Geschichtswissenschaften
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Stéphane Dufoix schreibt im Vorwort, das vorliegende Buch (das in etwas kürzerer Fassung 2003 auf französisch in der Reihe "Que sais je" erschien) habe "a somewhat schizophrenic character". Es handele von "Diaspora", sei aber von einem Autor verfasst, der an die Nützlichkeit von Diaspora als Forschungsbegriff nicht glaube. Nach der Lektüre von rund 100 Seiten luzidem und konzisem Text weiß man garantiert etwas über Diaspora, was man vorher nicht gewusst hat, und man wird vermutlich die Skepsis des Autors im doppelten Sinne teilen: gegenüber der Nützlichkeit des Begriffs als analytischem Instrument, und gegenüber der Annahme, dass der Begriff bald durch andere ersetzt werden wird. ...
Irgendwann ist jede Revolution zu Ende. An die Stelle revolutionärer Unordnung tritt eine neue Ordnung. Wann das genau passiert, ist nicht einfach festzustellen. Das liegt nicht nur daran, dass die Forschung sich viel mehr für die Ursachen und Anlässe von Revolutionen interessiert. Es liegt auch daran, wie Revolutionen enden.
Im Jahr 1921 kam ein 16-jähriger, ursprünglich aus der Ölstadt Baku stammender jüdischer Reisender namens Lev Nussimbaum in Konstantinopel an. Lev wurde 1905 als Sohn eines Ölunternehmers und einer Mutter mit bolschewistischen Neigungen geboren. 1917 ergriffen Lev und sein Vater – die Mutter war um 1911 gestorben, möglicherweise durch Selbstmord – die Flucht. Ihre Reise führte über Turkmenistan und Persien zunächst in die Türkei, dann nach Frankreich, schließlich in das Deutschland der Weimarer Republik. Dort entdeckte der fast mittellose Student einen Markt für Artikel und (ab 1929) Bücher über den Orient, den er als ›echter‹ Araber bediente. »Essad Bey«, wie er sich seit etwa 1924 nannte, erlangte mit einer Fülle von Publikationen, darunter Biographien Mohammeds und Stalins, internationale Bekanntheit, bis die Machtergreifung der Nationalsozialisten seine Lage prekär machte. Denn die falsche Familiengeschichte des Konstrukts Essad Bey, dessen Vater angeblich Mohammedaner und dessen Mutter angeblich eine christliche Adelige waren, wurde nun durch missgünstige Konkurrenten genau untersucht und drohte als Fälschung entlarvt zu werden. Während Nussimbaums jüdische Ehefrau nach Amerika auswanderte und sich dort scheiden ließ, ging er selbst zunächst nach Wien, wo er 1937 als »Kurban Said« das später in Aserbeidschan als Nationaldichtung betrachtete Buch »Ali und Nino« verfasste, dann nach Italien, wo er 1941 an einer Wundinfektion starb. ...
Im Mittelpunkt der Darstellung stehen zwei Angehörige der Familie Clough. Anne Jemima (Annie) Clough wurde 1820 in Charleston, North Carolina, geboren und starb 1892 im englischen Cambridge. Ihre Nichte Blanche Athena (Thena) Clough kam 1861 in Derbyshire auf die Welt und starb 1960 in London - das erklärt Anfangs- und Enddatum des Untertitels. Die Geschichte, die Gillian Sutherland in dieser lebendigen und materialreichen Familienbiografie erzählt, hat zwei Fluchtpunkte. Das Schicksal der Cloughs ist eng verflochten mit der Geschichte von Newnham College, Cambridge, wo Sutherland lehrt. Zudem geht es der Autorin um das Verhältnis zwischen bildungsbürgerlichen Berufen und 'gentility', d. h. einem finanziell abgesicherten und nach den Maßstäben der englischen Oberschicht respektablen Lebensstil. Annie Clough war die Tochter eines Kaufmanns, der mehrfach bei dem Versuch scheiterte, von Amerika oder England aus im Fernhandel oder Finanzwesen, vor allem im Handel mit Baumwolle, sein Glück zu machen und ein respektables Vermögen zu erwerben. Die Übersiedlung der Familie nach Amerika war Ausdruck der Hoffnung auf das Potenzial