Geschichtswissenschaften
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Synästhetische Normativität
(2017)
Im Herzen Frankreichs, südlich von Paris und Orléans, östlich von Blois, in einem ausgedehnten Waldgebiet liegt das Schloss von Chambord, das prächtige, das unvergleichliche Chambord, Prunk- und Jagdresidenz Franz’ I., architektonischer Höhe- und Wendepunkt der französischen Renaissance. Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und des allerchristlichsten Königs ewiger Rivale, soll das Schloss, als er es 1539 zu Gesicht bekam, gepriesen haben als den "Inbegriff dessen, was menschliche Kunst vermag.". ...
Über kaum einen Gegenstand wissen wir so wenig wie über die Wirklichkeit des juristischen Denkens. Am besten sind wir noch – dank Richard Posner ("How Judges Think" – Cambridge, MA/London 2008) und anderer (überwiegend) anglo-amerikanischer Autoren – über die Untiefen und Irrläufe richterlicher Entscheidungsfindung informiert. Rechtswissenschaft und Rechtspolitik werden hingegen nach wie vor nur selten in kognitiven Kategorien vermessen. ...
Dass die in den letzten Jahren stattfindende Ausweitung der Rechtsgeschichte(n) durch globale und transnationale Perspektiven gerade in der Völkerrechtsgeschichte auf besonders fruchtbaren Boden fällt, liegt auf der Hand. Denn Regulierung, Normierung und Legitimation überregionaler Beziehungen bieten sich wie kaum ein anderes Themenfeld für eine Horizonterweiterung über den Nationalstaat hinaus an. Aus einer vornehmlich europäischen Völkerrechtsgeschichte werden damit Völkerrechtsgeschichten in der Dialektik von lokalen und globalen Bezugspunkten. ...
Inter arma enim silent leges – im Krieg schweigen die Gesetze, so lautet ein berühmtes Zitat von Cicero, das über die Jahrtausende hinweg in Diskursen der Gewaltlegitimation bedeutsam geblieben ist. Thomas Hobbes und Immanuel Kant haben es übernommen, wobei Letzterer der Rechtfertigung von Krieg die Konzeption eines dreigliedrigen, "ewigen" Rechtszustandes entgegengestellt hat. Zwischen der von "Realisten" angenommenen Anarchie und der von "Idealisten" angestrebten Rechtsherrschaft in grenzübergreifenden politischen Beziehungen hat sich die moderne Völkerrechtswissenschaft insbesondere mit dem schwierigen, zuweilen paradoxen Verhältnis von Krieg und Recht beschäftigt: Das Kriegsrecht limitiert den Gebrauch von Gewalt (als violentia) nicht allein, es legitimiert ihn auch, indem es die Gewalt (als potestas) normativ ordnet und sie damit wiederum zur Rechtfertigungsressource macht. Mit dem Wiedererstarken der Völkerrechtsgeschichte sowie der aktuellen Brisanz kriegsrechtlicher Fragen (etwa angesichts des "war on terror") gehen erneut Forschungen zur Rolle des Rechts in Zeiten des Krieges, zu seiner Rechtfertigung und seiner rechtlichen Aufarbeitung einher. Isabel V. Hull und die AutorInnen im von Martin Löhnig, Mareike Preisner und Thomas Schlemmer herausgegebenen Sammelband leisten hierzu zwei sehr unterschiedliche Beiträge. ...
Im Jahr 2017 sind zwei Sammelbände erschienen, die aus beinahe zeitgleichen Tagungen im November 2015 zur Entwicklung des öffentlichen Rechts in Frankreich 1914–1918 hervorgegangen sind: Der eine ist der von Elina Lemaire (Universität Bourgogne – Franche-Comté) herausgegebene Band zum öffentlichen Recht während des Krieges, der andere der vom Conseil d’État selbst herausgegebene Band zu seiner Funktion und (gestaltenden) Rolle während der Kriegsjahre. Insoweit die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Frankreich ohne den Conseil d’État kaum sinnvoll untersucht werden kann und umgekehrt eine Geschichte dieses Conseil kaum unter Auslassung seines Einflusses auf die Rechtsentwicklung geschrieben werden kann, nähern sich beide Bände aus unterschiedlichen (aber auf das öffentliche Recht fokussierten) Perspektiven gewissermaßen einem gemeinsamen Gegenstand: der Rechtsstaatlichkeit im Krieg und namentlich der Rechtsstaatlichkeit in einer Republik im Krieg. ...
