Geschichtswissenschaften
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Der Merkantilismus, ein Hauptgegenstand der älteren dogmenhistorischen Literatur, lässt sich inhaltlich nur schwer definieren. Der Begriff bezeichnet weder ein historisches Wirtschaftssystem, noch eine einheitliche zeitgenössische Wirtschaftstheorie. Es handelt sich vielmehr um ein retrospektives Konstrukt der ökonomischen Dogmengeschichtsschreibung, die ihren Ausgangspunkt in der Kritik Adam Smiths am "mercantile system" seiner Zeit fand. Merkantilismus ist zunächst eine Sammelbezeichnung für die ökonomischen Ideen und Vorstellungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Allerdings zeichnet sich das ökonomische Denken dieser Zeit durch eine außerordentliche Vielfalt und Unterschiedlichkeit aus. Auch entstanden unterscheidbare nationale "Schulen", die, selbst wiederum uneinheitlich, starken Veränderungen unterlagen. Zu Recht wurden den spezifischen nationalen Ausprägungen sogar unterschiedliche Bezeichnungen verliehen. ...
Die Welt ist im Wandel, der Globalisierungsprozess weit fortgeschritten. Inwiefern spielen dann Kolonialismus und Unterdrückung noch eine Rolle? Sind diese Zeitgeschehnisse nicht wie man so schön sagt "Geschichte"? Dieser Frage gehen der britisch-ghanaische Künstler John Akomfrah und das Black Audio Film Collective im gemeinsamen Werk "Expeditions 1 – Signs of Empire" (1983) nach. Die zweiteilige Videoarbeit zeigt mithilfe dokumentarischer Fotografien, Textfragmenten und Tonaufzeichnungen des British Empire ein Bild, welches die Potenz heutiger nationalstaatlicher Strukturen des Okzidents in der Unterdrückung und Ausbeutung kolonialisierter Länder verortet – und so den Mythos der moralischen Überlegenheit des Westens dekonstruiert. ...
In modernen Marktgesellschaften bedürfen die Menschen zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage regelmäßiger Einkommen. Diese erzielen sie in der Regel durch Erwerbstätigkeiten verschiedenster Art, in ihrer Mehrzahl durch Lohnarbeit. Ihr Lebensstandard hängt von Art und Umfang der Güter und Dienste ab, die sie mit ihrem Einkommen erwerben können.
Toni Pierenkemper widmet sich der Geschichte des RWI seit Kriegsende. Hierzu gehört die Wiederbegründung und Neuorientierung des RWI (1945 bis 1952) ebenso wie die Rolle des Instituts im wirtschaftlichen Strukturwandel und in der neuen Wirtschafts- und Währungsordnung (1952 bis 1974), in den Krisen der folgenden Jahre (1974 bis 2000) und schließlich die Neuausrichtung im neuen Jahrtausend (2000 bis 2018). Die komplexen Beziehungen zwischen Wirtschaft, Politik und wirtschaftspolitischer Beratung werden dabei offenbar.
Im Jahr 1943 wurde die 1926 gegründete "Abteilung Westen" des Instituts für Konjunkturforschung, Berlin (heute: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW) als "Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V." (RWI) verselbstständigt.
Rainer Fremdling untersucht im ersten Teil bis 1945 die Umorientierung von der Konjunkturforschung in der Weimarer Republik zur Raumforschung unter dem Nationalsozialismus und der Kriegswirtschaft, wobei die enge Verzahnung des RWI und des DIW mit dem NS-Herrschaftssystem deutlich wird.
Toni Pierenkemper widmet sich der Geschichte des RWI seit Kriegsende. Hierzu gehört die Wiederbegründung und Neuorientierung des RWI (1945 bis 1952) ebenso wie die Rolle des Instituts im wirtschaftlichen Strukturwandel und in der neuen Wirtschafts- und Währungsordnung (1952 bis 1974), in den Krisen der folgenden Jahre (1974 bis 2000) und schließlich die Neuausrichtung im neuen Jahrtausend (2000 bis 2018). Die komplexen Beziehungen zwischen Wirtschaft, Politik und wirtschaftspolitischer Beratung werden dabei offenbar.
Ziel des Projekts ist es, nicht nur die Geschichte des RWI zu dokumentieren, sondern diese in die jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen einzubetten. Das so entstehende umfassende Bild geht weit über eine reine "Institutshistorie" hinaus und lässt die deutsche Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im Untersuchungszeitraum lebendig werden.
