Geschichtswissenschaften
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Auseinandersetzungen um Bischofsstühle, die auf dem Basiliense zum Austrag gelangten, sind über den jeweiligen lokalen und regionalen Rahmen hinaus von Interesse. Denn zum einen wurden sie zwangsläufig in den damaligen gesamtkirchlichen Konflikt zwischen Konzil und Papst einbezogen, zum anderen standen hinter den Prätendenten weltliche Mächte, die ihrerseits den Kampf zwischen Basel und Rom zielstrebig zum Auf- und Ausbau eigener landeskirchlicher Hoheit auszunutzen suchten. In solchem Zusammenhang ist die Bedeutung des Streits um den Stuhl von Tournai recht hoch zu veranschlagen, da hier - in einer politischen und wirtschaftlichen Zentralregion des Spätmittelalters - neben den Konzilsvätern und Eugen IV. mit Frankreich und Burgund jene beiden westeuropäischen Vormächte auf den Plan traten, die gerade in den Jahren der Auseinandersetzung um den Bischofssitz mit dem Vertrag von Arras (1435) zu einem den Ausgang des Hundertjährigen Kriegs mitentscheidenden Ausgleich fanden, der indes äußerst fragil und prekär, da von stetem gegenseitigen Mißtrauen überschattet blieb. Denn die früheren Spannungen zwischen Burgund und Armagnac, die sich mit der Ermordung der Herzöge Ludwig von Orleans und Johann Ohnefurcht zu offenem Bürgerkrieg gesteigert wie zum Bündnis Burgunds mit England gefuhrt hatten, waren nicht vergessen. Dennoch kam es trotz solchen, von Argwohn und Verdächtigungen bestimmten Klimas fallweise zu kalkuliertem Einvernehmen auf Zeit, wenn dies den Beteiligten um der Wahrung eigener Interessen wilIen opportun erschien. In der Auseinandersetzung um das Bistum Tournai zeichnet sich mithin nicht nur der große kirchliche Konflikt der Zeit ab, sondern es spiegeln sich darin auch die vielen Facetten der komplex-komplizierten Beziehungen zwischen französischen und burgundischen Valois wider, auf die im ganzen der fast zeitgenössische Begriff der paix faincte zutrifft, welche der Franziskaner Pierre des Gros in seiner 1467 entworfenen Friedenstypologie dann gegeben sah, quant au dehors on monstre beau semblant et au dedans on ha haine de cestepaix. ...
Nachrufe auf Theodor Schieffer (11.VII.1910 – 9.IV.1992): Mit Theodor Schieffer, der am 9. April 1992 in seiner Heimatstadt Bad Godesberg starb, ist ein bedeutender Mediävist dahingegangen, dessen Lebenslauf und wissenschaftliches Wirken mit Mainz und dem Rheinland eng verbunden waren: An der neugegründeten Johannes Gutenberg-Universität wirkte er von 1946 bis 1954, der Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte stand er von 1952 bis 1955 als Präsident vor, und in vielen seiner Publikationen spielt dieser Raum eine gewichtige Rolle. ...
Überarbeitete Fassung eines Vortrags, der im Rahmen des Jubiläums "1200 Jahre Oberursel" am 18.XI.1991 im Ferdinand-Balzer-Haus gehalten wurde. 791, vor genau 1200 Jahren also, ließ ein gewisser Suicger dem Kloster Lorsch eine Schenkung in "Ursella" und im benachbarten Stierstadt zukommen; er tat dies mithin, wie im Codex der Abtei ausdrücklich vermerkt ist, zur Zeit des Königs Karl und des Abtes Richbold. So fallen die Anfange Oberursels, von denen vor fast vier Jahrzehnten Ferdinand Neuroth in seiner "Geschichte der Stadt Oberursel und der Hohemark" gehandelt hat und auf die auch in diesem Band eingegangen wird, in eine Epoche, da unter eben diesem Karl dem Großen das Frankenreich zur Vormacht im lateinischen Europa aufstieg. Die Grundlagen hierfür waren aber bereits von seinen Vorfahren geschaffen worden. Es ist an Pippin den Mittleren zu erinnern, der 687 die Hausmeierämter in allen drei Teilreichen des "regnum Francorum" in seiner Hand vereinigt hatte; an Karl Martell, der die fränkische Macht nach erfolgreicher Abwehr der Araber in den Süden Galliens vorangetragen und diese Gebiete erstmals wirklich an das Frankenreich angebunden hatte. Schließlich verfügte Pippin der Jüngere über solche Macht, daß er, gestützt auf die Autorität des Papstes, wagen konnte, 750/751 die Merowinger als Herrschergeschlecht abzusetzen und das fränkische Königtum an sich und seine Familie übergehen zu lassen. Doch der entscheidende politische und militärische Aufstieg vollzog sich dann unter seinem Sohn Karl, der namengebend für die gesamte Dynastie - eben der Kar(o)linger - werden sollte und selber in allen Sprachen den Beinamen "der Große" erhielt. Zu den wichtigsten politischen und militärischen Aktionen seiner fast fünf Jahrzehnte währenden Regierung (768-814) zählte die Liquidation des Langobardenreichs in Italien; seit 774 war er in Personalunion ,,rex Francorum atque Langobardorum" und trat als Schutzherr der römischen Kirche in enge Verbindung zum Papsttum, das allen Autonomiebekundungen zum Trotz seine staatsrechtliche Zugehörigkeit zum fernen Byzanz mit zunehmender Abhängigkeit von den Franken vertauschte. Des weiteren zwang Karl in langjährigen, blutigen Auseinandersetzungen die Sachsen in sein Reich, was mit der - teilweise gegen erbitterten Widerstand durchgesetzten - Einführung des christlichen Glaubens und der fränkischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung verbunden war. Krieg und Mission gingen ebenfalls Hand in Hand bei den gegen die Awaren gerichteten Unternehmen, welche sich an die Beseitigung des bairischen Herzogtums Tassilos III. anschlossen. Erfolgreich - wenn auch vorerst folgenlos - waren Feldzüge gegen westslawische Stämme; die erstmals als Feinde auftauchenden Normannen und Sarazenen stellten noch keine ernstliche Bedrohung dar. Solcher Expansion entsprach im Innern ein nicht minder energischer Auf- und Ausbau der Verwaltung und Kirchenorganisation sowie des Bildungswesens. Auch dieser, uns hier vorrangig interessierende Bereich war gleich den anderen entscheidend von Vorstellungen und Absichten Karls geprägt. Ohne Geschichte unzulässig auf Haupt- und Staatsaktionen "großer Männer" verengen zu wollen, ist in diesem Fall die HerrscherPersönlichkeit sicher besonders prägend und bestimmend gewesen, deren Wille sich allerdings erst dank konkret vorgegebener (und hier noch zu erörtender) Konstellationen und Traditionen erfolgreich in die Tat umsetzen ließ. ...
Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler Konziliarismus : Bemerkungen zu einer Neuerscheinung
(1980)
Seit einigen Jahren erfreut sich das Basler Konzil steigenden Interesses der Forschung: Es sei nur an so wichtige Neuerscheinungen wie die Arbeiten Stiebers, Christiansons und Blacks erinnert; weitere Studien stehen zu erwarten. Dem anzuzeigenden Werk von Werner Krämer: Konsens und Rezeption. Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler Konziliarismus, Münster: Aschendorff (1980) (= Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N. F., Bd. 19), VII + 477 S., eignet in diesem Rahmen besonderer Rang. Die bei Rudolf Haubst entstandene Dissertation - das Ergebnis zehnjähriger Mühe und weit über dem Niveau durchschnittlicher Doktorarbeiten liegend - erfüllt ein wichtiges Desiderat der Forschung und wird trotz gewichtiger, im folgenden zu besprechender Einwände für lange Zeit als das grundlegende Werk zur Basler Ekklesiologie zu gelten haben. ...
Deutschland und Frankreich besitzen zwei historische Kulturen, die durchaus gemeinsame Züge aufweisen - es sei etwa an die Pflege der Hilfswissenschaften an traditionsreichen Stätten wie der "Ecole des Chartes", den "Monuments" oder der Wiener Schule erinnert -, die aber auch unverwechselbares Eigenprofil entwickelten: So wurden z. B. die Prinzipien und Anliegen der "Annales"-Gruppe (trotz ihrer Anlehnung an Methoden der landesgeschichtlichen Forschung in Deutschland zu Beginn unseres Jahrhunderts) von der deutschen Historikerzunft eigentlich erst seit den sechziger Jahren ernsthaft diskutiert und teilweise rezipiert. Austausch und Begegnung zwischen deutschen und französischen Gelehrten zu ermdglichen - auf breiter Historikerebene ist das leider oft schon durch mangelnde Sprachkenntnisse erschwert -, läßt sich das "Deutsche Historische Institut" in Paris angelegen sein, das mittlerweile auf ein über fünfundzwanzigjähriges erfolgreiches Wirken zurückblicken kann. Erfreulicherweise sind nun auf französischer Seite seit einigen Jahren ähnliche Aktivitäten zu verzeichnen, die mit der in Göttingen nahe dem "Max-Planck-Institut für Geschichte" angesiedelten "Mission Historique Fraqaise en Allemagne" auch schon institutionalisiert wurden. War bislang deutsche Geschichte im Ausland traditionell eine Domäne vor allem angelsächsischer Historiker, so gewinnen französische Beiträge zunehmend an Gewicht. Der für das Mittelalter zuständige Mitarbeiter der Arbeitsstelle, Jean-Pierre Cuvillier, hat 1979 eine große Synthese "L'Allemagne medievale. Naissance d'un Etat (VIIIe - XIIIe siecles)" vorgelegt, dem bald ein Band über das spätmittelalterliche Deutschland folgen wird. Aus naheliegenden Gründen gilt aber dem Rheinland bevorzugtes Forschungsinteresse: So veröffentlichte etwa Francois G. Dreyfus "Societes et mentalites a Mayence dans la seconde moitie du 18e siecle" (1968); ein Beitrag, der ebenso wie die Studie von Etienne Francois, einem weiteren Mitglied der Göttinger ,"Mission", über "Koblenz im 18. Jahrhundert. Zur Sozial- und Bevölkerungsstruktur einer deutschen Residenzstadt" (1982) schon im Titel die Nähe zur ,,Annales"-Tradition verrät. Leser dieser Zeitschrift wird besonders das aus einer These d'Etat hervorgegangene Buch "Cologne entre Napoleon et Bismarck, la croissance d'une ville rhenane" des in Straßburg lehrenden Pierre Aycoberry interessieren, das 1981 erschien. ....
Elsbet Orth (1937–1991)
(1993)
Nachruf auf Elsbet Orth (1937 – 1991): Mit ELSBET ORTH, die am 16. November 1991 nach langem und mit außerordentlicher Tapferkeit ertragenem Leiden starb, hat unser Fach eine Wissenschaftlerin und Kollegin verloren, die viel geleistet hat und von der, insbesondere auf dem Feld der Frankfurter und der hessischen Geschichtsforschung, noch mehr zu erwarten stand. ...
Vorliegender Beitrag ist die etwas erweiterte Fassung meiner öffentlichen Antrittsvorlesung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main vom 24. Mai 1989. JOHANNES HALLER zählt zu den meislgelesenen deutschsprachigen Historikern unseres Jahrhunderts; seine Bücher, vor allem die bis in unsere Tage vielaufgelegten "Epochen der deutschen Geschichte", aber auch die ",Tausend Jahre deutsch-französischer Beziehungen", haben über Historikerzunft und akademisches Burgertum hinaus weite Kreise erreicht. Sie waren meinungsbildend und -prägend, zumal Haller über eine glänzende Formulierungsgabe verfügte und seine Meinung mit geradezu suggestiver Wortmächtigkeit vorzubringen verstand. Letzteres gilt besonders für seine Tätigkeit als Universitätslehrer vor großem Auditorium, wie Hörer von Theodor Eschenburg bis zu Kurt Georg Kiesinger immer wieder übereinstimmend betonten. Auch vom Katheder formte Johannes Haller also uber Jahrzehnte bis zu seiner Emeritierung 1932 in Deutschland sehr wesentlich die Vorstellungen von Frankreich und französischer Geschichte. Und die bekanntesten seiner - überraschend wenigen - Schüler: Heinrich Dannenbauer, Reinhard Wittram und Fritz Ernst sollten später ihrerseits allesamt Themen aus der französischen Geschichte in der Tradition ihres Lehrers aufgreifen. Dessen Frankreichbild hat also auch in der deutschen Geschichtswissenschaft Spuren hinterlassen - in Rezeption wie Ablehnung noch bis hin zu Karl Ferdinand Werner, einem Schüler von Fritz Ernst. Der Universalhistoriker Johannes Haller mit seiner großen thematischen Spannweite handelte über fränkische und französische Geschichte durch fast alle Epochen von der Völkerwanderung bis in unser Jahrhundert. Neben den ihn persönlich bewegenden Ereignissen der eigenen Zeit war es vor allem das Mittelalter, dem sein Interesse galt; er schrieb und lehrte nicht nur, doch vornehmlich als Mediävist. Und schon innerhalb des ersten großen Forschungsunternehmens - seine Dissertation kann hier vorerst außer Betracht bleiben -, nämlich der Herausgabe der Akten des Basler Konzils, hat Haller sich denn auch als Mittelalierhistoriker mit französischer Geschichte beschäftigt. Die Art und Weise, mit der er in diesein Rahmen ein scheinbar spezielles Problem traktierte, darf generelle Aufmerksamkeit beanspruchen, läßt sich doch daran exemplarisch zeigen, in welchem Maße persönliche Erfahrungen und zeitbedingte Stimmungen das Urteil des Historikers prägen und trüben können.
Erwähnte Festschrift: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum fünfundsechzigsten Geburtstag. Hrsg. von Gerd Althoff, Dieter Geuenich, Otto Gerhard Oexle und Joachim Wollasch. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag 1988. 651 S. Leinen. DM 116,-. Arbeiten und Verdienste von Karl Schmid sind gerade mit dieser Zeitschrift eng verbunden; von seiner wegweisenden und vielzitierten Untersuchung „zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel" (1957) spannt sich in weitem Bogen eine Vielzahl von Publikationen bis hin zu den Ausfuhrungen über „Entstehung und Erforschung von Geschlechterbewußtsein" (1986). Programm, Themen und Methodik in Tradition und Weiterfiihrung der „Teilenbach-Schule: ausgerechnet an dieser Stelle nochmals erläutern zu wollen, wäre überflüssig, doch hingewiesen sei auf das immer stärkere europäische Echo auf diese Forschungen'. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich auch zahlreiche Beiträge von Kollegen, Freunden und Schülern, die in der hier anzuzeigenden Festschrift vereinigt sind, in diesem Rahmen bewegen. Wenn ihre Besprechung dennoch ausführlicher gerät als bei Rezensionen üblich, dann weil viele der Aufsätze vonüberdurchschnittlicher wissenschaftlicher Qualität sind, die wiederum dem Rang des Jubilars entspricht und sich schließlich auch in der Redaktion und Gestaltung des von Herausgebern und Verlag vorzüglich besorgten Bandes spiegelt. (Im selben Verlag erschienen unter dem Titel "Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter" fünf Jahre zuvor anläßlich seines 60. Geburtstags ausgewählte Aufsätze von Karl Schmid. Dies schein tübrigens in der Zunft Brauch zu werden und mag im Fall entlegener Publikationsorte auch seinen Sinn haben.) Wenn der Titel der Festschrift trefflich die mittelalterlichem Bewußtsein so adäquate Sicht des Menschen weniger als individueller Persönlichkeit denn als Glied einer Gemeinschaft charakterisiert, so zeigen Zahl und Namen der Autoren, welch dichten Personalverbund mit den Zentren Freiburg und Münster inzwischen ihrerseits die ,,Tellenbach-Schmid-Schule" bildet. ...
Wenn der Name Kunibert über die Jahrhunderte an seinem Kölner Sitz nie in Vergessenbeit geriet, so hat daran vor allem die Grabeskirche des Heiligen am Rhein ihren Anteil. Und jeder, der sich näher mit der allgemeinen Geschichte des 7. Jahrhunderts beschäftigt hat, weiß, wie sehr über Köln hinaus Kunibert die Geschicke des späten Merowingerreichs mitprägte; wird F. Steinbach beipflichten, daß er "politisch eine hervorragende Rolle spielte". Dennoch - und das mag zunächst verwundern - war Kunibert nie Gegenstand biographischen Interesses, sieht man einmal von zwei kurzen und wenig ergiebigen Skizzen des 19. Jahrhunderts ab. Diese Diskrepanz zwischen historischer Bedeutung und wissenschaftlicher Erforschung hat ihren Grund in einer desolaten Quellenlage. Nicht nur, daß der Zeugnisse recht wenige sind - wir bewegen uns schließlich im "notorisch quellenarmen 7. Jahrhundert" -, die wichtigsten Dokumente stammen überdies aus späterer Zeit oder stellen das Werk von Fälschern dar. Die Kunibertvita ist nicht vor dem 9. Jahrhundert entstanden, und ihren recht eingeschränkten Wert hat der Editor M. Coens eher noch zurückhaltend kommentiert: „Par malheur, les temoignages trop brefs des annales et des chartes, qui ne peuvent suffire a tracer le dessin precis d'une telle personnalite, n'ont recu qu'un assez mediocre complement litteraire dans les Vies de S. Cunibert ...". Unter den Urkunden, die für Kunibert von Belang sind, findet sich manche Fälschung, und schließlich hat gerade die wichtigste zeitgenössische Quelle, das vierte Buch des sogenannten Fredegar, besonders in den Kunibert betreffenden Passagen als tendenziös zu gelten. Mithin ist jede Annäherung an seine Person mit einem Grad an Unsicherheit verbunden, der jenes frühmittelalterlicher Forschung zwangsläufig eigene Maß an Vermutung und Hypothese noch übersteigt. "Die faktischen Kenntnisse über das 7. und 8. Jahrhundert sind recht begrenzt; wir müssen das wenige Sichere in immer neuen Kombinationen zu Reihen ordnen und zusehen, wie sie zueinanderpassen" - diese Einsicht von A. Borst zu befolgen, ist im Falle Kunibert also ein schwieriges Unterfangen. Manche Unklarheit wird sich nicht durch stimmige, eben "zueinanderpassende" Interpretation erhellen lassen, manche Frage wird unbeantwortet bleiben, manches Problem weiterer Diskussion bedürfen. Doch auch unter solch ungünstigen Vorzeichen scheint ein Versuch lohnend. Neues Licht fallt auf die Kirche des Kölner Frühmittelalters, die durch den Hofbischof Kunibert erstmals fest in den fränkischen Staatsverband zu einer Zeit einbezogen wurde, da das regnum Francorum letzte Machtentfaltung des Königtums unter Chlothar II. und Dagobert I. erlebte, sich danach aber auch die austrasische Sonderheit unter den Arnulfingern-Pippiniden immer stärker ausbildete. So erfordert die Position Kuniberts zu Chlothar und Dagobert wie zu Pippin dem Älteren und Grimoald besondere Aufmerksamkeit. Läßt sich seine Stellung als Rat und Erzieher der Könige wie als Bundesgenosse der frühen Karolinger, zwischen "Reichseinheit" und "Partikularismus" eindeutig bestimmen? Und wird dieser Gegensatz der Wirklichkeit des Frankenreichs im 7. Jahrhundert überhaupt gerecht? Fragen über die Person zur Zeit.