Alle 18 Beiträge des Sammelbandes entstammen einem internationalen Kolloquium am Deutschen Historischen Institut in London aus dem Jahr 2014, das Aspekten der Rechtsgeschichte allein des Dominikanerordens gewidmet war. So reiht es sich in eine Tradition der Ordensforschung ein, hebt sich aber durch die thematische Konzentration mit diachronem wie raumübergreifendem Zugriff deutlich hervor. Die titelgebende Dichotomie durchzieht die Gesamtanlage des inspirierenden Bandes, umkreist sie doch ein Spannungsfeld selbst gesetzter normativer Ansprüche vor der sprichwörtlichen Wirklichkeit. Und auch dies stellt das Buch in einen traditionellen Zusammenhang. ...
Die Frage nach Entstehung und Quellen des Schwabenspiegels ist ein gewissermaßen traditionelles Thema der germanistischen Rechtsgeschichte, es betrifft "das große Unbekannte" und sein Verhältnis zum Augsburger Stadtrecht von 1276, ein "klassisches Forschungsfeld", auf dem sich nun die zu besprechende Bayreuther Dissertation von Lucas Wüsthof bewegt. Wüsthof verweist auf Karl August Eckhardt, der 1927 als letzter Forscher die Abhängigkeit beider Rechtsquellen untersucht und festgestellt habe, dass die Verfasser des Augsburger Stadtrechts "eine Art Urtext" des Deutschen- und des Schwabenspiegels gekannt haben müssten (1–5). ...
Über die Geschichte des kanonischen Rechts im Mittelalter ist reichlich geforscht worden. Wenn nun ein Sammelband zum Gebrauch dieses Rechtes in der kirchlichen Verwaltungspraxis des Früh- und Hochmittelalters vorgelegt wird, weckt das die Aufmerksamkeit der mediävistischen Rechtshistoriker, die sich – vor allem unter dem von Hermann Nehlsen am Beispiel der frühmittelalterlichen Leges Barbarorum geprägten Aspekt der »Effektivität« – mit der normativen Praxis in vormodernen Gesellschaften beschäftigen. Oftmals bewegen sich die Forschungen entweder auf der rein normativen Seite mit einem breiten Horizont oder auf der praktischen anhand von mehr oder minder begrenzten Untersuchungsräumen. ...
Die Monographie des Kopenhagener Historikers Niels Hybel folgt einem ungewöhnlichen und im Ergebnis ausgesprochen ertragreichen Programm. Er zeichnet die Entwicklung des dänischen Königtums durch ein halbes Jahrtausend in Bezug zur gesamteuropäischen Ideen- und Rechtsgeschichte nach, behandelt also ein Thema der Nationalgeschichte aus einer dezidiert globalen Sicht, so dass der Blick aus einer epistemologisch sehr fruchtbaren Außenperspektive erfolgt. Zugleich werden so die klassischen Quellen zur Geschichte des dänischen Königtums den Narrationen der Nationalgeschichte produktiv verfremdet. Dass die Arbeit in englischer Sprache vorliegt, ist äußerst begrüßenswert, wird doch so die Geschichte des dänischen Königtums einem internationalen Publikum in einem weitgehend aktuellen Überblick zugänglich gemacht. Hybel knüpft mit seiner vom europäischen Ideen- und Strukturkontext her angelegten Studie an frühere Dekonstruktionen etablierter Meistererzählungen zur dänischen Geschichte an, die mit der Infragestellung älterer Lesarten von Chroniken und archäologischen Funden zum Frühmittelalter bzw. der als "Wikingerzeit" bezeichneten und seit dem 19. Jh. im Nationalbewusstsein so bedeutsamen späten Eisenzeit provozierten. Dieser kritische Impetus zeigt sich auch im vorliegenden Werk, dessen erstes von insgesamt zehn Kapiteln ("Historiography") den Zugang über die Forschungsdebatte zum Status des dänischen Königtums zwischen "Wikingerzeit" und Hochmittelalter wählt. Dänische "Könige" sind seit dem 8. Jh. in fränkischen Quellen zu fassen, und mit dem großen Runenstein von Jelling liegt ein Selbstzeugnis vor, das Harald Blauzahn (ca. 970–86) als König "ganz Dänemarks" ausweist. Bis heute deutet eine von zwei konkurrierenden Schulen dies als Beweis für die Existenz eines dänischen Königtums und eines souveränen "Reichs", jedenfalls aber als Nachweis einer seither existierenden Zentralmacht, während eine zweite Schule die Konsolidierung eines solchen mittelalterlichen Königtums erst nach der Mitte des 11. Jh.s erkennen will. Der Dissens basiert v.a. auf der Frage, ob ausnahmslos erst im 12. Jh. einsetzende, heimische chronikalische Quellen in ihrem Geschichtsbild ernst zu nehmen und archäologische Funde des 10. Jh.s wie die Ringburgen ("Trælleborge"), die auf eine Zentralmacht hinweisen, in ihrem Lichte zu interpretieren oder ob Geschichtsbilder primär als Zeugnisse synchroner Diskurse aufzufassen sind. Analoges gilt für Rechtstexte und Urkunden. Diese grundlegende Frage, von der aus Hybel das Material erschließt und die aus der deutschsprachigen Diskussion um den Status des Frankenreichs oder ottonischer Herrschaft durchaus vertraut wirkt, erweist sich als ganz aktuell, wie sich etwa an der Interpretation des unlängst neu ergrabenen und datierten Danewerks an der alten Südgrenze dieses (vermeintlichen?) dänischen "Reichs" zeigt. ...
