanomanie' benennen könnte." Gemeint waren die Überlegungen eines Ernst Moritz Arndt, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Ludwig Jahn, Friedrich Schlegel, Friedrich W.J. Schelling, Adam Müller und Ludwig Tieck, um die Verschiedenheit der Religion, der Verfassungen und Fürstentümer in einem deutschnationalen Geist zu einigen.
Aschers trennscharfe, aber polemisch übersteigerte Analyse der sogenannten 'Germanomanen', die er an anderer Stelle als "transzendentale Idealisten und Identitäts-Philosophen" identifizierte, erschien zu einem Zeitpunkt, als auch die Neue Welt von einer Welle der germanophilen Begeisterung erfasst wurde. Der wichtigste und am meisten rezipierte Autor der amerikanischen "Germanomanie" war Johann Wolfgang Goethe (1749-1832).
Der Deutschunterricht in den ersten Jahrzehnten nach 1800 versuchte durch Stilübungen und aus der Rhetorik übernommene Techniken die Schüler zu befähigen, Texte verschiedener Art zu verfassen und sie, wie in Bismarcks Zeugnis vermerkt ist, zur sprachlichen Gewandtheit zu befähigen. Ob die Lektüre literarischer Werke in deutscher Sprache eine der Voraussetzungen dazu sei, war umstritten. Erst in den auf das Jahr 1830 folgenden Jahrzehnten setzte sich die Ansicht durch, daß literarische Bildung, vor allem vermittelt durch die Werke 'klassischer' Schriftsteller, eine der Aufgaben des deutschen Unterrichts sei. Man könnte die Gleichzeitigkeit der Epoche "Vormärz! und des genannten Vorgangs der Aufnahme klassischer deutscher Literatur in den Unterricht der Schulen, zunächst des Gymnasiums, dann aber auch der anderen Schularten, als zufällig ansehen.
Goethe wird hier weitgehend im Gegenlicht erscheinen. Gegenlicht: das heißt in unserem Fall im Licht seiner Kritiker
und Gegner, insbesondere im Licht, in dem ihn Ludwig Börne sieht. In einer solchen Beleuchtung wird keine ganzheitliche Gestalt erkennbar, es werden lediglich Konturen wahrnehmbar; der selbstgeworfene Schatten des visierten Gegenstandes erschwert das Erkennen einzelner Züge. So wird meist ein unvorteilhaftes, ein dem Gegenstand der Betrachtung kaum gerecht werdendes, sogar ein entstellendes Licht entstehen. In einem derart unadäquaten Bild erschien Goethe sowohl in dem überhellen, blendenden Licht seiner blinden Verehrer, seiner 'Fans', wie wir diese Weise unreflektierter Anhängerschaft heute nennen würden, in einem Licht also, das die differenzierenden Züge ausblendete und ihn mit einer Art Aureole umgab, - ebenso wie in der bewußt ungünstigen
Beleuchtung, in die ihn seine von den 'Goetheanern' provozierten Kritiker stellten.
Vorwort
(2004)
Am 22. März 1832 stirbt Goethe. Nicht nur sein Leben, auch seine literarische Produktion reicht bis in den Vormärz hinein (wenn man ihn denn mit der Juli-Revolution von 1830 beginnen sieht) und lässt die klassizistische Ästhetik der 1790er Jahre am Ende weit hinter sich: 'Faust II' wird im Juli 1831 abgeschlossen und 1832 veröffentlicht, die letzte Fassung von 'Wilhelm Meisters Wanderjahre' war 1829 erschienen. Doch Goethes Tod (und damit auch das definitive Ende seines literarischen Werks) ruft nicht nur Trauer über den Verlust des unerreichbaren "Titanen" und den nun für unabwendbar gehaltenen Niedergang der deutschsprachigen Literatur hervor, er setzt auch Hoffnungen auf einen jetzt endlich möglichen Neubeginn bei den jungen Autoren frei, die sich von Goethes olympischer Überlebensgröße allzusehr in den Schatten gestellt gefühlt hatten.
Am 22. März 1832 stirbt Goethe. Nicht nur sein Leben, auch seine literarische Produktion reicht bis in den Vormärz hinein (wenn man ihn denn mit der Juli-Revolution von 1830 beginnen sieht) und lässt die klassizistische Ästhetik der 1790er Jahre am Ende weit hinter sich: 'Faust II' wird im Juli 1831 abgeschlossen und 1832 veröffentlicht, die letzte Fassung von 'Wilhelm Meisters Wanderjahre' war 1829 erschienen. Doch Goethes Tod (und damit auch das definitive Ende seines literarischen Werks) ruft nicht nur Trauer über den Verlust des unerreichbaren "Titanen" und den nun für unabwendbar gehaltenen Niedergang der deutschsprachigen Literatur hervor, er setzt auch Hoffnungen auf einen jetzt endlich möglichen Neubeginn bei den jungen Autoren frei, die sich von Goethes olympischer Überlebensgröße allzusehr in den Schatten gestellt gefühlt hatten.
Ich möchte beim Versuch einer Redistribution der narratologischen Parameter ausgehen von den Instanzen des Erzähltextes, also dem (implizierten) Autor, dem Erzähler oder den Erzählern, den Figuren und den Adressaten der Erzählung. Mittlerweile liegen zahlreiche Modelle vor, mit denen die Relationen zwischen diesen Instanzen repräsentiert werden. Eine solche Modellierung der Kommunikationssituation ist indessen nicht das, worauf ich im folgenden mein Interesse richten will. Im Blick soll hier vielmehr der Erzähltext selbst sein, an dem vorerst zwei Relationen zwischen seinen Instanzen den Gegenstand einer systematischen Analyse bilden können. Die erste Beziehung wäre die des (implizierten) Autors bzw. seines Erzählers zum Leser, die zweite dann die des Erzählers (oder der Erzähler) zu seiner (bzw. ihrer) fiktiven Welt und zu seinen (bzw. ihren) 'personnages' ('Figuren').
Der Begriff des Monuments ist sicher nicht der erste, dem man augenblicklich eine gesteigerte Attraktivität bescheinigen könnte. Monument - das klingt nach Historismus und Historienschinken, nach Denkmalpflege und moosigen Steinen, nach brachialem 19. Jahrhundert, Bildungsbürgertum und Baedeker. Monument klingt nach allem - nur nicht nach Medium, Lektüre oder Codierung, drei Bausteine, an die man nach den jüngsten kulturwissenschaftlichen Relektüren des Monuments mit diesem verbinden sollte. Denn möglicherweise ist seine Inschrift erst heute lesbar geworden und sein Jetzt der Erkennbarkeit erst in diesen Tagen gekommen. Möglicherweise mußte das Monument im Schatten jeder Aufmerksamkeit vor sich hin dämmern, um aus der begriffsgeschichtlichen Abstellkammer wieder hervorgeholt werden zu können; vielleicht bedurfte es jenes monumentalen Schlummers, damit ein Prinz 1969 kommen und es aus diesem Schlummer erwecken konnte. Spätestens seit Foucault den Begriff in seiner Einleitung in die Archäologie des Wissens wachgeküßt und wieder zum Leben erweckt hat, gehört er in das neo-historistische Repertoire von Literatur- und Kulturwissenschaftlern: Tatsächlich stellt es eine der Kuriositäten des derzeitigen wissenschaftlichen Diskurses dar, daß die aufgerüstete kulturwissenschaftliche Rede von Codierung und Hardware so selbstverständlich in terms of Monumenten spricht, als befände man sich in der Mitte des Historismus. Dabei weisen schon Codierung und Hardware darauf hin, daß es durchaus veränderte Vorzeichen sind, unter denen das Monument neuerdings wieder in die wissenschaftliche Rede einfließt.
