GiNDok
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Je mehr Ressourcen in zentralen "virtuellen" Orten zusammengefasst werden, desto mehr stellt sich die Frage nach der Rolle der lokalen Bibliothek und der dort angesiedelten germanistischen Fachreferentinnen und Fachreferenten. Karolin Bubke zeigt in ihrem Beitrag am Beispiel einer mittelgroßen Universitätsbibliothek, wie zum einen die Erwartungen einer mit "Google und Co." aufgewachsenen Studierendengeneration, zum anderen aber auch digitalisierte Rechercheinstrumente wie Online-Fachbibliographien und "Discovery Systeme" den Bedarf an Unterstützung und Beratung vor Ort bei der Literaturrecherche eher erhöhen als vermindern. Deutlich wird aber auch, dass die Anschaffungspolitik lokaler Bibliotheken angesichts der Lizenzierungsmodelle für digitale Literatur vor erheblichen Herausforderungen steht.
Gekommen, um zu bleiben : der Fachinformationsdienst Germanistik als digitaler Forschungsbegleiter
(2019)
Aktuell erleben wissenschaftliche Bibliotheken in Deutschland einen Paradigmenwechsel, maßgeblich initiiert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als wichtigste bibliotheksrelevante Förderinstitution: "Fachinformationsdienste für die Wissenschaft (FID)" heißt das Infrastrukturprogramm der Stunde, das eine alte Förderlinie ersetzt. Das vorherige, am Gedanken einer Art "Universalbibliothek" angelehnte Programm ist nun stärker fachspezifisch ausgerichtet und bietet so Raum für neue Infrastrukturen im Fach, beispielsweise im Bereich einer auf das Fach zugeschnittenen Literaturrecherche. Diese bietet für Forschende einen erheblichen Mehrwert, denn jetzt gilt die Devise: Eine Bibliothek muss nicht mehr alles besitzen, aber (fast) alles soll man finden können. Dies gilt auch in der germanistischen Sprach- und Literaturwissenschaft. Verfolgt wird dieser Leitgedanke seit Juli 2018 im "Fachinformationsdienst (FID) Germanistik".
Wozu sind Akademiker*innen auf Twitter? Im Unterschied zu Blogs, deren Funktion für die Wissenschaftskommunikation unstrittig ist, werden Aktivitäten auf Twitter und in anderen sozialen Medien immer noch vielfach skeptisch gesehen. Wissenschaft in 280 Zeichen? Abschreckend wirkt neben dem Verdacht extremer und letztendlich unsinniger Komplexitätsreduktion eine pauschale Kritik am Twittern. Zu den Topoi dieses Diskurses, der so verbreitet ist, dass man fast von einem eigenen journalistischen Genre sprechen könnte, gehört die Vorstellung, dass man sich auf Twitter in einem abgeschlossenen Kommunikationsraum, einer ›Bubble‹ oder ›Gemeinde‹, befinde. Diese Pauschalkritik wird, ebenso wie die weniger häufige positive Berichterstattung, auf Twitter intensiv diskutiert. Am häufigsten finden sich zwei Hinweise: erstens, dass es eben nicht die eine Twittererfahrung gibt, sondern individuelle Formen der Präsenz und der Interaktion; zweitens, dass sowohl die Idee der ›Bubble‹ als auch der ›zwei Welten‹, von Twitter auf der einen und ›realem Austausch‹ auf der anderen Seite, nicht erfasst, wie Kommunikation auf Twitter funktioniert und von Wissenschaftler*innen produktiv genutzt wird. Wer verstehen will, dass Twitter für Akademiker*innen attraktiv sein kann, sollte sich bewusst machen, dass Twitter viel Verschiedenes bietet.
Insgesamt ist die mediävistische Germanistik, speziell die Literaturwissenschaft, trotz ›digital turn‹ in der deutschsprachigen Blogosphäre unterrepräsentiert. Linguist*innen sind bei der Gestaltung von Blogs, die nicht an eine Institution angebunden sind, viel aktiver.