Um die verworrene Lage im Regelungsdickicht aus Urheberrecht, Nutzungsbedingungen und Kopierschutz bei digitalen Downloads ging es bei iRights.info gerade ausführlich am Beispiel von Musik sowie Filmen und E-Books. In einer neuen Urheberrechts-Debattenreihe bei Süddeutsche.de hat sich heute CDU-Netzpolitiker Peter Tauber für ein Recht auf Privatkopie bei gekauften Downloads ausgesprochen ...
In Völkerschaustellung in Deutschland und Frankreich von 1874 bis zum Ersten Weltkrieg werden ethnologische Ausstellungen fremder Kulturen und Völker als Phänomen der Kolonialzeit untersucht. Es wird deutlich, dass diese heute befremdlich wirkenden Völkerschauen keineswegs allein aus imperialen Politiken und Praktiken heraus erklärt werden können. Anhand deutscher und französischer Quellen – Zeitungen, Zeitschriften und ausgewählte Ego-Dokumente – werden die jeweiligen gesellschaftlichen Diskurse rund um die Völkerschauen vergleichend untersucht, dabei die Frage nach zeitgenössischen Imaginations- und Konstruktionsformen des Fremden oder nach Wahrnehmung und Attraktivität von Exotik gestellt. Jenseits kolonialer Propaganda – und trotz der nationalen Unterschiede in Darstellung und Inszenierung – können in beiden Ländern unternehmerische Interessen der Veranstalter und insbesondere Neugier und Unterhaltungsbedürfnis der Ausstellungsbesucher als wichtige Faktoren zur Erklärung des Phänomens der Völkerschauen und der sie begleitenden Diskurse herausgearbeitet werden.
Über die ökonomische und soziale Bedeutung der Reformation stritten bereits die Zeitgenossen, auch wenn ihnen die Idee, dass die Reformation den Weg in den modernen Kapitalismus eröffnen würde, naheliegenderweise verschlossen blieb. Der Streit der Zeitgenossen war, das wundert nicht, zugleich eine konfessionelle Auseinandersetzung, die die Reformation und ihre Folgen entsprechend beurteilte. Das ist noch Jahrhunderte später in Johannes Janssens mehrbändiger Geschichte des deutschen Volkes im 16. Jahrhundert zu spüren, der aus katholischer Sicht den mit der Reformation sich ausbreitenden Laxismus großer Bevölkerungsteile scharf kritisierte. ...
Der Protestantismus ist die Konfession des Wortes, Bilder bzw. bildliche Darstellungen als Visualisierungen von Glaubensinhalten haben deshalb per definitionem weder im Calvinismus noch im Luthertum Bedeutung. Mit dieser vereinfachten Charakterisierung, die sich im Fachpublikum ebenso wie unter interessierten Laien lange gehalten hat, setzt sich das Buch von Bridget Heal, Reformationshistorikerin an der Universität St. Andrews, in einer beeindruckenden Analyse der Entwicklungen für das Luthertum auseinander. ...
"Nicht nur Geschichte, auch Geschichtsschreibung wird gemacht", stellte Carola Sachse 2014 in einem Literaturbericht fest, in dem sie die zeithistorische Menschenrechtsforschung der letzten Jahrzehnte kritisch durchleuchtete und eine große Leerstelle konstatierte. Über Frauenrechte, Menschenrechtsaktivistinnen oder Geschlechterverhältnisse fand sich wenig in diesen Studien. Angesprochen auf diese Lücke meinte ein prominenter Experte lapidar: "Man kann nicht alles machen" – eine Antwort, die Sachse mitnichten zufriedenstellte. Dass sie daraufhin mit Roman Birke den vorliegenden Sammelband zu Menschenrechten und Geschlecht konzipierte, ist vor diesem Hintergrund nur folgerichtig. Und die Ergebnisse geben ihr recht: Die Vielgestaltigkeit der Beiträge bestätigt zwar einerseits, dass man wahrlich nicht alles machen kann. Doch wird andererseits auch deutlich, dass die Kategorie Geschlecht bei der Erforschung der Menschenrechtsgeschichte nicht ausgeklammert werden darf. ...
Da wird gegen Ende ein schon recht großer Anspruch formuliert: "Aus genuin historischer Sicht bieten die Ergebnisse dieser Studie Anknüpfungspunkte für ein neues Narrativ, eine neue Interpretation der spätmittelalterlichen französischen Geschichte." Und mehr noch: "Aus systematisch-komparatistischer Sicht lässt sich die Frage nach der Spezifik bzw. der Übertragbarkeit des französischen Beispielfalles unter Rückgriff auf soziologische Theorieentwürfe schließlich auch auf weitere historische Formationen jenseits der spätmittelalterlichen Epoche ausweiten" (S. 427). Hoch die Erwartungen also in der Sache und nicht ganz so hoch an Sprache und Stil. Und französische Leserinnen und Leser, an die sich das Buch sicher nicht zuletzt auch wendet, werden entzückt sein über Juwele kristallklarer Verständlichkeit und federleichter Eleganz wie: "Aus diesen Überlegungen ergibt sich zugleich, dass systematisch-komparatistische Ansätze die jeweiligen Vergleichsgegenstände unter Zugrundelegung externer Analysekategorien zuallererst konstituieren und die im einzelnen zu betrachtenden Phänomene dadurch überhaupt erst vergleich- und operationalisierbar machen müssen" (S. 438). ...