Erst allmählich wird der Autor Alexander Lernet-Holenia wiederentdeckt. Dabei war er in der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit einer der bekanntesten österreichischen Schriftsteller. Sein weitgehendes Verschwinden aus der literarischen Öffentlichkeit und der literaturwissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte dürfte wohl vor allem seinem politischen Konservatismus - manche bezeichnen ihn als reaktionär, er selbst hat sich einmal einen konservativen Revolutionär genannt - wie seiner ihm von den Interpreten wiederholt attestierten Zwitterstellung zwischen 'hoher' und unterhaltender bzw. Trivialliteratur geschuldet sein. Daß er nicht zu den kanonisierten österreichischen Autoren des 20. Jahrhunderts gehört, hat sicherlich auch mit der bis heute von Literaturwissenschaftlern vertretenen Einschätzung zu tun, daß sich an seiner Prosa nicht ähnlich innovativ wie bei Musil, Broch und anderen die Formproblematik des modernen Erzählens erörtern läßt. Wenn sein Prosa-Werk ernsthafte Berücksichtigung erfährt, dann vor allem in der Forschung zur literarischen Phantastik zwischen dem fin de siècle und den dreißiger Jahren. In diesem Zusammenhang ist oft von einem zentralen Charakteristikum seines Schreibens die Rede. Bezug genommen wird dabei auf die von Lernet-Holenia selbst verwendete Metapher des 'Zwischenreichs'. So heißt es in einer häufig zitierten Studie von Franziska Müller-Widmer, daß Lernet-Holenia "das Ineinanderfließen von Wirklichkeit und Fiktion, von Realität und Traumwelt, Leben und Tod zum wesentlichsten Prinzip seiner schriftstellerischen Arbeit erhoben hat". Allein schon dieses Zitat belegt, wie aktuell sein Werk, das die Aufhebung bzw. die Ununterscheidbarkeit solcher Gegensätze und darüber hinaus ihr Zwischen zum zentralen Thema hat, in einer Zeit (wie der unsrigen) sein müßte, in der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion unscharf werden. Neben der auch kürzlich wieder vorgenommenen Abwertung des Autors und seines Werkes gibt es gleichwohl auch Stimmen, die die Modernität der Texte Lernet-Holenias andeuten.
In zwei bemerkenswerten Feuilletons hat der österreichische Expressionist Robert Müller eine Gesamtcharakteristik des Schriftstellers Gustav Meyrink entworfen. Sie liest sich, als solle bewiesen werden, daß die - erst später und am historischen Gegenstand des barocken Trauerspiels entfaltete - Benjaminsche Kategorie des Allegorischen auf die zeitgenössische Literatur anwendbar sei. Geschrieben zu eben der Zeit, in der Benjamin, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Expressionismus, sein Buch 'Über das deutsche Trauerspiel' zu konzipieren begann, umkreisen Müllers Aufsätze den melancholischen Blick eines Autors, dem die Welt insgesamt zum Gegenstand einer allegorischen Lektüre gerät: Meyrink versuche "Chiffren (alles Leben ist Bild) in Sprache umzusetzen", so Müller in seiner Rezension des 1916 veröffentlichten Romans 'Das grüne Gesicht', den er als Fortsetzung des ein Jahr zuvor erschienen Erfolgsbuchs 'Der Golem' begreift. In seinen "Grenzmenschen" gehe "das Tote um, Erstarrtes", sie seien "unverwendbar für das Leben des Lesers".
Die Prinzipien der Meyrinkschen Darstellungsweise erläutert Müller eingehender: "Es fehlt seinem Geschriebenen an Einmaligkeit und Präzision. Er hat keinen Humor, denn er ist ein Pathetiker bis zum Unerträglichen, aber er hat Komik, sein Witz eben ist pathetisch, es ist eine Komik, die ganz aus den Worten kommt wie seine Melancholie, sein verzehrender Pessimismus, seine Mystik, die oft zu den tiefsten Dingen geht. Wo er chaotisch ist, an den Wurzeln des Denkens, im Fegefeuer der Sprache, wird er symptomatisch für das Zeiterlebnis, das einen wissenschaftlichen Nihilismus, eine Aufklärung wider das Gelehrtendogma kennt. Das Leben erscheint als Kreislauf von Motiven, Worte, nein Wörter stehen pflanzenhaft, als Fetische des Geschehens, im Mittelpunkt. Er denkt in Sprachprämien, das Phonetische einer Prägung ist nichts Zufälliges, sondern eine Verwandtschaft, die Lautanalogie sozusagen zum Urgrunde alles Seins. [...] Meyrinks Schreibeakt chiffriert das Leben, in diesen Kürzungen und Kraftworten kommen die sonderbaren Leitmotive, die das Weltgeschehen ins Kreisen bringen, in einer Art Nebelplastik, wie Wolken, die über das Bewußtsein ziehen, zum Ausdruck."
"Texte sind generell Primzahlen. Je primer umso besser." Dennoch ergibt sich zuweilen ein Bezug eines Textes auf den anderen, eine Verwandtschaft, eine Tradition - die nicht das schlampige Fortführen eines Ungefähren meint, sondern tatsächlich den Gewinn, den ein Text/Erkenntniswerkzeug aus einem anderen Text/Erkenntniswerkzeug ziehen kann. Eine solche Traditionslinie sei hier skizziert, der prekäre Bezug von Texten, die strukturell aufeinanderweisen, wiewohl keiner der Texte in seiner Unbedingtheit irgendeinen anderen neben sich zu dulden scheint; genau darin - im Wissen um die Unvermeidbarkeit der Totale samt ihrer Unredlichkeit - freilich berühren die Werke der drei Autoren einander.
Was für ein Buch hat Martin Walser nach Meinung einer gewissen Fraktion des deutschen Feuilletons geschrieben? Ein gelungenes oder ein mißlungenes? Ein überzeugendes oder ein abstoßendes? Ein spannendes oder ein langweiliges? "Das alles wären […] nur Kategorien für ein 'schlechtes' oder 'gutes' Buch. Ich aber halte Ihr Buch für ein Dokument des Hasses." So Frank Schirrmacher in seinem offenen Brief in der FAZ (29.5.2002), mit dem die Debatte beginnt. Nicht daß Schirrmacher nicht wüßte, er habe es mit Literatur, mit Fiktion zu tun. "Ich bin imstande, das literarische Reden vom nichtliterarischen zu unterscheiden." Aber ich will nicht. Hier und jetzt ganz und gar und durchaus nicht.
Kein gutes Buch also. Aber auch kein schlechtes. Gar kein Buch. Vielmehr ein Dokument, das, er mag es wollen und wissen oder nicht, Zeugnis über seinen Autor ablegt. Für ihn oder gegen ihn. Und was bezeugt es, Schirrmacher zufolge? "Es geht hier nicht um die Ermordung des Kritikers als Kritiker [. . .] Es geht um den Mord an einem Juden." Hätte also Walser seinen André Ehrl-König als Kritiker ermorden, als Juden, als Person aber leben lassen (denn wer so ohne Umschweife vom Juden spricht, wie Schirrmacher es tut, muß wohl Judentum und Persönlichkeit gleichsetzen), dann wäre sein Buch möglicherweise immer noch schlecht, aber es wäre immerhin ein Buch und kein "Dokument des Hasses ", in dem es gar nicht um Medienkritik, sondern um Antisemitismus geht.
Walsers Text führt einen falschen, täuschenden Titel: "Tod eines Juden" müßte er lauten, und nicht Tod eines Kritikers. Diese Meinung hat Schule gemacht. Walser zeichne "einen widerlichen Kritiker als Juden" schreibt Ruth Klüger in ihrem offenen Brief an ihn in der Frankfurter Rundschau vom 27. Juni 2002. "In diesem Buch spricht immer nur eine Stimme", findet Jan Philipp Reemtsma in seiner ausführlichen Besprechung vom 27. Juni 2002 in der FAZ. Alle übrigen, den Roman figurierenden Stimmen gelten ihr gegenüber nichts, weil sie alle "von ähnlichen Affekten getragen werden, nämlich denen des Autors".