Werner Bornheim gen. Schlilling, der sich als Landeskonservator von Rheinland-Pfalz vor allem mit Forschungen zu den rheinischen Höhenburgen einen Namen gemacht hat, veröffentlichte in den letzten Jahren mehrere genealogische Beiträge zur Familie der "Heribertiner". Die Anfänge dieses Geschlechts sieht er bei Charibert, jenem um 695 verstorbenen Grafen im Gau von Laon, dessen unbekannter Vater - vielleicht ein merowingischer Seitenverwandter, - an der oberen Mosel und Maas beheimatet gewesen sein soll. Da der Graf keine männlichen Erben hinterließ (seine Tochter Berta, Bertrada vermählte sich mit dem arnulfingischen Hausmeier und späteren König Pippin d. Jüngeren), traten Haribert und Theuderich, die Enkel von Bernarius und Chrodelind, einer Schwester von Chariberts Mutter Berta, in seine Nachfolge ein. Bis zum 12. Jahrhundert sollte dann in dieser Sippe Charibert (Haribert, Heribert, Erembert u. ä.) als Leitnamen fortleben. Spuren der weitverzweigten Familie finden wir, so Bornheim, von Westfalen bis nach Südfrankreich; ihr Zentrum blieb jedoch das Land an Maas und oberer Mosel, ,der Eifel-/Ardennenraum. Im Rahmen seiner Untersuchungen hat er sich in einer eigenen Arbeit "Zur Familie Erzbischof Heriberts von Köln" geäußert, deren Thesen Gegenstand dieser Miszelle sind. ...
Zur Kanonisationsbulle für Erzbischof Heribert von Köln : Theodor Schieffer zum 65. Geburtstag
(1976)
Als Th. Ilgen 1907 im Rahmen seiner Untersuchungen zur rheinisch-westfälischen Quellenkunde des Mittelalters die von Johann Gelenius im ersten Band der "Farragines" überlieferte Kanonisationsbulle eines "Gregorius episcopus servus servorum dei" für den heiligen Heribert als Fälschung dieses gelehrten Sammlers nachzuweisen suchte, stand die Urkunde für einige Jahre im Blickpunkt der rheinischen Geschichtsforschung, bis H. Schrörs sie überzeugend als mittelalterliches Falsum entlarven konnte. Seitdem wandte sich das wissenschaftliche Interesse von diesem Stück wieder ab; in den folgenden Jahrzehnten stellte man nur noch im Zusammenhang mit Arbeiten über Heribert, seine Klostergründung in Deutz oder den Heribertusschrein bisweilen Überlegungen an, welcher Papst wohl mit dem als Aussteller genannten Gregorius gemeint sein könnte, und entschied sich oftmals - aber meist ohne nähere Begründung - für Gregor VII. F. W. Oediger stieß nun während seiner Arbeit an den "Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter" auf eine Überlieferung dieser Bulle aus dem 12. Jahrhundert in einem Evangeliar aus St. Severin in Köln (Reg. 682, 4 Anm.) - somit fand die These des Bonner Kirchenhistorikers ihre späte Bestätigung. Doch niemand folgte der neuen Spur, und die Fragen nach Ort, Zeit und Anlaß der Fälschung blieben bis heute unbeantwortet. Auch in den Seminarübungen des Jubilars, die seit einigen Semestern den Vorarbeiten zur Germania Pontificia/Köln dienen, konnten sie noch nicht befriedigend geklärt werden. Die folgenden Ausführungen wollen diesen Problemen nachgehen; vieles wird dabei nicht über Vermutung oder Wahrscheinlichkeit hinausgelangen, manches gar ungelöst bleiben - gerade diese Punkte sollen erneut zur Diskussion gestellt werden.
Im Rahmen der neuen Augsburger Konziliengeschichte hat Erich Meuthen den Band „Das Basler Konzil (1431-1449)" übernommen, dessen Abfassung vor allem aufgrund des überreichen und nur teilweise erschlossenen Quellenmaterials erhebliche Vorarbeiten fordert. Im Zusammenhang mit diesen noch zu leistenden Vorstudien steht meine Untersuchung; prosopographisch orientiert, widmet sie sich einer Gruppe des Basiliense, der im Konzilsverlauf quantitativ wie qualitativ wesentliches, nach Meinung nicht weniger Forscher gar entscheidendes Gewicht zukam. Ich versuche in meiner als Habilitationsschrift geplanten Arbeit, zunächst die in Basel persönlich anwesenden Väter, die Prokuratoren von Kirchen, Klöstern, Universitäten, Städten etc. zu erfassen, des weiteren in Frankreich selbst die in der Umgebung Karls VII. und auf den grollen Klerusversammlungen des Reichs für die Kirchenpolitik entscheidenden Männer sowie den wegen Suppliken, Streitigkeiten, Kommissionen und Zitationen mit der Synode in Beziehung stehenden Personenkreis zu beschreiben und deren Lebens- und Wirkraum auszuleuchten. Alsdann ist das vielfältige und ungeachtet der durch den Hundertjährigen Krieg bedingten politischen Parteiungen oft überraschend enge Beziehungsgeflecht zwischen diesen Personen und Gruppen aufzuspüren und seinen Auswirkungen auf das konziliare Geschehen nachzugehen. Denn für das Verständnis mancher Vorgänge in Basel bietet die Kenntnis persönlicher Abhängigkeiten, Freundschaften und Feindschaften oft die einzige Lösung, die zumal bei den ausgeprägt kollegial-korporativen Verfassungsstrukturen dieser Synode nur zu naheliegen, wie E. Meuthen zu Recht betont.
Everger - ein Name, der eine dunkle Periode Kölner Kirchengeschichte umschreibt, ein Name im Bannkreis von Gewalt, Raub und Mord. Für die Historiographen des Erzstifts vom 17. Jahrhundert bis in unsere Tage war er denn auch einer der unwürdigsten Vorsteher auf dem Stuhl des Maternus, dessen Wirken man mit moralischen Verdikten belegte und ansonst in wenigen Zeilen überging. Zudem scheint er in der Reichsgeschichte kaum Spuren hinterlassen zu haben. Also eine Gestalt, die für das Verständnis der späten Ottonenzeit ohne Belang ist, für die an glanzvollen Pontifikaten im 10./11. Jahrhundert so reiche Bischofsstadt am Rhein gar ein Argernis darstellt und darum besser weiterhin im Schatten des Vergessens bliebe? Einige wenige - und nicht die schlechtesten - Stimmen mahnen indes zur Vorsicht. So warnten B. J. B. Alfter wie F. W. Oediger vor einem vorschnellen Urteil, da das Bild des Erzbischofs möglicherweise durch Entstellung und Verleumdung verzerrt sei. Wie berechtigt ihre Einwürfe waren, zeigte denn auch in einem konkreten Einzelfall die kürzlich erschienene Edition M. Petrys der Gründungsgeschichte des Klosters St. Vitus zu Gladbach, wo Everger ein sehr unrühmliches Andenken hinterließ. Was der anonyme Autor des späten 11. Jahrhunderts als gewalttätiges Wüten gegen den Konvent darstellte, erweist der Herausgeber in seiner Einleitung als planmäßiges Vorgehen und abgewogene Kölner Interessenpolitik. So scheint es nicht unberechtigt, zum einen die weiteren gegen Everger erhobenen Vorwürfe aufzugreifen und kritisch zu durchleuchten, zum anderen - was bisher stets unterblieb - den Leistungen und Verdiensten seines Pontifikats nachzuspüren. Wir beschränken uns bewußt auf diese Punkte; eine um allseitige Erfassung der Persönlidikeit und Taten des Erzbischofs bemühte Biographie ist nicht beabsichtigt und auf Grund der Quellenlage auch wenig erfolgversprechend.
Für die Nachwelt stand die Persönlichkeit Heriberts meist im Schatten der großen Kölner Reichspolitiker im Bischofsornat wie Anno, Rainald von Dassel oder Engelbert I. von Berg; besonders aber verblaßte sein Bild vor der machtvollen Persönlichkeit des kurz vor ihm regierenden Brun. Erinnerung und Verehrung. blieben irn Laufe der Jahrhunderte allein an seiner Deutzer Grabstätte lebendig, den Namen des Erzbischofs verband man schließlich nur noch mit seiner Klöstergründung am rechten Rheinufer. Daß Heribert auch lange nicht das Interesse der Geschichtsschreibung fand, obwohl er als Kanzler und Vertrauter Ottos III. im Zentrum des politischen Kräftespiels seiner Zeit stand, obwohl sich in ihm die staatlichen und geistigen Ideen seiner Epoche widerspiegeln, gründet darüber hinaus in der Ungunst der Uberlieferung. Fließen die Quellen um die Jahrtausendwende überhaupt noch recht spärlich, so sind die Zeugnisse über den Erzbischof zudem gering an Zahl und geben gerade auf die Fragen des Historikers nur unzureichend Antwort.
Der Name Kunibert steht am Anfang jener langen und eindrucksvollen Liste von Vorstehern der Kölner Kirche des Mittelalters, die sich über Jahrhunderte aus dem Adel des näheren und weiteren Umlands rekrutierten und die durch ihre Tätigkeit als Erzieher und Berater von Königen und Kaisern zugleich das Bistum eng mit Hof und Reich verbanden. So wurde durch Kuniberts Pontifikat der Außen- und Vorposten Köln fest in den von Chlothar II. und Dagobert I. konsolidierten fränkischen Staatsverband einbezogen. Obendrein aber erlaubte gerade diese Lage eine ausgreifende missionarische Tätigkeit, die wiederum ihre politischen Implikationen hatte. Und die Stätte, welche die Erinnerung an Kunibert bis in unsere Tage lebendig hielt, die Grabeskirche des Heiligen am Kölner Rheinufer, auch sie steht wohl - wie noch zu zeigen ist - für seine über Stadt und Bistum hinausreichenden Aktivitäten.
Im Theater des Terrorismus : zum öffentlichen Diskurs über den Linksterrorismus in den 1970er Jahren
(2007)
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, durch multiperspektivische historisierende Betrachtung sowie die Untersuchung des zeitgenössischen öffentlichen Diskurses zu einer historischen Einordnung des Terrorismus der RAF in den 1970er Jahren beizutragen. In dem zu diesem Zweck zunächst erarbeiteten ereignis- wie ideen- und mentalitätsgeschichtlichen Teil konnte gezeigt werden, dass die Entstehung der RAF nur vor dem spezifischen geschichtlichen Hintergrund der BRD der ausgehenden sechziger Jahre zu verstehen ist, dass Konstellationen wie die erste Große Koalition, die NS-Belastung von Vertretern aus Politik und Justiz oder der Vietnamkrieg essentielle Anschubkräfte zuerst der Studentenbewegung und sodann des Linksterrorismus darstellten. Als zentrales Moment der Terrorismusgenese wurde dabei der Verlauf der studentischen Protestbewegung herausgearbeitet, während dessen die staatliche Seite durch verbreitete Kritikimmunität und letztlich durch Rückgriff auf eine vornehmlich polizeiliche Lösung des Konfliktes zur exponentiellen Radikalisierung eines kleinen Teiles der Bewegung, und der Bestätigung und Verfestigung dessen ideologischer Prämissen maßgeblich beitrug. Militante Theoreme fanden so direkte Anknüpfungspunkte und zeitigten, nach dem Ende der Massenbewegung, subjektiv empfundenen Handlungsdruck hin zu neuen, militanten, von Kleingruppen getragenen Protestformen, zum Terrorismus. Hier und dies unterstreicht die Wichtigkeit multikausaler Erklärungsmuster – zeigte sich auch der Einfluss individueller Aspekte sowie gruppendynamischer Prozesse. Ersteres besonders dahingehend, dass aus ins Fanatische getriebener Ideologisierung heraus eine völlige Kongruenz des eigenen Lebens mit dem revolutionären Ideal und ein radikaler Bruch mit der bürgerlichen Existenz angestrebt wurde. Beides wurde durch die Mitgliedschaft in der RAF fast automatisch erreicht. Letzteres insofern, als dass der monolithische politisch-soziale Bezugsrahmen der späteren RAF-Mitglieder, der auch eine stark selektive Wahrnehmung der Realität bewirkte, den Schritt in den Untergrund begünstigte; und dass, dies gilt für die zweite RAF-Generation, durch Appelle an Solidarität und Kollektivität seitens der inhaftierten ersten Generation enormer moralischer Druck auf Sympathisanten generiert wurde, was in einer Perpetuierung der RAF als Gruppe resultierte. ...
In der Forschung zum 18. und 19. Jahrhundert gelten Vereine - zumal in Deutschland - meist immer noch als zentrale Bereiche einer im Prinzip liberalen und zukunftweisenden "Zivilgesellschaft", in der frei von repressivem staatlichem Einfluss und fern von überlebten korporativen Traditionen politische Aushandlungsprozesse im Rahmen einer liberalen Bürgergesellschaft erprobt werden konnten. Das Bild hat freilich einige Risse bekommen [1], die aber bislang eher als ehrwürdige Patina zu fungieren scheinen denn als Anzeichen für grundlegenden Restaurierungsbedarf. Die Arbeit von Stefanie Harrecker lenkt den Blick nun auf eine andere Art Verein, der in vielem wirkungsmächtiger war als die intensiv untersuchten stadtzentrierten liberalen Assoziationen. Der Landwirtschaftliche Verein in Bayern, der 1810 seine Tätigkeit aufnahm, war zwar formal ein privater Verein, wies aber von Anfang an enge personelle und finanzielle Beziehungen zum Staat auf, die sich im Laufe der Zeit eher intensivierten als abschwächten. Ziel des Vereins war einerseits die Produktionssteigerung der Landwirtschaft, etwa durch die Popularisierung neuer Anbaumethoden; andererseits verstand sich der Verein auch als Lobby der Landwirtschaft gegenüber der Regierung, und zwar sowohl im Parlament als auch im öffentlichen Raum, in dem er mit unterschiedlichen Publikationen präsent war. Der Verein hatte regionale Zweigstellen, engagierte sich im Bereich der landwirtschaftlichen Ausbildung, und richtete Feste und Feierlichkeiten aus (darunter das Oktoberfest), in deren Rahmen beispielsweise Vieh gezeigt und prämiert wurde. Angesichts der spannungsreichen Beziehungen zwischen Regierung und Parlament, Staat und Öffentlichkeit im Bayern des 19. Jahrhunderts war klar, dass auch der Landwirtschaftliche Verein keinen ganz stabilen Platz in der informellen Landesverfassung haben konnte. Anfang des 19. Jahrhunderts dominierte die Autonomie, die moderate oppositionelle Tendenzen (die freilich zum guten Teil aus der Verwaltung kamen) einschließen konnte. Das galt vor allem im Rahmen der Diskussion über die Abschaffung des 'Feudalsystems', also die Veränderung der Besitz- und Abhängigkeitsverhältnisse in ländlichen Regionen. Nach intensiver Verwicklung in die politischen Intrigen der frühen 1830er Jahre geriet der Verein, der damals unter Mitgliederschwund litt, unter stärkere staatliche Aufsicht. Diese trug mit dazu bei, dass der Verein 1848/49 die Chance verpasste, zum Sprachrohr der Veränderung zu werden; stattdessen fügte er sich in das Programm der Stärkung eines partikularen Profils Bayerns, das Maximilian II. verfolgte. Selbst Ludwig II. interessierte sich noch hinreichend für den Verein und seine öffentliche Wirkung, so dass er sich für eine Präsentation von preisgekrönten Tieren vor allen Festbesuchern, nicht nur vor den Fachleuten, einsetzte. Die Reichsgründung von 1870 bedeutete zwar nicht das Ende des Landwirtschaftlichen Vereins, wohl aber das seiner herausragenden Bedeutung; die Integration in ein deutsches Netzwerk landwirtschaftlicher Vereine endete mit weitgehendem Relevanzverlust. Die Frage, ob der Verein seinen selbst gesteckten hohen Zielen gerecht wurde, ist nicht ganz leicht zu beantworten. Die Publikationen, die populär waren, waren selten die innovativsten. Überhaupt gab es immer wieder Gelegenheit, über Sinn und Aufgaben des Vereins zu streiten, etwa wenn es darum ging, die Rolle von Festen und Fachmessen abzuwägen. Manche spektakuläre Aktionen (so der Plan, Seidenraupen in Bayern anzusiedeln) gehörten in ihrer praktischen Wirkung nicht gerade zu den Sternstunden der Agrarökonomie. Dagegen spielte der Verein eine erhebliche Rolle bei der Etablierung landwirtschaftlicher Forschungs- und Lehreinrichtungen und bei der Mobilisierung staatlicher Zuschüsse für solche Zwecke. Er engagierte sich für die Belange der bäuerlichen Bevölkerung und bemühte sich - trotz einer erkennbaren München-Fixierung - um eine flächendeckende Versorgung des Landes mit Bibliotheken und lokalen Vereinen. Stefanie Harreckers Buch liefert einen mustergültig recherchierten, abgewogenen Einblick in das Leben eines nicht ganz dem konventionellen Bild entsprechenden Vereins, der zwischen privatem Klub, wissenschaftlicher Gesellschaft und Lobby angesiedelt war. Dabei kommen sowohl die kleinen Vereinsquerelen zur Sprache als auch die Rolle des Vereins im Kontext der landwirtschaftlichen Entwicklung - insofern handelt es sich bei diesem sehr lesenswerten Buch um einen herausragenden Beitrag zur Vernetzung der allgemeinen mit der viel zu stark vernachlässigten Agrargeschichte. Anmerkung: [1] Etwa durch Eckhart Trox: Militärischer Konservativismus. Kriegervereine und "Militärpartei" in Preußen zwischen 1815 und 1848/49, Stuttgart 1990. Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger
Zum Buch von Jacques Krynen, Ideal du prince et pouvoir royal en France a la fin du Moyen Age (1380-1440). Etude de la littkrature politique du temps, Editions A. et J. Picard, Paris (1981). Wer als deutscher Mediävist diesen Titel liest, denkt zunächst an die Dissertation von Wilhelm Berges über die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters und dürfte geneigt sein, die Lektüre einer nach Raum und Zeit enger umgrenzten Spezialstudie den französischen Zunftgenossen zu überlassen. Aber ein so hohes Lob, wie von Bernard Guenie im Vorwort der Leistung des Verf. gezollt, sollte neugierig machen, stammt es doch von einem für die Thematik überaus kompetenten Fachmann (dessen eigene verdienstvolle Arbeiten und hohe wissenschaftliche Reputation in Deutschland bislang zu Unrecht etwas im Schatten von glänzend verkauften Namen wie Duby oder Le Roy Ladurie stehen). Einige kurze, aber treffende Bemerkungen zum Sujet hat Guenie selbst schon vor einem Jahrzehnt gemacht, überaus nützliche Wegweiser für Krynens Studien. Folgende Ausführungen wollen vor allem zur Lektüre des anregenden, im zweiten Teil über weite Strecken faszinierenden Buchs ermuntern. ...
