Geschichtswissenschaften
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Rezension zu: Heinrich Schlange-Schöningen, Hieronymus. Eine historische Biographie (Darmstadt 2018)
(2020)
In der hier zu besprechenden Arbeit von R. Brendel, einer überarbeiteten und ergänzten Fassung der an der LMU München im Oktober 2013 eingereichten Dissertation, werden, wie es der Verlag Dr. Kovač ankündigt, "erstmals vollständig sämtliche mit Julian in Verbindung stehende[n] Gesetzestexte gesammelt, in Übersetzung vorgelegt und ausgewertet". Neben den Werken von S. Conti über die Inschriften Julians und Th. Fleck über die Portraits wird damit ein weiteres Themenfeld für den Kaiser systematisch erschlossen, der nach wie vor moderne Forscher in seinen Bann zieht. Als methodisch weiterbringend erachtet der Verf. es auch, die spätantiken und frühmittelalterlichen Kommentare wie die Summaria antiqua Codicis Theodosiani und die Summa Perusina Codicis Iustiniani (zit. S. 446) heranzuziehen. ...
Die von J. Wiesehöfer herausgegebene Reihe Oriens et Occidens ist um einen neuen, wissenschaftsgeschichtlich wie kulturhistorisch wertvollen Band bereichert worden, den inzwischen 22. der 2001 begonnenen Reihe. Verfasst hat ihn der emeritierte amerikanische Gelehrte Lawrence J. Baack (* 1943), der sich u.a. durch seine Forschungen zur deutschen Geschichte des frühen 19. Jhs. einen Namen gemacht hat und auch über dänische und schwedische Sprachkenntnisse verfügt. Schon der fünfte Band der Reihe war derselben Thematik gewidmet. Er ist als Begleitband höchst wertvoll mit seinen zahlreichen Spezialbeiträgen, die in dieser Ausführlichkeit vom Vf. nicht behandelt werden konnten. Der Titel darf – auch wenn in der Forschung oft von der „Arabischen Reise“ gesprochen wird – nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwar das Hauptziel der von J. D. Michaelis, einem Professor für Philosophie an der damals neu gegründeten Universität Göttingen, angeregten, vom dänischen König Friedrich V. († 1766) finanzierten Expedition von sechs Personen der Jemen war, der am 27.12.1762 mit der Ankunft in al-Luḥayya erreicht wurde. Doch durch den Tod des Philologen und des Botanikers am 25.5. bzw. am 11.7.1763 entschloss man sich bereits am 24.8.1763, nach Indien abzusegeln, aber durch den Tod des Zeichners und des Assistenten nur wenige Tage später kamen nur noch Niebuhr und der Arzt am 11.9.1763 in Bombay in Indien an, und nachdem auch dieser im Februar 1764 verstarb, setzte Niebuhr als Einzelforscher die Reise durch den Vorderen Orient bis zu seiner Rückkehr im Herbst 1767 fort...
Rezension zu: Sara Stöcklin-Kaldewey, Kaiser Julians Gottesverehrung im Kontext der Spätantike
(2014)
Von einem nachlassendem Interesse an der Gestalt des letzten Kaisers der konstantinischen Dynastie, der sich vom Christentum abwandte, kann wahrlich nicht gesprochen werden. Erst im vergangenen Jahr (2013) ist die Arbeit von Th. Nesselrath erschienen, die nach den Konzepten und Vorbildern der Repaganisierung des Reiches fragte. Nun hat S. Stöcklin-Kaldewey eine Dissertation vorgelegt, die von M. Wallraff (Universität Basel, Kirchen- und Theologiegeschichte; evang.) betreut wurde und die allein schon durch ihren Umfang (456 Seiten) beeindruckt. Die Biographie des Kaisers wird nur ganz sporadisch behandelt, seine politischen Maßnahmen werden ausgeblendet (vgl. S. 13). Umso mehr ist das Buch für Philosophen und Religionswissenschaftler eine anspruchsvolle, aber auch höchst bereichernde Lektüre. Die große Zahl an Werken, die aus der Feder des Kaisers erhalten ist, bietet zweifellos eine hervorragende Basis, die die Vf. im besten Sinne genutzt hat für ihre Frage nach Julians Gottesverehrung im Kontext der Spätantike. Wer das Buch gründlich liest, wird schnell feststellen, dass ihm hier mehr geboten wird, als der Titel vermuten lässt. Die Vf. sieht in Julian mit Recht „eine Schlüsselfigur für das Verständnis der religiösen Kultur der Spätantike“ (S.2) mit ihrer „wechselseitigen Durchdringung verschiedener religiöser Sphären“ (S.4)...