Am 19. Januar 1919 nahmen erstmals auch Frauen an den Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung teil. Der am 10. November 1918, dem Tag nach der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann, gebildete Rat der Volksbeauftragten erließ als eine seiner ersten Amtshandlungen ein neues Wahlgesetz. Für alle Parlamente auf kommunaler, Länder- und Reichsebene wurde das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen ab 21 Jahren dekretiert. Damit durften alle erwachsenen Deutschen wählen, unabhängig vom Geschlecht, von Besitz und Steuerleistung. Die bis dahin überall geltende Beschränkung des Wahlrechts auf Männer war damit abgeschafft und auch das in Preußen geltende Dreiklassenwahlrecht, das bis dahin die Stimmengewichtung an die Steuerleistung gekoppelt hatte. ...
Im 19. Jahrhundert war Prostitution in weiten Teilen Europas reglementiert. Die Bordelle wurden staatlich konzessioniert, die Frauen polizeilich registriert, gynäkologisch überwacht und Zwangsbehandlungen unterworfen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde diese Reglementierung der Prostitution abgeschafft.
Wie kam es zu dieser Abschaffung? Welche Gründe sprachen für ein Ende dieser Art der Prostitutionskontrolle? Und inwiefern verlief die Diskussion in unterschiedlichen Ländern parallel oder eben gerade nicht? Diese Fragen stehen im Zentrum von Malte Königs Habilitationsschrift (Univ. des Saarlandes), in der es um die Gesetzesentwicklung in Deutschland, Frankreich und Italien geht. ...
Catharina Gowers, Waldemar Könighaus, Marcus Schütz, Cornelia Scherer, Thorsten Schlauwitz, Victoria Trenkle, Judith Werner und natürlich dem spiritus rector des Unternehmens und einem der besten Kenner der Papstgeschichte, Klaus Herbers, kann man nur den größten Dank aussprechen, dass sie sich der höchst mühsamen und komplizierten Aufgabe angenommen haben, den "Jaffé" in einer dritten Auflage zu überarbeiten. ...
Das letzte neue Medium, dem man – egal ob Gegner oder Freund – zubilligen muss, dass es unsere Welt fundamental verändert (hat), ist das Internet. Technische und historische Entwicklungen erspare ich mir an dieser Stelle und verweise auf die entsprechenden Darstellungen im – na? – im Internet. Wenn man dumme oder sagen wir vielleicht lieber peinliche Zitate übers Internet bzw. die daraus resultierenden gesellschaftlichen Debatten sucht, dann stößt man auf wirklich überraschende Stilblüten. So entblödete sich Stephan Holthoff-Pförtner, Gesellschafter der WAZ, nicht, Bloggern den Schutz des Artikels 5 GG abzusprechen. Angesichts der heutigen Bedeutung sozialer Netzwerke im Alltag lag auch BILD-Kolumnist Franz Josef Wagner im Jahr 2006 falsch, als er erklärte: "Einem Menschen wird man auf seinem Weg zum Bäcker begegnen, aber niemals im Internet." ...
Als Band zwei der neuen Reihe Religion and Law in Medieval and Muslim Societies (von der inzwischen schon mehrere Titel vorliegen) erschien dieser bemerkenswerte Band. Die Rolle der Juden im Recht des frühen Mittelalters ist natürlich schon mehrfach untersucht worden, doch ist man dankbar für einen Band, der die Forschung widerspiegelt und an vielen Punkten weiter voranbringt. Die einzelnen Beiträge sind in der Regel auch bibliographisch à jour, so dass dieser Sammelband durchaus auch die Eigenschaften eines Handbuchs aufweist. ...
Das griechische Recht ist, so stellt der Verfasser dieser Passauer juristischen Dissertation zu Recht fest, nicht hinreichend erforscht worden. Althistoriker behandeln es nebenher mit, typischerweise ohne juristische Expertise; Spezialisten für antike Rechtsgeschichte wenden sich zumeist anderen Rechtskulturen zu. Zeitler will in diese Lücke vorstoßen, mit einem Schwerpunkt auf dem Prozess des Sokrates – nun gerade einer der meistdiskutierten Fälle griechischen Rechts. Doch sind diesem gerade knapp 30 Seiten von etwas mehr als 200 gewidmet. ...