Rezensionen zu: Georg Denzler, Die verbotene Lust. 2000 Jahre christliche Sexualmoral. München - Zürich, Piper, 1988, 378 S. Aline Rousselle, Der Ursprung der Keuschheit. Aus dem Französischen übersetzt von Ronald Vouillie, hrsg. von Peter Dinzelbacher. Stuttgart, Kreuz-Verlag, 1989, 298 S. Jacques Rossiaud, Dame Venus. Prostitution im Mittelalter. Aus dem Italienischen übersetzt von Ernst Voltmer. München, C. H. Beck, 1989, 239 S.
Die Kirche von Lyon im Karolingerreich : Studien zur Bischofsliste des 8. und 9. Jahrhunderts
(1987)
In der Geschichte der Kirche von Lyon, die zu den ältesten Gemeinden der westlichen Christenheit gehört, markieren die Pontifikate von Leidrad und Agobard einen besonderen Höhepunkt. Auf einer Bischofsliste, die über 1800 Jahre eine Vielzahl berühmter Namen verzeichnet, stehen sie für die Restauration des materiellen und geistlichen Lebens zu Zeiten Karls des Großen und Ludwigs des Frommen. Lyon sollte nach ihren Vorstellungen zur norma rectitudinis für ein karolingisches Bistum werden; vor allem Agobard erhob damals mit seiner Theologie der Reichseinheit Anspruch auf geistige Führerschaft im fränkischen Imperium. Von hier aus wurde das Ideal einer Eingliederung aller Gläubigen in das Corpus Christi, in eine Concorporatio propagiert, die ihre Entsprechung auf Erden im karolingischen Reich finden sollte. Doch scheint Agobards theologisch-politisches Werk, vor einigen Jahren von E. Boshof unter diesem Leitaspekt eindrucksvoll dargestellt und durch L. van Acker in einer modernen Edition erschlossen, auch von konkreten Erfahrungen in seiner Heimat und besonders in Lyon geprägt; ja der Gedanke der Reichseinheit erst recht verständlich vor dem Hintergrund der Geschichte des Lyoner Bistums im 7. und 8. Jahrhundert. Vermutlich aus Septimanien stammend und von westgotischer Herkunft, lebte Agobard schon seit 792 in Lyon und hatte mithin in den Jahrzehnten vor seinem Pontifikatsantritt die Diözese. teilweise im Amt des Chorbischofs, sehr gut kennengelernt - ebendieser, von Boshof bereits skizzierte Rahmen soll hier nun näher untersucht und in größere Zusammenhänge gerückt werden: Ein Versuch, durch Rückschau auf das spätmerowingische und frühkarolin ische Zeitalter wie im Ausgriff auf das weitere 9. Jahrhundert im Zeichen der Spätkarolinger und Bosonen das markante Profil eines Zentralbistums in Zänkischer Randprovinz hervortreten zu lassen, jene unverwechselbare Eigenart zu verdeutlichen, welche die Kirche von Lyon zwischen Reich und Krone bis ins Hochmittelalter zu behaupten vermochte und die Regierung eines Leidrad und Agobard wiederum zur Ausnahme steigert, zugleich aber auch in ihrer Bedeutung reduziert. Damit betritt diese Studie, die sich auch als Vorarbeit zur Liste der Bischöfe von Lyon im Rahmen der Series episcoporum ecclesiae catholicae occidentalis versteht, gewisses Neuland. Denn in den materialreichen »Recherches sur l'histoire de Lyon du Ve sikcle au IX' siecle« von A. Coville und in den stadt- und kirchengeschichtlichen Darstellungen von A. Steyert, A. Kleinclausz und R. Fidou steht dieser Aspekt ebensowenig im Vordergrund wie in dem - thematisch ja anders akzentuierten - Werk von E. Boshof oder der Bonner Dissertation von H. Gerner über das frühmittelalterliche Lyon. ...
Il presente studio ha come oggetto di ricerca gli olympieia costruiti durante l’Impero di Adriano che, come sarà sottolineato nel corso della disamina effettuata, svolgono una funzione di fondamentale importanza nella politica ecumenica perseguita dall’imperatore. Il princeps, come è tramandato dalle fonti letterarie, concentrerà la propria azione sulla pacificazione dell’impero e sulla rivalutazione delle province che furono poste al medesimo livello di Roma con il fine di consentire l’unità del vasto territorio amministrato dall’Urbe. A tal fine Adriano compie numerosi viaggi nelle province per risolverne di persona i problemi e tali peregrinazioni sono accompagnate da una serie di azioni che, opportunamente propagandate, daranno inizio ad un lungo periodo di pace nell’impero: l’imperatore elargisce numerosi doni alle città che visita, fonda nuovi santuari e poleis. La costruzione degli olympieia, come sarà dimostrato nel corso di questo studio, rappresentano, al pari di altre fondazioni religiose inaugurate durante i 21 anni del governo di Adriano, il fulcro della politica perseguita dal princeps. Per dimostrare la funzione di questi si è scelto un approccio metodologico che consente di prendere in considerazione sia gli aspetti architettonici che quelli ideologici. L’evidenza presentata in questo studio, pertanto, include due serie complementari di dati: nella prima parte sono presentati i dati archeologici sui santuari; nella seconda sono inseriti nel contesto politico\ideologico dell’età adrianea.
Im Vorfeld des 200jährigen Jubiläums der Expedition von Lewis & Clark (2003-2006) begannen auf der Standing Rock Indian Reservation auf der Grenze der US-Bundesstaaten North Dakota und South Dakota die Planungen für den Aus- bzw. Aufbau einer touristischen Infrastruktur auf der Reservation. Diese sollten bis zum Jahr 2004 weitgehend abgeschlossen sein sollte, um von den erwarteten drei Millionen Jubiläumsreisenden einerseits wirtschaftlich zu profitieren, andererseits diese aber auch inhaltlich und räumlich zu kontrollieren. Die Studie beschäftigt sich mit der Entwicklung bis 2004 und untersucht, welche Faktoren diese positiv und negativ beeinflussten. Dabei wird deutlich, dass die Tätigkeiten auf der Reservation nicht allein von internen, sondern vielmehr auch von externen Faktoren, wie beispielsweise den Tourismusbehörden der Bundesstaaten, der Nachbargemeinde Mobridge, South Dakota, der Tribal Tourism Partnership Initiative des United Tribes Technical College, abhängig waren. Zudem wirft die Studie einen Blick auf die Organisationsstruktur der Reservation, wo das stammeseigene College eine wichtige Rolle in der Wirtschaftsförderung spielt und die Tourismusplanungen in Gang gebracht hat.
The history of German migration policies was a growth industry during the 1990s. The political battles of the present, such as asylum legislation, integration, and citizenship reform, created growing interest in the German historical experience of migration, migration controls and citizenship law. At the time, the only major work to tackle the subject was Klaus Bade's pioneering study of Prussian migration policies before the First World War, recently republished in an updated edition.[1] Initially, interest in German migration policies was guided largely by two leading questions. Histories of citizenship in Germany tended to adopt a long or a comparative perspective, which sought to test the hypothesis that German citizenship law and its implementation in practice reflected a particularly ethnic German conception of nationhood.[2] Histories of migration policy, by contrast, tended to focus on particular episodes in which a German tendency to view migrants primarily with regard to their usefulness, and not as potential immigrants and future citizens, clearly emerged, especially with regards to histories of the German Empire, the First World War, National Socialism, the Second World War and the post-war treatment of Gastarbeiter. The Weimar Republic, in contrast, was usually passed over in a few pages that highlighted the continuity of labor market control.[3] This state of affairs was remarkable because research on other countries highlighted the interwar period as an epoch of massive change in international migration policies. Race and ethnicity loomed larger than they had before, as indicated by the implementation of a quota system and barred zones in the United States. Moreover, with the First World War came the introduction of documentation requirements and the creation of labor-management bureaucracies that facilitated the distinction between citizens and aliens, as well as attempts to match labor supply to labor demand. Gérard Noiriel had even gone so far as to argue, largely with a view to migration and documentation policies, that the practices of Vichy had their roots in republican reforms of the late 1920s and 1930s.[4] Jochen Oltmer's magisterialHabilitationsschrift closes this gap all but completely. Based on a thorough reading of the archival record and contemporary public debate, his book shows that the transition from the politics of the First World War to the politics of National Socialism in the years of a labor shortage was more complicated previously assumed. He also highlights that migration policy was a field in which the Weimar Republic's problems emerged with particular poignancy. Oltmer's account is organized thematically rather than chronologically, though his subjects are arranged in the order in which they emerged as the main foci of internal administrative and public political debate. In the Weimar Republic's early years, these topics concerned ethnic Germans left outside the Empire's post-Versailles borders, prisoners of war and political refugees. In the later years, the position of migrant workers gained more prominence. While publicly committed to aiding fellow Germans, the republic's practice was ambivalent. The arrival of former residents of Alsace--mostly skilled workers in industries where labor was in demand, from a territory unlikely to be re-conquered soon--was welcome, but emigration of ethnic Germans from areas under Polish control was actively discouraged. The official view of these potential emigrants was less positive, their numbers were larger by several orders of magnitude and maintaining a visible German minority outside Germany's eastern borders seemed a good way to bolster the German case for a revision of the Treaty of Versailles. Migrants from Poland who could not prove they had been persecuted could therefore only expect accommodation in forbidding refugee camps in remote locations. As Oltmer's third chapter shows, this attitude also shaped the Weimar Republic's response to ethnic German emigration from Russia, which peaked during the famine years of the 1920s. Individual ethnicity was, therefore, not a dominant factor in the treatment of refugees; aliens of all ethnic backgrounds remained in a precarious position in the Weimar Republic, regardless of whether they were former prisoners of war who had opted to stay, or Jewish refugees from eastern and southeastern Europe who loomed relatively large in public debates or refugees from Soviet Russia. Ethnicity and race also loomed large in debates on the desirability of labor immigration. In general, the attitudes of state governments had more or less come full circle since the days of the empire. Whereas Prussia had been most concerned about the impact of Polish immigrants on national homogeneity before 1914, Bavaria and Baden-Württemberg proved most rigid after 1919. However, the majority of migrant workers were interested in jobs in Prussia, in the industrial areas of the Ruhr and, more prominently, in the agricultural east, which continued to rely on the access to Polish labor markets, particularly for potato planting and harvesting. In theory, the states and the empire had a powerful new tool to control labor migration: the obligatory work permit, issued only if no German applicants could be found for a job. Things were, however, not so simple in practice. Political interest in ethnic homogeneity was equal to interest in increasing the supply of food, a goal that could only be achieved, East Elbian landowners claimed, if Polish seasonal workers remained available to German employers. Immigration was, however, regarded with distaste by the völkisch right, Prussia's conservative bureaucracy and the Social Democrats, who viewed Polish laborers as an obstacle to the long-overdue modernization of rural Prussia through mechanization and unionization. The solution, fixed quotas for migrant laborers set to decline every year, proved unworkable, as rural employers turned to undocumented laborers. Moreover, the German government did its bit to undermine respect for legality in immigration matters. Seeking to reimpose a de facto policy forcing Polish migrants to return home for part of the year to prevent their settlement in Poland, German officials came into conflict with Polish determination to cut the state's ties to long-term emigrants, and were frequently forced to aid migrants in clandestinely crossing the border, before an unequal agreement could be concluded with Poland in 1927 that confirmed the status of Polish workers as second-class migrants excluded from social insurance and subject to a forced return for part of the year. Oltmer's comprehensively documented study does more than simply fill a gap in existing research. He unearths a striking pattern to Weimar policies, which could be found in many other fields of policy and may contribute to explaining why successive Weimar governments had such a difficult time in gaining the population's respect. Public pronouncements frequently contradicted secret or semi-secret policies. Official quotas for foreign workers, for example, were unofficially raised and little attempt was made to sanction employers of undocumented workers. Such actions exposed the Republic to criticism from the right and created a climate in which even more restrictive National Socialist policies could acquire broad popular support. Oltmer's book thus treats a question at the center, not the periphery, of the Weimar years.
Die 500 Seiten dieser Dissertation sind den Munsee gewidmet, einer Algonkin-Gruppe aus dem Nordosten der USA. Ihr heimatliches Siedlungsgebiet lag in einer Region, die heute von Metropolen wie New York und Philadelphia beherrscht wird. In der Forschung wurde bisher kaum berücksichtigt, wie ihr Rückzug aus dem Hudson- und Delaware Tal quer über den amerikanischen Kontinent verlaufen ist. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt daher auf den Migrationsrouten der Munsee in Richtung des westlichen New York, nach Kansas, Wisconsin und Ontario. Auch wird der Frage nachgegangen, welche Strategien diese Ost-Algonkin verfolgten, um während jener Phase ihrer Geschichte physisch und kulturell zu überleben. Manche Antworten waren nur in unveröffentlichten Materialien zu finden, wie z.B. den deutschsprachigen Aufzeichnungen der Herrnhuter Missionare. Sie belegen den Aktionsradius einzelner Bands und dokumentieren das Trauma von Krieg, Hunger und Heimatlosigkeit. Regierungsagenten des Office of Indian Affairs haben ebenfalls handschriftliche Korrespondenz hinterlassen, die Einsichten in die ökonomischen und legalen Probleme der Munsee während des 19. Jahrhunderts gewähren. In den einführenden Kapiteln wird die Situation der Munsee-Vorfahren beschrieben, die sich schon früh in Kolonialkriegen mit holländischen und britischen Einwanderen auseinander setzen mussten, bis sich die Überlebenden schließlich im 18. Jahrhundert nach Westen orientierten. Kapitel 3 bis 6 beschreiben die Überlebensstrategien der Munsee nach dem Verlust ihres Siedlungsgebietes. Die Migranten schufen sich durch langjährige Kontakte mit irokesischen Gruppen wie Seneca und Cayuga als auch mit sprachlich verwandten Algonkin-Gruppen von Mahican, Shawnee und Miami ein soziales Netzwerk, das bis in das Gebiet der westlichen Großen Seen hinein reichte. Die Autorin entwirft hier die Hypothese, dass intertribale Kontakte der Munsee vorwiegend auf der Klanebene stattfanden. Es konnten Hinweise gefunden werden, dass sich Mitglieder von Klanen verwandter Tiereponyme gegenseitige Hilfestellung gaben und gesellschaftlichen Konsens anstrebten. Im Laufe der Untersuchung wird deutlich, dass eine Gruppe verwandter Klane, hier Phratrie genannt, charakteristische sozio-kulturelle Vorgehensweisen entwickelte. Somit definierten Phratrien ein quasi-"nationales" Zusammengehörigkeitsgefühl, das überlebenswichtiger war als die jeweilige Stammeszugehörigkeit. In den Kapiteln 7 bis 10 wird die Fragilität dieses Gesellschaftssystems während der Vertragsperiode dargelegt. Seit sie die Atlantikstaaten verlassen hatten, waren die Munsee aus Sicht der Kolonialregierungen ohne Landbasis. Keinesfalls erkannten die USA oder Kanada intertribale Phratrienverwandtschaften an. Mit der Einrichtung von Reservationen wurden die Familienverbände der Munsee als "Gäste anderer Stämme" statt als deren adoptierte und integrierte Mitglieder anerkannt. Sie erhielten weder Anteile an finanziellen Entschädigungen ihrer "Gastgeber", noch konnten sie Versorgungsansprüche während der Deportationen geltend machen. Um 1840 entschieden daher die verstreuten Bands, traditionelle Pfade zu verlassen und für "die Nation der Munsee" eine Reservation im heutigen Kansas zu fordern. Im Anhang der Arbeit ist eine Petition aus dem Jahre 1849 beigefügt, welche die sog. Kansas-Munsee an den damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Zachary Taylor, schrieben. Dieses Dokument dient hier als Grundlage, die Hintergründe der Auseinandersetzungen der Munsee mit den zuständigen Behörden wie auch die zweifelhafte Rolle von Agenten und Missionaren ausführlicher zu untersuchen. Nachdem der Zusammenschluss aller Bands auf einer gemeinsamen Reservation missglückt war, verlagerten sich die Aktionen der Munsee im späten 19. Jahrhundert von der politischen auf die spirituelle Ebene. Nun nahmen die Munsee der Wolfs- und Truthahn-Phratrie in der Big House Ceremony als zentraler Jahresfeier eine führende Rolle ein. Ihr Engagement gewährleistete ein soziales Kontinuum und prägte ihr Bild als "Traditionalisten und Bewahrer der Kultur". Mit Beginn des 20. Jahrhunderts standen alle Munsee-Gruppen vor weiteren legalen Problemen. Ungelöste Landrechtsfragen, Hoffnung auf staatliche Anerkennung und das unklare Verhältnis zu den Delaware, lösten erneute Diskussionen um ihre Ethnizität aus. Doch die "Kern"-Identität als Mitglied einer Phratrie, die schon das Leben in der Heimatregion bestimmt und die Kontaktaufnahme zu anderen Stämmen während der Migration geprägt hatte, blieb bis zum Niedergang des Klanwesens von Bedeutung. Eigene Feldforschung bei heutigen Stammesmitgliedern zeigt auf, dass Reminiszenzen an dieses Klan/Phratrien-Konzept noch immer vorhanden sind. Die vorliegende Arbeit gewährt neue Einsichten in den komplementären Prozess von Migrationsgeschichte und ethnischer Identität, und darüber hinaus, einen wichtigen Beitrag zur Algonkin-Forschung.