Die Suche nach der meistgehaßten Berufsgruppe führt schnell zu einem Ergebnis, jedenfalls wenn man zahlreichen deutschsprachigen Werken der Gegenwart Glauben schenkt: Den Spitzenplatz einer solchen Statistik würden zweifellos die Literaturkritiker belegen. Goethes "Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent" wurde in den fiktiven Welten der Literatur seit Jahrhunderten in die Tat umgesetzt. Man erinnere sich nur an Bürgers Reaktion auf Schillers Attacken, die aggressiven Kritikersatiren von Heinrich Heine und Karl Kraus oder in der Literaturtheorie an die Exekution von Autor und Kritiker in Roland Barthes' 'La mort de l'auteur'. Selbst Thomas Manns Tagebücher zeugen von dessen "nächtlichen Haßwellen" gegen jeden Criticus. Seit es Literaturkritik gibt, gibt es auch die literarischen Vernichtungsphantasien der Schriftsteller gegenüber ihren Rezensenten, dennoch häufen sich in den vergangenen Jahren Texte, in denen mit Kritikern mehr als unsanft verfahren wird. Die höchsten Wellen schlug sicherlich der Mord an André Ehrl-König in Martin Walsers 'Tod eines Kritikers'. Allerdings wird er bekanntlich vom Mordopfer selbst nur inszeniert, denn Ehrl-König will für einige Zeit in charmanter Begleitung dem harten Literaturgeschäft entfliehen. Bodo Kirchhoffs "Großkritiker" Louis Freytag erleidet in Schundroman ein unangenehmeres Schicksal: Er stirbt an einem "Hieb ins Gesicht", der ihn als "Mann der Symbole" freilich bis ins Mark treffen mußte". Selbst wenn der Ich-Erzähler in Franzobels 'Shooting Star' seine Tötungsphantasien Marcel Reich-Ranicki sowie anderen Literaturkritikern gegenüber gerade noch im Zaum hält, startet er doch einen Rachefeldzug gegen Vertreter dieser Zunft: "So habe ich in unzähligen Nächten den Kritiker Gabor Keithel, der mir vorgaeworfen hat, daß ich nichts, aber auch wirklich nichts zu sagen habe, angerufen, und ihm mein Schweigen vorgeführt. Bei diversen Versandhäusern habe ich in seinem Namen Einbaumöbel bestellt, ihm einen Transvestiten geschickt, Kammerjäger, die dümmsten Leserbriefe in seinem Namen geschrieben, mich als er in Radiosendungen lächerlich gemacht. Auch bin ich in seinem Namen aus der Kirche ausgetreten, habe seiner Frau als Ermanno Peperoni glühende Liebesbriefe geschrieben und schließlich eine Keithel-Todesanzeige in die Zeitung setzen lassen und noch vieles mehr. Ich habe versucht, ihn zu vernichten, diese lächerlich verkniffene Intrigantenfigur."
Als epochales historisches Phänomen zog die Französische Revolution Menschen unterschiedlichen Schicksals und entgegengesetzter Denkart in ihren Bann. Auf ihrer Bühne traten nicht nur Charaktere wie Camille Desmoulins auf, die ihr gewissermaßen mit Leib und Seele angehören und die ohne diesen brutalen Beschleuniger von Geschichte wahrscheinlich ein anonymes Leben auf den Hintertreppen der Gesellschaft nie verlassen hätten. Auch Männer wie Georg Forster, die längst in Wissenschaft und Literatur sich ein ihnen sicher angehörendes Stück Land erarbeitet hatten, ließen sich in sie hineinreißen. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß es in jenen letzten Monaten vor seinem Tod, die der in seiner Heimat verfolgte deutsche Aufklärer in Paris verbracht hat, zu einer persönlichen Begegnung zwischen den beiden so unterschiedlichen Schriftstellerpersönlichkeiten gekommen ist: der Revolutionskommissar Merlin de Thionville, mit dem Forster während der kurzlebigen Mainzer Republik zusammengearbeitet hatte und den er nun in Paris wieder aufsuchte, war ein enger Freund und zeitweilig sogar Koautor von Desmoulins.
Bei einem solchen Treffen, sollte es zustande gekommen sein, hätten die beiden Schriftsteller ihre divergenten Einschätzungen zum gegenwärtigen Stand der Revolution diskutieren können. Ursprünglich beide gleichermaßen vom Terror verschreckt, hatten sie in den letzten Monaten des Jahres 1793 dennoch sehr unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Desmoulins überwand seine Angst vor der mörderischen politischen Repression (und wohl auch die Sorge, den eigenen Kameraden als Nestbeschmutzer zu erscheinen) und startete Ende des Jahres mit seiner Zeitschrift 'Le Vieux Cordelier' eine publizistische Kampagne gegen eine Revolution, die in seinen Augen ihre Ideale preiszugeben im Begriff war. Forster dagegen rang sich dazu durch, die Übel der aktuellen Lage als notwendiges Zwischenstadium zu akzeptieren. Wenige Wochen bevor Desmoulins seine neue Zeitschrift gründete, hatte er unter dem Titel 'Parisische Umrisse' eine Artikelfolge eröffnet, in der er seinen empfindsamen deutschen Lesern, gewissermaßen aus der Höhle des Löwen heraus, den Terror nahezubringen versuchte.
Musik einer Erinnerungspoetik : Fallstudie über deutschsprachige und hebräische Literatur nach 1945
(2004)
Nach 1945 trägt die Literatur eine neue Last. Die Frage der Repräsentation ist nun mit einer Katastrophe verbunden. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit den Gegenständen der Erinnerung und des Vergessens, in der sich die Fragen der Sprache selbst - die Fragen nach dem Sinn des Schreibens, der Darstellung und der Dokumentation - neu erschließen lassen. Das Ziel dieses Aufsatzes ist es, die Poetik einer Erinnerungsarbeit in der deutschen, österreichischen und hebräischen Literatur nach 1945 zu rekonstruieren, indem die Verwendungsweise musikalischer Diskurse als Grundlage einer Erzählkunst exemplarischer Texte geprüft wird. Der Aufsatz widmet sich den folgenden Romanen: Die 'Blechtrommel' (1959) von Günter Grass, 'Malina' (1971) von Ingeborg Bachmann, 'Beton' (1982) und 'Auslöschung' (1986) von Thomas Bernhard, 'Rosendorf Quartett' (1987) und 'Der Schatten von Rosendorf' (2001) von Nathan Shacham, 'Vom Wasser' (1998) von John von Düffel und 'Die Katze und der Schmetterling' (2001) von Yoel Hoffmann.
Es sind Texte von Autoren, die den Versuch unternommen haben, sowohl die semiotischen Elemente der musikalischen Sprache als auch einen spezifischen Diskurs über Musik in die literarischen Arbeiten zu übertragen, um eine Art von poetischem Gedächtnis zu rekonstruieren. Es sind poetische Räume der Wiederholungen, in denen verdrängte und verlorene Geschichten aufgedeckt und reflektiert werden. Es ist letztlich jedoch eine infragestellende Poetik der Spuren und Anspielungen, eine Literatur der Dissonanzen, die die Katastrophe der Vergangenheit zu Wort zu bringen versucht.
Die Kamera folgt einem Ball aus kreisenden Ziffern und Buchstaben. Er schnellt schwerelos durch eine Umgebung aus geometrischen Formen, leuchtenden Streifen und schnell an uns vorbeischießenden Symbolen. Die eingeblendete Schrift informiert über Ort und Zeit des Geschehens: Internet, 2021. So beginnt 'Johnny Mnemonic' - mit einer Visualisierung des Datenstroms des Internet, einer Visualisierung des Cyberspace. Der Begriff Cyberspace beschreibt dabei seinerseits, innerhalb der Kunstform, der er entstammt - der Literatur - eine Visualisierung: die grafisch dargestellte und immersiv erlebbare Summe aller vernetzten Daten. Als Erfinder des Begriffes sowie des Synonyms "Matrix" und den wesentlichen Parametern seiner Erscheinung - vor allem die Repräsentation von Daten als dreidimensionale geometrische Gestalt - gilt der kanadische Autor William Gibson. In seiner Short Story 'Burning Chrome', dem Prototyp für seinen einflußreichsten, 1984 erschienenen Roman 'Neuromancer', definiert Gibson die Erscheinung und die wesentlichen technischen Vorraussetzungen des Cyberspace: "The matrix is an abstract representation of the relationships between data systems. Legitimate programmers jack into their employers' sector of the matrix and find themselves surrounded by bright geometries representing the corporate data. Towers and fields of it ranged in the colorless nonspace of the simulation matrix, the electronic consensus-hallucination that facilitates the handling and exchange of massive quantities of data." "Cyberspace itself," schreibt Adam Roberts als Versuch einer Definition des literarischen Cyberspace, "is not a real space, but a notional space, a metaphorical space. In Gibson's novel it is described in literal, visual terms, although the narrative repeats several times that it is not a literal or visual space, but rather a nonspace."