Während solche Plattformen und sozialen Medien von Linguist*innen und Historiker*innen häufig zur Fachkommunikation und darüber hinaus genutzt werden, ist für die mediävistische Germanistik eine große Berührungsscheu zu
diagnostizieren. Als Gründe dafür sind eine traditionelle Veröffentlichungsstruktur, Angst vor Prestigeverlust oder Fremdeln mit den Digital Humanities an sich denkbar. Es stellt sich auch die Frage, welchen Wert das Bloggen für die
eigene Publikationsliste haben kann, wenn z.B. ein halb-privat initiiertes Word-Press-Blog keine Qualitätskontrolle der Beiträge außer der die Beiträge verfassenden Person(en) selbst aufweist. Insgesamt ist die Ältere deutsche Literatur
also in diesem ›Limbo‹ so gut wie nicht vertreten. Das interdisziplinäre 'Mittelalterblog' bietet mediävistischen Germanist*innen eine Möglichkeit, diese Bedenken zu reevaluieren. Im Folgenden sollen daher die Entstehung des Projektes, seine Publikationsformate und auch der Bezug zur
Älteren deutschen Literatur- und Sprachwissenschaft beschrieben werden.
Deutschbücher dürfen auch aktuell als zentrales Lehr-Lernmittel des Deutschunterrichts gelten, dennoch findet kein Diskurs um ihre Inhalte und Konzeption statt, der die Schulpraxis und die Autorenteams zufriedenstellend einbinden würde. Zudem wird das Deutschbuch weder vonseiten der Fachdidaktik noch der Fachwissenschaften systematisch und kontinuierlich beforscht. Anliegen des Beitrags ist es, bisherige Forschungsaktivitäten sichtbar zu machen, neuere Entwicklungen sowie Entwicklungsfelder aufzuzeigen und für mehr Engagement der Deutschdidaktik im Bereich der Schulbuchforschung zu werben.
Wissenschaftsnahes Publizieren im digitalen Zeitalter : oder: Machen wir es doch einfach selber!
(2019)
Warum publizieren wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unsere Arbeitsergebnisse nicht einfach selber für jeden frei zugänglich im Netz, zum Beispiel auf der Internetseite unseres Instituts oder in einem zentralen Online-Fachrepositorium (wie z.B. GiNDok des Fachinformationsdienstes Germanistik)? Die Digitalisierung macht's möglich, denn sie befreit den Publikationsvorgang von einer Fessel, in die ihn die Erfindung Gutenbergs - der Buchdruck mit beweglichen Lettern - dereinst gelegt hatte: Jahrhundertelang benötigte jeder, der einen Text veröffentlichen wollte, einen Verleger, der ihm den relativ teuren Publikationsvorgang vorfinanzierte und sich den Kapitaleinsatz dann durch einen erheblichen Anteil am Verkaufserlös der gedruckten Exemplare plus saftiger Gewinne wieder zurückholte. Nun aber kosten Reproduktion und Verbreitung so gut wie nichts mehr, Webspace steht in Hülle und Fülle zur Verfügung.
Das literarische Internet lässt sich auch als ein Raum des experimentellen Storytelling bezeichnen. Die Verlinktheit der digitalen Welt und ihre Möglichkeiten sowie Gefahren wurden zur Inspiration oder zum Thema von Experimenten, die untersuchten, welche Geschichten, Stories dadurch entstehen und wie sie digital erzählt werden können, beziehungsweise wie die RezipientInnen an dem Erzählen auch teilnehmen können.
Der österreichische Autor Clemens J. Setz erregte bereits in relativ jungen Jahren die Aufmerksamkeit der literarischen Welt. Ab seinem 26. Lebensjahr wurden ihm bedeutende literarische Auszeichnungen verliehen. Seine Bücher zeichnen sich durch einen experimentellen Zugang zur narrativen Struktur aus, indem er beim Schreiben technische Möglichkeiten der Neuen Medien verwendet, kanonisierte Texte umschreibt und durch tiefe Einblicke in das Innere seiner Figuren Tabus bricht. In seinen Prosawerken gelingt es ihm, die dringlichsten Probleme von Individuum und Gesellschaft zu benennen. Die Schicksale und Einstellungen seiner ProtagonistInnen wirken kontrovers, weshalb sein literarisches Schaffen ambivalent rezipiert wird.
Laborsituationen, Sinnbewegungen : Poetologie des Experiments bei Ann Cotten und Oswald Egger
(2019)
Der Beitrag ist eine Annäherung an die Poetologie des Experiments im Werk von Ann Cotten und Oswald Egger. Drei Aspekte der Poetologie - Definition von Dichtung, Anschaulichkeit des Gedichteten, Ich-Verdichtung – stehen dabei im Vordergrund; die Analyse wird durch Bezüge zu poetologischen Aussagen von Ernst Jandl, Monika Rinck und Ferdinand Schmatz begleitet.