Jonathan Wagner has written a monograph on a migration movement that was in many ways a peripheral one. From a Canadian perspective, Germans accounted for a relatively minor share of immigrants, compared to former residents of the British Isles, of eastern or southern Europe. Seen from Germany, Canada was one of many destinations for migrants who wished to leave the country and were prepared to travel over long distances, but were, for whatever reason, not attracted by the United States, the destination for the overwhelming majority of transcontinental emigrants. Nevertheless, the movement from Germany to Canada was significant in absolute and often symbolic terms. The way Wagner tells it, the story of German-Canadian migration was a tale of parallel experiences: both Germany and Canada experienced federation and increasing international autonomy from the 1860s; both were ruled by domineering conservative figures presiding over de facto liberalization in the 1870s; both participated in the First World War, and both went through traumatic economic crises in the interwar period. ...
The volume consists of eight essays with a precise focus: the study of the "dynamics of social exclusion" as reflected in data available for 1994 to 1996, when a detailed survey of a sample of households in EU countries, the "European Community Households Panel," was conducted. On the basis of these data, the authors document the extent and prevalence of poverty generally and specifically in regard to particular risk groups defined in terms of age, health and personal circumstances (young adults, lone parents, people with sickness or disability and retirees).[1] The analysis was carried out for five countries: Austria, Germany, Greece, Portugal and the United Kingdom, which were taken to be representative of the extremes of EU membership: north and south; wealthy and poor; large and small. The essays discuss income poverty (measured as incomes at 40, 50 or 60 percent of median incomes) as well as housing problems, access to basic necessities like food and utilities, access to consumer durables and social interactions. The essays document not only that the extent of poverty varies between countries--a well-known fact--but also that its causes and effects continue to differ even in an increasingly united western Europe. Austria had the lowest proportion of the population in poor households (17 percent--compared to 18 percent in Germany, 21 percent in the United Kingdom and Greece, and 24 percent in Portugal). While sickness and disability were likely to impoverish individuals in all the countries studied, this was particularly true of Austria, Germany and the United Kingdom (that is, northern Europe); retirement was more likely to result in income poverty in the south. The north-south divide was less relevant for parents; single income households with children were particularly likely to suffer from income poverty in the United Kingdom, Germany and Portugal. Poverty was more likely to be persistent than merely a brief phase in the life cycle. Persistence rates of income poverty were around 80 percent in Greece and Britain, above 70 percent in Portugal and above 60 percent in Germany and Austria. But the effects were rather different. In the United Kingdom, high persistence rates of income poverty coincided with low persistence rates (34 percent) of amenities deprivation, whereas the persistence of necessities deprivation was relatively low in Greece at 39 percent. The volume was conceived as a contribution to policy decision-making in the aftermath of the 2000 Lisbon Declaration, which focused (among other things) on poverty and encouraged member states to set more concrete targets for dealing with social exclusion. Some member states did so; Britain, for example--a country where income poverty was particularly likely to result in deprivation of basic necessities--vowed to abolish "poverty" by 2020. The volume is a treasure-trove of data and empirical analysis; it makes essential, though at times rather trying, reading for anyone interested in the extent of social exclusion, and the likelihood of falling into or escaping from it. It also provides ample proof--if any were needed--that governments seeking to combat social exclusion have to set different priorities, because they are not attacking the same phenomenon. Unfortunately, the empirical as well as the more conceptual contributions reveal some of the approach's and the book's shortcomings.[2] The book's very advantage--providing a precise research agenda--is also a drawback. With its focus on three years, and on the life-cycle rather than more stable factors such as ethnicity, occupation or regional origin, the volume presents a particular image of the risk (and duration) of deprivation, which may be more or less comprehensive for different countries. The narrow temporal focus makes one wonder whether measuring poverty's "persistence" of poverty makes much sense for such a relatively short time. Such doubt is enhanced when considering some of the oddities in the results: how did households that remained poor in the United Kingdom manage to get their hands on consumer durables? (The same question could be asked for the sudden increase in access to necessities in Greek households.) Illustrating the empirical findings with more concrete examples would have been helpful, particularly when they are counterintuitive, for instance the statement that patterns of poverty in eastern and western Germany were converging in spite of the continuing divergence in unemployment patterns. Another question--admittedly suggested by events of the last several years--is whether ethnicity, regional origins or occupations are not more important in determining the extent and duration of social exclusion than life cycle. These factors were not, and partly could not be, measured on the basis of the data used, but have moved to the center of policy debates today. This matter relates to another issue the book does not address: who is to blame for poverty, and what roles have governments and the European Union assumed in determining poverty patterns and trends? Have past policy choices--for instance, cutting benefits; increasing "flexibility" in labor markets; encouraging the emigration of jobs (such things the European Union is frequently accused of doing)--made a difference? Is combating poverty a serious policy agenda, or merely window-dressing to make the "reforms" that were key to the Lisbon agenda for modernizing the EU more palatable? Europe seems to be facing an internal contradiction between the agenda of competition and privatization (which results in higher access costs to essential services for "low value" customers) and the agenda of abolishing poverty. This contradiction is partly sustained by U.K. data. Which element is and should be more important to the European Union or national governments is hotly debated, but of course serious contributions to the debate require a comprehensive review of the present state of affairs through the type of careful studies of which this volume is an excellent example.
Douglas G. Morris's excellent book poses a broad question: what happened to the rule of law in Germany after 1919? How severe was the collapse of judicial impartiality and competence? Can one doubt whether the Weimar Republic ever qualified as a republic, "if a necessary part of a republic is a judiciary committed to democratic ideals and impartial justice" (p. 1)? That there was a collapse in judicial impartiality is hardly in doubt. As early as 1922, Emil Julius Gumbel provided statistical proof: between late 1918 and summer 1922, a total of 354 political murders committed by perpetrators affiliated with the political right had been punished with one life sentence plus 90 years and 2 months imprisonment; in 326 cases, there had been no punishment at all. By contrast, the 22 murders committed by left-wing sympathizers in the same period had been punished with 10 death sentences, 3 life sentences and 248 years and 9 months imprisonment; only 4 perpetrators escaped (p. 1). To be sure, this statistic may indicate more about the political leanings of police officials and prosecutors investigating cases than of judges who rule on the evidence put before them, but the divergence in sentencing remains remarkable. Morris reformulates this insight to ask how Germany's judges, trained to apply the law in an impartial and technically correct manner, could become raving political partisans willing to twist the law in favor of a particular political position. He does not seek to provide a comprehensive answer, but focuses on cases which involved Max Hirschberg, a Jewish attorney who practiced in Munich from 1911 to 1934, when he escaped to Italy. Hirschberg moved on to the United States in 1939, where he died in 1964. Hirschberg was not only involved in the major political trials of the day in 1920s and early 1930s Munich, but also developed a systematic interest in judicial error, which culminated in a major work on Das Fehlurteil im Strafprozeß, published in 1960. Morris is interested primarily in how trials were conducted. This in-depth analysis is divided into three blocks: political trials in 1922 and 1925, when Germany's war guilt and the causes of defeat were treated in libel suits and criminal prosecutions; non-political cases in which Hirschberg succeeded in having judicial errors reversed; finally, political cases linked with the rise of the Nazi party from 1926. In each case, Morris offers a clear exposition of the facts and substantial as well as legal issues in the case, a step-by-step analysis of trials and appeals processes, and an evaluation of the outcome. The main lines of argument which emerge from these analyses are, first, that some problems were peculiar to Bavaria. The main issue was the existence of people's courts, introduced during Bavaria's brief socialist phase to provide swift justice. The people's courts did not just increase judges' freedom of action by abolishing procedural safeguards, but also protected judges from professional scrutiny and criticism because there were to be no appeals. One of Hirschberg's major victories in the cases of the early 1920s was successful lobbying for their reintroduction. Second, Munich's judges may have been particularly traumatized by the brief revolutionary episode (and by the political preferences of Bavaria's ministries, which were systematically anti-Republican); moreover, they were called upon to decide a stream of political trials, some of which--notably libel trials--effectively sought the impossible, namely a definitive judicial ruling on the validity of a certain interpretation of history or a personal political position. Third, in spite of significant personal variations in style and substance, even after the reintroduction of appeals judges tended to use their freedom of maneuver in an anti-left-wing (which implicitly meant pro-National Socialist) sense. However, until 1933, this state of affairs did not challenge the ties which bound the profession. The Bavarian ministry of justice failed in its attempts to have Hirschberg disbarred in the early 1920s. Even when Hirschberg was released from so-called protective custody in 1934, most of his colleagues rallied round the decorated war veteran, allowing him to retain an access to the court building that was denied most Jewish attorneys. Finally, the problems of the justice system affected non-political cases as well, which may have deepened distrust of Republican institutions. The meticulously researched book benefits immensely from its author's experience as a practicing attorney familiar with courtroom drama and legal technicalities, which are vividly recreated and succinctly explained. The focus on Hirschberg illustrates both the immense obstacles a defense attorney faced and the victories an exceptionally gifted attorney could still win. Even though the courtroom perspective disregards some of the motivations which have their roots outside court--be it the social structure of and career perspectives in Munich's legal profession or political pressures on judges--these are not the main focus of Morris's research. Finally, one could argue about the optimist portrayal of pre-1918 German justice in politically sensitive cases. The clear focus on Weimar trials ensures that the book is no biography. Although Morris includes brief chapters on Hirschberg's youth and his years in exile, not much information is offered on Hirschberg's private life, the economics of his legal practice or his time in exile. But this decision does not diminish Morris's achievement in providing a fascinating insight into the workings of Weimar justice.
Seit einiger Zeit hat sich herumgesprochen, daß sich Feste und Feiern außerordentlich gut für die Untersuchung von Grundwerten einer Gesellschaft eignen. In der Wiederholung bestimmter Riten einerseits, in der bewußten und betonten Abweichung von den normalen Verhaltensmustern des Alltags andererseits treten Konsens und Spannungen konzentriert zutage. Der von Karin Friedrich herausgegebene Sammelband zur Festkultur in Deutschland und Europa, der auf eine Tagung der German History Society, die 1997 in London stattfand, zurückgeht, ordnet sich daher in eine inzwischen recht umfassende Literatur zu einzelnen Regionen oder Epochen ein. Der geographische und thematische Rahmen des Bandes ist weit gespannt. Vertreten sind Wahlfeste im Burgund des 16. Jahrhunderts (Mack P. Holt) und die dortigen Weinfeste in den 1990er Jahren (Marion Demossier); Jubiläumsfeierlichkeiten im Rußland Zar Peters I. (Lindsey Hughes), ungarische Nationalfeierlichkeiten nach 1945 (Árpád v. Klimó) und die Begehung der Reichsverfassungstage im Berlin der Zwischenkriegszeit (Pamela Sweet). Ebenso stark variiert der methodische Zugriff der Autorinnen und Autoren. Während sich Demossier auf ein Weinfest im Jahr 1991 konzentriert, setzt sich etwa James M. Brophy mit die Politisierung traditioneller Festkulturen im deutschen Vormärz insgesamt auseinander. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Betrachtung von regelmäßig über längere Zeiträume wiederholten Festen--außer dem bereits genannten gilt dies etwa für den Beitrag Thomas Biskups über herzogliche Hochzeitsfeiern in Braunschweig zwischen 1760 und 1800 oder den von Corey Ross über Weihnachtsfeiern in Drittem Reich und DDR. Weniger stark ins Gewicht fallen dagegen einmalige Jubiläumsfeierlichkeiten, etwa das 1000. Jubiläum der Ankunft der Magyaren in Ungarn 1896 (Tom Barcsay) oder die Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig 1913 (Ute Schneider), an denen langfristige politische Entwicklungslinien weniger deutlich werden. Alle Beiträge beschäftigen sich hauptsächlich mit der politischen Funktion von Festen. Dies wird bereits an der Darstellung der Ereignisse selbst deutlich, die sich auf den politischen Kern konzentriert und der Versuchung der bloßen Aneinanderreihung von Details widersteht. Im Mittelpunkt steht die Frage nach Macht, die in Festen zum Ausdruck kommt. Zwar taucht der Begriff Macht nur in der Überschrift einer der drei Abschnitte des Buches explizit auf, aber bei den beiden anderen Themen--monarchische, dynastische und Hoffeste sowie miltärische, nationale und patriotische Feiern--spielt Macht ebenfalls eine zentrale Rolle. Die Essays spüren den Spannungen nach, die von Festen verdeckt oder an die Oberfläche getrieben wurden; sie untersuchen, in wie weit es dem Staat oder der Obrigkeit zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten gelang, traditionale Festkulturen nach ihren Vorstellungen umzugestalten; und sie fragen nach dem Einfluß betont politischer Feste auf die nationale Kultur. Die Herausgeberin betont, daß die europäische Perspektive gewählt wurde, um die bislang allzu enge Konzentration auf die Sonderwegsdebatte, die für einen Großteil der deutschen Festforschung charakteristisch gewesen sei, zu überwinden, indem konkret nach dem Verhältnis deutscher Besonderheiten und europäischer Gemeinsamkeiten gefragt wird. Das überzeugt nicht ganz, denn die Auswahl der europäischen Beispiele erscheint für einen systematischen Vergleich zu beliebig. Während deutsche Feste von der frühen Neuzeit bis zum zwanzigsten Jahrhundert wenn nicht vollständig, so doch in durchaus nachvollziehbarer repräsentativer Auswahl in den Blick genommen werden (mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem 19. und 20. Jahrhundert), finden sich für das übrige "Europa" (das übrigens aus Frankreich, Rußland und Ungarn besteht) nur wenige Beispiele, die zudem--außer in den explizit komparativen Beiträgen von Helen Watanabe O'Kelly über Turniere in Frankreich und Deutschland und von Jakob Vogel über Militärfeiern in beiden Ländern--keine direkte deutsche Entsprechung haben: Einen Beitrag über deutsche Wein- oder Bierfeste in den 1990er Jahren gibt es beispielsweise nicht. Dies muß man lediglich bemerken, um keine falschen Erwartungen zu wecken, denn ein solcher Vergleich ist in einem Sammelband, der nicht Überblicksdarstellungen über nationale Festkulturen enthält, sondern einzelne Beispiele behandelt, schlicht nicht zu leisten. Die Stärken dieses Buches liegen daher an anderer Stelle: in der Qualität der allesamt hervorragend gelungenen Beiträge und in dem Überblick über die methodische Vielfalt der politisch orientierten Festforschung.
Celia Applegates neues Buch erzählt die Vorgeschichte eines überdeterminierten Ereignisses: der Aufführung einer gekürzten Version von J. S. Bachs Matthäus-Passion in Berlin 1829. Das Ereignis hatte viele (mögliche) Bedeutungen. Biografisch markierte es den Durchbruch Felix Mendelssohn Bartholdys als ernsthafter Akteur auf der Berliner, deutschen (und internationalen?) musikalischen Bühne. Musikalisch brachte es die Wiederentdeckung Bachs als Vokalkomponist, auf die eine bis 1833 andauernde Aufführungswelle und Neueditionen folgten. Allgemeinhistorisch könnte man argumentieren, dass Bach 1829 zum 'deutschen Erinnerungsort' wurde, der künftig eine Ikone des deutschen Kulturnationalismus, in dem die Musik bekanntlich eine Schlüsselrolle spielte, darstellte. Applegate geht es dagegen vorwiegend darum, 1829 als Endpunkt darzustellen: die Aufführung brauchte "einen Saal, eine Partitur, Sänger, Instrumentalisten, einen Dirigenten, ein Publikum" (173) - warum kamen die ausgerechnet 1829 zusammen? Sie schildert fünf Entwicklungsstränge, die in Berlin zusammenliefen. Mendelssohn Bartholdy konnte sich durch das relativ risikofreie Experiment einer Aufführung historischer Musik 1829 - nach einer gescheiterten Opernpremiere, einer Reise nach Paris und einer Wanderung durch Deutschland - in einer besonderen Weise präsentieren: als Experte für nationale, respektable, religiöse Musik. Letztlich bleibt aber auch nach Applegates Recherchen offen, welchen genauen Anteil an der Konzertplanung Mendelssohn, Carl Friedrich Zelter und Eduard Devrient hatten. Zweiter Punkt: die allmähliche Erhebung der Musik von einer Quelle bloßer, schwer analysierbarer und national unspezifischer Unterhaltung zu einer ästhetischen Form des Ausdrucks, der Kommunikation und Artikulation nationaler Besonderheit fand in philosophischen Debatten vor allem um und nach 1800 statt. Drittens profitierte die Aufführung von einer wachsenden, protestantisch geprägten, nord- und mitteldeutschen Musikpresse. Vor allem Adolf Bernhard Marx und seine Berliner Allgemeine Musikalische Zeitung veranstalteten zugunsten Bachs und des Berliner Konzerts eine regelrechte publicity-Kampagne, der es auch darum ging, dem Publikum die wahre Bedeutung des Stückes (und die 'richtige' emotionale Reaktion) nahe zu bringen. Der Chor, der in Berlin auftrat, bestand aus Männern und Frauen. Das war zwar musikalisch nicht völlig neu, aber bei Aufführungen von Kirchenmusik hatte es das bislang nicht gegeben. Entscheidend war, dass es ein besonderer Chor war: eine Ansammlung musikalischer Laien in der Berliner Singakademie, die selten öffentlich auftraten und somit in doppelter Hinsicht einen Gegenpol zu weiterhin unter einem gewissen Prostitutionsverdacht stehenden weiblichen 'Bühnen-Profis' bildeten. Schließlich hatte die mit den preußischen Kirchenwirren verbundene Krise der protestantischen Kirchenmusik Bach im Besonderen und Kirchenmusik im Allgemeinen für eine säkulare (oder doch zumindest säkularere) Verwendung freigegeben, die zugleich erlaubte, Bach konfessionell zu delokalisieren und auch für ein katholisches deutsches Publikum annehmbar zu machen. Das elegant geschriebene Buch liefert einen sehr bemerkens- und bedenkenswerten Beitrag zur Musik-, Kultur- und Nationalismusgeschichte des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts in Deutschland. Mäkeln kann man natürlich immer: etwa, indem man fragen würde, ob der Rückgriff auf Mack Walkers eher statisches Bild der deutschen Gesellschaft (vgl. 61, 67) wirklich besser zu Applegates Interpretation passt als neuere Portraits einer dynamischeren, mobileren Gesellschaft [1], oder ob nicht auch der Blick auf nationale Vorstellungen um 1800 ein weniger stärker hätte differenziert werden können. Das ändert freilich nichts daran, dass man selten ein so kluges, spannendes, konzises und wohlproportioniertes Buch lesen wird. Anmerkung: [1] Vgl. Theodore Ziolkowski: Berlin. Aufstieg einer Kulturmetropole um 1810, Stuttgart 2002; Helga Schultz: Das ehrbare Handwerk: Zunftleben im alten Berlin zur Zeit des Absolutismus, Weimar 1993; Lothar Gall: Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989.
