Geschichtswissenschaften
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Der Titel lässt eine Behandlung von Streitschriften und anderen Zeugnissen aus der Zeit des großen abendländischen Schismas erwarten, mit denen sich Vertreter der zwei bzw. drei Obödienzen positionierten und einander bekämpften. Doch vor die Quellen hat die Verfasserin die Theorie gesetzt: Ohne Habermas, Bourdieu und Foucault kein Jean Gerson, Simon de Cramaud oder Nicolas Eymerich. Man wähnt sich anfangs weniger in der Welt der Pariser Universität und der avignonesischen Kurie um 1400 als im soziologischen und literaturtheoretischen Oberseminar (die klassische Ideengeschichte wird kurzerhand als "très périmée" beiseite geschoben [S. 13]) und fürchtet, zumindest als nicht eben theorieversessener Historiker, schon den anstehenden Marsch durch entsprechende Textwüsten, zumal die Autorin expressis verbis einen anderen Ansatz als Hélène Millet vertritt, die sich mit ihren – am Dictum Lucien Febvres "Et l’homme dans tout cela?" orientierten – biografischen und prosopografischen Arbeiten um die Erforschung des Schismas bekanntlich sehr verdient gemacht hat: "Hélène Millet aime cerner les hommes du temps, quand j’aime scruter les textes" (S. 16). ...
Selten dürfte es einem Gelehrten vergönnt sein, die Summe seiner über 50 Jahre währenden Tätigkeit in zwei Alterswerken ziehen zu können, wie es bei Philippe Contamine der Fall ist mit dem wesentlich von ihm gestalteten "Dictionnaire de Jeanne d’Arc" und der nunmehr vorliegenden Biografie Karls VII. Diese beiden Persönlichkeiten markieren Schwerpunkte in einem staunenswerte Kontinuität, Intensität und Konsequenz zeigenden Œuvre, in dem nicht nur, so doch immer wieder die Geschichte Frankreichs im 14. und vor allem 15.Jahrhundert im Zentrum steht. Der Verfasser pflegt eine politisch akzentuierte Geschichtsschreibung, die sich abseits aller Moden und Theoriedebatten grundsätzlich der Quellenerschließung und -interpretation verpflichtet weiß. Geschrieben wurde auch der hier anzuzeigende Band stets entlang den oft in Auszügen zitierten und im Fall von Traktaten eines Alain Chartier oder Jean Juvénal des Ursins gar eigene Unterkapitel ausfüllenden Quellen, darin einmal mehr eingeschlossen handschriftliches Material. Unspektakulär geht der Autor diesen seinen Weg; dabei erfolgt auch, bis auf eine kurze lobende Erwähnung der monumentalen Monografie von Du Fresne de Beaucourt (1881/1891, vgl. S. 16), keine Auseinandersetzung mit früheren Biografien Karls VII., selbst nicht mit der – trotz fragwürdiger Grundthese lohnenswerten – von M.G. A. Vale oder der jüngsten, übrigens ebenfalls bei Perrin erschienenen – und m. E. weniger lohnenden – von Georges Minois; von dem noch 2001 wieder aufgelegten und recht eigenwilligen, da Karls VII. Schwiegermutter Yolande von Aragón als dessen mystère in den Mittelpunkt stellenden Buch eines Philippe Erlanger ganz zu schweigen. ...
Da wird gegen Ende ein schon recht großer Anspruch formuliert: "Aus genuin historischer Sicht bieten die Ergebnisse dieser Studie Anknüpfungspunkte für ein neues Narrativ, eine neue Interpretation der spätmittelalterlichen französischen Geschichte." Und mehr noch: "Aus systematisch-komparatistischer Sicht lässt sich die Frage nach der Spezifik bzw. der Übertragbarkeit des französischen Beispielfalles unter Rückgriff auf soziologische Theorieentwürfe schließlich auch auf weitere historische Formationen jenseits der spätmittelalterlichen Epoche ausweiten" (S. 427). Hoch die Erwartungen also in der Sache und nicht ganz so hoch an Sprache und Stil. Und französische Leserinnen und Leser, an die sich das Buch sicher nicht zuletzt auch wendet, werden entzückt sein über Juwele kristallklarer Verständlichkeit und federleichter Eleganz wie: "Aus diesen Überlegungen ergibt sich zugleich, dass systematisch-komparatistische Ansätze die jeweiligen Vergleichsgegenstände unter Zugrundelegung externer Analysekategorien zuallererst konstituieren und die im einzelnen zu betrachtenden Phänomene dadurch überhaupt erst vergleich- und operationalisierbar machen müssen" (S. 438). ...