Die Dissertation widmet sich der Religionspolitik des oströmischen Kaisers Marcianus, der während der Zeit des Konzils von Chalcedon regierte (450-457). In der Arbeit wird die These aufgestellt, dass der Kaiser einen geradlinigen und konsequenten Kurs in seiner Religionspolitik verfolgte.
Um die These zu untermauern, wurden als Quellen vorwiegend zeitgenössische Dokumente herangezogen: neben Gesetzen und Briefmaterial aus der Feder des Kaisers sowie des römischen Bischofs Leo bestehen diese aus den umfangreichen Konzilsakten.
Die Arbeit zeigt auf, dass sich Marcianus bereits bei seinem Herrschaftsantritt in den dogmatischen Streitigkeiten der Zeit positionierte, indem er sich eindeutig auf die Seite des Dogmas stellte, das der kurz zuvor verstorbene Bischof von Constantinopel Flavianus vertreten hatte, und gleichzeitig das radikal alexandrinische Glaubensbekenntnis ablehnte, das durch den Constantinopolitaner Mönch Eutyches verfochten wurde und dem die Mehrheit seines Reichs im Sommer 450 folgte. Damit setzte er sich von seinem Vorgänger Theodosius II. ab, unter dem es offensichtlich zu keiner Kursänderung in der Religionspolitik gekommen war. Weil das Wohl des Reichs und seine Herrschaft vom orthodoxen Glauben abhingen, war er während seiner gesamten Regierungszeit bemüht, alle für den ‚rechten Glauben‘ zu gewinnen und so die Glaubenseinheit zu wahren. Auch bei den in der Folgezeit des Konzils auftretenden Widerständen gegen die Beschlüsse der Synode setzte Marcianus nicht nur seinen religionspolitischen Kurs durch, sondern verteidigte ziemlich einsam die Glaubensformel des Konzils; selbst in den Widerstandszentren hielt er seinen religionspolitischen Kurs durch, indem er in Palaestina die Aufstände zum Erliegen brachte, in Aegypten mit Hilfe des Militärs den chalcedonischen Bischof zumindest bis zu seinem Tod stützen konnte. Somit kann sein religionspolitischer Kurs von Herrschaftsantritt an bis zu seinem Tod als konsequent und geradlinig bezeichnet werden.
Das Herder-Institut (Marburg) hatte 22 Nachwuchswissenschaftler, zumeist Doktoranden, zu einer Sommerschule eingeladen, die sich das Ziel gestellt hatte, die Arbeit an Theorie und Methode historischer Biographik mit der Diskussion konkreter biographischer Studien zu verbinden. Die Leitung und Moderation der Veranstaltung lag in den Händen von Herrn Dr. E. Mühle, dem Direktor des Herder-Instituts, und seiner Mitarbeiterin Frau Dr. H. Hein. In Ausweitung seines langjährigen und erfolgreichen Schwerpunktes auf die Geschichte Ostmitteleuropas und auf die Geschichte der Deutschen in den ostmitteleuropäischen Ländern hatte das Herder-Institut sehr bewusst auch Bewerber berücksichtigt, deren Themen in der west- und nordeuropäischen Geschichte angesiedelt sind. Entscheidend für die Auswahl war der biographische Fokus des Projektes, so dass sich neben Historikern auch Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker auf dem Marburger Schlossberg einfanden. Neben dem pragmatisch-interdisziplinären Ansatz gefiel auch der unaufgeregte und zugleich angenehme mitteleuropäische Charakter des Seminars. Zwar dominierte die deutsche Gruppe aufgrund ihrer Zahl und der gewählten Arbeitssprache, aber die Teilnehmer aus Polen, Tschechien und den Niederlanden verstanden es sehr gut, eigene Akzente einzubringen und deutsche Sichtkorridore aufzuweiten. ...