Im Mittelpunkt der Darstellung stehen zwei Angehörige der Familie Clough. Anne Jemima (Annie) Clough wurde 1820 in Charleston, North Carolina, geboren und starb 1892 im englischen Cambridge. Ihre Nichte Blanche Athena (Thena) Clough kam 1861 in Derbyshire auf die Welt und starb 1960 in London - das erklärt Anfangs- und Enddatum des Untertitels. Die Geschichte, die Gillian Sutherland in dieser lebendigen und materialreichen Familienbiografie erzählt, hat zwei Fluchtpunkte. Das Schicksal der Cloughs ist eng verflochten mit der Geschichte von Newnham College, Cambridge, wo Sutherland lehrt. Zudem geht es der Autorin um das Verhältnis zwischen bildungsbürgerlichen Berufen und 'gentility', d. h. einem finanziell abgesicherten und nach den Maßstäben der englischen Oberschicht respektablen Lebensstil. Annie Clough war die Tochter eines Kaufmanns, der mehrfach bei dem Versuch scheiterte, von Amerika oder England aus im Fernhandel oder Finanzwesen, vor allem im Handel mit Baumwolle, sein Glück zu machen und ein respektables Vermögen zu erwerben. Die Übersiedlung der Familie nach Amerika war Ausdruck der Hoffnung auf das Potenzial des Baumwollmarktes; die Rückkehr nach Liverpool ein erster Ausdruck des Scheiterns. Aber während die Bank von Annies Großvater nur einmal in Konkurs ging und mittelfristig alle Schulden tilgen konnte, machte das Handelshaus ihres Vaters zweimal bankrott. Die Notwendigkeit, zum Unterhalt der Familie beizutragen, brachte Annies Bruder, den in Oxford als Theologen ausgebildeten, Spezialisten als Dichter bekannten Arthur Clough dazu, sich zunächst als Vorsteher eines Studentenwohnheims des Londoner University College, dann als Beamter im 'Erziehungsministerium' zu versuchen - beides letztlich mit mäßigem Erfolg. Das lag freilich auch daran, dass Clough, den die Debatten im Umkreis des Oxford Movement zum Atheisten hatten werden lassen, als Lehrer in einem noch weitgehend theologisch geprägten Umfeld nur schwer tragbar schien; eine akademische Karriere in Oxford blieb ihm ebenso verschlossen wie die Aussicht auf eine Pfarrei. Annie Clough wählte ebenfalls den Weg in den Bildungsbereich. Freilich fehlte ihr eine formale Ausbildung, die über den Schulbesuch selbst hinausgegangen wäre. Mithin waren auch ihre Unternehmungen als Lehrerin und Schulleiterin eher provisorischer Natur; dazu kam der frühe Tod des Bruders und das Bedürfnis, mit für dessen Kinder zu sorgen. Annie Clough engagierte sich somit aus Überzeugung, aber auch aus ökonomischem Interesse für einen Ausbau der Frauenbildung. 1871 wurde sie Vorsteherin eines vor allem auf Betreiben Henry Sidgwicks gegründeten Wohnhauses für bildungswillige Frauen in Cambridge. Die Universität hatte soeben Vorlesungen für weibliches Publikum geöffnet und damit eine Kernforderung der akademischen Frauenbewegung erfüllt. Ähnliche Vorlesungen wurden bereits in anderen Teilen Englands angeboten. In Cambridge ergab sich aber das Problem, dass in der Stadt keine geeigneten Unterkünfte für alleinstehende Damen zur Verfügung standen. Das spätere Girton College befand sich damals noch in Hitchin; das Cambridger Modell sah zudem vor, dass Frauen ganze Vorlesungszyklen besuchen sollten, die sich vorwiegend an männliche Studenten "in residence" richteten, was wiederum die Begleitung durch eine Anstandsdame erforderte. 1875 wurde aus dem zunächst fünf Damen beherbergenden Wohnheim Newnham Hall, 1879 Newnham College, nach Girton das zweite Frauencollege der Universität. Die Autodidaktin Clough wurde von einer quasi-Hausdame zum College Principal. Auf diesem Posten folgte ihr Thena Clough, die zu den ersten Newnham Studentinnen gehört hatte. Der zweite Teil des Buches kreist um die Funktionsweise des Colleges, den langen Kampf um die Zulassung von Frauen zu Universitätsexamen und das intellektuelle Milieu Newnhams, ohne doch ganz zur breiten College Geschichte zu werden. So gerät freilich die These aus dem Blick, bildungsbürgerliche Aktivitäten seien finanzielle Rettungsanker der englischen Oberschicht gewesen, die es erlaubten, ohne großen Aufwand einen respektablen Lebensstil zu sichern (2 f.), der normalerweise auf Handelskapital oder Landbesitz gegründet gewesen wäre. Im Falle der männlichen Cloughs mag das so gewesen sein (auch Thenas Bruder machte eine eher wenig distinguierte Karriere im civil service), bei den Frauen der Familie wird aber bereits deutlich, dass die These kaum verallgemeinerbar ist. Zudem fehlen systematische und detaillierte Angaben zum Einkommen der Cloughs; über weite Strecken scheint ein Rest von Familienvermögen und ein dichtes Verwandtschaftsnetzwerk wichtiger gewesen zu sein als der Beruf. "The Power of Mind" passt da - auch mit Blick auf Annie Cloughs angeheiratete Cousine Florence Nightingale und andere Angehörige des weiteren Bekanntenkreises - als Erklärungsmodell schon besser.
The articles in this volume represent anthropological approaches to the study of external and internal boundaries in Europe. The authors raise fascinating methodological and empirical questions by approaching European societies from the perspective of a discipline usually working on the basis of greater cultural distance between scholars and the objects of their research. Moreover, the volume tackles a subject usually understood as a political project and a political problem, E.U. Europe, in an original non-political-science perspective. The volume's case studies are all based on bottom-up views of Europe, with fieldwork the methodology of choice. The first articles focus on institutions. Cris Shore and Daniela Baratieri's article focuses on the ambivalent results of attempts by European schools, which cater mainly to Eurocrats in Brussels and Luxemburg, to replace nationalism with a sense of European identity or nationhood, while Gregory Feldman discusses Estonian programs for the integration of Russian-speakers and Davide Però addresses the position of Italy's left-wing parties and public to the "new immigration." While these essays argue that "Europe" may not be as destructive to national (institutional) boundaries or the nation state as is often supposed, the next block of articles tackles migration across boundaries in a more conventional perspective, focusing on particular immigrant groups. Helen Kopnina discusses Russians in London and Amsterdam, while Christina Moutsou focuses upon immigrants in Brussels and Jacqueline Waldren examines Bosnians in Mallorca. To me, the case study of Turkish migrants in West Berlin by Sabine Mannitz is particularly intriguing, because it uses the peculiar experience of a lesson on Jews' fate in the Holocaust in which the teacher cast immigrants as permanent outsiders in Germany to explore pupils' sense of boundaries, and the East-German West-German divide appeared to loom much larger for immigrants than that between foreigners and Germans. The last section focuses on concrete and contested boundaries in European states and towns: William F. Kelleher, Jr. discusses Northern Ireland, Greek towns are the focus of Venetia Evergeti and Eleftheria Deltsou's article and South Tyrol is examined by Jaro Stacul. The volume makes for diverse and diversifying reading, and can only be highly recommended to anyone interested in innovative perspectives on the fate of the European project.
John Wilkes war eine der aufsehenerregendsten Figuren der englischen politischen Geschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts. 1725 wurde er als Sohn eines vom Nonkonformismus zum Anglikanismus konvertierten Londoner Unternehmers geboren. Es ist bezeichnend für das Streben der Familie nach sozialem Aufstieg, dass er zum Rechtsanwalt ausgebildet werden sollte; diesem Ziel diente auch ein Studienaufenthalt in Leiden. 1747 erwarb er durch die Heirat mit Mary Mead neben verstreutem Landbesitz ein Gut in Aylesbury, das ihm den Weg ins Parlament erleichterte, allerdings nicht verhindern konnte, dass er sich im Zuge des Wahlkampfs hoch verschuldete. Politisch stand er zunächst dem Kreis um William Pitt d. Ä. nahe, was dazu führte, dass er durch den Regierungswechsel, der Georgs III. Krönung folgte, Aussicht auf politische Ämter und das sich daraus ergebende Einkommen verlor. Stattdessen stellte er seine spitze Feder in den Dienst der Opposition, und seine Konflikte mit Regierung und Parlamentsmehrheit wurden bald zur Prinzipienfrage. Im Frühjahr 1763 wurde er wegen eines persönlichen Angriffs auf den ersten Minister des Königs, dem er ein Verhältnis mit der Königinmutter andichtete, erstmals verhaftet - was einen illegalen Eingriff in die parlamentarische Immunität darstellte, der Wilkes zunächst hohen Schadensersatz versprach. Im Herbst 1763 folgte allerdings eine formgerechte Anklage wegen Blasphemie, die sich auf einen pornographischen Text, den "Essay on Woman", bezog. Da seine Position aussichtslos schien, floh Wilkes nach Frankreich; seine Flucht zog die Ächtung nach sich, was wiederum bedeutete, dass er seine Schadensersatz-Forderungen vor Gericht nicht mehr geltend machen konnte. In Paris lebte Wilkes vor allem von mehr oder weniger geheimen Zuwendungen der wohlhabenden Mitglieder seiner 'Partei'. Die wachsende Schuldenlast und das Gefühl, von seinen Gönnern nicht hinreichend unterstützt zu werden, brachten Wilkes 1768 zurück nach England. Der Versuch, sich in den engeren Rat der Stadt London wählen zu lassen, scheiterte; allerdings gelang es Wilkes, sich - auch aus dem Gefängnis - drei Mal in Folge für den Wahlkreis Middlesex im Parlament wählen zu lassen. Die Wahl wurde dreimal annulliert, beim letzten Mal erkannte das Unterhaus den unterlegenen Kandidaten als rechtmäßig gewählt an. Vom unappetitlichen Propagandisten wurde Wilkes so zum Symbol für den Widerstand gegen die politische Willkürherrschaft einer parlamentarischen Oligarchie, die danach strebte, die Zusammensetzung des Parlaments durch Kooptation zu bestimmen. Die Kritik von Wilkes' Anhängern deckte sich in diesem Punkt in mehrfacher Hinsicht mit der Begründung amerikanischer Forderungen nach politischer Unabhängigkeit; ganz weitreichende Interpretationen weisen ihm sogar eine entscheidende Rolle für den Ausbruch der amerikanischen Revolution zu. [1] Wilkes wurde zum Liebling eines radikalen Londoner Kleinbürgertums. Er wurde Londoner Stadtrat, Bürgermeister, Kämmerer und setzte durch juristische Winkelzüge 1774 das Recht durch, über die Debatten eines Parlaments öffentlich berichten zu dürfen, dem er seit 1782 wieder angehörte. Die letzten Jahre seines Lebens sind weniger aufregend und weniger bekannt. In vielerlei Hinsicht wurde Wilkes zum gemäßigten Konservativen, der die Französische Revolution kritisch betrachtete und sogar ein einigermaßen vertrautes Verhältnis zu dem - allerdings nicht mehr ganz bei Verstand befindlichen - Georg III. aufbaute. Von den radikalen Forderungen der 1770er Jahre blieb vor allem die Unterstützung der religiösen Toleranz übrig. Wilkes starb 1797. Das Leben von John Wilkes ist seit George Rudés klassischer Darstellung der Gegenstand einer ganzen Reihe von Monographien gewesen; eine weitere ist angekündigt. [2] Vor diesem Hintergrund geht es Sainsbury weniger darum, noch eine Biographie zu schreiben, sondern Paradoxien der öffentlichen Wirkung von Wilkes zu entschlüsseln. Er fragt etwa danach, wie ein chronisch zahlungsunfähiger und -unwilliger Patron ausgerechnet zum Idol der kaufmännisch orientierten Londoner Bevölkerung werden konnte oder welche Rolle Wilkes sexuelle Ausschreitungen für seine Popularität spielten. Daraus ergibt sich der thematische Aufbau des Buches, das in sechs Teile gegliedert ist: Familie, Ehrgeiz, Sex, Religion, Klasse, Geld. Wilkes erscheint in (fast) allen diesen Bereichen als Grenzverletzer, dem es gelang, seine ungewöhnlichen Verhaltensweisen (Trennung von seiner Frau; aristokratische Ambitionen und Volksnähe) als kalkulierte Provokation gegenüber 'denen da oben' zu präsentieren. Eine solche Strategie war in vielem prekär, da sie auf subtilen Bedeutungsunterschieden beruhte. So versuchten Wilkes' Verteidiger seine sexuellen Ausschweifungen als Zeichen einer Potenz darzustellen, die sich von den verweichlichten, bisexuellen Praktiken einer perversen Aristokratie abhob - obgleich Wilkes diesen später von ihm kritisierten Zirkeln angehört hatte. Auf einer ähnlich spitzfindigen Argumentation beruhte die Unterscheidung zwischen den unvermeidbaren Schulden einer politischen Figur wie Wilkes und der Kaufleute bedrückenden Zahlungsverweigerung sozialer Eliten. Sainsburys sehr lesenswerte Interpretation der vielen Gesichter des John Wilkes beruht auf einer außerordentlichen Kenntnis der Briefe, Flugschriften und Karikaturen der Zeit. Was ihm allerdings auch nicht gelingt, ist, die Jahre nach 1774 stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Als es in der Öffentlichkeit Still um Wilkes wurde, verlor auch sein öffentliches Bild offenbar seine Konturen. Anmerkungen: [1] James Lander: A Tale of Two Hoaxes in Britain and France in 1775, in: Historical Journal 49, 2006, 995-1024. [2] Vgl. etwa George Rudé: Wilkes and Liberty: A Social Study of 1763 to 1774. Oxford 1962; Peter D. G. Thomas: John Wilkes: A Friend to Liberty. Oxford 1996; Arthur H. Cash: John Wilkes: The Scandalous Father of Modern Liberty. New Haven 2006.
