Rechtswissenschaft
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Und noch ein Buch zu Carl Schmitt! Diesmal ein Reisebericht eines Schriftstellers, der als junger Mann einmal Kontakt zu Schmitt gesucht hatte, nun aber dreißig Jahre später mit der Regionalbahn von Hagen ins Sauerland fährt, um dort den 1985 verstorbenen Wortund Ideenzauberer, das Chamäleon, das "Ungeheuer", den intellektuellen Spieler noch einmal zu imaginieren. Linder fährt also über Finnentrop in das schon sagenhaft gewordene Plettenberg, liest sich gründlich in Schmitts Œuvre ein, spricht mit allen Personen, die den kleinen Professor noch gekannt haben, vor allem seinem treuen Eckermann Ernst Hüsmert, fotografiert das Sauerland bei dem Dorf Pasel, sammelt Fotos und Faksimiles und umkreist Schmitt auf eine originelle Weise, die weit entfernt ist vom Üblichen. Linder schreibt weder ein rechtswissenschaftliches Buch noch eine chronologisch geordnete historische Biographie, sondern einen poetischen Streifzug mit einer gehörigen Portion Sympathie, aber keineswegs unkritisch. Quellenzitate aus Briefen, Tagebüchern und dem Œuvre Schmitts werden mit erfundenen, aber passenden Zitaten überblendet. ...
Seit Mitte der Sechzigerjahre gab es vielerorts Ringvorlesungen zum Thema Rechtsordnung und Juristen im Nationalsozialismus (Gießen, München, Tübingen, Berlin, später in Frankfurt, Kiel und Münster), kirchliche Akademien veranstalteten zahllose entsprechende Wochenenden. Auch die Richterakademien in Trier und Brandenburg nahmen sich schließlich der Thematik an. Das Leitwort war "Vergangenheitsbewältigung", meist eine solche der Zivil- und Strafjustiz, aber auch der Rechtswissenschaft und ihrer, wie man sagte, "Verstrickungen". Göttingen veranstaltete nun im Wintersemester 2006/07 zum zweiten Mal – nach Ralf Dreier und Wolfgang Sellert (1989) – eine solche Ringvorlesung. ...
"Passau sticht in See" ist ein Gedicht von Reiner Kunze aus dem Jahr 1979 überschrieben. "Der Dom ein / kreuzmastsegel, an dem, matrosen gleich, steinmetze klettern / Der schlot des Peschlbräus zeigt rauch, die kessel stehen unter dampf / In dreier flüsse wasser zielt der bug, ein schiff das seenot kennt". ...
"Mit dem Erscheinen des vorliegenden Registerbandes ist das 'Historische Wörterbuch der Philosophie' abgeschlossen", so Gottfried Gabriel in der Vorbemerkung. Freilich ist ein wirklich "abgeschlossenes" Lexikon nur schwer vorstellbar. Es ist eine in Stichworte gedrängte Verkürzung eines bestimmten Segments der Welt. Die Auswahl der Stichworte zeigt implizit, was eine Redaktion, aber auch eine ganze Autorengeneration "in ihrer Zeit" für wichtig hielt. Zwischen den Stichworten gibt es Leerräume, die in immer feinerer Differenzierung gefüllt werden könnten. Neue Begriffe tauchen ständig auf. Der philosophische Diskurs fließt. Nachtragsbände müssten sich anschließen, das Ganze würde im Internet als "lebendiges Lexikon" mit fortwährenden Ergänzungen sozusagen als "philosophia perennis" im Sinne von Joachim Ritter fortbestehen. Käme es zu einer zweiten Auflage, dann würde man die Feldarbeit von tausendfünfhundert Autoren nochmals aufnehmen und mit Sicherheit ergäben sich viele Verschiebungen und Ergänzungen. Mit anderen Worten: Kaum hat der Stein den Gipfel erreicht, stürzt er wieder abwärts. Lust und Verzweiflung der Lexikographen. ...
"Weimar" war die am häufigsten gebrauchte Chiffre im Selbstfindungsprozess der Deutschen nach 1945. Dort wollte man wieder "anknüpfen", aber auch lernen, was vermieden werden sollte. Weimar, das waren Nationalversammlung und Verfassungsgebung, die "goldenen Zwanziger", die Inflation, die Blockierung der Politik, der "Parteienstaat", die Koalition der "Systemfeinde", das war leuchtendes Vorbild, aber auch Chaos und Vorhölle zum NS-Staat. Christoph Gusy hat auf seiner Bielefelder Tagung daraus die Frage formuliert, wie die frühe Bundesrepublik mit Traum und Trauma von "Weimar" umgegangen ist, wie sie die Aneignung von Historie betrieben und in Politik umgesetzt hat. Auf diese Fragen antworten zunächst Wolfram Pyta mit einem souveränen Überblick über den jahrzehntelangen schrittweisen Prozess der Historisierung von Weimar, sodann Elke Seefried über die Grübeleien der Exilpolitiker, was "falsch gelaufen" und künftig zu vermeiden sei – überraschend antiparlamentarische und autoritäre Grübeleien übrigens. ...