"Mit einer kleinen, gemeinen Installation eröffnet Elfriede Jelinek auf ihrer Homepage www.elfriedejelinek.com ihre Redeschlacht um den Irak": So kündigte 'Theater heute' Elfriede Jelineks Stück Bambiland an. Zu sehen ist das Foto eines kleinen Rehs in Walt-Disney-Manier vor Tannen "aus dem Spielzeuggeschäft ", mit denen "man Spielzeugeisenbahnen dekoriert". Die "Redeschlacht" gelangte im Dezember 2003 unter der Regie von Christoph Schlingensief erstmalig am Wiener Burgtheater zur Aufführung, und wenn die Presse sich anschließend noch keine "Meinungsschlacht" lieferte, so erfolgte die schließlich nach der Inszenierung in Zürich - Elfriede Jelinek hatte das Stück dafür um zwei Monologe, Irm H. und Margit C. sprechen, erweitert -, wo Schlingensief die Installation 'Attabambi - Pornoland. Reise durchs Schwein' im Februar 2004 auf die Bühne brachte. Es mag befremden, daß der Irakkrieg, der zwar offiziell beendet, aber immer noch mit Schreckensmeldungen Thema der Nachrichten ist, schon jetzt auch Thema eines Bühnenstücks, ja mehr als das, ein "rituelles Orgien- und Hysterientheater" ist, das Elfriede Jelinek selbst folgendermaßen kommentiert: "Dieser Text ist ein Amalgam aus Medienberichten zum Irak, und Schlingensief hat es mit dieser überwältigenden visuellen Ebene nochmals amalgamiert." Wäre dann vielleicht Robert Menasse zuzustimmen, wenn er im Zeit-Interview in Bezug auf Jelinek äußert: "Ich glaube mittlerweile, dass es unerheblich geworden ist, als Schriftsteller eine Reinheit der Sprache zu verteidigen - also diese sprachpolizeiliche Tradition eines Karl Kraus fortzusetzen."
"Er schrieb mit sicherer Gelassenheit, von rechts nach links; seine Gewandtheit im Aufstellen von Syllogismen und im Ausspinnen weitläufiger Paragraphen hinderte ihn nicht, die kühle Tiefe des Hauses, das ihn umgab, wohltuend zu empfinden." So lautet der Beginn von Jorge Luis Borges' Geschichte Averroës auf der Suche. Der arabische Arzt und Philosoph Ibn Ruschd, bei uns Averroës genannt, sitzt in seinem Haus in Córdoba, jener Stadt, von der es heißt, sie habe bereits im 10. Jahrhundert eine halbe bis eine Million Einwohner gezählt, habe über 80 000 Werkstätten und Geschäfte, 900 öffentliche Bäder, 300 Moscheen und 50 Krankenhäuser besessen. Hier fließen die Geistesblüten von Okzident und Orient zusammen und kulminieren in einem Jahrhundert des Aufschwungs, das wenig später der Zerstörungswut der Reconquista zum Opfer fallen wird.
Averroës also sitzt in seinem Garten und arbeitet an seinem Werk 'Tahafut-ul-Tahafut' (Zerstörung der Zerstörung), das die Erwiderung auf das 'Tahafut-ulfalasifa' (Zerstörung der Philosophie) des Mystikers Al-Ghazali darstellt. Ein leichtes Unbehagen überkommt ihn, nicht wegen der Auseinandersetzung mit Al-Ghazali, sondern wegen eines Problems, das Averroës mit seinem Aristoteles-Kommentar hat, es sind die zwei Worte "Komödie" und "Tragödie" aus der Aristotelischen Poetik, die niemandem in der islamischen Welt etwas sagen. Wie der Zufall es will, gerät Averroës unwissentlich in den Bannkreis der Wahrheit: Bei einem Abendessen mit dem berühmten Reisenden Abulcásim Al-Ashari berichtet dieser von einem eigenartigen, bemalten Holzhaus in China, in dem maskierte Gestalten eine Geschichte aufführten, ein Theaterstück also. Keiner der Anwesenden kann sich einen Reim darauf machen, auch der Reisende selbst nicht.
Der im vergangenen Jahr verstorbene britische Philosoph Bernard Williams hat 1993 sein Buch 'Shame and Necessity' vorgelegt. Williams verheißt eine Befreiung der Antike – vor allem aus den Banden einer universalistischen Fortschrittskonzeption von Evolution und Geschichte; nach deren Maßstäben müssen den Griechen "primitive Ideen des Handelns, der Verantwortung, der ethischen Motivation und der Gerechtigkeit" zugeschrieben werden, "die im Laufe der Geschichte durch ein wesentlich komplexeres und feineres Netz von Vorstellungen ersetzt worden sind, in denen sich eine reifere Form der ethischen Erfahrung niederschlägt".
Es geht Williams nicht um die Fortschreibung der Tradition nach dem Muster einer übergreifenden europäischen Entwicklungskontinuität, sondern um die Aufsprengung einer solchen Kontinuität. Er sieht sich in der Schuld der Cambridge Ritualists, die uns daran gewöhnt hätten, an die Gesellschaften des antiken Griechenland mit Methoden heranzutreten, die denen der Kulturanthropologen ähnlich seien und neue Wege zur Entzifferung der Mythen und Rituale gebahnt hätten. Die Anthropologie der Antike habe uns die Griechen fremd gemacht und einen Sinn für ihre Andersheit erzeugt, der erst erlaubt, konkret historisch nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zu fragen. Die Antike aus einer übergreifenden Entwicklungskontinuität herauszusprengen, ist Mittel und Voraussetzung dafür, sie als "historische Formation" wiederzugewinnen. Auch wenn die antike Kultur ihren geschichtsphilosophisch privilegierten Status verloren hat, sieht Williams die Europäer in einem besonderen Verhältnis zu den "alten Griechen". Ohne blind zu sein für das, "was die Geschichte der europäischen Herrschaft zerstört oder beiseitegeschoben hat", sei das, "was wir von den Griechen lernen können", wenn wir sie mit neuen Augen sehen, Bestandteil eines soziokulturellen Selbstverständigungsprozesses, in dem Figuren des Europäischen zur Debatte stehen. Hauptgegenstand von Williams’ Buch ist die Relevanz antiker Personalitätsmodelle für die gegenwärtige Ethikdebatte.
Es gehört zum topischen Inventar des Schreibens über Auschwitz, daß allem, was von der Vernichtung zu sagen ist, bereits ein Index der Unsagbarkeit anhaftet. So notiert Peter Weiss unter dem Eindruck des Frankfurter Prozesses 1964: "Zur Endlösung: es ist ja nur unsere Generation, die etwas davon weiß, die Generation nach uns kennt es schon nicht mehr. Wir müssen etwas darüber aussagen. Doch wir können es noch nicht. Wenn wir es versuchen, mißglückt es."
Das Projekt, die "Endlösung" zu versprachlichen, zeichnet sich gegen einen Horizont seines Mißglückens ab. Jegliche Aussage ist zunächst und zuerst ein Versuch. In zwei der Eintragung nachfolgenden Arbeiten ist diese Problematik auf sehr unterschiedliche Weise reflektiert. Das Prosastück 'Meine Ortschaft' exponiert den Gestus des Versuchens, forscht nach den Differenzen und Widersprüchen im Schreiben des Vergangenen. Die Ortschaft Auschwitz, die einen festen Bezugspunkt in der Bio-/Topographie des Exilautors markiert, präsentiert sich beim Rundgang als zerfallende, gleichsam entschwindende Stätte. Imaginative Annäherungen an ihre historische Realität werden im Text umgehend reflektiert und relativiert: "Ein Lebender ist gekommen, und vor diesem Lebenden verschließt sich, was hier geschah. Der Lebende, der hierherkommt, aus einer andern Welt, besitzt nichts als seine Kenntnisse von Ziffern, von niedergeschriebenen Berichten, von Zeugenaussagen, sie sind Teil seines Lebens, er trägt daran, doch fassen kann er nur, was ihm selbst widerfährt. Nur wenn er selbst von einem Tisch gestoßen und gefesselt wird, wenn er getreten und gepeitscht wird, weiß er, was dies ist. Nur wenn es neben ihm geschieht, daß man sie zusammentreibt, niederschlägt, in Fuhren lädt, weiß er, wie dies ist."
Barbara Honigmann knüpft in ihrem Roman 'Alles, alles Liebe!' (2000) an das Genre Briefroman ihres Debüts 'Roman von einem Kinde' (1986) an. Sie führt auch in vielem den Ton weiter, der bereits diesem ersten Text seine besondere, eigenwillige Färbung gab. Es ist ein unverwechselbarer, unnachahmlicher Ton. Daß diesem Ton, den die Honigmann-Kritik bisher häufig als "einfach ", mitunter beinahe "kindlich", von einer "Naivität der höheren Art" gerühmt hat, eine ausgeprägte Sprachreflexion zugrunde liegt, soll im zweiten Teil dieses Beitrags gezeigt werden. Erinnerte Kindheit und verzeichnete Landschaften. - Erinnerte Kindheit im SED-Staat funktioniert weder als vermeintliche Idylle - verzeichnete Selbstbildnisse und Landschaften, so der ursprüngliche Titel von Honigmanns Debüt - noch als Identifikationsmuster für Anna, die Protagonistin in Honigmanns Roman 'Alles, alles Liebe!'. Anna, eine junge jüdische Frau, sieht aus wie eine Zigeunerin und assoziiert damit das Bild der 'schönen Jüdin'. Dieses Bild der abendländischen Kulturgeschichte avanciert zur "Metapher für die doppelt Andere", in der die "Phantasmen über das andere Geschlecht mit denen über das 'Jüdische' eine exotische Verbindung eingehen." So schreibt Anna an Eva: "Liebe Eva! Das erste Wort, das ich in Prenzlau hörte, war 'Zigeuner'. Jemand rief es mir nach, kaum daß ich ein paar Schritte aus dem Bahnhof getan hatte, auf der Suche nach meinem Hotel. Aber soviel ich mich auch umgesehen habe, da war kein Mensch und kein Hotel, weit und breit."