Christoph Cornelißen stellte in seinem Vortrag "Gerhard Ritter (1888-1967) - ein deutsches Historikerleben" die innere Widersprüchlichkeit des Historikers und politischen Menschen heraus, ohne sein eigentliches Ziel, mit dieser Biographie einen Beitrag zur deutschen Wissenschaftsgeschichte zu leisten, aus den Augen zu verlieren. ...
Die Dogon sind eine kleine, akephale, in Dorfgemeinschaften und Großfamilien unterteilte Gesellschaft von ca. 300.000 Mitgliedern, die am südlichen Rande des Sahel ganz im Osten Zentralmalis siedelt. Die Großfamilie ist patrilinear sowie patrilokal organisiert und in acht Altersklassen gegliedert. Der Dorfalltag wird von einer strikten Trennung der Geschlechter bestimmt. Anfangs angelockt durch ethnographische Berichte der französischen Ethnologen um Marcel Griaule, später durch Filme und Reportagen, besuchen jedes Jahr Zehntausende von reisehungrigen Alternativ- und Bildungstouristen das Land der Dogon. Es empfängt sie eine pittoreske Felslandschaft voll exotischer, kultureller Vielfalt und geheimnisvoller Authentizität, die von der UNESCO 1989 in das Verzeichnis des Weltkulturerbes und Weltnaturerbes aufgenommen wird. In Folge des anwachsenden Tourismus hat sich im Laufe der letzten vier Jahrzehnte ein neuer Berufstand herausgebildet, die Touristenführer. Im Rahmen der Lehrforschung Mali des Instituts für Historische Ethnologie der Johann Wolfgang von Goethe Universität Frankfurt werden während zweier Forschungsaufenthalte im Sommer 2006 und im Oktober 2007 in verschiedenen Dörfern an der Falaise von Bandiagara Touristenführer und Dorfbewohner mehrerer Generationen interviewt. So werden Guides befragt, die ihren Beruf bereits seit Beginn des Tourismus in den 1960ern ausüben – bzw. ausgeübt haben. Damals besuchen nur einige Hundert, meist ethnologisch interessierte Touristen das Pays Dogon. Die Mehrzahl der Gesprächspartner beginnt in den 80er und 90er Jahren des vorherigen Jahrhunderts mit der guidage der ausländischen Gäste. Ebenfalls interviewt werden junge Guides, die erst seit wenigen Jahren Touristenführer sind. Aus den Interwiews ergibt sich ein vielfältiges Spektrum von Aussagen und Erzählungen über die Berufsfindung, den Umgang mit den fremden Besuchern, den Status eines Touristenführers bei der Dorfbevölkerung. Zentrales Element im Austausch mit den internationalen Gästen ist die eigene Kultur, die die Dogon mit Selbstbewusstsein vorzeigen und gegen das Geld der Touristen eintauschen. Und sind es normalerweise die Alten, die für die Jüngeren im Dorf und in den Familien Kultur und Tradition interpretieren, sind es im Tourismus nun die Jungen, die den fremden Gästen die eigene Gesellschaft präsentieren. Der Tourismus eröffnet der bäuerisch geprägten Dogongesellschaft einträgliche Nebentätigkeiten und –geschäfte und trägt, trotz seiner saisonalen und regionalen Begrenztheit, wesentlich zur Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen im Pays Dogon bei. Die Einkünfte der so genannten Antiquitätenhändler, der Träger, Maskentänzer, Köche, Holzschnitzer und nicht zuletzt die der Guides werden von ihren Familien dringend benötigt. Deshalb zeigen sich die Dogon dem Tourismus meist recht positiv gegenüber und verfolgen mit großem Stolz das wachsende Interesse an ihrer Kultur. Mit den Associations des Guides haben sich erste Strukturen der Selbstorganisation etabliert, Beratungsgremien, die repräsentative Aufgaben, aber auch Kontrollfunktion haben und bei schlechter guidage sogar Sanktionen gegen ihre Mitglieder veranlassen können. Der Tourismus im Pays Dogon hat zu einem positiven Trend geführt. So konnte beispielsweise die Landflucht der jungen Leute vermindert, die Infrastrunktur verbessert und die Ausbildung – insbesondere auch die der Touristenführer – intensiviert werden.