Die politische Geschichte der Stadt London im 19. Jahrhundert ist in den letzten Jahren nicht besonders intensiv behandelt worden. Ähnlich wie die Geschichten anderer Metropolen in der Moderne legen neuere Überblicke und Spezialstudien [1] für diese Jahre den Schwerpunkt auf eine kultur- und gesellschaftshistorische Perspektive, die sich mit dem Ausbau städtischer Infrastruktur, der symbolischen Sprache bebauter Räume und der Stadterfahrung im weitesten Sinne beschäftigt. Das hat eine historiografische Lücke hinterlassen, zu deren Schließung der vorliegende Band einen gewichtigen Beitrag leistet. Die Politik Londons zu beschreiben setzt allerdings voraus, dass es gelingt, londonspezifische Strukturierungsprobleme zumindest in den Griff zu bekommen. Wie das englische politische System insgesamt, so war auch der politische Raum London durch eine gewisse Unübersichtlichkeit geprägt, die es schwer macht, eine politische Gesamtgeschichte zu identifizieren, geschweige denn, einfach so zu erzählen. Im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert zerfiel London in die Parlamentswahlkreise Westminster, City of London, Southwark und Middlesex; der Einfluss der Metropole strahlte allerdings auch nach Kent und Essex aus. Die Wahlrechtsreform von 1832 erweiterte die Zahl der Londoner Wahlkreise erheblich. Mit den Reformen der Lokalverwaltung Ende des 19. Jahrhunderts und dem weitestgehenden Übergang zu Ein-Mann-Wahlkreisen 1885 kamen neben den neuen Wahlbezirken eine Londoner Gesamtverwaltung, die Gemeinden innerhalb der Grenzen der Metropole (boroughs) und formal unabhängige Städte wie Walthamstow in Greater London hinzu, welche die bisherige Mischung aus Gemeindeverwaltung (vestries) und Gremien für spezifische Zwecke (vornehmlich das für die Infrastruktur zuständige Metropolitan Board of Works) ablösten. Jeder Wahlkreis und jede Institution der Lokalverwaltung hat eine eigene, komplexe Geschichte; gerade diese Vielfalt trug entscheidendes zur politischen Vitalität Londons bei und stellt daher auch eine unverzichtbare Facette des Gesamtbilds dar. Der Sammelband strebt vor diesem Hintergrund nicht an, eine politische Geschichte der Gesamtmetropole zu skizzieren, sondern liefert in zehn Artikeln, die von einer ausführlichen Einleitung und einem Schlusskapitel, in dem weitere Forschungsperspektiven skizziert werden, eingerahmt sind, erste methodische und inhaltliche Annährungen an zentrale Fragen, welche eine solche Gesamtgeschichte behandeln müsste. Ein großes Thema des Bandes sind die Eigenarten, der Aufstieg und der Niedergang des Londoner Radikalismus. Matthew McCormick argumentiert, dass es weniger Sinn mache, von einem kohärenten radikalen Programm zu sprechen, als von einer Rhetorik der "Unabhängigkeit", die sich (nur) in der Gegnerschaft gegenüber den Zumutungen des Staates überschnitt. David A. Campion widmet sich der Frage, wie die Metropolitan Police zu der relativ zivilen, auf Deeskalation von Konflikten eingestellte Polizeikraft werden konnte, als die sie sich im späteren 19. Jahrhundert zumeist präsentiert. Er stellt klar, dass dies zum Zeitpunkt der Gründung keineswegs feststand, sondern Folge der Untersuchung von Missbräuchen durch die parlamentarische und breitere Öffentlichkeit im Rahmen von zwei 1833 eingerichteten Untersuchungskommissionen war, welche die Polizei von eher autoritären Wurzeln aus liberalisierten. Drei Aufsätze beschäftigen sich mit der viel diskutierten Frage, ob und wenn ja warum der Londoner Radikalismus im Laufe des 19. Jahrhunderts an Unterstützung verlor. Ben Weinstein dokumentiert, dass das Russel'sche Sozialreformprogramm in London durchaus auf breite Sympathie stieß. Anthony Taylor präsentiert die andauernde Vitalität Chartistischer Vereine in London nach 1848, während David Nash ein Panorama säkularistischer Vereine entwirft. Es scheint also, dass ein abschließendes Urteil in dieser Frage noch weiterer Forschungen bedarf. Eine globalere Perspektive zeichnet die Beiträge von Detlev Mares und Marc Baer aus. Mares diskutiert die Beziehungen und Spannungen zwischen der liberal-radikalen "Opposition" in London und der Provinz. Dabei werden die Gründe für die Vitalität der Opposition in London besonders deutlich, die sich auf ein breites Publikum, eine vitale Presse und symbolische Orte wie die königlichen Parks stützen konnte. Diese Vormachtstellung wurde zwar in der Provinz gelegentlich kritisiert, aber im Allgemeinen doch anerkannt. Baers Beitrag schildert die Londoner Wende zum Konservatismus am Beispiel des Wahlkreises Westminster in einer längeren Perspektive, die gewisse konservative potenziale bereits in Paradoxien des Radikalismus um 1800 angelegt sieht. Die abschließenden Beiträge widmen sich dem Konservatismus, der London im späten 19. Jahrhundert anerkanntermaßen weitgehend dominierte. Marc Brodies Studie des konservativen Wahlerfolgs in Londoner "Slums" macht deutlich, dass die konservativen Basen im East End eher durch relativ großen Wohlstand als durch Armut gezeichnet waren, und dass religiöse Bindungen oft die entscheidende, allerdings in ihrer parteipolitischen Ausrichtung von Bezirk zu Bezirk variierende, Rolle spielten. Alex Windscheffel beschäftigt sich anhand konkreter Beispiele mit der Rolle des Empire für konservative Wahlerfolge in London. Während er die spannende Wahl nicht-weißer, nicht in England geborener Parlamentsmitglieder in Londoner Wahlkreisen relativ kurz darstellt, er handelt er ausführlich von Wahlniederlage und Wahlsieg des Abenteurers und Entdeckers Henry Morton Stanley in Lambeth, die zeigen, wie umstritten das imperialistische Projekt auch in der Hauptstadt des Imperiums blieb. Timothy Cooper schließlich richtet den Blick noch einmal über die Stadtgrenzen hinaus, wenn er die politische Ausrichtung einer typischen Boom-Vorstadt wie Walthamstow in den Blick nimmt. Insgesamt handelt es sich bei dem Band um eine Sammlung konziser Aufsätze zu präzisen Themen der Londoner Stadtgeschichte (und darüber hinaus), welche die thematische und methodische Richtung - wie die entsprechenden Probleme - einer künftigen Londoner Politikgeschichte aufzeigen. Anmerkung: [1] Vgl. Francis Sheppard: London: A History. Oxford 1998; Peter Ackroyd: London: The Biography, London 2001; Jonathan Schneer: London 1900: The Imperial Metropolis, New Haven 2001. Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger
Jonathan Parry kann man als Biografen des englischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts beschreiben, und zwar als einen Biografen, der sich seinem Gegenstand nicht chronologisch, sondern systematisch nähert. Das vorliegende Buch bildet den dritten Teil einer Trilogie, die mit einer Studie über Liberalismus und Religion begann und sich mit einer viel beachteten Diskussion von Ideologie und Praxis des regierenden Liberalismus fortsetzte. [1]. In seinem zweiten Werk hatte Parry die Vermutung geäußert, dass der britische Liberalismus zwar "superficially generous" gewirkt habe, im Kern aber "profoundly chauvinistic" gewesen sei. [2] In gewisser Weise ist sein drittes Buch der Ausführung und Differenzierung dieser These anhand außenpolitischer Debatten gewidmet. Wie es sich bei der Fortsetzung einer Reihe geziemt, die ein komplexes Argument präsentiert, beginnt das Werk mit einer ausführlichen Rekapitulation der ersten beiden 'Folgen' in zwei einleitenden Kapiteln, die der liberalen Verfassungsvorstellung einerseits, der Verbindung zwischen der spezifisch liberalen Vorstellung eines moralischen öffentlichen Lebens, einer britischen nationalen Identität und europäisch-globalen Mission andererseits gewidmet sind. Der Einleitungsmodus setzt sich zunächst im dritten Kapitel fort, das anhand einer Diskussion der in England behandelten außenpolitischen Themen der 1830er- und 1840er-Jahre den Rahmen der Debatte absteckt: dabei stehen zunächst nicht außenpolitische Fragen (wie etwa die Orientkrise) im Mittelpunkt, sondern prinzipielle Probleme der Wechselwirkung zwischen äußerer Politik und nationalen Angelegenheiten, wobei Irland und der Katholizismus, Freihandel, die Person Palmerston und Nonkonformismus breiten Raum einnehmen. Die folgenden vier Kapitel behandeln dann jeweils anhand entscheidender Episoden (der Revolution von 1848, der italienischen Nationalstaatsgründung, des deutsch-französischen Krieges und der orientalischen Frage) Kontinuitäten und Brüche, Schwerpunktsetzungen und Veränderungen des liberalen Diskurses. Dabei zeigt Parry, wie drei Themenkreise ineinander griffen: die außen- und verteidigungspolitische Haltung Großbritanniens, die in liberaler Sicht dazu dienen sollte, ein nach englischem Muster geformtes, durch Kern-Werte wie Freiheit und staatliche Zurückhaltung, aber auch Protestantismus und Moral geprägtes Verfassungssystem weltweit zu fördern; die innenpolitische Thematik der Ausgestaltung der Erziehung (protestantischer) britisch / englischer Staatsbürger vor dem Hintergrund internationaler (Bildungs-)Konkurrenz; schließlich die Folgen eventueller auswärtiger Engagements für das britische Staatsgefüge, vor allem für die Beziehung zwischen Monarchie, Regierung, Parlament und Öffentlichkeit. Parry argumentiert überzeugend, dass eine innenpolitische Interpretation des Siegeszugs des britischen Liberalismus zu kurz greife. Außenpolitische Debatten (oder besser gesagt, deren innenpolitische Deutung und Instrumentalisierung) hätten eine entscheidende Rolle in der breiteren Öffentlichkeit gespielt, und auch in diesem Bereich sei es Liberalen (fast) immer gelungen, überzeugendere Antworten zu bieten als ihre konservativen Gegner. Die große Ausnahme in dieser Hinsicht war der deutsch-französische Krieg von 1870; hier führte liberale außenpolitische Zurückhaltung zu einer entscheidenden Wahlniederlage. Ähnliches galt für das Dilemma der orientalischen und ägyptischen Verwicklungen der 1880er-Jahre, wo die Kritik allerdings weniger einhellig ausfiel und mit gewissen Auflösungserscheinungen der liberalen Hegemonie, die ihren Ausgang in der Innen- und Irlandpolitik nahmen, zusammenfiel. Das Buch, ein Werk stupender Gelehrsamkeit, das auf jeder Seite von einer souveränen Kenntnis der Schriften bekannter und weniger bekannter Autoren zeugt, lässt sich in unterschiedlichen Perspektiven lesen. Zunächst einmal bietet es den letzten, am weitesten ausgereiften Stand von Parrys Überlegungen zum spezifischen Charakter des britischen Liberalismus in seiner hegemonialen Phase. Weiterhin bietet es eine exemplarische Fallstudie zur Interaktion zwischen außenpolitischer Konkurrenzwahrnehmung und innenpolitischen Initiativen im 19. Jahrhundert. Schließlich bietet das Buch einen Leitfaden durch die britische Außenpolitik und ihre Motivation zwischen 1830 und 1890. Man sagt Biografen gelegentlich nach, dass sie mit der Zeit Eigenarten ihrer Subjekte übernehmen. Parry mag der Versuchung insoweit erlegen sein, als er sein Thema ganz im Rahmen des liberalen Paradigmas angeht, das er beschreibt: mit einem trotz des potenziell internationalen Themas klaren Fokus auf England (der sich in der beinahe exklusiven Rezeption englischsprachiger Forschung spiegelt) und mittels einer pragmatischen, flexiblen, aber nicht immer trennscharfen Definition dessen, was als liberale (im Gegensatz zu konservativen oder radikalen) Äußerungen gewertet werden kann. Das ist eine potenzielle Schwäche, zugleich aber auch eine potenzielle Stärke des Buches, denn nur so konnte ein zentrales Alleinstellungsmerkmal des britischen Liberalismus adäquat abgebildet werden. Parry macht deutlich, dass Chauvinismus im britischen Fall eine Verbindung zwischen Überlegenheitsgefühl und potenzieller Weltoffenheit bedeutete; ebenso, dass die unpräzisen Parteigrenzen es ermöglichten, gerade im Bereich der Außenpolitik eine Anziehungskraft zu entfalten, die über den Kernbereich einer im engeren Sinne liberalen Klientel weit hinausreichen konnte. Unabhängig davon, aus welcher Perspektive man es in der Hand nimmt: dies ist ein sehr lesenswertes, zudem sehr angenehm geschriebenes Buch. Anmerkungen: [1] Jonathan Parry: Democracy and Religion: Gladstone and the Liberal Party, Cambridge 1986. [2] Jonathan Parry: The Rise and Fall of Liberal Government in Victorian Britain, New Haven 1993. [3] Ebd., 16. Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger
Otto Hufnagel war bis vor dem Ersten Weltkrieg ein typischer wilhelminischer Bildungsbürger. Er wurde 1885 als Sohn eines protestantischen Frankfurter Volksschullehrers und Veteranen des Kriegs von 1870 geboren, legte 1905 das Abitur ab und studierte in Heidelberg und Leipzig Geschichte, Deutsch und Latein. Während die kontroverse Bewertung seiner Dissertation zeigte, dass (nur) ein Teil der Leipziger Historiker in ihm ein wissenschaftliches Talent sah, waren auch die Skeptiker sicher, dass es sich bei Hufnagel Junior ebenfalls um einen vorbildlichen Lehrer handeln würde. Dieses Urteil bestätigte Hufnagel seit 1911 in der waldeckischen Hauptstadt Arolsen, wo er sich auch in der breiteren Öffentlichkeit der Residenzstadt hervortat: als glühender Bismarck-Verehrer, Marine-Apologet und Kriegsbefürworter. Das sollte sich erst ändern, als Hufnagel seit 1915 persönlich mit den Schrecken des Krieges konfrontiert wurde. Als er im Herbst 1918 in das einer relativ gemächlichen Revolution entgegenblickende Arolsen zurückkehrte, tat er dies als überzeugter Demokrat und Republikaner, der bald zu einer der führenden Persönlichkeiten der Waldeckschen DDP aufstieg. Als Mitglied des Landtages beschäftigte sich Hufnagel intensiv mit den besonderen Problemen der Waldeckschen Verfassung und ihrer Implikationen für eine Neuordnung der Beziehungen zwischen Bevölkerung, Fürst, Staat und Reich. Waldeck war 1866 von der preußischen Annexionswelle verschont geblieben, aber 1867 halb-freiwillig in die Rolle einer preußischen Dependance mit einem Monarch minderen Ranges gewechselt. Eine der beherrschenden Fragen der waldeckschen Landespolitik war daher - neben der Revolution - die Möglichkeit eines Anschlusses an Preußen (den Hufnagel befürwortete) und bereits vor 1926 die Frage nach dem Status des Vermögens eines Quasi-Monarchen (wo sich Hufnagel anspruchsvoll, aber kompromissbereit zeigte). Waldeck gehörte nach 1918 zunächst zu den deutschen Regionen, welche dem bürgerlichen Liberalismus besondere Möglichkeiten zu eröffnen schienen - dafür sprach bereits vor 1914 die Tatsache, dass Friedrich Naumann Reichstagsabgeordneter für Waldeck und Pyrmont gewesen war; nach dem Krieg kam das Wirken von ihrer Begeisterung für Kaiser und Reich abgekommenen Persönlichkeiten wie Hufnagel hinzu. Allerdings machte der weitere Verlauf der Ereignisse deutlich, dass auch in Waldeck der bürgerliche Liberalismus schwierigen Zeiten entgegenging. Zwar schien sich relativ lange die Chance zu bieten, alle liberalen Kräfte in einer Partei zu vereinigen oder zumindest im Landtag zu einer Fraktion zu schmieden, aber diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Die DDP wurde alsbald - trotz des politischen Geschicks Hufnagels - im bürgerlichen Lager von rechts überholt, wobei die Tatsache, dass in Menks Darstellung die liberale Haltung zu sozialen Fragen stark in den Hintergrund tritt, eine mögliche Begründung erahnen lässt. Die Taktik der bürgerlichen Rechten, Hufnagel öffentlich an den Pranger zu stellen, etwa durch Verweis auf die Folgen seiner politischen Aktivität für Unterrichtsausfall an seiner Schule oder durch Berichte über vermeintliche Verfehlungen im Landtag (beispielsweise Protokollfälschung) endete in einer Prozesskette, aus der Hufnagel zwar siegreich hervorging, die ihn aber zermürbte und 1924 dazu bewog, ins liberale Frankfurt überzusiedeln. Folgt man dem Urteil Gerhard Menks, so wurde Waldeck sehr bald ein weiterer Staat, in dem eine demokratische politische Kultur bereits vor 1933 von innen ausgehöhlt wurde und wo für kritische Geister weniger Platz blieb als für Demagogen, die nach 1933 erfolgreich blieben. In Frankfurt betätigte sich Hufnagel vorwiegend als Lehrer und Wanderer, kaum noch als Politiker und politischer Publizist. Insofern bedeutete die Machtergreifung 1933 zwar eine Zäsur, aber keine unmittelbare politische Bedrohung; eine Entlassung des wenig exponierten Lehrers stand offenbar ebensowenig zur Debatte wie ernsthafte Sanktionen. Die Versetzung innerhalb Frankfurts konnte als Strafe oder Belohnung gedeutet werden. 1944 zog Hufnagel mit seiner Schule nach Westerburg, um den Folgen des Bombenkrieges zu entgehen, starb aber noch im selben Jahr. Hufnagel war gewiss kein Politiker der ersten Reihe. Der vorliegenden Biografie gelingt es aber, anhand der detaillierten Betrachtung einer - zugegebenermaßen spröden - Person ein liberales Milieu der 'Provinz', das entscheidend von Lehrern geprägt wurde, neu und in vielfacher Hinsicht erstmals zu beleuchten. Dies geschieht auf der Grundlage akribischer Recherchen, die durch den beinahe kompletten Verlust des Nachlasses Hufnagels erschwert wurden, sowie umfassender Kenntnisse der Landesgeschichte, die immer in den breiteren historischen Kontext eingebettet wird. Ein 776 Seiten umfassender Dokumentenanhang enthält publizierte Quellen zu Hufnagel, zur Geschichte der waldeckschen und Frankfurter DDP, zur Revolution von 1918 und zur allgemeinen Regionalgeschichte des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Während der Rezensent sich eine deutlich rigorosere Straffung des Manuskripts gewünscht hätte, das zu ausladenden, sich im Rahmen der Darstellung mehrfach wiederholenden Schilderungen neigt, so werden andere Nutzer des Buches die Tatsache begrüßen, dass der Autor auch mit der allgemeinen Historiografie der Epoche nicht vertraute Leserinnen und Leser an jeder Stelle in den allgemeinen Kontext seiner Betrachtungen einführt. Es handelt sich insgesamt um ein Produkt einer gründlichen, leidenschaftlichen Forschungsarbeit, welche die Geschichte des Weimarer Liberalismus um eine biografische und regionalgeschichtliche Dimension erweitert und damit die Frage nach den Gründen für sein Scheitern der Beantwortung ein Stück näher bringt. Redaktionelle Betreuung: Nils Freytag
Durch die Möglichkeit der schnellen und kostengünstigen Publikation haben in den letzten Jahren Online-Zeitschriften sowohl in den Altertumswissenschaften als auch in anderen geisteswissenschaftlichen Fächern eine immer größere Bedeutung erlangt. In der Mehrzahl der Fälle verstehen sich diese elektronischen Zeitschriften entweder als die Online-Versionen zu den auf konventionellem Weg parallel veröffentlichten Ausgaben oder ausschließlich als Rezensionsjournale. http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2006/2637/ http://www.fera-journal.eu/
Die vorliegende Arbeit entspringt der Tätigkeit des Verfassers im Rahmen des am Arbeitsbereich Alte Geschichte der Universität Hamburg beheimateten Projekts “Epigraphische Datenbank zum antiken Kleinasien”1. Zielsetzung dieses Projekts ist die Sammlung von bereits edierten griechischen und lateinischen Inschriften aus verschiedenen Regionen Kleinasiens (Ephesos, Lydien, Galatien). Seit 2002 werden die epigraphischen Zeugnisse der römischen Provinz Galatien aufgenommen und in einer Kombination der Texte mit dazugehörigen Kurzkommentaren (Lemmata) über das Greek Epigraphy Project des Packard Humanities Institute (PHI)2 publiziert. Das Kernstück der im Süden der Provinz Galatien gelegenen Großregion Phrygia Proseilemmene mit einer Vielzahl griechischer und lateinischer Inschriften bilden dabei die Stadtterritorien von Laodiceia Combusta und Iconium (Konya). Die Inschriften dieser beiden Städte mitsamt ihrem Territorium wurden im Bearbeitungszeitraum 2004 bis 2007 erfasst und für die Bereitstellung über die Datenbank des PHI vorbereitet. Die im Jahre 2002 in der Reihe Regional epigraphic catalogues of Asia Minor von Bradley McLean herausgegebene Edition der griechischen und lateinischen Inschriften des archäologischen Museums von Konya bildete dabei die Grundlage für die umfassende Sammlung der Inschriften aus dieser Stadt und ihrem Territorium. In diesem Corpus finden sich 241 vornehmlich griechische Inschriften, welche die epigraphische Sammlung des Museums von Konya ausmachen, sowie knappe bibliographische Angaben zu 191 weiteren Inschriften, die aus dem Stadt-Territorium stammen, aber aufgrund der Zielsetzung der Edition nicht aufgenommen wurden. Im Rahmen der Sammlung und Aufbereitung der Inschriften für die Datenbank wurden die Texte und Kommentare der einzelnen Inschriften zur inhaltlichen Arbeit, die Indices v.a. zur Kontrolle des bearbeiteten Materials herangezogen. Die Arbeiten mit dem Corpus sowie die nachträglichen Kontrollen fielen derart umfassend aus, dass letztlich alle Einträge in den Indices der Personen-, Orts- und Götternamen überprüft wurden. Dabei wurde festgestellt, dass einige Einträge fehlerhaft und Namen teilweise nicht im relevanten Index aufgenommen waren. Aus diesem Grund erschien es ratsam, diese drei o.g. Indices zu überarbeiten und in einer revidierten Fassung vorzulegen. ...