Dass das Papsttum und sein jurisdiktioneller Anspruch letztlich auf dem Apostel Petrus basieren, der, wie man bei Matthäus lesen kann, der Fels ist, auf dem Christus seine Kirche errichten wollte (Matth. 16,18), ist eine bekannte Tatsache, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Der in Rom zentrierte Rechtsraum der lateinischen Kirche stand schon bald, spätestens im 5. Jahrhundert, im Gegensatz zum sich seit dem 4. Jahrhundert konstituierenden Rechtsraum der griechischen Kirche(n) mit Antiocheia, Alexandreia, Jerusalem (ab 451) und schließlich Konstantinopel, der zweiten Hauptstadt des Römischen Reiches und ab 476 der einzigen Hauptstadt. Das kanonische Recht beider Bereiche entwickelte sich im Verlaufe der Jahrhunderte auseinander. Trotz gemeinsamer Grundlagen (der sieben bzw. acht ökumenischen Konzilien und deren Rechtssetzung) gab es Konflikte, die sich schließlich seit dem 11. Jahrhundert in einem bis heute andauernden Schisma niederschlugen. Ein steter Stein des Anstoßes (neben den anderen bekannten Differenzen – Azymen, Filioque usw.) war der römische Primatsanspruch, den man in Konstantinopel nie anerkannte und dem man etwa die sog. Pentarchietheorie entgegensetzte. Erst spät, wie hier gezeigt werden soll, um 800, setzte man in Konstantinopel Petrus seinen Bruder Andreas entgegen, den "Erstberufenen" (vgl. Joh. 1,35–42). Jedenfalls versuchte man dies, vermutlich nach römischem Vorbild. Wann genau und warum dies geschah, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. ...
Die von Franz Dölger entwickelte Vorstellung, dass sich die Staaten und Herrschaften im östlichen wie westlichen Mittelalter als eine "Familie der Könige" begriffen, die als ein gleichsam rechtliches Institut die politische Welt konstituierte, wird einer Kritik unterworfen. Danach hätten sich die Herrscher der Welt (nicht nur der christlichen, sondern z. B. auch die sassanidischen Perser) als eine "Familie" begriffen, mit dem (ost-)römischen Kaiser an der Spitze und abgestuft denn "Brüder", "Söhne", "Freunde" usw. Dies wird angezweifelt.
Dabei konzentriert sich die Darstellung, die sich als ein Versuch begreift, eine längst überfällige Diskussion zu initiieren, auf die spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen, auf die sich Dölger berief. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist ein negatives: Das Konzept einer "Familie der Könige" lässt sich in den herangezogenen Quellen nicht finden. Diplomatische Formeln, die sich bis in den Alten Orient oder die hellenistischen Staaten zurückverfolgen lassen, kann man nicht als Belege für ein nach Dölger Ende des 3. Jahrhunderts entstandenes System betrachten.
In einem Schlussteil werden die Entstehungsumstände der Dölgerschen "Familie der Könige" – der relevante Aufsatz erschien im Jahre 1940 – sowie seine Haltung zum Nationalsozialismus thematisiert. Die Möglichkeit (Sicherheit ließe sich durch intensive weitergehende Forschungen erreichen), dass Dölger sein aufs Mittelalter bezogenes Konzept im Kontext seiner Involvierung in aktuelle Diskussionen über die "Ordnung" Südosteuropas (inkl. Griechenlands) in bestimmten NS-dominierten think tanks entwickelte, wird als reale Möglichkeit gesehen. Als Erkenntnisinstrument der Spätantike- und Mittelalterforschung jedenfalls fällt die "Familie der Könige" nach Ansicht des Verfassers aus.
Nicht die Entwicklung des Sakraments der Taufe während der tausendjährigen byzantinischen Geschichte gilt es hier zu erörtern; der liturgiewissenschaftliche Aspekt wird in diesen Zeilen bestenfalls einen Randaspekt darstellen. Stattdessen werde ich mich auf einige Aspekte konzentrieren (wenn auch in unterschiedlicher Intensität), die dem vorgegebenen Thema – (gesellschaftliche) Inklusion und Exklusion – entsprechen. Es soll also um ausgewählte Aspekte des Themenkomplexes "Taufe" gehen, die Relevanz für die Rechtsgeschichte, aber auch für die Gesellschaftsgeschichte in einem allgemeineren Sinne (inklusive gewisser Bezüge zur politischen Geschichte bzw. zur Missionsgeschichte) aufweisen. ...