Menschen mit Geldbeträgen in Verbindung zu setzen, gilt heute in Deutschland als inakzeptabel, ja sogar sittenwidrig. Zwangsheiraten, bei denen auch Brautgeld fließt, werden als Menschenhandel geahndet. Bei den Brautpreisübergaben der Mossi in Burkina Faso gewinnen Geld und Güter jedoch eine symbolische Dimension. Wer von der Suppe isst, die mit dem Salz des Brautpreises gewürzt ist, erkennt das Bündnis zwischen den Brautleuten an. Die sorgfältig vorbereitete Übergabe des Preises etabliert soziale Bande zwischen den Familien und ist zugleich ein Test für den Bräutigam.
Die Habilitationsschrift des Frankfurter Historikers Gregor Rohmann will keine Ideengeschichte des krankhaften Tanzens präsentieren, sondern wählt einen diskursiven, semiotischen Ansatz zur Deutung und Bewertung eines mittelalterlichen Phänomens, das unter dem Begriff der »Tanzwut« in der interdisziplinären Forschung sehr unterschiedliche Bewertungen erfahren hat. Galt die Tanzwut in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts vorwiegend als physisch bedingte Krankheit (Chorea Huntington, Veitstanz) bzw. psychische Epidemie, wird die Tanzwut unter der Prämisse einer diskursiven Körpergeschichte zunehmend als kulturell beeinflusstes, dynamisches Krankheitskonzept interpretiert, das sich durch Einbettung in verschiedene Beziehungsgeflechte in einem stetigen Deutungswandel befindet. Daran anknüpfend zielt Rohmanns Studie auf ein neues Verständnis der Tanzwut auf der Basis umfangreicher epochenübergreifender Quellenbelege. ...
Treffen im Titel eines Sammelbandes zwei Worte aufeinander, die auf einigermaßen aktuelle kulturwissenschaftliche "Turns" verweisen, im vorliegenden Fall auf den "Iconic" und den "Performative Turn", so liegt der Verdacht nahe, dass hier entweder alter Wein in neue Schläuche verpackt wird oder dass modische Schlagworte inhaltliche Leere verdecken sollen. Beide Befürchtungen erweisen sich im vorliegenden Band glücklicherweise als unbegründet. Stattdessen zeigt sich deutlich, wie gerade das Konzept der Performanz zu einem neuen Verständnis der Rolle von Bildern und ihrer Wirksamkeit im hoch- und spätmittelalterlichen lateinischen Europa beitragen kann. Um diesen zeitlichen und räumlichen Schwerpunkt herum, der sich aus der Zusammenarbeit der Brüsseler Groupe de recherche en histoire médiéval (GRHM) und der Pariser Groupe d’anthropologie historique de l’Occident médiéval (GAHOM) ergibt, versammeln sich Beiträge, die zudem auch die (christliche) Antike, Byzanz, die Frühe Neuzeit und sogar das 20. und 21. Jahrhundert in den Blick nehmen. ...