Das in der von KAI BRODERSEN, UWE A. OSTER, THOMAS SCHARFF und UTE SCHNEIDER herausgegebenen Reihe „Geschichte erzählt“ erschienene Werk erhebt bereits in der Einleitung (7-8) keinen geringen Anspruch: Einerseits will THOMAS GANSCHOW (fortan: G.) mit Blick auf verschiedene Aspekte kriegerischer Auseinandersetzungen in die Welt der Antike einführen. Zum anderen geht es ihm darum, „den Leser mit der Kriegspropaganda vergangener Zeiten vertraut [zu] machen und zum Nachdenken an[zu]regen, ob uns das Feindbild, das die Griechen und Römer von ihren Gegnern entwarfen, nicht irgendwie vertraut vorkommt“ (8). Dieses Ziel versucht G. in vier nur lose miteinander vernetzten thematischen Blöcken (10-48: „Feindbilder“; 50-106: „Vom mythischen Helden zur Berufsarmee“; 108-126: „Götter und Gesetze“; 128-153: „Der Preis des Krieges“) zu erreichen. Dabei richtet er sich, ganz offensichtlich auch den Zielvorstellungen der Gesamtreihe verpflichtet, an einen weiteren Kreis allgemein geschichtsinteressierter Leser. Da G. im Zuge seiner Darstellung jedoch naturgemäß auch aktuelle Fragestellungen der antiken Militär- und Kulturgeschichte sowie der bildwissenschaftlich orientierten Klassischen Archäologie berührt, soll sein ambitioniertes Projekt hier im Detail gewürdigt werden.
Wer sich mit der schillernden Gestalt des Kaiser Augustus auseinandersetzen möchte, dem mangelt es nicht an Literatur. Er könnte zu W. Ecks Büchlein “Augustus und seine Zeit” (München 1998) greifen oder sich umfangreicheren Werken zuwenden, etwa J. Bleickens “Augustus” (Berlin 1998), einer 800 Seiten starken Monographie, oder D. Kienasts “Augustus. Prinzeps und Monarch” (3. Aufl. Darmstadt 1999). Diesen Werken stellt Klaus Bringmann (hiernach B.) nun seine in der Reihe “Gestalten der Antike” erschienene Biographie an die Seite. Ziel der Reihe, so ihr Herausgeber Manfred Clauss im Vorwort, sei es “spannend, klar und informativ ein allgemein verständliches Bild der jeweiligen ‘Titelfigur’” zu zeichnen, ohne dem Leser Kontroversen der Forschung vorzuenthalten (S. 7). ...
Während römische Glasgefäße schon häufig Objekte ausführlicher archäologischer und in jüngster Zeit zunehmend auch archäometrischer Untersuchungen waren, ist römisches Fensterglas noch vergleichsweise wenig erforscht. Monographien, Sammelbände und Ausstellungskataloge zu antiken Hohlgläsern vermögen ganze Regalmeter zu füllen, zum Flachglas sind dagegen nur wenige allgemeine Abhandlungen erschienen, die sich auf kürzere Aufsätze oder Kolloquiumsbeiträge beschränken (Haevernick 1954, Havernick/Hahn-Weinheimer 1955, Baatz 1990). Darüber hinaus findet römisches Fensterglas fast nur Erwähnung im Zusammenhang mit einzelnen Fundkomplexen an denen es in mehr oder minder großer Zahl angetroffen wird. Durch eine jeweils auf die lokalen Fundumstände begrenzte Betrachtung sind jedoch keine neuen, verallgemeinernden Aussagen zu dieser Materialgattung zu gewinnen. Möglich wird ein solcher Erkenntnisgewinn erst durch die Einbeziehung eines größeren Kontextes, z.B. einer Vielzahl von Befunden innerhalb einer Region. ...
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich auf der Basis von spanischsprachigen Schriftquellen des 16. und 17. Jahrhunderts, die im Kontext der europäischen Kolonisierung des Andengebietes verfasst worden waren, mit der Frage der Beziehung zwischen dem inkaischen Machtzentrum Cuzco und den andinen Lokalgruppen mit ihren politischen Autoritäten. Thema des ersten Teils ist die Eroberung und Eingliederung der Lokalgruppen in den expandierenden Inkastaat. Hierbei wird versucht, das komplexe Zusammenwirken von militärischer Gewalt, Diplomatie und Staatsideologie aufzuschlüsseln. Anhand der Frage nach dem Beginn inkaischer Expansion wird zudem exemplarisch die Problematik einer wörtlichen Lesart der Chroniken aufgezeigt. Rückbezüge zu archäologischen Untersuchungen zeigen, welche Bedeutung der Archäologie als komplementärer Wissenschaft zur Ethnohistorie zukommt. Im zweiten Teil der Arbeit liegt der methodische Schwerpunkt vor allem in der Einarbeitung regionalspezifischer Dokumente, die eine Annäherung an die lokale Perspektive der curacas ermöglichen soll. Auf den Ebenen von Politik, Wirtschaft und Religion wird untersucht, wie sich die Situation der Lokalherrscher nach ihrer Unterwerfung unter die inkaische Obrigkeit gestaltete. Wie auf allen drei Ebenen gleichermaßen deutlich wird, waren die Handlungen nicht nur von einer Seite aus bestimmt, d.h. von Cuzco zu den Lokalherrschern. In diesem Falle hätten die curacas nur eine passive Rolle gegenüber einer eingreifenden Staatsmacht erfüllt. Stattdessen zeigt sich, dass es in politischer, wirtschaftlicher wie religiöser Hinsicht ‚Verhandlungen’ gab, in denen sich immer wieder Spielraum für die Interessen der curacas bot. Durch Demonstration ihrer Kooperationsbereitschaft mit Cuzco konnten sie aktiv an der Ausdehnung ihrer politischen Autorität und der Erweiterung ihrer Privilegien arbeiten. Insofern wird argumentiert, dass die curacas in der Arena der imperialen Politik der Inka auch selbst als ‚Akteure’ mitwirkten.
Der westdeutsche Arbeitsmarkt war zwischen den Jahren 1960 und 1990 einem Pendeln zwischen zwei Extremen ausgesetzt. Nach dem 2. Weltkrieg und dem sich anschließenden Wiederaufbau folgte durch die Früchte des so genannten Wirtschaftswunders eine Periode der Vollbeschäftigung, in der Arbeitskräfte zu einem so raren Gut geworden waren, dass Produktionsengpässe durch die Anwerbung von migrationswilligen Ausländern gelöst werden mussten. Zum Ende der 1960er Jahre und mit dem Einsetzen der Ölkrise 1973 zeichnete sich der Beginn der heute noch vorhandenen Massenarbeitslosigkeit ab. Gerade durch diesen letzte Punkt gewinnt die vorliegende Arbeit an Aktualität, da sich das wiedervereinigte Deutschland, legt man die Arbeitsmarktzahlen zugrunde, immer noch in einer Phase der Massenarbeitslosigkeit befindet. Der zeitlich aktuelle Bezug birgt aber gleichzeitig die Gefahr den Rahmen der historischen Betrachtung zu verlassen. Aus diesem Grund soll diese Arbeit aus einer gegenwärtigen Perspektive räumlich und zeitlich differenziert werden. Diese Arbeit beschränkt sich räumlich auf das Gebiet der alten Bundesrepublik Deutschland. Da in der Deutschen Demokratischen Republik von 1949 bis 1990 nach offiziellen Angaben keine Arbeitslosigkeit herrschte, bzw. der Arbeitsmarkt durch Planwirtschaft staatlich gesteuert war, fällt dieses Territorium für die in dieser Arbeit vorliegende Betrachtung heraus. Zeitlich bezieht sie sich auf die Phase der einsetzenden Vollbeschäftigung in den 1960er Jahren. Die 1950er Jahre werden dabei nur kurz als Ausgangspunkt beleuchtet, da diese Dekade mehr von der Restauration als von Strukturwandelprozessen geprägt ist. Die Betrachtung des westdeutschen Arbeitsmarktes endet mit der Erweiterung der alten Bundesrepublik durch die Wiedervereinigung 1990, die wiederum eine Zäsur darstellt: Einerseits liegt dieses Ereignis für eine historische Betrachtung zeitlich noch zu nahe und ist als Prozess nicht abgeschlossen. Andererseits ist der Arbeitsmarkt der neuen Bundesrepublik durch das Hinzukommen der ehemaligen planwirtschaftlich organisierten östlichen Bundesländer nicht unmittelbar mit den bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Daten vergleichbar. Strukturell spaltet sich die Arbeit in drei große Blöcke. Zunächst sollen Definitionen, Arbeitsfragen und Methoden zur Beleuchtung des Arbeitsmarktes in den Jahren zwischen 1960 und 1990 aufgestellt werden. Anschließend wird mittels dieser Voraussetzungen der Arbeitsmarkt analysiert. Dafür werden statistische Erhebungen sowie Literatur aus der Arbeitsmarktforschung vor allem der 1970er und 1980er Jahre verwendet. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich dabei auf die Abwägung zwischen Arbeitsmarktnachfrage sowie Angebot an Arbeitskräften mit Bezug auf Bildung, Entlohnung, Branchen und Sektoren. Gleichzeitig wird in diesem Kontext die Migration ausländischer Arbeitskräfte nach Deutschland analysiert. Im dritten Teil werden gezielt die verschiedenen Theorien der Arbeitslosigkeit dargestellt und die dazugehörigen Prozesse aufgezeigt. Aus der Betrachtung des Arbeitsmarktes und den Theorien zur Arbeitslosigkeit soll schließlich ein Modell entwickelt werden, das die verschiedenen Mechanismen des Arbeitsmarktes und der Arbeitslosigkeit für den analysierten Zeitraum darstellt. Der Fokus der Arbeit ist dabei ein sozialwissenschaftlich-historischer. Wirtschaftswissenschaftliche oder mathematische Erwägungen spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Wirtschaftsmathematische Formeln zur Darstellung der Bewegung auf dem Arbeitsmarkt werden folglich nicht konzipiert. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es vielmehr, die verschiedenen Strukturwandelprozesse und ihren Einfluss auf den Arbeitsmarkt in positiver, gegebenenfalls auch negativer Richtung darzustellen. Zusätzlich soll die Semantik verschiedener Begriffe aus dem Bereich des Arbeitsmarktes und deren Wandel in der Zeit berücksichtigt werden. ... Strukturell gliedert sich die Arbeit in insgesamt fünf Teile. Zunächst werden verschiedene methodische Vorüberlegungen angestellt. Da zu dem Thema Strukturwandel und Beschäftigung bereits Veröffentlichungen vorliegen, die im Kapitel 1.3 beleuchtet werden, muss eine Abgrenzung zu diesen vollzogen werden. Danach erfolgen Begriffsdefinitionen und relevante Arbeitsfragen, die zum Abschluss der Arbeit verifiziert oder falsifiziert werden. Im zweiten Kapitel erfolgt eine kurze Darstellung der Nachkriegssituation bis zum Jahr 1960; sie demonstriert die Ausgangslage für den betrachteten Zeitraum von 1960 bis 1990. Den ersten Block des Hauptteils bildet das drittel Kapitel, das sich den Veränderungen des Arbeitsmarktes von 1960 bis 1990 widmet. In ihm wird das Zusammenspiel zwischen der Nachfrage nach Arbeitskräften seitens der Arbeitgeber und dem Angebot seitens der Arbeitnehmer dargestellt. Grundlage dafür bildet die Auswertung von statistischem Material. In diesem Kontext werden demographische Daten mit Bezug auf die Arbeitnehmer und deren Bildung und Alter ausgewertet und mit den Vorstellungen der Arbeitgeber verglichen. Zusätzlich werden Themen wie Mismatch3 zwischen den angeführten Vorstellungen, regionalen Unterschieden in der alten Bundesrepublik und der in den 1960er Jahren einsetzenden Migration relevant. Weiterhin erfolgt eine Darstellung des Einfluss der im Verlauf der Arbeit noch zu analysierenden Strukturwandelprozesse auf den bundesdeutschen Arbeitsmarkt im Wandel der Zeiten. Als zweiter Block erfolgt die spezielle Betrachtung des Übergangs der beiden Extremzustände Vollbeschäftigung in den 1960er Jahren und Massenarbeitslosigkeit seit den 1970er Jahren. Dabei wird die Entwicklung der Arbeitsmarktstatistik in Zusammenhang mit verschiedenen Theorien von neoklassischen Ansätzen über die Ansätze von Keynes bis hin zur These vom Ende des Kapitalismus zur Arbeitslosigkeit dargestellt. Auch in diesem Zusammenhang erfolgt eine Analyse des Einflusses von Strukturwandelprozessen, die im Bereich der Arbeitsmarkttheorien von besonderer Bedeutung sind. Ein Umstand, der sich leicht daran erkennen lässt, dass in Form der strukturellen Arbeitslosigkeit eine eigene Theorie vorliegt. Zum Ende dieses Kapitels werden die gewonnenen Erkenntnisse in Form eines grafischen Modells aufbereitet. Abschließend wird die Beziehung zwischen Strukturwandel und Beschäftigungsverhältnissen in Form eines Fazits zusammengefasst. Ziel ist, einen sozialhistorischen Erklärungsansatz für die Arbeitslosigkeit zu finden und ihn mit anderen Theorien, wie dem neoklassischen oder keynesianischen Ansatz, zu vergleichen.
Aus den zehn Jahrhunderten antiker Münzgeschichte gibt es Millionen an Fundmünzen. Jedes Jahr kommen zahllose Neufunde hinzu. Wozu haben Griechen, Römer, Kelten und andere Völker Münzen geprägt, und wie haben sie diese gebraucht? Wer Einsichten in staatliches Handeln, gesellschaftliche Vorstellungen und Verhaltensweisen, ökonomisches Denken sowie Kultpraktiken gewinnen will, kommt am Studium von Münzen (Numismatik) und ihres Gebrauchs als Geld (Geldgeschichte) nicht vorbei. An der Universität Frankfurt forschen Numismatiker, Archäologen, Althistoriker und Mineralogen aus neun verschiedenen Ländern über Münze und Geld in der antiken Welt.
Das im Theiss-Verlag erschienene Buch „Grenzen des Imperiums. Leben am römischen Limes“ von Margot Klee behandelt die Regionen an den Rändern des römischen Reiches und nimmt die Bedeutung des Limes für diese Gebiete in Augenschein. Der geographische Bogen spannt sich dabei vom Hadrians- und Antoninuswall in Großbritannien über die römischen Provinzen Mittel- und Osteuropas bis nach Kleinasien, die Levante und Nordafrika. Dabei werden in jedem Kapitel nicht allein die jeweiligen archäologisch nachgewiesenen Limesanlagen, sondern auch Kastelle, Brücken und Straßen entlang der Grenze untersucht und in kurzen Abschnitten dargestellt, um so einen möglichst breitflächigen Gesamteindruck der Anlage vermitteln zu können. ...
Das Odeion des Perikles am Südabhang der Athener Akropolis – in direkter Nachbarschaft zum Dionysostheater – stellte mit seinem nahezu quadratischen Grundriss, dem pyramidalen Dach und den neun zu zehn Säulenreihen im Inneren eine architektonische Besonderheit innerhalb der Gattung der hypostylen Gebäude dar, worunter rechteckige bis quadratische Hallen zu verstehen sind, deren Dach von meist zahlreichen Säulen getragen wird1. Derlei Gebäude können geschlossen oder offen konzipiert sein. Die Athener Anlage gilt mit 68 x 62 m als größter überdachter Bau, der in der griechischen Antike fertig gestellt wurde und ist zudem das einzige in Resten überlieferte Odeion dieser Zeit (Abb. 1). Dieses Beispiel muss allerdings deutlich vom römischen odeum abgesetzt werden, denn es besitzt keinerlei Ähnlichkeit mit allen späteren Odeia, als welche spätestens ab dem 2. Jh. n. Chr. gemeinhin die überdachten Theater galten, die sich durch ansteigende Sitzreihen und eine meist halbrunde Orchestra mit Bühne auszeichneten6.Eine bauliche Übereinstimmung ist somit trotz des gleichen Terminus nicht gegeben. Über die Gestaltung des Odeion ist von Plutarch zu erfahren, dass es „im Inneren eine große Zahl von Sitzen und viele Säulen enthielt, während sich das Dach, von einer Spitze ausgehend, in ringsum gleichmäßiger Neigung herabsenkte.“ Die Umzeichnung einer Münze stellt das einzige Abbild der Anlage dar (Abb. 2). Sie ist jedoch wegen der verkürzten Darstellung für eine Rekonstruktion nur bedingt heranzuziehen. Auch ist das Münzbild aufgrund der Umzeichnung in seiner Authentizität einschränkt. So bleibt zudem offen, ob es sich bei dem die Spitze des Daches bekrönenden Aufsatz um ein Opaion, eine Öffnung zur Beleuchtung, handelt. Dass die optische Wirkung des Bauwerkes indes beträchtlich gewesen sein muss, spiegelt sich in den Worten des Pseudo-Dikaiarch, der in der Mitte des 4. Jhs. v. Chr. das Odeion als „das Schönste der Welt“ bezeichnet.
Im Folgenden sollen zwei zoomorph gestaltete Keramiken aus dem Umfeld der römischen Töpfereien von Mainz-Weisenau vorgestellt werden. Beide Stücke wurden bereits 1965 bzw. 1972 von privater Seite geborgen und stammen aufgrund der überlieferten Fundortangaben aus dem nördlichen Teil der römischen Siedlung.