In der entscheidenden Phase der Reform des europäischen Datenschutzes geben die Netzpolitiker Peter Tauber (CDU), Lars Klingbeil (SPD) und Manuel Höferlin (FDP) einer Imagebroschüre von Facebook ihr Gesicht. In dieser werden Verstöße Facebooks gegen geltendes Datenschutzrecht als Mythen heruntergespielt.
Den Auftakt zum Oxford Handbook of European Legal History machen fünf Beiträge, die unter der Überschrift "Approaches to European Legal History: Historiography and Methods" versammelt sind. Um sie in Beziehung zu setzen, habe ich im Folgenden drei Fragenkomplexe formuliert, die die gemeinsamen Aspekte dieses Quintetts abbilden. Die Beiträge werden in der Reihenfolge ihres Auftretens im Handbuch referiert. Zur Vermeidung von Redundanzen haben die Nachgeordneten im Wiederholungsfalle der Argumente das Nachsehen und werden "nur" als Verweis genannt.
Das hochwertig ausgestattete Buch vereint elf der im Jahre 2017 in Goslar gehaltenen Vorträge zum Jubiläum der tausendsten Wiederkehr des Geburtstages Heinrichs III. Der Rezensent beteiligte sich in dieser Reihe mit einem Beitrag, der wegen seiner umfangreichen Thematik ("Das salische Reich und Europa zur Zeit Kaiser Heinrichs III.") nicht in eine Kurzfassung gegossen werden konnte, was hier der Fairness halber bemerkt werden muss. ...
Beim Übergang von der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft hin zu den Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts kommt der Herausbildung eines geographisch und politisch definierten Territoriums, des Territorialstaats, eine wichtige Funktion zu. Ein Zusammenschluss von Herrschaftsgebieten zu einer geographisch-politischen Einheit konnte sich in Form der Annexion des Schwächeren durch den Stärkeren vollziehen, war aber auch im gegenseitigen Einverständnis der politischen Entscheidungsträger denkbar. Im Fall einer Union unterschied man bereits sehr früh zwischen den Typen der Realunion und der Personalunion. Während in einer Realunion völkerrechtliche Vereinbarungen für beide Partner gleichermaßen galten, nahm die Personalunion einen besonderen Status ein, in der allein die Person des Herrschers die Verbindung zwischen beiden Staaten darstellte. Diese streng juristische Definition galt jedoch lediglich für die politischen Institutionen. Jenseits der staatlichen Ebenen fanden sich Formen des Transfers, die einer Personalunion einen besonderen, transnationalen Charakter verleihen konnten. Inwiefern solche Verbindungen, die unter dem Begriff des "composite statehood" zusammengefasst werden, eine gesamteuropäische Entwicklung darstellten, bleibt innerhalb der Forschung umstritten.
Andreas Fahrmeirs These lautet, dass die Entwicklung der modernen Form der Staatsbürgerschaft "von einer spezifischen Erfahrung zwischenstaatlichen Wettbewerbs vorangetrieben wurde" (231). Dass alle oder fast alle erwachsenen Männer nach den Prinzipien der Aufklärung und des Liberalismus Rechte besaßen oder wenigstens fähig waren, zur politischen Mündigkeit erzogen zu werden, hat sicherlich auch zur Erweiterung der Rechte und der Zahl der Staatsbürger in vielfältiger Weise beigetragen. Nach Fahrmeir waren aber "Blut und Eisen" wichtiger für die Entwicklung von Staatsbürgerrechten als der Einfluss Lockes und Kants. Krieg oder die Vorbereitung auf einen Krieg haben Staaten angetrieben, eine "homogene, gesunde und produktive Bevölkerung" zu schaffen, um Stabilität und ökonomische Effizienz herzustellen (230). Und hauptsächlich deshalb wurden weitere zivile, politische und soziale Rechte breiteren Gruppen von Einwohnern gewährt und Grenzen zwischen Staatsbürgern und Ausländern schärfer gezogen. Dieser Hypothese folgend, kommt Fahrmeir zum Schluss, dass, da westliche Regierungen seit den 1970er Jahren zunehmend auf die Wehrpflicht verzichten und sich vielmehr auf den wirtschaftlichen Erfolg im Kontext einer globalisierten Ökonomie konzentrieren, sie sich fortan auch weniger um die Opferbereitschaft und um die Rechte ihrer Einwohner kümmern. Deren ökonomische Nutzbarkeit steht im Vordergrund (231 f.). ...