Der 1994 erschienene Roman 'Unter dem Namen Norma' ist sofort als wichtiger Beitrag zur sogenannten Wendeliteratur verstanden worden. Nun ist der Begriff 'Wendeliteratur' vor allem ein - notwendigerweise vereinfachendes - Hilfsmittel der Literaturgeschichtsschreibung der frühen neunziger Jahre. Wirklich interessante literarische Werke lassen sich damit nicht einfangen. So wird auch die vorliegende Analyse zeigen, daß eine Reduktion auf die Wende-Thematik Burmeisters Roman keineswegs gerecht wird. Zugleich wird aber deutlich werden, daß der formale und thematische Reichtum dieses Romans tatsächlich seinen Bezugspunkt findet in den politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen, die mit der Wende von 1989/1990 (und danach) verbunden sind. Im Zentrum der Analyse stehen Fragen, die für jede literarische (wie übrigens auch wissenschaftlich-historiographische) Repräsentation gelten: Wie sehr konstituiert die Form der Darstellung das Dargestellte? Wie lassen sich falsche Ideologisierungen und Vereinfachungen vermeiden? Das sind Grundfragen der modernen Literatur - Fragen, mit denen sich Brigitte Burmeister ausführlich befaßt hat und die in Unter dem Namen Norma eine entscheidende Rolle spielen.
Ich möchte dabei konkret vor allem zwei Dinge herausarbeiten, die in den bisherigen Analysen meines Erachtens unterbeleuchtet geblieben sind: erstens den Zusammenhang der selbstreflexiven Erzählweise Burmeisters mit der Frage nach einer möglichen Identität als Ex-DDR-Bewohner und zweitens den Zusammenhang der Fragen von Liebe und Freundschaft mit der Problematik des deutsch-deutschen Verhältnisses nach der Wende. Es soll gezeigt werden, wie es Brigitte Burmeister gelingt, innerliterarische Reflexion, individuell-psychologische Probleme und die politische Wende-Thematik zu einer Einheit zu machen.
In ihrem Buch 'Post-Fascist Fantasies' nennt die psychoanalytische Kritikerin Julia Hell Christa Wolfs 'Der geteilte Himmel' "Mauerroman". Im Jahre 1963 veröffentlicht - zwei Jahre nach dem Mauerbau -, erforscht 'Der geteilte Himmel' die umstrittenen Gelände der Teilung Deutschlands und der Kulturpolitik des Kalten Krieges. Wie Hell haben viele bei ihren Versuchen, Wolfs literarische Darstellung der Deutschen Demokratischen Republik und der Ideale, die sie zu realisieren suchte - besonders die Entwicklung sozialistischer Kollektive -, zu schildern, auf diesen Roman verwiesen. Und doch ist es problematisch, ihn als "Mauerroman" zu bezeichnen. Die Mauer spielt nie explizit eine Rolle in 'Der geteilte Himmel'.
In seiner Analyse dieser Vermeidung nennt Andreas Huyssen die Berliner Mauer eine "Tabuzone" in Wolfs Werk; sie zählt mit zu anderen Leerstellen in ihrem Werk: der Aufstand im Jahre 1953, der Prager Frühling 1968, der Schießbefehl.
In der Tat ist es erst in Wolfs letzter Erzählung, Leibhaftig, daß die Mauer konkretisiert wird. Mehr als vierzig Jahre nach der Barrikadierung der deutsch-deutschen Grenze und mehr als ein Jahrzehnt nach ihrem Abriß scheint es leicht, Wolfs Schwachpunkt anzuführen, um ihr Werk als scheinheilig abzutun. Doch das würde bedeuten, daß man Wolfs einzigartige Perspektive auf die Politik des Erinnerns vernichtet, die in hohem Grade mittlerweile das aktuelle deutsche Denken bestimmt. Denn in der Erinnerungspolitik enthalten sind die Chiffren der Verleugnung: die Verweigerung einer traumatischen Wahrnehmung. Wenige Autoren sind in der Lage, eine genauere Auslegung dieser Chiffren zu liefern als Christa Wolf.
"Auf eine unüberschreitbare Grenze gestoßen / Hast du, so heißt es / Eine überschreitbare überschritten." Diese Zeilen aus Brechts Gedicht auf den gescheiterten Grenzübergang Walter Benjamins 1940 in den Pyrenäen könnten dann auch, wenn auch bei radikal verändertem Vorzeichen, als Motto über dem ganzen Schaffen des Autors und Grenzgängers Volker Braun stehen. Denn auch sein ersehnter 'Übergang' drohte zu scheitern - und ist dann schließlich auch gescheitert - bei dem Zusammenstoß mit schier unüberwindlichen Hürden, auch hier solche, wie es sich herausstellte, der Macht, also ebenfalls bürokratisch-politischer Art; und auch Braun sah sich aufgefordert, bei der vergeblichen Suche nach dem einen, verwehrten Übergang dann auch alle anderen Möglichkeiten des Übergangs - die denkbaren wie die unausdenkbaren - auszutesten. Dabei ist der, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, wohl nächstliegende Übergang für einen Schriftsteller von Brauns Herkunft und politischer Überzeugung - der erhoffte in den Sozialismus - paradoxerweise gerade der, der sich dann als glatt undurchführbar erwies. Denn gemäß dem einstigen tschechischen Witz von den zwei Stadien in der Entwicklung des Sozialismus - die Schwierigkeiten der Entwicklung, und die Entwicklung der Schwierigkeiten - ist Brauns Werk also schon früh gezeichnet von der Blockade, die sich zwischen dem 'realen Sozialismus' und der Verwirklichung des Marxschen Emanzipationsprogramms auftat. So ist sein Werk wie kaum ein anderes reich an Übergängen, welcher Reichtum aber gleichzeitig die bald ausdrückliche, bald verborgene Klage und Elegie um einen einzigen verwehrten, verfehlten und gescheiterten Übergang darstellt: um jenen Übergang, in dem alle anderen hätten münden sollen, den Übergang in die von Marx evozierte menschliche Gemeinschaft.
Wenige andere Denker des vergangenen Jahrhunderts haben es vermocht, ein vergleichsweise vielfältiges, komplexes und gleichzeitig einheitlich inspiriertes, dazu einen unübertroffenen kulturellen Reichtum enthaltendes und ausstrahlendes Werk geschaffen zu haben, wie Ernst Bloch.
Ernst Bloch, geboren in Ludwigshafen am Rhein 1885, gestorben 1977 in Tübingen, ist mit seinem Werk in der Zwischenkriegszeit aufgetreten. Nach dem Studium von Philosophie, Germanistik, Physik und Musik promovierte er 1908 mit einer Arbeit über Heinrich Rickert. Hörer bei Georg Simmel, befreundet mit Georg Lukács, Margarete Susman, Max Scheler, verblieb er mit ihnen im Verhältnis eines regen intellektuellen Austausches, und selbst eine starke Individualität, ließ sein Bewußtsein zum gefühlt-reflektierten Begegnungsort werden sowohl der reichlich zu Jahrhundertanfang sich ausschüttenden künstlerisch-philosophischwissenschaftlichen Versuche (Expressionismus, Phänomenologie, Bergson, neue Physik, Marxismus) als auch der Erbschaft der alten Meister, zu denen er sich, trotz der trennenden Jahrhunderte, als Schüler bekannte: Aristoteles, Thomas von Aquin, Eckhart, Jakob Böhme, Kant, Fichte, Hegel und Goethe. Kaum ein anderer Denker unserer Zeit hat in sich solchen kulturellen Reichtum verarbeitet und in ein vielfältiges, umfassendes, mehrschichtiges Werk einfließen lassen.