des Baumwollmarktes; die Rückkehr nach Liverpool ein erster Ausdruck des Scheiterns. Aber während die Bank von Annies Großvater nur einmal in Konkurs ging und mittelfristig alle Schulden tilgen konnte, machte das Handelshaus ihres Vaters zweimal bankrott. Die Notwendigkeit, zum Unterhalt der Familie beizutragen, brachte Annies Bruder, den in Oxford als Theologen ausgebildeten, Spezialisten als Dichter bekannten Arthur Clough dazu, sich zunächst als Vorsteher eines Studentenwohnheims des Londoner University College, dann als Beamter im 'Erziehungsministerium' zu versuchen - beides letztlich mit mäßigem Erfolg. Das lag freilich auch daran, dass Clough, den die Debatten im Umkreis des Oxford Movement zum Atheisten hatten werden lassen, als Lehrer in einem noch weitgehend theologisch geprägten Umfeld nur schwer tragbar schien; eine akademische Karriere in Oxford blieb ihm ebenso verschlossen wie die Aussicht auf eine Pfarrei. Annie Clough wählte ebenfalls den Weg in den Bildungsbereich. Freilich fehlte ihr eine formale Ausbildung, die über den Schulbesuch selbst hinausgegangen wäre. Mithin waren auch ihre Unternehmungen als Lehrerin und Schulleiterin eher provisorischer Natur; dazu kam der frühe Tod des Bruders und das Bedürfnis, mit für dessen Kinder zu sorgen. Annie Clough engagierte sich somit aus Überzeugung, aber auch aus ökonomischem Interesse für einen Ausbau der Frauenbildung. 1871 wurde sie Vorsteherin eines vor allem auf Betreiben Henry Sidgwicks gegründeten Wohnhauses für bildungswillige Frauen in Cambridge. Die Universität hatte soeben Vorlesungen für weibliches Publikum geöffnet und damit eine Kernforderung der akademischen Frauenbewegung erfüllt. Ähnliche Vorlesungen wurden bereits in anderen Teilen Englands angeboten. In Cambridge ergab sich aber das Problem, dass in der Stadt keine geeigneten Unterkünfte für alleinstehende Damen zur Verfügung standen. Das spätere Girton College befand sich damals noch in Hitchin; das Cambridger Modell sah zudem vor, dass Frauen ganze Vorlesungszyklen besuchen sollten, die sich vorwiegend an männliche Studenten "in residence" richteten, was wiederum die Begleitung durch eine Anstandsdame erforderte. 1875 wurde aus dem zunächst fünf Damen beherbergenden Wohnheim Newnham Hall, 1879 Newnham College, nach Girton das zweite Frauencollege der Universität. Die Autodidaktin Clough wurde von einer quasi-Hausdame zum College Principal. Auf diesem Posten folgte ihr Thena Clough, die zu den ersten Newnham Studentinnen gehört hatte. Der zweite Teil des Buches kreist um die Funktionsweise des Colleges, den langen Kampf um die Zulassung von Frauen zu Universitätsexamen und das intellektuelle Milieu Newnhams, ohne doch ganz zur breiten College Geschichte zu werden. So gerät freilich die These aus dem Blick, bildungsbürgerliche Aktivitäten seien finanzielle Rettungsanker der englischen Oberschicht gewesen, die es erlaubten, ohne großen Aufwand einen respektablen Lebensstil zu sichern (2 f.), der normalerweise auf Handelskapital oder Landbesitz gegründet gewesen wäre. Im Falle der männlichen Cloughs mag das so gewesen sein (auch Thenas Bruder machte eine eher wenig distinguierte Karriere im civil service), bei den Frauen der Familie wird aber bereits deutlich, dass die These kaum verallgemeinerbar ist. Zudem fehlen systematische und detaillierte Angaben zum Einkommen der Cloughs; über weite Strecken scheint ein Rest von Familienvermögen und ein dichtes Verwandtschaftsnetzwerk wichtiger gewesen zu sein als der Beruf. "The Power of Mind" passt da - auch mit Blick auf Annie Cloughs angeheiratete Cousine Florence Nightingale und andere Angehörige des weiteren Bekanntenkreises - als Erklärungsmodell schon besser.