Es gibt sogenannte "Fakten" oder "Tatsachen" der Geschichte, die sich nach intensiver Überprüfung als Fiktionen erweisen. Es gibt Vorstellungen, die jahrhundertelang als gesichertes Wissen galten und bis heute in Enzyklopädien und einschlägigen Handbüchern zu finden sind. Ihre Faktizität gilt als gesichert; man sieht sie als "wirklich bestehende Sachverhalte" an. Und doch entpuppen sich immer wieder vermeintlich gesicherte Tatsachen als fiktiv. Jedoch können solche "fiktiven Tatsachen" in verschiedenen Zusammenhängen – und sei es "nur" in der Wissenschaftsgeschichte – ein Eigenleben entwickeln. Der traditionelle Begriff der Fälschung greift hier nicht mehr. Neuerdings verbreitet sich der Begriff der "imaginären Tatsache". ...
Der byzantinische Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts ist ein unerschöpfliches Thema, das alljährlich mehrere Bücher und noch mehr Aufsätze generiert. Und gelegentlich schafft er es sogar – wenn auch nur en passant –, in den Feuilletons der großen Tageszeitungen Erwähnung zu finden. So etwa Anfang 2006, als (rechtslastige) Journalisten in Dänemark meinten, Muslime mit Muhammadkarikaturen provozieren zu müssen – was ihnen bekanntlich ja auch gelang. Allerdings diente der mittelalterliche Streit über die Berechtigung der Verehrung heiliger Bilder lediglich als pseudogelehrtes Ornament der geführten Debatte. Ob dies dazu führte, dass irgendjemand zu dem kurz zuvor erschienenen Band von Thümmel über die Synoden zur Bilderfrage im 7. und 8. Jh. griff, um sich weiter über diesen Themenkomplex zu informieren, vermag der Rezensent natürlich nicht zu sagen. Auszuschließen ist es nicht. Und sicher hätte man genügend Informationen gefunden, um sich ein Bild vom Bilderstreit zu machen. Man hätte erfahren können, dass dieser byzantinische Gelehrtenstreit – um einen solchen handelt es sich in erster Linie – nichts mit dem islamischen Bilderverbot zu tun hatte, wie man früher oft meinte. ...
Die Studie der Frankfurter Historikerin ruht auf ihren früheren Arbeiten über frühneuzeitliche politische Predigten, vor allem in den Forschungsbibliotheken Gotha und Wolfenbüttel, sowie auf einem Projekt im Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen". Ein Forschungskonzept "Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit" lag bereits seit 2007 vor. Daraus ist nun ein Buch geworden, an dem man aus mehreren Gründen die innere Balance vermisst und das viel enger zugeschnitten ist, als der weite Titel verheißt. Die Autorin möchte in der vielstimmigen religiös-politischen Semantik des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts jene Position besonders herausheben, die als "politica christiana", "Christliche Politik" oder "Christen-Staat" bezeichnet wurde. Sie unterstreicht, im Einklang mit der neueren Forschung, dass solche christlichen und naturrechtlichen Begründungen eines Widerstandsrechts und die Betonung der Frömmigkeit für Herrschende und Beherrschte keine Außenseiterpositionen und keine Spezialität des Luthertums waren, sondern in Europa konfessionsübergreifend diskutiert und weitgehend akzeptiert wurden. Das Thema eines möglichen Widerstands gegen eine religiös-konfessionell unterdrückerische Obrigkeit ist nur ein Aspekt jener weiter gefassten "christlichen Politik". Dass auch die Lutheraner über das Widerstandsrecht diskutierten, vor allem im 16. Jahrhundert, ist unbestreitbar. Sie taten dies ebenso wie Katholiken oder Calvinisten, wenn sie konfessionspolitisch in Bedrängnis waren. Das war naheliegend. Aber genügt es, um den vielfach bestätigten Gesamtbefund, das Luthertum habe aufgrund seiner an die weltliche Obrigkeit angelehnten Struktur auch stärker obrigkeitlich gedacht, zum Vorurteil zu erklären? ...
Die meisten Informationen, die uns über Frauen im Römischen Reich zur Verfügung stehen, wurden von Männern in literarischen Texten und Rechtsquellen aufgeschrieben. Ein Thema, mit dem das Leben von Frauen des Römischen Reichs näher beleuchtet werden kann, sind Rechtstexte, die sich mit Themen beschäftigen, in denen Frauen eine zentrale Rolle spielen.