Das Werk der österreichischen Autorin Brigitta Falkner beruht auf einem unerschöpflichen Prozess der Grenzüberschreitung und der Hybridisierung. Daraus folgt u. a. eine Erweiterung der Grenzen des Literarischen: Biologie, Mathematik, Physik und andere Wissenschaften werden überraschende Akteurinnen in der neuen 'Ordnung der Dinge', die Falkner in ihren Produktionen verwirklicht.
Das Palindrom, ein seit der Antike geübtes anagrammatisches Buchstabenspiel, galt einerseits als magische und numinose Praxis, andererseits, vor allem in der Moderne, als bloßes l'art pour l'art. Wie die Form als hintersinniges experimentelles Genre genützt werden kann, zeigt Brigitta Falkners Band 'TobrevierSCHreiverbot' (1996): Hier erweist sie sich als ironisches, satirisches und (sprach-)philosophisches Bild-Text Medium mit inhärenter autoreflexiver Bedeutung.
Der Aufsatz stellt die Frage nach dem Zusammenhang von Topografien und experimentellen sprachlichen Verfahren bei Gert Jonke mit Blick auf seine Textsammlung 'Himmelstraße - Erdbrustplatz oder das System Wien' (1990) und interpretiert die Topografie Wiens beziehungsweise die Raumsemantiken, wie sie in dem aus Fragmenten eines Wien-Romans entstandenden Band Jonkes auftauchen, als Modelle. Die Topografie und der Raum haben, so die These, für Jonkes eigentümliche Bedeutungserweiterungen, -verschiebungen und Gegenüberstellungen eine modellierende Funktion und geben seine semantischen 'Experimente' gleichsam methodisch genau vor. Anhand verschiedener Begriffe von 'experimenteller Literatur' wird gezeigt, dass Jonkes Texte sich trotz ihrer widersprüchlichen Zuordnungen zur (post-)experimentellen Literatur mit Fragmenten einer wissenschaftlichen Sprache und Denkweise auseinandersetzen.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Motivation des Wechsels von der Lyrik zur Prosa im Frühwerk von Thomas Bernhard und bemüht sich zu zeigen, wie sich die 'neue' Gattung als Experimentierraum sprachlicher Konstruierbarkeit einer literarischen Wirklichkeit und die Existenzialphilosophie als neues Ausdrucksmittel des leidenden Subjekts erweist. Beide bilden die Voraussetzungen für den neuen Bernhard'schen Ton, der sich im Roman 'Frost' (1963) zum ersten Mal zeigt. Das Experimentelle im Romanerstling Bernhards ist soziologisch motiviert und äußert sich sowohl erzähltechnisch als auch konzeptuell in der 'experimentellen Sprache' des Malers Strauch.
Paul Celans Beziehung zur Avantgarde, genauer zur experimentellen Poesie, war ambivalent. Sie gehörte einerseits deutlich zu seiner dichterischen Entwicklung und Herausbildung seiner eigenen poetischen Sprache bis hin zu seiner Spätdichtung; andererseits genügte ihr reiner Ausdruck nicht seinen hohen ethisch-humanistischen Ansprüchen. Doch das, was oft auch in Celans Gelegenheitsdichtung als bloßes, harmloses, ja humorvolles Sprachspiel aussah, wird in seiner 'gültigen' Dichtung zu einem ernsten Instrument der Provokation und Warnung, das eine komplexe poetische Narrenmaske entstehen lässt. Der Beitrag versucht Celans Beziehung zur experimentellen Lyrik aufgrund der Vielschichtigkeit eben dieser dichterischen Narrenmaske zu durchleuchten.