Wenn eine ungedruckte Habilitationsschrift fast vier Jahrzehnte nach ihrer Abfassung publiziert wird, muss sie eigentlich von zwar erst spät entdecktem, doch außerordentlichem Interesse für die Fachwelt sein. Und mehr noch, hier bringt deren Herausgeber gleich eine höhere Macht ins Spiel, wenn er meint, der Zeitpunkt der Drucklegung genau 20 Jahre nach dem frühen Tod des Verfassers (1992) könne »durchaus auch als kleines Indiz für die Fügung des einzigen Herrn der Geschichte« angesehen werden (S. V). Da sei doch an die gelassen-relativierende rheinische Lebensweisheit erinnert: »Dat kann mer so, aber auch so sehen.« Für meinen Teil neigte ich schon Ende der 1970er Jahre zum zweiten »so«, als Leinweber mir freundlicherweise Auszüge seiner Arbeit in Kopie zukommen ließ, die ursprünglich in geradezu utopischem Ausgriff »Die Synoden in Italien, Deutschland und Frankreich von 1215 bis zum Tridentinum« erfassen sollte und unter solchem Titel wiederholt, auch von ihm selbst, angekündigt wurde; s. etwa Annuarium Historiae Conciliorum 4 (1972), S. 5 (dies zum Tadel des Herausgebers wegen entsprechender Zitierung u. a. durch mich, welche die tatsächliche Unkenntnis des Manuskripts offenbare; S. XVIII, Anm. 47). Damals mit einer Studie »Die Franzosen, Frankreich und das Basler Konzil (1431–1449)« (erschienen 1990), also einer Nachbarthematik, befasst, hielt ich nach Lektüre jener Auszüge eine vertiefende, insbesondere den Stand der französischen Forschung angemessen rezipierende Überarbeitung für unabdingbar, doch das Werk liegt nunmehr unverändert und damit in einer Form vor, die zudem aus dem Abstand mehrerer Dezennien recht befremdlich wirkt. ...
Im Verlauf einer Erkundungsexpedition des britischen Militärs in Ägypten wurde 1917 in der Westwüste zwischen der Oase Dachla und dem Gilf Kebir an der Grenze zu Libyen und dem Sudan von dem mitreisenden britischen Geologen und Geographen Jon Ball am Fuße einer von zwei weithin sichtbaren Geländeerhebungen aus Sandstein eine größere Anzahl von Gefäßen bzw. Gefäßresten aus Ton entdeckt. Ball bezeichnete die nördliche der beiden Erhebungen mit einer Höhe von ca. 39 m der vielen Gefäßfunde wegen als Pottery Hill. Die heutige Bezeichnung ist der arabische Name Abu Ballas. Die Entfernung zur Oase Dachla beträgt etwa 200 km. Die Geländeerhebungen waren zunächst nur als geographische Fixpunkte in der sonst ebenen Wüste von Interesse. ...
Das Buch von Joachim Ehlers enthält der Zielsetzung der Reihe "Wissen" entsprechend eine relativ kurze und kompakte monographische Darstellung des Hundertjährigen Krieges, bei der die Aufgabe der Wissensvermittlung im Vordergrund steht. Damit hat es für deutsche Leser dieselbe Funktion, die in Frankreich die in einem sehr ähnlichen Format erscheinenden Bände der Reihe "Que sais-je?" erfüllen. Dort wurde eine vergleichbare Darstellung des Hundertjährigen Krieges von Philippe Contamine (La guerre de Cent ans, 9. aktualisierte Auflage, Paris 2010) veröffentlicht. ...
Andreas Fahrmeirs These lautet, dass die Entwicklung der modernen Form der Staatsbürgerschaft "von einer spezifischen Erfahrung zwischenstaatlichen Wettbewerbs vorangetrieben wurde" (231). Dass alle oder fast alle erwachsenen Männer nach den Prinzipien der Aufklärung und des Liberalismus Rechte besaßen oder wenigstens fähig waren, zur politischen Mündigkeit erzogen zu werden, hat sicherlich auch zur Erweiterung der Rechte und der Zahl der Staatsbürger in vielfältiger Weise beigetragen. Nach Fahrmeir waren aber "Blut und Eisen" wichtiger für die Entwicklung von Staatsbürgerrechten als der Einfluss Lockes und Kants. Krieg oder die Vorbereitung auf einen Krieg haben Staaten angetrieben, eine "homogene, gesunde und produktive Bevölkerung" zu schaffen, um Stabilität und ökonomische Effizienz herzustellen (230). Und hauptsächlich deshalb wurden weitere zivile, politische und soziale Rechte breiteren Gruppen von Einwohnern gewährt und Grenzen zwischen Staatsbürgern und Ausländern schärfer gezogen. Dieser Hypothese folgend, kommt Fahrmeir zum Schluss, dass, da westliche Regierungen seit den 1970er Jahren zunehmend auf die Wehrpflicht verzichten und sich vielmehr auf den wirtschaftlichen Erfolg im Kontext einer globalisierten Ökonomie konzentrieren, sie sich fortan auch weniger um die Opferbereitschaft und um die Rechte ihrer Einwohner kümmern. Deren ökonomische Nutzbarkeit steht im Vordergrund (231 f.). ...