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Von der Annahme ausgehend, dass die Zukunftsthematik neben einzelnen Textanalysen insbes. im Kontext der diachronen Betrachtung einer literarischen Gattung von Interesse ist, konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf die Gattung der Robinsonade. Mit dem Fokus auf Daniel Defoes "Robinson Crusoe", Ernst Wiecherts "Das einfache Leben" sowie Andy Weirs "The Martian" - drei Werke, die vom Prototyp der Gattung bis zu dessen Situierung im Science Fiction-Genre reichen - erfährt die Zukunft zwar eine an den historischen und gesellschaftlichen Kontext gebundene Ausformung, ihr grundierendes narratives Schema bleibt in ihrer die Gattung umspannenden Position jedoch bei jeder Robinsonade gleich. Im Zentrum geht es dabei um die Bewältigung individueller und gesellschaftlicher Zukünfte, wobei sich in der Entwicklung verschiedener Zukunftsentwürfe und -vorstellungen, die zudem mit einer verstärkten Vergangenheitsreflexion verfahren, mögliche unsichere und sichere Zukünfte einander gegenüberstehen.
Der Beitrag untersucht die für den Protagonisten Dr. Franz von Stern vorherrschenden (Un-)Möglichkeiten des Erinnerns in Angelika Meiers dystopischem Klinikroman "Heimlich, heimlich mich vergiss". Dabei wird argumentiert, dass der Subjektstatus des Protagonisten verloren gegangen ist, weil durch die Technisierung des Körpers und Geistes des Arztes Erinnerungen ausgelöscht wurden und dadurch ein fehlendes Bewusstsein für die eigene Geschichte entstanden ist. Der Beitrag zeigt, dass das vergangene Handeln erinnert und das zukünftige reflektiert werden muss, um Einfluss auf die Zukunft nehmen zu können. In diesem Zusammenhang werden die im Roman aufgenommenen und kritisierten gesellschaftlichen Entwicklungen der Selbstoptimierung, des Gesundheitsdispositivs und des problematischen Verhältnisses von Arbeit und Leben diskutiert. Es wird veranschaulicht, wie Meier mit ihrer Dystopie die Leser:innen dazu zwingt, innezuhalten und über ihre, die Zukunft mitprägende, Gegenwart zu reflektieren.
Im vorliegenden Aufsatz stellt die Verfasserin die Frage nach einer geschichtsphilosophischen Lesart von Toni Morrisons Roman "Beloved" (1987). Dafür vergleicht sie zunächst Friedrich Nietzsches "Zweite Unzeitgemäße Betrachtung: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben" (1874) mit Walter Benjamins "Thesen über den Begriff der Geschichte" (1940), indem sie dem nicht von ungefähr kommenden Zusammenhang von kritischer Historie und Kritischer Theorie nachspürt. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse, wie der Umgang mit Historie das (Er-)Leben in der Zukunft und für die Zukunft beeinflussen kann, wird Morrisons Roman nach den verschiedenen Entwürfen des Umgangs mit Geschichte untersucht: Anhand der Mutter Sethe und den beiden Töchtern Denver und Beloved wird anschaulich gemacht, wie sich ein 'Zuviel' an Geschichte negativ auf die Zukunft auswirken kann, aber auch, wie das Vergessen als Mittel der Ermöglichung von Zukunft fungiert.
Vor dem Hintergrund sich wandelnder Zeitwahrnehmungen um 1800 nimmt der Beitrag spezifische Temporalitäten des Tragischen bei Heinrich von Kleist in den Blick. Die Lektüre von "Die Familie Schroffenstein" geht der Frage nach, inwiefern auch in einer Tragödie der Moderne Zukunftsdeterminanten zum Tragen kommen, und wie diese, hier in Gestalt des schriftlich-juristischen Mediums des Erbvertrags, trotz ihrer genuin neuzeitlichen Verfasstheit vergleichbare dramaturgische Funktionen übernehmen wie etwa ein antiker Orakelspruch. Es wird untersucht, wie der Erbvertrag die tragische Verwicklung verfügt und dabei auch zur Ausbildung von intrikaten Zeitdimensionen im Drama beiträgt. Gezeigt werden soll damit, dass diese Zeitdimensionen nicht nur im Kontext eines Paradigmenwechsels der Sattelzeit zu betrachten sind, sondern dass es gerade das gattungspoetische und womöglich transhistorische Strukturmerkmal der Vorbestimmung der Zukunft ist - die Vorwegnahme des tragischen Ausgangs -, welche die Ausformung der komplexen Zeitlichkeiten in der Tragödie bewirkt.
"Der Atem reinster Gegenwärtigkeit: no future" : Zukunft in Roman Ehrlichs Klima-Dystopie "Malé"
(2024)
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit der Frage, welche Krisen und Potenziale sich in Roman Ehrlichs 2020 erschienener Klima-Dystopie "Malé" aus dem Entwurf einer apokalyptischen Zukunft für das Erzählen ergeben. "Malé" thematisiert vor dem Hintergrund der Klimawandel-Bedrohung eine Utopie-Krise und erzählt im Modus der Rückblende eine Weltuntergangsgeschichte. Der Roman postuliert im Angesicht einer prekären Zukunft eine Identitäts- und Sprachproblematik, die auch die Literatur betrifft. Dabei deutet sich anhand von Raum- und Körperdarstellungen das Ende anthropozentrischer Konzepte an. Der Roman schlägt seine eigene synekdotische, polyphone Form als Überwindungspotenzial vor und sucht nach einer neuen Sprache und Ästhetik, in der eine Einheit mit nicht-menschlichen Entitäten gedacht und formuliert werden kann. So zeigt sich in "Malé" immer wieder utopisches Potenzial. Dies betont aus der Zukunftsperspektive die Gegenwart als Moment, an dem eine Verhinderung der durch multiple Krisen ausgelösten Apokalypse durch radikales Umdenken und Handeln noch möglich ist.