Das erste Buch, 'Geist der Utopie' (1918), sollte eine Proklamation der neuen Philosophie sein. Mitten in der Darstellung der Atmosphäre des Jahrhundertanfangs: des Zerfalls, der Todesbedrohung, der Vermischung der bisher getrennten Sphären der Wirklichkeit, der Ahnungen des Endes der Welt und Neuanfangs und intensiver künstlerischer Selbstsuchen, gründete es eine Metaphysik, in der vom Dunkel des jeweils als Augenblick Gelebten ausgehend über dessen kulturelle Vermittlungen und Weltprozesse sein Adäquates, das Selbst der Menschen und somit das Wesen der Welt im Akt der Selbstbegegnung faßbar wären.
Frühe Leser von Kafkas Erzählung 'In der Strafkolonie' verwarfen ihre schockierende, perverse Offenheit. Wie Hans Beilhack schon 1916 schrieb, sei Kafkas Erzählung sadistisch, und ihr Autor sei ein "Lüstling des Entsetzens". Otto Erich Hesse ging einen Schritt weiter, indem er behauptete, Kafka und seine Leserschaft seien "Ekel erzeugen[de]" sexuelle Scheusale, die "sich an derartigen Quälereien erlustier[en] und aufgeil[en]." Selbst Kafkas Bewunderer fühlten sich verpflichtet, sich von den sexuellen Exzessen zu distanzieren, wie auch von der Beschuldigung, daß sie perverses Vergnügen aus ihr zögen. Kurt Tucholsky, der erste öffentliche Verteidiger der Erzählung, befürchtete, Kafkas Beschreibungen von Nadeln, die einen nackten Körper durchdringen, würden Vergleiche zu den allgemein bekannten sadomasochistischen Schriften des "parfümierten Salonsadisten" Hans Heinz Ewers ziehen. Doch Tucholsky betonte, daß man weder Kafka noch den Protagonisten seiner Erzählung, einen Offizier, korrekterweise als einen "Sadist[en]" bezeichnen könne. Zwar mag der Text einem perverse sexuelle Phantasien ins Gedächtnis rufen, aber das eigentliche Thema von In der Strafkolonie ist politischer Natur: Es geht um die Schilderung eines militärischkolonialen Regimes, das Amok läuft.
Die übergreifende theoretisch-historische Fragestellung für die folgenden Ausführungen lautet: Warum wird die Antike rezipiert? Konkret handelt es sich um Wandlungsprozesse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland, die von Winckelmann ausgingen, an der zahlreiche Intellektuelle dieser Zeit Anteil hatten und die im weimarisch-jenaischen Kulturkreis kulminierten - bei Schriftstellern und Gelehrten, die mehr oder weniger lange und mehr oder weniger enge Verbindungen mit Thüringen hatten (auch wenn manche ihrer Äußerungen schon vor oder erst nach ihrer Thüringer Zeit lagen). Die auffallendste Wandlung in der europäischen (mit besonderem Nachdruck in der deutschen) Antikerezeption des 18. Jahrhunderts ist die Verlagerung des Schwerpunktes von Rom auf Griechenland (und zwar auf Athen bzw. auf ein von Athen her bestimmtes Griechentum) - eine Wandlung, die zugleich die Wende von einer primär politischen zu einer vorrangig kulturellen Antikerezeption bedeutete. Ich werde darauf eingehen, das Problem aber einem anderen Aspekt unterordnen: der Frage nämlich, ob die Beziehung zum Altertum in erster Linie die Ästhetik und Poetik oder die Geschichtsphilosophie, Anthropologie und Ethik betrifft, ob sie der Kunstschönheit oder dem Menschenbild gilt, ob sie auf eine Normativität des Stils und der literarischen Gattungen oder auf eine Aufnahme von Stoffen und Motiven zielt. Es soll demnach vor allem untersucht werden, ob es sich um eine detaillierte, punktuelle, selektive oder um eine universelle Rezeption handelt und ob die imitatio von musterhaften künstlerischen Werken sowie die Befolgung allgemeinverbindlicher kunsttheoretischer Lehren oder die Affinität zum Leben, zur Geschichte, zur Kultur und zum Mythos - also zur Antike als einer ganzheitlichen Erscheinung - ausschlaggebend ist.
Der deutsch-französische Literatur- und Kulturwissenschaftler Robert Minder (1902-1980) ist heute nicht mehr so präsent, wie er es in den sechziger und siebziger Jahren war, weit über den akademischen Rahmen hinaus. Was diesen angeht, beweist seine außerordentliche Wertschätzung - speziell innerhalb der deutschsprachigen Germanistik - die anläßlich seines 70. Geburtstags erschienene Festschrift 'Wie, warum und zu welchem Ende wurde ich Literaturhistoriker? Eine Sammlung von Aufsätzen aus Anlass des 70. Geburtstags von Robert Minder, herausgegeben von Siegfried Unseld (Frankfurt/Main 1972)'. - Aus Anlaß seines 100. Geburtstags, den Minder im Jahre 2002 hätte feiern können, organisierten Albrecht Betz (Aachen) und ich in Zusammenarbeit mit dem Berliner Centre Marc Bloch und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach in Schillers Geburtsort eine Tagung über Minder, deren Vorträge den Grundstock für den umfangreichen Sammelband 'Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich' (Würzburg 2004) abgeben. In den 'Weimarer Beiträgen' soll über diesen Band - speziell meinen dortigen Aufsatz 'Wie, warum und zu welchem Ende war Robert Minder Literatursoziologe?' - hinaus der Literaturethnologe und Regionalforscher Minder thematisiert werden.
Frühe Leser von Kafkas Erzählung 'In der Strafkolonie' verwarfen ihre schockierende, perverse Offenheit. Wie Hans Beilhack schon 1916 schrieb, sei Kafkas Erzählung sadistisch, und ihr Autor sei ein "Lüstling des Entsetzens". Otto Erich Hesse ging einen Schritt weiter, indem er behauptete, Kafka und seine Leserschaft seien "Ekel erzeugen[de]" sexuelle Scheusale, die "sich an derartigen Quälereien erlustier[en] und aufgeil[en]." Selbst Kafkas Bewunderer fühlten sich verpflichtet, sich von den sexuellen Exzessen zu distanzieren, wie auch von der Beschuldigung, daß sie perverses Vergnügen aus ihr zögen. Kurt Tucholsky, der erste öffentliche Verteidiger der Erzählung, befürchtete, Kafkas Beschreibungen von Nadeln, die einen nackten Körper durchdringen, würden Vergleiche zu den allgemein bekannten sadomasochistischen Schriften des "parfümierten Salonsadisten" Hans Heinz Ewers ziehen. Doch Tucholsky betonte, daß man weder Kafka noch den Protagonisten seiner Erzählung, einen Offizier, korrekterweise als einen "Sadist[en]" bezeichnen könne. Zwar mag der Text einem perverse sexuelle Phantasien ins Gedächtnis rufen, aber das eigentliche Thema von In der Strafkolonie ist politischer Natur: Es geht um die Schilderung eines militärischkolonialen Regimes, das Amok läuft.
Zweimal Palau : Imagewandel des Pazifikinsulaners in der Vorgeschichte des deutschen Kolonialismus
(2004)
Der Kulturrelativismus Herderscher Prägung, der das 18. Jahrhundert weithin bestimmte, dann aber im späteren Verlauf des 19. durch die kolonialistische Zivilisationsideologie überschattet wurde, hat in der zweiten Hälfte des 20. erneut Auftrieb bekommen im Zusammenhang postkolonialer Interessenrichtungen. In der unmittelbaren Gegenwart werden jedoch auch Stimmen laut, die den "Kult der Kulturen" als Affront gegen die zivilisatorischen Werte Europas verdächtigen. So namentlich Roger Sandall in seinem Buch 'The Culture Cult' (Westview, Boulder 2001), das auch in den deutschsprachigen Ländern ein starkes Echo ausgelöst hat (vgl. Merkur, November 2002, S. 1024–1028).
Die Vorgeschichte des deutschen Kolonialismus kennt diesen Konflikt sozusagen in Reinkultur.