Die Rezeption der experimentellen Literatur aus Österreich, die bis in die 1980er Jahre hinein nicht zum Literaturkanon gehört hatte, wurde maßgeblich durch den Wiener Germanistikprofessor und Leiter des Österreichischen Literaturarchivs Wendelin Schmidt-Dengler (1942-2008) geprägt. In seiner Funktion als Mitbegründer und wissenschaftlicher Betreuer des Franz-Werfel-Stipendienprogramms, in dessen Rahmen NachwuchswissenschaftlerInnen nicht nur aus Osteuropa bei ihren Dissertationen zur österreichischen Literatur gefördert beziehungsweise betreut werden, baute er ein internationales Netz von jungen AkademikerInnen auf, unter denen viele seine Vorliebe für das literarische Experiment teilen. Ende Mai 2018 trafen sich im Rahmen der internationalen Konferenz des Tschechischen Germanistenverbandes, die unter dem Titel 'Experimentierräume: Herausforderungen und Tendenzen' an der Westböhmischen Universität in Pilsen stattfand, viele ehemalige SchülerInnen von Prof. Schmidt-Dengler, darunter auch einige ehemalige Franz-Werfel-StipendiatInnen, in einer Sektion, um gemeinsam die experimentelle Literatur aus Österreich zu analysieren. Ihre Beiträge bilden den Kern des vorliegenden Konferenzbandes.
Oswald Wieners sogenannter 'Roman' gilt als Kultbuch. Gleichzeitig ist es ein total 'klugscheißerisches' Buch. Ich möchte dem Gewaltpotential dieses Werkes nachspüren: Mündet dieses in einen destruktiven anti-humanistischen Karneval (M. Bachtin) und trachtet den Menschen (als sprach- und dialogbegabtes Wesen) zu vernichten? Oder sucht es als Kunstwerk doch noch den 'Dialog' mit seinen RezipientInnen?
Einfach (.) raffiniert : Friedrich Achleitners 'einschlafgeschichten' und 'und oder oder und'
(2019)
In Friedrich Achleitners Miniaturen 'einschlafgeschichten' (2003) und 'und oder oder und' (2006) schlägt sich das Multitalent eines Analytikers, eines genauen Beobachters und eines (neo-)avantgardistischen Künstlers nieder. Die Überschneidungen zwischen dem Beruf eines Architekturtheoretikers und der Rolle des Autors prägen auch die thematische und strukturelle Ebene der Texte. Im Einklang mit der Poetik der Wiener Gruppe ist das Grundelement im Baukasten der Sprache nicht die Metapher, sondern das Wort. Das stark reduzierte Textformat sowie die Ausweitung des Sprachexperimentes auf alle Sprachebenen und deren gezielte Vermischung lassen allerdings den konstruktivistischen Eifer und Ernst der Konkreten Poesie hinter sich.
Der Beitrag setzt sich mit Theatertexten der Wiener Gruppe auseinander und untersucht diese hinsichtlich ihres experimentellen Status. Bei der Analyse werden jene Themen aufgegriffen, die die Wiener Gruppe selbst beschäftigten: die Frage nach den Möglichkeiten der Abbildung von Wirklichkeit (insbesondere durch Sprache), das Verhältnis zwischen Zeichen und seiner Bedeutung sowie die Relation zwischen Realität und
Fiktion.
In dem vorliegenden Beitrag werden die markantesten intertextuellen Bezüge der beiden Kasperlstücke 'kasperl am elektrischen stuhl' (1962) von Konrad Bayer und 'Kasperlspiel vom Meister Siebentot' (1955/1965) von Albert Drach vergleichend analysiert. Die jeweilige Neukontextualisierung der Grundkonstellation des Spiels im Spiel in Kombination mit einer Hanswurst/Kasperl-Figur, die auf Ludwig Tiecks "Kindermärchen" 'Der gestiefelte Kater' (1797) zurückgeht, aber auch auf Arthur Schnitzlers Bursleske 'Zum großen Wurstel' (1901/05) Bezug nimmt, wird auf literarische Formen des Experimentellen hin untersucht. Dabei werden zwei grundlegend unterschiedliche Positionen des literarischen Experiments in den zwei Jahrzehnten nach 1945 sichtbar.
L. W. Rochowanski (1885 Zuckmantel - 1961 Wien) war auf mindestens vier scheinbar disparaten Gebieten künstlerisch tätig: als Herausgeber und Verfasser von Mundartliteratur, als Programmatiker des avantgardistischen Theaters und Tanzes, als expressionistischer Autor und als Förderer und Vermittler von angewandter Kunst aus Österreich. Im Beitrag wird zum einen die expressionistisch-avantgardistische Position Rochowanskis im Theaterbetrieb und als Autor beleuchtet. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass die scheinbar disparaten künstlerischen Betätigungen Rochowanskis in anthroposophisch beeinflussten Menschen- und Kunstauffassungen eine gemeinsame Wurzel haben.