Im Jahr 1921 kam ein 16-jähriger, ursprünglich aus der Ölstadt Baku stammender jüdischer Reisender namens Lev Nussimbaum in Konstantinopel an. Lev wurde 1905 als Sohn eines Ölunternehmers und einer Mutter mit bolschewistischen Neigungen geboren. 1917 ergriffen Lev und sein Vater – die Mutter war um 1911 gestorben, möglicherweise durch Selbstmord – die Flucht. Ihre Reise führte über Turkmenistan und Persien zunächst in die Türkei, dann nach Frankreich, schließlich in das Deutschland der Weimarer Republik. Dort entdeckte der fast mittellose Student einen Markt für Artikel und (ab 1929) Bücher über den Orient, den er als ›echter‹ Araber bediente. »Essad Bey«, wie er sich seit etwa 1924 nannte, erlangte mit einer Fülle von Publikationen, darunter Biographien Mohammeds und Stalins, internationale Bekanntheit, bis die Machtergreifung der Nationalsozialisten seine Lage prekär machte. Denn die falsche Familiengeschichte des Konstrukts Essad Bey, dessen Vater angeblich Mohammedaner und dessen Mutter angeblich eine christliche Adelige waren, wurde nun durch missgünstige Konkurrenten genau untersucht und drohte als Fälschung entlarvt zu werden. Während Nussimbaums jüdische Ehefrau nach Amerika auswanderte und sich dort scheiden ließ, ging er selbst zunächst nach Wien, wo er 1937 als »Kurban Said« das später in Aserbeidschan als Nationaldichtung betrachtete Buch »Ali und Nino« verfasste, dann nach Italien, wo er 1941 an einer Wundinfektion starb. ...
Auf der Gamescom waren dieses Jahr neben Besuchern und Spieleentwicklern auch die politischen Parteien vertreten. In der "Wahlkampfarena" ging es um den Status von Videospielen, Breitbandausbau und digitale Bildung. Die Debatte im Überblick.
... Anwesend waren die Generalsekretäre bzw. Bundesgeschäftsführer der Parteien des aktuellen Bundestages, Peter Tauber (CDU), Hubertus Heil (SPD), Matthias Höhn (Die Linke) und Michael Kellner (Die Grünen) sowie Nicola Beer für die FDP. ...
Englischsprachige Bücher über Carl Schmitt sind keine Seltenheit, steht doch der deutsche Jurist wegen seiner schillernden Bedeutung seit Längerem im Fokus nicht nur juristischer und philosophischer Studien. Auch dass es um Schmitts Verhältnis zum Raum geht, ist keine Überraschung, denn im letzten Jahrzehnt wurde er in solchen Zusammenhängen verstärkt rezipiert. Versprochen wird dem Leser allerdings, er habe "the first systematic examination from a geographic perspective of one of the most important political thinkers of the twentieth century" in den Händen (Werbetext auf dem hinteren Einbanddeckel). Einschränkend bemerken die Autoren in ihren Acknowledgements allerdings, dieses Buch sei "the result of almost a decade of work on Carl Schmitt and his reception in English speaking academia" (x). ...
Die leitende These des folgenden Beitrages lautet: Die Christianisierung Sachsens und dessen Einbindung in das westliche Reich der Franken im 9. Jahrhundert wurde durch die Ordnung des Raumes nach römischen Vorbildern ermöglicht, von historiographischen wie eschatologischen Deutungen begleitet und überbaut sowie schließlich dauerhaft gefestigt durch die erzwungene oder auch freiwillige Akzeptanz der geschaffenen Zustände durch die sächsischen Oberschicht, welche spätestens in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts die in der tätigen Integration liegende Chance erkannt hatte. Auf die Begrifflichkeit wird zurückzukommen sein, denn sie beschreibt gleichermaßen die Grundlage der Durchsetzung weltlicher Herrschaft in fränkischer Weise über Sachsen. ...