Weite Teile der Bevölkerung des Römischen Reichs konnten im zweiten und dritten nach- christlichen Jahrhundert zwischen lokalen und römischen Rechtsangeboten wählen, um be- stimmte Probleme des Alltags zu lösen. Innerhalb des römischen Reichs entstanden zu dieser Zeit Rechtstexte unterschiedlicher Kulturen und verschiedene Rechtssysteme entwickelten unterschiedliche Lösungen für sich inhaltlich überschneidende Themenbereiche und Probleme.
In Rom verschriftlichten römische Juristen ihre Gedanken zu theoretischen Fallbeispielen und gewannen in großen Teilen des römischen Reichs Ansehen. Teile davon liegen uns heute als die im fünften und sechsten Jahrhundert zusammengetragenen Digesten vor. In der römischen Provinz Palaestina lebten jüdische Gelehrte, Rabbinen, die über Jahrhunderte mündlich weitergegebenes Wissen und entwickelte Rechtsbestimmungen aufschrieben, die als die Schriften der Mischna und Tosefta überliefert wurden.
In der Dissertation werden anhand der Lebensabschnitte einer Frau wie sie in der Mischna gezeichnet werden – die Kindheit und Jugend in der Familie des Vaters, das Leben als Ehefrau und das Leben als Witwe – untersucht, welche Handlungsspielräume sich für Frauen in den Texten ergeben und welche Erwartungen an Frauen gestellt werden. Die untersuchten Abschnitte der Mischna und Tosefta werden mit Texten aus den Digesten verglichen.
Obwohl die jüdischen und römischen Rechtstexte auf Traditionen beruhen, die unabhängig voneinander entstanden, beschäftigen sie sich mit den gleichen Themen, nämlich mit dem Erwachsenwerden von jungen Frauen, Fragen des Erbrechts, der Heirat und dem Ende von Ehen durch den Tod des Ehemannes oder eine Scheidung. Weiterhin wird deutlich, dass die Autoren der jüdischen Rechtstexte als Bewohner des Römischen Reichs sich mithilfe von Bestimmungen für das Verhalten verschiedener Mitglieder ihrer Gesellschaft zugleich als Teil der griechisch–römischen Welt sahen und sich von dieser durch eigene Traditionen abgrenzten. Aus der Sicht der Rabbinen konnte das Verhalten von Frauen ihre Gruppenzugehörigkeit nach außen sichtbar machen.
Im Oktober 2013 erschien in der italienischen Tageszeitung La Repubblica das Transkript eines langen Gesprächs, das Papst Franziskus kurz zuvor mit dem italienischen Intellektuellen (und atheistischen Zeitungsgründer) Eugenio Scalfari geführt hatte. Zeitgleich, d. h. am Tag der Veröffentlichung, traf der erst sechs Monate zuvor gewählte Papst im Vatikan erstmals mit den acht Mitgliedern des von ihm neu eingesetzten Kardinalsrats zusammen. Dieser Kardinalsrat fungiert als Beratergremium; er soll Vorschläge für die Reform der Kirche und der Kurie ausarbeiten. Dass er gerade mit Blick auf die Kurie einen massiven Bedarf an Reformen sieht, brachte Franziskus auch in besagtem Interview zum Ausdruck. ...
Michel Zink, hochdekorierter Kenner der französischen Literatur des Mittelalters und jüngst unter die "Unsterblichen" der Akademie berufen, legt ein Buch vor, das aus einem Aufschrei erwächst. Er möchte Position beziehen und seiner zutiefst empfundenen Verzweiflung angesichts der brutalen Taten und Bilder Ausdruck verleihen, mit denen die politischen und ideologischen Konflikte des 20. und 21. Jahrhunderts uns medial überrollen – man denke etwa an den IS, der per Video die Erniedrigung seiner Opfer inszeniert (S. 7–20). Kristallisationspunkt der emotionalen Reaktion des Autors und ihrer intellektuellen Verarbeitung ist das Motiv der Demütigung: Dieses bildet den Leitfaden der essayistisch angelegten Darstellung, welche die Exzesse der demütigenden Grausamkeiten in unserer Zeit auf eine Weise reflektieren soll, die dem Spezialisten der mittelalterlichen Literatur offensteht (S. 19–20). ...
Die Reflexion über das Verhältnis von Mittelalter und Moderne stellt zwar keine ganz neue Thematik dar, aber man darf man sich beim zu besprechenden Band zunächst getrost den begleitenden Worten von Terry Jones (Monty Python) anschließen: "It’s a feast of literature and medievalism. I hope you enjoy it." Wenn der Genuss in der Folge doch nicht ganz uneingeschränkt ist, so liegt dies keineswegs an der Qualität der versammelten Beiträge. Vielmehr wird man schlicht bedauern, dass just Terry Jones, der im Juni 2013 auf der Tagung an der Universität von St. Andrews vortrug, aus der dieser Seamus Heaney gewidmete Band hervorging, seinen Beitrag nicht zum Druck brachte. ...