Konservativ, feministisch, schuldig? : Genderkonzepte in zwei Gedichten von Marie Luise Kaschnitz
(2024)
Marie Luise Kaschnitz' Haltung in Bezug auf Genderkonventionen und -rollen ist ambivalent. Das untersuche ich an zwei Gedichten. Das frühe Gedicht "Grabstele" (1936) zeigt ein stereotypisierendes Genderdenken, das sich auf Oberflächlichkeiten beschränkt. Kaschnitz hat das Gedicht später kritisiert und sich Gedanken über ihre eigene Haltung gemacht. Trotzdem lässt sich auch in "Grabstele" eine subversive Tendenz festmachen, die Sprechinstanz ist nämlich in Bezug auf Gender unterdeterminiert. Kaschnitz imaginierte sie zwar später als weiblich, im Text ist das aber nicht so festgelegt. Der Aufruf zu Subversion und Ungehorsam der Frauen ist im zweiten untersuchten Gedicht "Frauenfunk" (1972) stärker und expliziter. Das liegt unter anderem am historischen Kontext, dieses Gedicht wurde durch den Feminismus geprägt. Beiden Gedichten gemeinsam ist ein essentialistisches Genderkonzept mit bürgerlichen Genderrollen, das sich durch Kaschnitz' Werk zieht.
Anhand der Heimatkonzeption von Ernst Bloch soll der Begriff der 'Heimat' einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Grundlegende Merkmale in zeitlicher wie räumlicher Perspektive ausmachend, formuliert Bloch ein Heimatkonzept, das jenseits abgrenzender Selbst-Fremd-Dichotomien eine Zukunftsperspektive entwirft, die durch das Handeln gesellschaftlicher wie individueller Akteur:innen erst erreicht werden muss. Zusammen mit dem Raumkonzept der 'Nicht-Orte' von Marc Augé werden in Vicki Baums "Menschen im Hotel" (1929) Potenziale zukünftiger Heimatkonstruktionen nachgespürt und analysiert.
Der vorliegende Aufsatz befasst sich mit der Frage nach der Bedeutung von Zukunft aus Sicht des Mittelalters. Als Grundlage dienen hierfür Auszüge aus dem "Prosa-Lancelot" sowie Strickers "Daniel von dem blühenden Tal", da sich an Auszügen dieser Texte exemplarisch das Wirken von 'Zukunft' im mittelalterlichen Erzähltext illustrieren lässt. Die aus der Analyse gewonnenen Thesen werden mit der modernen Definition des Zukunftsbegriffes nach Lucian Hölscher zusammengeführt und diskutiert. Über den Weg der Raum-Zeit-Gefüge wird abschließend dargelegt, inwiefern sich die Zukunftsvorstellungen innerhalb der mittelalterlichen Literatur entwickelt haben und wie sich diese in ihrer Darstellung unterscheiden.
Heutige Diskussionen um 'Artistic Research' oder 'Investigative Aesthetics' reaktivieren die alte Frage nach den Wissens- und Erkenntnisdimensionen von künstlerischer Praxis. Auch in parallel entstehenden literarischen Texten kommt es zu verstärkten Auseinandersetzungen mit Praktiken und Begriffen außerliterarischer Wissensfelder wie den Medien, dem Recht oder den Wissenschaften. Ebenso lassen sich erhöhte Ansprüche ausmachen, mit dem eigenen literarischen Schreiben eine Art Wissen zu erzeugen. Der Beitrag stellt dies beispielhaft an deutschsprachigen Texten zum Jugoslawien-Krieg in den 1990er Jahren dar und diskutiert die literarische Hinwendung zu Formen des Wissens und Ermittelns als ein den forschenden oder investigativen Künsten verwandtes Phänomen.
Der Beitrag thematisiert die literarische Darstellung virtueller Investigationen, welche eine performativ-schauspielerische Wiederholung von Tatgeschehnissen beinhalten. Er analysiert insbesondere die Rolle von Zufallsmotiven und -aspekten in solchen Darstellungen und deren metapoetische Bedeutung im Rahmen einer Gattungspoetik des Kriminalromans. Als Fallbeispiele dienen hierfür Friedrich Dürrenmatts 'Requiem auf den Kriminalroman' "Das Versprechen" und Stanisław Lems Roman "Der Schnupfen". Im Vergleich der beiden Texte zeigt sich unter anderem, dass die Idee eines genauen 're-enactment' von Tathergängen auf der Grundlage virtueller Rekonstruktionen in beiden Romanplots nicht direkt zum gewünschten Ergebnis führt, dass aber in Lems Roman eine Integration des Faktors Zufall in virtuelle Ermittlungsprozesse und in die Poetik des Kriminalromans insgesamt sehr viel positiver gewertet wird, während der Einfluss des Zufalls bei Dürrenmatt ebenfalls als unhintergehbar, aber nicht als uneingeschränkt begrüßenswert perspektiviert wird.