"Solidarität" ist ein Wieselwort von gallertartiger Konsistenz. Es ist allgegenwärtig, gibt sich bedeutungsschwer und meist auch etwas vorwurfsvoll. Sein Kontext ist durchweg normativ. Es taucht dort auf, wo es um den Appell an Personen auf der gleichen Ebene geht. Typischerweise rufen Gruppen nach "Solidarität", deren innere Bindungen bröckeln oder die sich in Gefahrenlagen zusammenscharen. Als es noch Standesgenossen gab, erinnerten sie gerne an die Solidarität, wenn es darum ging, den Zusammenhalt derselben Schicht zu wahren. Die alten Zünfte, Gilden, Gaffeln, Einungen und Genossenschaften waren Solidaritätsverbände. Die Arbeiterbewegung übernahm hiervon nicht nur das Wort "Genossen", sondern auch den Appell an die Klassensolidarität. Und selbst wer heutzutage einen Krieg führen will, erinnert an alte Dankesschulden und appelliert an die Solidarität der Bundesgenossen. ...
Wer an die allmähliche Verbesserung der Menschheit durch den "Fortschritt" glaubt, muss das immer wieder auftauchende Verbrechen für die letzte Bastion des Irrationalen halten. Je mehr man über Kriminalität weiß, desto größer wird die Herausforderung ihrer Beseitigung. Seit der Mitte des fortschrittstrunkenen 19. Jahrhunderts entsteht deshalb nicht nur der Kriminalroman, sondern es bemächtigen sich auch die Naturwissenschaften des Verbrechens und der Verbrecher. Das Rätsel Kriminalität scheint lösbar durch Biologie, Medizin, Eugenik und Psychiatrie. Schädel werden vermessen, man sucht Merkmale für "geborene Verbrecher", streitet um die Merkmale "geistiger Minderwertigkeit" und kombiniert dies mit Kriminalstatistiken und Milieustudien der beginnenden Soziologie. Die Juristen spüren, dass der ganze Sanktionsapparat von Schuld und Vergeltung durch die Aufdeckung determinierender Faktoren ins Wanken kommt. Setzen sie nicht mehr auf die Freiheit, sondern auf den Schutz der Gesellschaft, dann haben sie Schwierigkeiten zu begründen, dass der Schutz irgendwo aufhören muss, da man nicht alle "Minderwertigen" vorsorglich einsperren kann. Also erwägt man (neben anderen Schutzmaßnahmen) deren Sterilisation. Wenn es "geborene Verbrecher" gibt, dann sollte sich doch, so meinte man, wenigstens auf diesem Weg die nächste Generation dieser unerwünschten Variante des Menschseins verhindern lassen. ...
Raul Hilberg ist heute einer der bekanntesten Holocaust-Forscher der Welt. Er hat Preise und Orden bekommen, zuletzt in Deutschland die höchste Stufe des Verdienstordens der Republik und den Geschwister-Scholl-Preis 2002. Seine Anfänge waren eher mühsam. Seit 1948 studierte der 1938 mit seinen Eltern aus Wien in die USA geflohene Hilberg die Akten, die papierne Hinterlassenschaft des großen Mordens. Jahrzehntelang lehrte und schrieb er an der kanadischen University of Vermont. 1961 erschien sein dreibändiges Hauptwerk "The Destruction of European Jewry". Eine erste deutsche Ausgabe blieb fast unbeachtet. Die Taschenbuchausgabe von 1990 brachte den Durchbruch. Nun wurden auch die übrigen Bücher erfolgreich (Sonderzüge nach Auschwitz, Mainz 1981; Täter, Opfer, Zuschauer, Frankfurt 1992; Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers, Frankfurt 1994). ...
"Die Frage nach Rollen, Handlungsräumen und Deutungen von Frauen und Männern in der sozialen Praxis politischer Geschichtsprozesse wurde bisher kaum untersucht." So schwungvoll und unzutreffend steht es in der Einleitung dieser Untersuchung. Die Verfasserin mag aber damit Recht haben, wenn sie sich den Untersuchungsgegenstand in bestimmter Weise zurechtlegt. Das geschieht so: Sie richtet ihr Hauptaugenmerk auf die "geschlechter- und alltagsgeschichtliche Perspektive", untersucht nur die "Hochverratsverfahren gegen den linken Widerstand" und sie sortiert vor allem die in Frage kommenden 258 Prozesse vor dem Volksgerichtshof in der Weise, dass herauskommt, was herauskommen soll. Die Autorin sagt es selbst: "Ausschlaggebend war … mein Ziel, Frauen soweit wie möglich selbst als Handelnde ins Blickfeld zu rücken und sie nicht von vornherein nur als Begleiterinnen des männlichen Widerstandes zu verstehen". ...