Weimarer Beiträge 50/2004
(2004)
Die Weimarer Beiträge sind eine Zeitschrift für Literaturwissenschaft, aktuelle ästhetische Theorie und Kulturwissenschaft. Zu Ihren Schwerpunkten gehören moderne Literatur im Rahmen anderer Künste und Medien, die Wechselbeziehungen von Literatur, philosophischer und ästhetischer Reflexion sowie die kritische Analyse der Gegenwartskultur.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
"Vor einiger Zeit habe ich mir einen Punchingball gekauft, hauptsächlich weil er, über einer nervenzerrüttenden Whiskyflasche hängend, sehr hübsch aussieht und meinen Besuchern Gelegenheit gibt, meine Neigung zu exotischen Dingen zu bekritteln, und weil er sie zugleich hindert, mit mir über meine Stücke zu sprechen."
Brechts Bekenntnis zu seiner Annäherung an den Boxsport stammt aus dem Jahr 1926: Es ist Teil einer unveröffentlichten Entgegnung auf den Aufsatz »Dichter sollten boxen« seines Literatenkollegen Frank Thieß. Zweifellos bildet die dreifache Kausalerklärung für den Kauf eines Trainingsgeräts nur eine ironische Annotation, eine spielerische Selbststilisierung des Autors zum umworbenen Dichterfürsten, der sich ohne Unterlass von ahnungslosen Literaturtouristen belästigt sieht. Aber en passant arrangiert Brecht hier auch eine doppelbödige Reflexion über das Verhältnis zweier Kulturpraktiken, die ihm – zumal 1926 – ausgesprochen nahestehen: der Kunst und des Sports.
Das literarische Werk Franz Kafkas ist nicht nur ein seit jeher beliebter und in der Tat nahezu idealer Prüfstein für literaturwissenschaftliche 'approaches' aller Art gewesen; es birgt auch umgekehrt ein immer wieder und immer noch überraschendes Beschreibungspotential für die Konjunkturen, Konstellationen und Dilemmata humanwissenschaftlicher Theoriearbeit. Auch für den seit einiger Zeit zu beobachtenden Konflikt zwischen einer primär auf Texte bezogenen Literatur- und einer primär auf Objekte bezogenen Kulturwissenschaft hält Kafka - "Eines aber kann ich […], das ist – warten" - seit nunmehr nahezu neunzig Jahren ein Szenario bereit: Die Nomaden sind da. Anders als die treu ergebenen Untertanen, die in ihren Hütten vergeblich auf eine Botschaft des Kaisers warten, lagern sie unmittelbar vor dem kaiserlichen Palast. Und wiederum anders als die ebenfalls dort angesiedelten Handwerker und Händler geben sie sich nicht damit zufrieden, Werte zirkulieren zu lassen und ihr Leben von den schmalen Profiten zu fristen. Denn weder interessieren sie sich sonderlich für Verständigung mit den Geschäftsleuten, noch denken sie entfernt daran, für das rohe Ochsenfleisch zu zahlen, das sie verzehren – tot oder lebendig.
Kafkas Rückspiegel-Prognose eines Kulturkollapses in "Ein altes Blatt" ist nicht nur ein Postskript zu dem großen Erzählfragment Beim Bau der chinesischen Mauer; es lässt sich zugleich als Präskript für seine Leser lesen, insbesondere für seine professionellen. Kafka treibt seinen Spaß mit der seit drei Dekaden endlos wiederholten Einsicht subjektzentrierter Hermeneutik, der zufolge einem (im formal-ästhetischen Sinne) modernen literarischen Text ein fester, verlässlicher Sinn nicht zuzuordnen sei: niemals und unter keinen Umständen erreicht der Botschafter des Kaisers das Haus des Untertanen, der sich, immerhin, seine Botschaft erträumen mag. Und Kafka treibt seinen Spaß mit der ebenso alten Tröstung soziologisch aufgeklärter Hermeneutik, nach der literarische Texte zwar keine endgültige Sinnbildung erlaubten, dafür aber eine anhaltende Zirkulation flüchtiger sozialer und kultureller Bedeutungen bewirkten.
Frank Kafkas Erzählung "Ein Landarzt" stellt eine besondere Herausforderung für Literaturwissenschaft und Germanistik dar, da sie – mehr als die meisten anderen Erzählungen aus seiner Hand – durch das Hermetische der Komposition und den surrealen Charakter der Handlung sich üblichen Deutungsmustern weitgehend entzieht. Im Rahmen dieses Jahrbuchs hat Thorsten Valk eine Deutung vorgelegt, die im "Landarzt" einen "Subjektzerfall" dargestellt sieht und diesen als Negation messianischer Dichtertheologie interpretiert. Mit "Subjektzerfall" ist zweifellos eine wesentliche Sinnschicht dieses Textes angesprochen. Anders als Valk intendiert die vorliegende Studie jedoch weniger die Einordnung in einen bestimmten geistesgeschichtlichen Kontext (Säkularisation, Dichtermythos), sondern versucht, den gedanklichen Gehalt dieser Erzählung herauszuarbeiten, also das, was der historischen Verallgemeinerung widersteht und ihre Besonderheit ausmacht – in den Worten von Roland Barthes: ihre "Kraft […], Fragen an die Welt zu stellen".
Es erschwert eine differenzierte Beschäftigung mit Eduard von Keyserling, dass sein Gesamtwerk als ein geschlossenes Ganzes von geringer Variationsbreite genommen wird. Mit seiner "eigentümliche[n] Geschlossenheit, was den handelnden Personenkreis angeht, und […] nahezu beengende[n] Begrenztheit in Hinsicht auf das erzählerische Lokal" gehört er zu jenen Autoren, die man nach exemplarischer Lektüre rasch zu begreifen meint, und die in bestimmten Diskussionen ihren festen, sicheren Platz haben, wenn auch eher im Sinne eines kurzen Querverweises. Bis heute hat sich an einem vorwiegend biographisch geprägten Verständnis seiner Werke wenig verändert.
Über Assimilation, deutsch-jüdische "Symbiose" und politischen Antisemitismus in Wien und Österreich während der k.u.k. Monarchie und der Ersten Republik gibt es umfangreiches Material, das Interessierten sowohl mentalitätsgeschichtlich als auch soziologisch und statistisch über die damaligen Verhältnisse gründlich Auskunft erteilt. Und seit Carl Schorskes vieldiskutierter Darstellung des "Fin de siècle" ist auch Hofmannsthal mehrfach in diese Untersuchungen einbezogen worden, eindrücklich von Jens Rieckmann. Debattiert wurde einerseits, ob – und in welcher Form – Hofmannsthals jüdisches Erbe in seinem Werk erkennbar sei, aber ebenso, ob er, insbesondere mit seiner heftigen Reaktion auf Dichtungen von Schnitzler und Beer-Hofmann, dabei einer Art von "jüdischem Selbsthaß" erlegen sei, der abgelehnte Ichanteile nach außen und auf andere projizierte. Und mehrfach besprochen wurde auch, wie abweisend Hofmannsthal in den 20er Jahren auf Versuche antwortete, ihn - durchaus lobend - in Publikationen zusammen mit jüdischen Autoren darzustellen.
Hofmannsthal 12/2004
(2004)
This dissertation explores the language of three German grammar books and accompanying exercise books which are produced in Germany for international students of German. It examines how the examples and exercises presented in these books constitute ‘colony texts’ which convey different representations of human activity to the reader. Analysis of the language used in the German grammar books centres on the Linguistics of Representation and borrows techniques used normally in Corpus Linguistics. By using WordSmith Tools this study shows how particular terms (nouns, verbs, adverbs and adjectives) occur with greater frequency than others in the books under analysis thereby representing certain human activities more strongly than others. The activity of ‘work*, in particular, emerges in the grammar books as a key human activity and consequently provides the main focus for analysis in this study. Concordances relating to ‘work’ are grouped and analysed in terms of what they reveal about popular professions, workplace hierarchy and attitudes and approaches to work. Findings are considered from three perspectives: what they reveal to the researcher and learners of German about the representation of ‘work’ in the chosen context, how they compare to findings from comparative analyses of German textbooks and how they can contribute to our overall understanding of ‘text*. Grammar book examples and exercises emerge as ‘texts’ which have significant potential to reflect cultural norms and attitudes despite being considered generally as a source of innocuous and unremarkable language.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem muttersprachlich Erwerb (L1) des Genus im Deutschen. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, wie ein Kind aus dem ihm angebotenen Sprachinformationen das komplexe System der Genusmarkierung erwirbt. Sie wird anhand von Daten aus einer Langzeitstudie eines monolingual aufwachsenden deutschen Kindes erörtert. Der Rahmen dieser Arbeit erforderte bei ihrem Aufbau gewisse Einschränkungen. So habe ich mich in der Auswertung der Erwerbsdaten auf den bestimmten Artikel als Genusanzeiger konzentriert. Als Artikel zeichnet er sich gegenüber den ebenfalls genusabhängigen Adjektiven dadurch aus, dass er eine meist obligatorische Konstituente einer Nominalphrase (NP) mit einem Substantiv darstellt. Der bestimmte Artikel wiederum ist einerseits der frequenteste unter den Artikelwörtern und weist andererseits das differenzierteste Formeninventar auf, wobei er als einziger Artikel im Nominativ alle drei Genera differenziert. Auch habe ich mich entschlossen, auf eine Gegenüberstellung und Diskussion verschiedener Spracherwerbstheorien zu verzichten und stattdessen ausführlicher auf die Aspekte, die im Erwerbsprozess selbst und somit für die Datenanalyse relevant sind, einzugehen. Dabei sollen unterschiedliche Ansätze berücksichtigt sowie die aktuelle Forschungslage dargestellt werden.