Weit davon entfernt, ein Phänomen der Vergangenheit und durch den zunehmenden Wohlstand der Staaten ausgelöscht worden zu sein, wird der Kluft zwischen Arm und Reich in der Gegenwart wieder verstärkt nachgegangen. Den Versuch der historischen Fundierung dieser Debatten haben Petra Schulte und Peter Hesse in dem vorliegenden Sammelband zum Reichtum im späten Mittelalter unternommen, der auf den Beiträgen und Ergebnissen einer Tagung im Deutschen Studienzentrum Venedig im Jahr 2010 beruht. ...
Die kulturwissenschaftlich gewendeten Geistes- und Sozialwissenschaften sind in den letzten Jahren in einem spannenden Umbruchsprozess begriffen, der die Frage nach ihrem künftigen Aussehen und ihren beherrschenden Fragestellungen aufwirft: Wohin geht die Reise und welches neue Meisternarrativ könnte sich abzeichnen? Im Kontext der von Deutschland aus initiierten Anschlussbemühungen an die international freilich längst geführten Debatten zu Phänomenen einer verflochtenen und globalisierten Welt der Vormoderne sowie zu einer transkulturell perspektivierten Geschichtswissenschaft war zwischen Oktober 2008 und Oktober 2010 am Deutschen Historischen Institut Paris (DHIP) die Forschungsgruppe "FranceMed. La France et la Méditerranée. Espaces des transferts culturels", bestehend aus Rania Abdellatif, Dr. Yassir Benhima, Dr. Daniel König (Koordinator) und Dr. Élisabeth Ruchaud, angesiedelt, die sich der eingehenden Untersuchung der zahlreichen transkulturellen und transreligiösen Austauschprozesse des Mediterraneum zwischen dem 7. und 15. Jahrhundert widmete und hierzu ein europaweites Netzwerk der mit diesen Fragen beschäftigten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aufbauen konnte. Zwischen Juni 2009 und März 2011 richtete die Gruppe neben anderen individuellen und gemeinsamen Aktivitäten insgesamt fünf Ateliers aus, von denen vier von der DFG und dem DHIP zum Thema "Transferts culturels en Méditerranée médiévale" und eine fünfte gemeinsam vom DHIP und der Casa de Velázquez, Madrid, organisiert und gefördert wurden. Leider wurden wohl aus Zeit- und Kostengründen nur die meisten Beiträge der ersten beiden Ateliers in den hier zu besprechenden Bänden veröffentlicht. ...
Nach Lektüre dieses Werks ist man zunächst geneigt, von einer Rezension im Wortsinn abzusehen, um die Autoren stattdessen einfach zu einer rundum Respekt und Bewunderung verdienenden Leistung zu beglückwünschen, haben sie doch auf nicht weniger als 1100 Seiten ihr Thema von der ausgehenden Karolingerzeit bis an die Schwelle des 16.Jahrhunderts mit hoher Kompetenz unter allen nur denkbaren Aspekten abgehandelt und diese durchgängig mit einer schier überbordenden Fülle von Belegen und Beispielen illustriert. Der durchmessene Raum reicht von Norwegen bis Byzanz und von Polen bis zur Iberischen Halbinsel; einen gewissen Schwerpunkt bilden dabei das römisch-deutsche Reich und Frankreich. Solch in einem französischen Handbuch nicht unbedingt zu erwartender Doppelakzent verdankt sich Jean-Marie Moeglin, der bereits 2010/2011 mit seiner "Deutsch-Französischen Geschichte im Spätmittelalter" ein ähnlich gelehrtes Monument vorgelegt hat. Wie sehr er in den Kulturen beider Länder heimisch ist – in München, dem für Mediävisten deutschen Bibliotheksmekka, hat er inzwischen ein zweites Zuhause –, zeigt sich bis in die Anmerkungen und in eine (mit Unternummern) weit über 3000 Titel umfassende Bibliografie, die für europäische und insbesondere eben deutsche und französische Benutzerinnen und Benutzer künftig eine unverzichtbare Referenz sein dürfte. Gerade in einem Organ vom Profil der Francia-Recensio sei darauf mit Nachdruck empfehlend hingewiesen. ...