Auf dem von Sabine Holtz bearbeiteten Feld kreuzen sich Forschungslinien der württembergischen Landesgeschichte, der Bildungs- und Sozialgeschichte, der Geschichte des Beamtentums und der Rechtswissenschaft. Es geht, ähnlich wie in Rudolf Stichwehs Buch "Der frühmoderne Staat und die europäische Universität" (1991), um die "Interaktion von Politik und Erziehungssystem". Um die Fragen konkreter zu machen, werden Begrenzungen eingeführt, nicht nur territorial und zeitlich auf das Württemberg des 17. Jahrhunderts, sondern auch durch Konzentration auf die 418 Beamten der Zentralbehörden des Herzogtums. Was haben diese Kanzler und Vizekanzler, Landhofmeister, Oberräte, Regierungsratssekretäre, Kanzleiadvokaten, Rentkammerräte, Rentkammer-Expeditionsräte, Kirchenräte und Kirchenratsadvokaten studiert? Waren es Landeskinder, sind sie in Lateinschulen oder Gymnasien vorbereitet worden, und schließlich, wie haben sie gelebt? ...
Die deutsche Debatte um die Geschworenengerichte mit ihren Höhepunkten im Vormärz sowie nach der Reichsgründung von 1871 gehört zu den besonders interessanten wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen. Sie ist ein Fenster zur Rechts- und Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, aber auch wissenschaftsgeschichtlich eine Fundgrube für die Vermengung rechtshistorischer Erkenntnisinteressen mit politischen Nebenabsichten. ...
Editorial
(2009)
Strafe muss sein! Ein drohender Satz, eine Universalie der Gerechtigkeit, ein pädagogisches Prinzip, eine Existenzgarantie für den strafenden Staat? Wenn Strafe denn wirklich "sein muss", wie kann sie als rechtliche ausgeübt und legitimiert werden? Hinter dem Alltagsspruch "Strafe muss sein" öffnet sich das weite Feld der Geschichte des Strafrechts und der Strafrechtswissenschaft. Dieses Feld ist von der traditionellen Rechtsgeschichte eher vernachlässigt worden. Die meisten Strafrechtler halten es für verzichtbar. Vorlesungen zur Strafrechtsgeschichte gehören nicht zum Ausbildungskanon. So kamen die Innovationen in den letzten Jahren eher von außen, von der Kulturanthropologie, von der neueren Kulturgeschichte und speziell von der erfreulich entfalteten Historischen Kriminologie. Die Rechtsgeschichte hat hiervon erheblich profitiert. Sie hat ihrerseits wieder auf die historische Forschung zum Mittelalter und zur Frühen Neuzeit zurückgewirkt. Die früher manchmal beobachteten Barrieren gegenseitiger Nichtwahrnehmung scheinen nahezu verschwunden. ...
Das Recht – abstrakt und bilderfeindlich? Ein Fehlurteil. Denn schon immer hat das Recht zu sinnlichen Hilfsmitteln gegriffen, um sich den Menschen verständlich zu machen, teils auf realer, besonders gern aber auf sprachlicher Ebene. Die heutige Bilderflut ist jedoch auch für die Rechtswissenschaft ein neues Phänomen.
Rezension von: Barbara Wolbring: Trümmerfeld der bürgerlichen Welt. Universität in den gesellschaftlichen Reformdiskursen der westlichen Besatzungszonen (1945 –1949). Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 87, Göttingen 2014, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-5253-6014-9 488 Seiten, 69,99 Euro.
Das Verhältnis zwischen den Frankfurtern und ihrer Universität ist ein wechselvolles: gestiftet und großzügig unterstützt von Bürgern und Stadtpolitikern, gepflegt in den harten Jahren der Inflation, gleichgeschaltet und wissenschaftlich ausgehungert während des Nationalsozialismus, entfremdet und abgelehnt nach der Studentenrevolte in den 1960er und 1970er Jahren, wiederentdeckt ab den 1980er Jahren, geschätzt und gefördert seit der (Rück-)Verwandlung in eine Stiftungsuniversität (2008).
Wissenschaftler, Unternehmer, Mäzen, NS-Opfer : zur Erinnerung an Arthur von Weinberg (1860 –1943)
(2007)
Im öffentlichen Bewusstsein sind die Brüder Arthur und Carl von Weinberg vielleicht wenig präsent. Aber bei den ehemaligen »Cassellanern«, in der Universität, im »Senckenberg«, im »Städel«, in der Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft, bei den Leitern von Zoo oder Palmengarten, auf dem Rennplatz in Niederrad oder im dortigen Golfclub weiß man sehr wohl, wer die Brüder von Weinberg waren. Es gibt auch ausreichend Literatur, in denen ihre Verdienste hervorgehoben werden. Anlässlich der Übergabe des Schreibtischs von Arthur von Weinberg an die Universität sei versucht, die Geschichte der Familie Weinberg, insbesondere die von Arthur von Weinberg, aus fünf verschiedenen Perspektiven wenigstens anzudeuten.