This article analyses the German discourse particle wohl 'I suppose', 'presumably' as a syntactic and semantic modifier of the sentence types declarative and interrogative. It is shown that wohl does not contribute to the propositional, i.e. descriptive content of an utterance. Nor does it trigger an implicature. The proposed analysis captures the semantic behaviour of wohl by assuming that it moves to SpecForceP at LF, from where it can modify the sentence type operators in Force0 in compositional fashion. Semantically, a modification with wohl results in a weaker commitment to the proposition expressed in declaratives and in a request for a weaker commitment concerning the questioned proposition in interrogatives. Cross-linguistic evidence for a left-peripheral position of wohl (at LF) comes from languages in which the counterpart of wohl occurs in the clausal periphery overtly. Overall, the analysis sheds more light on the semantic properties of the left periphery, in particular of the functional projection ForceP.
The filling of the 'Vorfeld' in German sentences is basically obligatory; which constituent, however, actually moves to the Vorfeld is underdetermined by syntax and thus governed presumably by discourse factors. Coming from English, there are certain competing expectations one could have: either the topic — more specifically, the backward-looking center — of a sentence is moved to the Vorfeld, or an element in a poset relationship to a set mentioned in the previous discourse, or elements with other functions, such as the exposition of brand-new information or the setting of a scene. A study of a corpus of texts of different stylistic levels showed that indeed all elements expected to appear in the Vorfeld are eligible for Vorfeld-movement, but that there is a strict ranking. Preferred Vorfeld-fillers are phrases containing brand-new information as well as scene-setting elements; only if no such elements are present can elements in a poset relationship with some previously mentioned set be moved to the Vorfeld. Finally, if such elements are not present either, backward-looking centers can move to the Vorfeld. Backward-looking centers have, for this reason, a relatively poor quota among Vorfeld-fillers, namely around 50%.
Der Beitrag referiert Ergebnisse eines mit Erwachsenen durchgeführten Experiments zum Verständnis des bestimmten Artikels. Das Testmaterial entstammt einem für Kinder konzipierten Blickpräferenzexperiment. Die Durchführung des Tests mit Erwachsenen diente als Kontrolle der Verwendbarkeit der Materialien und der Überprüfung folgender Hypothese: Die referentielle Grundfunktion des Artikels besteht im Verweis auf begrenzte Ganze bzw. einen bestimmten (=begrenzten) Umfang einer Entität. Der interessante Aspekt des Experiments war, dass die Entscheidung zwischen [+begrenzt] vs. [-begrenzt] innerhalb einer pluralischen Kondition fallen musste, die Begrenztheitslesart wurde also nicht durch einzahlig auftretende zählbare Objekte erzeugt. Die Ergebnisse zeigen, dass die pluralische Kondition sich auf das Antwortverhalten der Probanden auswirkte. Probanden mit durchschnittlich längerer Reaktionszeit entscheiden sich anders als Probanden mit vergleichsweise kurzer Reaktionszeit. Während von der Gruppe mit spontanerem Entscheidungsverhalten die Hypothese im Hinblick auf den Artikel bestätigt wurde, scheint sich die Gruppe mit höheren Reaktionszeiten für das prototypischere Bild innerhalb der Pluralkondition zu entscheiden.
In this paper I argue that there are three distinct constructions in Modern German in which a 'topic constituent' is detached to the left: (left-)dislocated topic ('left dislocation'), (left-)attached topic ('mixed left dislocation'), and (left-)hanging topic ('hanging topic'). Presupposing the framework of Integrational Linguistics, I provide syntactic and semantic analyses for them. In particular, I propose that these constructions involve the syntactic function (syntactic) topic, which relates the topic constituent to the remaining part of the sentence. Dislocated and attached topic constituents function in addition as a strong or weak (syntactic) antecedent of some resumptive 'd-pronoun' form.
Dislocated topic, attached topic, and hanging topic are in turn contrasted with 'free topics'. Being sentential units of their own, the latter are syntactically unconnected to the following sentence. In particular, they are not topic constituents.
The German word also, similar to English so, is traditionally considered to be a sentence adverb with a consecutive meaning, i.e. it indicates that the propositional content of the clause containing it is some kind of consequence of what has previously been said. As a sentence adverb, also has its place within the core of the German sentence, since this is the proper place for an adverb to occur in German. The sentence core offers two proper positions for adverbs: the so-called front field and the middle field. In spoken German, however, also often occurs in sentence-initial position, outside the sentence itself. In this paper, I will use excerpts of German conversations to discuss and illustrate the importance of the sentence positions and the discourse positions for the functions of also on the basis of some German conversations.
How the left-periphery of a wh-relative clause determines its syntactic and semantic relationships
(2004)
This paper discusses a certain class of German relative clauses which are characterized by a wh-expression overtly realized at the left periphery of the clause. While investigating empirical and theoretical issues regarding this class of relatives, it argues that a wh-relative clause relates syntactically to a functionally complete sentential projection and semantically to entities of various kinds that are abstracted from the matrix clause. What is shown is that this grammatical behaviour clearly can be attributed to the properties of the elements positioned at the left of a wh-relative clause. Finally, a lexically-based analysis couched in the framework of HPSG is given that accounts for the data presented.
Dem Begriff feministische Literaturtheorie liegt demzufolge ein breites und heterogenes Spektrum an Forschungsansätzen zugrunde, deren gemeinsamer Fokus die Kritik an einer androzentrischen Perspektive auf die Literatur ist. Diese genuine Pluralität feministischer Literaturtheorie, illre Inter- bzw. Transdisziplinarität, führt jedoch auch zu Widersprüchen und Kontroversen und erfordert einen kontinuierlichen Verständigungsprozess. Die Entwicklung der letzten 40 Jahre hat aufgrund der Vielfalt des feministischen intellektuellen wie politischen Projekts weitere disziplinäre Verschränkungen erfahren. Es weitete sich auf Film- und Videoforschung aus, auf naturwissenschaftliche Ansätze ebenso wie auf philosophische. Feministische Theoriebildung nimmt einen bedeutenden Stellenwert innerhalb der Theoriebildung der letzten Jahrzehnte insgesamt ein. Vielleicht auch deshalb, weil es keinen Raum, außerhalb, der Theorie gibt – außer die ForscherInnen würden im Rückgriff auf persönliche, d.h. vortheoretische Erfahrung argumentieren und damit eine Position außerhalb wissenschaftlicher Argumentationsschienen einnehmen.
Die Zeitschrift Pandaemonium Germanicum erscheint zweimal jährlich und versteht sich als Forum für die wissenschaftliche Diskussion in den verschiedenen Bereichen der internationalen Germanistik, nämlich der Literatur- und Übersetzungswissenschaft, Linguistik, DaF und Kulturstudien. Die Zeitschrift wird von der deutschen Abteilung der FFLCH-USP (Universität São Paulo) seit 1997 herausgegeben und will zur Verbreitung unveröffentlichter Forschungen von GermanistInnen aus Brasilien und anderen Ländern, sowie zur Förderung des Dialogs zwischen der Germanistik und anderen Wissensbereichen beitragen.
This paper deals with metaphorical transference of technical concepts to our everyday way of speaking. At the focus of the investigation there will be the question why one finds specifically in German, in comparison with Portuguese, for instance, frequently, tecnological metaphors related to other metaphorical concepts. On the basis of some examples extracted from the comparative survey "Brasilianische und deutsche Wirklichkeiten – eine vergleichende Fallstudie zu kommunikativ erzeugten Sinnwelten " [Brazilian and German realities – a comparative case study of communicatively created universes of meanings], we will discuss what traces of the German language and of historical-cultural development of the German nation contribute to such dynamics of everyday metaphors.