Zu einem Aspekt der Beziehungen zwischen lateinisch-christlicher und arabisch-islamischer Welt
(2011)
Wohl kaum eine Beziehungsgeschichte zwischen Kulturräumen zieht derzeit soviel Aufmerksamkeit auf sich wie die zwischen "dem Westen" und "der islamischen Welt". Gerade hier zeigt sich, wie sehr die Periode, die wir gemeinhin als "das Mittelalter" bezeichnen, heutige Diskurse beeinflusst. Einzelphänomene dieser Beziehungsgeschichte sind ein so fester Bestandteil der heutigen Vorstellungswelt, dass sie auch das Bild dieser Beziehungen bis heute maßgeblich prägen. Dies gilt insbesondere für die arabisch-islamische Expansion, die Kreuzzüge und die so genannte "Reconquista". Sie beschwören nicht nur Bilder von religiösen Fanatikern herauf, sondern sind – gerade die Kreuzzüge – so stark im konzeptuellen Denken verankert, dass sie für einen geradezu in epische Dimensionen reichenden Antagonismus zweier Kulturen stehen, für die eine Variante des Monotheismus (Christentum/Islam) und eine das Geistesleben bestimmende Sprache (Latein/Arabisch) grundlegend sind. ...
Das Thema Krieg und Gewalt hat in den vergangenen zwei Dekaden in den verschiedenen kulturwissenschaftlichen Disziplinen eine neue Aufmerksamkeit erlangt. Der Schwerpunkt lag dabei vor allem auf den Kriegen der Moderne und Gegenwart, während Gewalt in ihren verschiedenen Erscheinungsformen einen Untersuchungsschwerpunkt der Frühneuzeitforschung bildet. Der hier vorzustellende interdisziplinäre Sammelband, der aus einer Sektion des Konstanzer Historikertages von 2006 hervorgegangen ist und um drei Aufsätze erweitert wurde, positioniert sich an der Schnittstelle dieser beiden Forschungsfelder Krieg und Gewalt und bietet durch die Fokussierung auf visuelle Repräsentationen zugleich eine Öffnung der Geschichtswissenschaften hin zu bildwissenschaftlichen Fragestellungen. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag zur frühneuzeitlichen Kriegsgeschichte und ihren bildlichen Darstellungen im Medium der Sprache und der Bilder, einem besonders in der deutschsprachigen Forschung nach wie vor zu wenig beachteten Thema. ...
Es war, zumindest für die Spezialforschung, ein veritabler Paukenschlag, als Claudia Märtl 2010 auf einer Münchner Tagung über das Ende der konziliaren Epoche mit einem unbekannten, genau zum Thema passenden Text aufwartete, den sie in einer Augsburger Handschrift entdeckt hatte: das Dreiergespräch "Agreste otium" des Martin Le Franc, der bis dahin fast ausschließlich durch seine moralisch-didaktischen Werke in französischer Sprache bekannt war, allen voran das allegorische Versepos "Le champion des dames" (1440–1442) sowie ein Streitgespräch zwischen Fortuna und Tugend, "L’Estrif de Fortune et de Vertu" (1447). ...
Auch nach mehr als 70 Jahren gehört die britische Appeasement-Politik zu den umstrittenen Themen der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Schon im Zweiten Weltkrieg als "Guilty Men" bezichtigt, und dann nach 1945 von Churchill wortgewaltig als Schwächlinge und einfältige Toren an den Pranger gestellt, gelten Neville Chamberlain und seine Mitstreiter seinen Kritikern als Politiker, die die wahren Ziele von Hitlers Außenpolitik nicht erkannten und so seinem Machtzuwachs nicht rechtzeitig Grenzen setzten. Demgegenüber verweisen seine Unterstützer auf die begrenzten Möglichkeiten der britischen Außenpolitik, die einen härteren Kurs der Eindämmung nicht zugelassen hätten. ...
Seit Oktober 2010 reflektiert im Italienisch-Deutschen Historischen Institut in Trient eine Gruppe von Historikern über ein zentrales Problem der Geschichtswissenschaften, demjenigen der Epochen und der "Transitionen" zwischen diesen. Vom 11.–14. September 2012 veranstaltete das Institut hierzu eine Tagung, auf der erste Ergebnisse und Gedanken vorgestellt wurden. Der Sammelband versammelt die meisten der damaligen Vorträge. ...
In einer diachronen Vergleichsstudie sollen die Probleme des frühneuzeitlichen Seehandels Dänemarks und der Hansestädte gegenüber den Barbaresken beschrieben und verschiedene Lösungsmodelle wie auch die Implementierung derselben herausgearbeitet werden. Die Gefährdung der Schifffahrt auf dem vogelperspektivisch konzipierten Raum Meer mit einem nach Süden hin steigenden Risiko führte zu einer kartographischen Einteilung von Risikozonen. Die institutionelle Antwort auf diese Entwicklung kann mit den Begriffen Sklavenkasse und Türkenpässe idealtypisch zusammengefasst werden.