Gegenstand der Arbeit sind römisch-pagane Ein- und Vorstellungen zu Tod, Jenseitigkeit und Vergänglichkeit im Medium der Grabinschrift. Die Grabinschrift wird als konventionelles, stereotypisiertes, zugleich aber valides und authentisches Vehikel für tod-jenseitige Einstellungen definiert. Umfaßt ist mit Rom, der italischen Halbinsel und der Gallia Narbonensis ein geschlossenes Gebiet. Es war zur Kaiserzeit, aus der der Großteil der analysierten, nicht chronologisch ausdifferenzierten Inschriften stammt, weitgehend romanisiert. Basis der Untersuchung sind die etwa 130.000 Inschriften der lateinischen epigraphischen Datenbank der Universitäten Frankfurt am Main und Eichstätt (EDCS) für den beschriebenen Bereich. Der fragmentarische Charakter der Grabinschrift als Element, das auf die epigraphische Dimension reduziert und vom materiellen und rituell-abstrakten Ursprungszusammenhang isoliert ist, wird diskutiert. Archäologische Quellen und andere nicht epigraphische Dimensionen des sepulkralen Ensembles und ihre Interaktion mit der Inschrift werden dargestellt. Die zum untersuchten Komplex aussagekräftigen paganen Grabtituli werden in 14 Kategorien thematisch ausdifferenziert nach Häufigkeiten erfaßt. Die quantitative Ausrichtung wird durch Beiziehung zahlreicher Einzelinschriften und kleiner thematischer Komplexe ergänzt. Quantitative und qualitative Dimension, Inschriftenmasse und individuelles Zeugnis bedingen, akzentuieren und korrigieren einander. Die Kategorien werden anhand der Forschungsliteratur diskutiert und interpretiert. Ergebnisse: 1. Intention aller grabepigraphisch gespiegelter Botschaften ist die Domestizierung des Todes und des Toten. 2. Wesentliche charakteristische römisch-pagane Strategien sind: Revitalisierung im Medium der ‚sprechenden Grabinschrift’; Fortexistenz in der dinglichen und abstrakten memoria (Grab und Gedächtnis); Fortexistenz in der scripta memoria als abstrahierende Weiterentwicklung des Grabmals als Stellvertreter des Toten; Fortexistenz im Kollektiv der Manes; Konstituierung des personifizierten Schicksals (Fatum) als deskriptiv-markierende, regelimaginierende Chiffre. 3. Mythologische Motive sowie nihilistische Statements sind in Gegensatz zu ihrem Echo in der Forschung extrem rar. 4. Die die Vergänglichkeit thematisierenden tituli bilden einen vergleichsweise großen und aussagekräftigen Komplex. 5. Das als mittelalterlich geltende Vanitasmotiv der ‚Begegnung der Lebenden und der Toten’ wird als genuin paganes Motiv identifiziert und beschrieben 6. Formal verkörpern die Grabinschriften ebenso wie die römischen Grabporträts stereotypisierte, rezipienten-, normen- und rollenorientierte Präsentationen des Toten von leichter Lesbarkeit, hohem Signalcharakter und Wiedererkennungswert („Typen“). 7. Allen Grabtituli inhärente Bestimmungen sind Markieren, Exponieren, Entschädigen – Markieren von Kult- und Gedächtnisort, Exponieren von Bildung, Prestige und Romanitas, Entschädigen und Befrieden des neidischen Toten. 8. Das Setzen der Grabinschrift ist Ausdruck von pietas und als ritueller Akt innerhalb religio und Orthopraxie eine jenseitige Handlung.
Rezension zu: J. Osgood, Caesar's Legacy. Civil War and the Emergence of the Roman Empire (2006)
(2006)
"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte" lautet eine geflügelte Redewendung im Deutschen. Ob dies auch für die ethnografische Illustration der vor-wissenschaftlichen Zeit gilt, wird im Folgenden zu klären sein. Die vorliegende Arbeit "Verflochtene Ansichten" hat es sich zur Aufgabe gemacht, Inhalt, Form und Bedeutung ethnografischer Bilddokumente über Amerika vor 1780 darzulegen sowie ihren Beitrag für die Wissenschaft "Ethnologie" und ihre Illustrationspraxis festzustellen. Wenn im Folgenden die Rolle und Funktion von Bilddokumenten untersucht wird, geschieht dies in Wechselbeziehung mit Schrift- und Objektquellen. Es geht um das Verhältnis von Bild, Text und Gegenstand als drei unterschiedlichen Quellen historisch-ethnografischer Erkenntnis, wobei für die vorliegende Studie zwei Fragen von zentraler Bedeutung sind: Was ist einem Bild zu entnehmen, das nicht bereits von Zeugnissen verbaler Art bekannt ist? Was vermag ein Bild zu vermitteln, das nicht schon in Form von Realien bzw. Ethnografica überliefert ist? Zwei Fragen, die schlicht und banal klingen, doch deren Beantwortung für das hier zu untersuchende Bildmaterial nicht unproblematisch ist.
Das vorliegende Dissertationsthema ist aus einem ehemaligen Hauptreferat über das deutsche Städtewesen im Investiturstreit hervorgegangen, das ich 1961/62 bei Prof. W. Lammers in Hamburg anfertigte und das ich bei ihm in Frankfurt a. M. ab 1965 als Dissertationsthema für Worms bearbeitete, nun mit Berücksichtigung des Münz-, Handels- und Verkehrswesens sowie des Judentums, dann 1971 fertigstellte und abgab, sowie 1972 die zugehörige Prüfung bestand.
Die vorgeschriebene Drucklegung verzögerte sich allerdings erheblich, da mir seit 1974 die dienstlichen Forschungsarbeiten an der Universität Kiel (SFB 17 A 7 und A 3) keine Zeit ließen für die nötige Umarbeitung meines Themas, die ich erst nach dem Ende des SFB (1983/85) erhielt. Demgemäß arbeitete ich seitdem auf Gutachterwunsch an einer stark gekürzten Neufassung meines Wormser Themas und an einer erweiterten Neufassung für die Städte Worms, Mainz, Speyer und Köln unter Einbeziehung der Siegel- und Münzkunde sowie der Archäologie. Dadurch wurde aber der Arbeits- und Zeitaufwand ganz beträchtlich vergrößert und die Fertigstellung verzögert, zumal archäologisch-historische Auftragsarbeiten (zuletzt für das Archäologische Landesamt Schleswig 1997–2002) sie mehrfach länger unterbrachen, so daß ich beide erst nach dem Eintritt in den Ruhestand (Frühjahr 2003) vollenden konnte. Beide Textfassungen sind also vom Sommer 2003 bis zum Sommer 2005 aufgrund der genannten Vorarbeiten hergestellt worden. ...
Die Behandlung Kriegsgefangener war immer auch konstitutiv für das rituelle Selbstverständnis der Gemeinschaft, für das Ansehen als Krieger und für die Wahrung des kosmologischen Gleichgewichts zwischen antagonierenden Gruppen. Dem lag ein ganzer Komplex von Kategorisierungen und Praktiken zugrunde, der mit Abwandlungen bei den Pflanzervölkern des östlichen Waldlandes verbreitet war und somit auch agrarische Fruchtbarkeits- und Wachstumskonzepte durch das Prinzip des Menschenopfers widerspiegelte. Obwohl beide Geschlechter zur rituellen Tötung bestimmt werden konnten, waren es fast stets die Männer, die sich im Einvernehmen mit der gegnerischen Gemeinschaft den Folterritualen unterzogen, um die Feinde zur Freisetzung ihrer spirituellen Lebenskraft herauszufordern. Wie ein Stich von Le Page du Pratz auf eindringliche Weise wiedergibt, geschah das Zu-Tode-Foltern häufig in Verbindung mit Feuer, indem der Gefangene auf ein Rahmengerüst gespannt und mit brennenden Pfeilen beschossen wurde. Diese symbolträchtige Aufstellung dürfte im Süden häufiger vorgekommen sein als bei den Irokesenvölkern, wo die Feuertötung von der Dorfgemeinschaft eher als eine Hatz auf den Gefangenen veranstaltet wurde. Das Rahmengerüst symbolisiert die vier Kardinalspunkte der Welt, das Feuer die Sonne bzw. die heliomorphe höchste Gottheit, eine Ikonografie, die nicht nur im Tempelfeuer zum Ausdruck kommt, sondern auch in der poske-tau (Busk)-Zeremonie der Creek. Nach Bartrams Beobachtung gehörte zu den Vorbereitungen des ersten der acht Festtage, dass Krieger auf der zuvor gefegten und mit weißem Sand bestreuten Plaza vier Baumstämme kreuzweise übereinander legten, worauf der Feuermacher, ein Mann mit tempelpriesterlichen Funktionen, die Balken anzündete . Die Sonnen-Ikonografie mit ihren im rituellen Kontext aktivierten Querverbindungen zu Krieg, Opfer und Fruchtbarkeit war ebenso Teil des Südlichen Zeremonialkomplexes wie die theokratische Macht und Verehrungswürdigkeit der Fürsten. Diese wiederum, als Götterabkömmlinge und oberste Priester ihres Volkes, kontrollierten ein größtenteils nur ihnen zugängliches Wissen über die stilistischen Symbolismen, ausgedrückt in Figurendarstellungen und Töpferei-Verzierungen . Mit dem Besitz dieser religiösen Kenntnisse manifestierten die Häuptlinge einmal mehr ihre Beziehung zu den himmlischen Mächten und konnten in Rückkopplung ihrer Hegemonialstellung Tribute in Form von Nahrungsmitteln sowie kommunale Arbeitsleistungen einfordern. Ihre Stellung im Mittelpunkt des Kosmos wurde beispielsweise in Gefäßmotiven wie den variationsreichen Kreuz-in-Kreis-Symbolen der Ramey Incised-Töpferei Cahokias wiedergegeben, die das Weltzentrum inmitten der vier Kardinalspunkte darstellen. Auch das in einer Handfläche liegende Auge, ein Symbol der Sonne, gehört in diesen Darstellungskanon, ebenso jenes Motiv, das von älteren Autoren wie Martin, Quimby und Collier oft als „tränendes Auge“ missgedeutet wurde und das in Wirklichkeit das Auge eines Falken oder anderen Greifvogels mit dem typischen dunklen Federstreif am Innenwinkel darstellt. Andere Assoziationen mit der Heil bringenden, Ordnung und Fruchtbarkeit gewährenden Oberwelt waren Schlangen und Regenbogen; ihnen standen als Vertreter der Unterwelt, des Krieges und der Unordnung die Raubtiere, zum Beispiel Katzenartige, und die ulunsu´ti-Schlange gegenüber . Durch die Permutation all dieser Themen und Motive, von den bildlichen Darstellungen über den rituellen Vollzug bis hin zur Lebensweise des Einzelnen unter den Weisungen der Gesellschaft, dementieren die Menschen das Chaos und sorgen dafür, dass die Ordnung der Welt erhalten bleibt...
Anfänglich wurde darauf hingewiesen, dass das Ziel, das sich die Ethnologie als Zweig der Anthropologie gesetzt hat, war, die Klischees und Stereotypen über den Menschen der europäischen Peripherie wissenschaftlich zu überwinden. Wie Frobenius diese Klischees und Stereotypen überwunden hat, ist in seiner Erarbeitung der Kategorien zur Analyse und zur Rekonstruktion der afrikanischen Kultur und in der politischen Implikation seiner Kulturtheorie zu sehen, welche die Afrikaner und die Deutschen zu Mitgliedern derselben geistigen Familie machte. Um dies zeigen zu können, sind mithilfe der diskursanalytischen Methode die unterschiedlichen Zentren der Produktion von Diskursen untersucht worden. Daraus ist hervorgegangen, dass Frobenius´ Kunst- und Literaturdiskurs sowie seine Kulturtheorie von den institutionellen Diskursen aus den wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, akademischen und politischen Institutionen und von den philosophischen und geisteswissenschaftlichen Diskursen des deutschen Idealismus beeinflusst sind. Die „Geburt“ der Ethnologie, die mit seiner eigenen Geburt kongruierte, konnte nicht anders geschehen. Als neue Disziplin brauchte die Ethnologie das Wissen anderer Disziplinen und Gedankenströmungen, die Unterstützung von akademischen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen, um sich als Wissenschaft zu definieren und die Beschäftigung mit außereuropäischen fremdkulturellen Realitäten zu legitimieren...
Die "Relatio de legatione Constantinopolitana" des Liudprand von Cremona und seine Gesandtschaft des Jahres 968 nach Konstantinopel zum Kaiser Nikephoros II. Phokas ist von byzantinistischer Seite bereits mehrfachi untersucht worden. Daß Liudprand und seine Schriften hauptsächlich Gegenstand der mediävistischen Forschung geblieben sind, ist nur natürlich. Und daß dabei die im engeren Sinne byzantinistischen Belange zweitrangig sind, ist ebenfalls normal. Gelegentlich jedoch können - so scheint mir - Informationen, die Liudprand über Byzanz mitteilt, auch in einem westlichen Kontext gesehen werden. Der Bischof von Cremona schrieb ja schließlich nicht für die Byzantiner; sondern sah als sein vorrangiges Publikum Otto I. und dessen Hof an. Ich werde deshalb an dieser Stelle versuchen, zunächst die Hintergründe für Liudprand von Cremonas Kapitel 39-41 der "Relatio" auf der Basis des eben angesprochenen byzantinischen Hintergrunds auszuleuchten und werde in einem zweiten Teil, der allerdings aufs engste mit dem Background für diese Kapitel der "Relatio" des Liudprand zusammenhängt, auf zwei Schriften eines bedeutenden byzantinischen Gelehrten des 10. Jhs. - Niketas Paphlagon - aufmerksam machen, die nicht nur einen sehr interessanten Hinweis auf Kontakte dieses byzantinischen Theologen mit westlichen Bischöfen enthalten, sondern durch ihren Inhalt endzeitliche Erwartungen in Byzanz wie im lateinisclien Westen belegen. Sie sind bisher völlig unbeachtet geblieben. Ich beabsichtige allerdings nicht, in die alte Debatte der Mediävistik um den "terreur de l'an mille" einzugreifen. Mir geht es allein darum, zu zeigen, daß auch in Byzanz ein Wissen um die Gefahren der Zeit um das Jahr 1000 a.D. existierte, auch wenn dieses sich teilweise aus ganz anderen Quellen als analoge Phänomene im Westen speiste. ...
In den Jahren 1992-1999, 2001 und 2002 wurden vom Landesmuseum Kärnten am Zollfeld (KG Maria Saal, pol. Bez. Klagenfurt Land) archäologische Untersuchungen im westlichen Stadtrandbereich des Municipium Claudium Virunum durchgeführt. Dabei wurde der Ostteil zweier Insulae erfasst, die durch den Ost-West verlaufenden Cardo Maximus voneinander getrennt werden. Im Zuge der Ausgrabungen konnte auch eine große Zahl an Wandmalereifragmenten geborgen werden. Der überwiegende Teil kam zwar nur noch in Form von klein- bis kleinstteiligen Fragmenten zu Tage, die Menge der Fundstücke und die Tatsache, dass es sich bei diesen um die ersten stratifizierbaren Wandmalereien der Provinzhauptstadt Noricums handelt, machte eine ausführliche Bearbeitung des Materials notwendig. Im Zuge der Bearbeitung konnten auch zwei Rekonstruktionsversuche erarbeitet werden, die hier im Anschluss vorgestellt werden sollen
Hazar Lake sunken city
(2006)
Die vorliegende Arbeit konnte nur einen ersten Überblick und keine erschöpfenden Antworten zum Thema Stadtsanierung in Frankfurt 1933 - 1945 geben. Aufgrund fehlender Forschungsarbeiten mußte der Abschnitt bis 1933 eine eigene Studie in der Studie werden, um die Kontinuitäten und Brüche in der Sanierungsarbeit der Stadtverwaltung aufzuzeigen. Eine Kontinuität bilden Maßnahmen im Rahmen der Denkmalpflege, die unabhängig von anderen Planungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durchgeführt wurden. Die Instandhaltung und Restaurierung wertvoller historischer Bausubstanz verlief immer in einer gewissen Parallelität zu anderen Sanierungsvorhaben. Manchmal war sie Teil oder Streitpunkt dieser Vorhaben, ihre grundsätzliche Berechtigung wurde aber nie in Frage gestellt, auch wenn ihr Stellenwert unterschiedlich beurteilt wurde. Im Wilhelminischen Frankfurt wurde sie unabhängig von anderen Sanierungsmaßnahmen auf klassische Kulturdenkmäler wie Kirchen u.ä. angewandt und erst nach und nach entwickelte sich auch das Bewußtsein in der Altstadt ein schützenswertes Bauensemble zu sehen. Daneben wurden unter primär verkehrsbedingten Gesichtspunkten die Straßendurchbrüche geschlagen. Wohnungsreformerische Schritte blieben vornehmlich der privaten Initiative überlassen und berührten die Altstadt nicht entscheidend. In der Weimarer Republik wurden unter der Federfuhrung Ernst Mays die Zielsetzungen verschoben. Sein Sanierungsprogramm war „eines der ersten Beispiele utilitaristischer Denkmalpflege- und Erhaltungspolitik im Zusammenhang mit Stadterneuerung". Nach und nach sollten die alten Häuser abgerissen und nur kunsthistorisch wertvolle Bausubstanz erhalten werden. Die Bewohner der Altstadt sollten in die neuen Stadtrandsiedlungen ziehen und damit zu einer Dezentralisation und Auflockerung der Innenstadt beitragen. Sachzwänge und politische Widerstände ließen das ambitionierte Projekt zum Großteil unausgeführt. Die Notwendigkeit schneller Erfolge ließ die kommunalpolitisch eher schlecht vorbereiteten Nationalsozialisten auf die Altstadtsanierungspläne zurückgreifen. Der schleppende Verlauf der Finanzieningsbewilligung und des Planungsverfahrens machten die Ziele Arbeitsbeschaffung und Ankurbelung der Wirtschaft obsolet. In Anknüpfung an die Ideen der Jahrhundertwende begannen bald verkehrspolitische Überlegungen, die Planungen zu durchdringen und entscheidend zu prägen. Eine gute Verkehrsinfrastruktur sollte, zusammen mit einer Umsiedelung eines Teils der Bewohner, die wirtschaftliche Kraft und Bedeutung der Altstadt anheben. Wirtschaftsfragen spielten auch insofern eine Rolle, als die Altstadt, einem Freilichtmuseum gleich, zur Fremdenverkehrswerbung benutzt werden sollte. Auch immer wiederkehrend war das Motiv der Beseitigung vermeintlicher Widerstandsnester durch Sanierungen, denn angeblich wohnten dort ja, wie es in den Akten hieß, die „Sendlinge Moskaus". In der Tat konnten die linken Parteien dort einige Wahlerfolge verbuchen, wie in anderen Stadtvierteln aber auch, genauso wie später die NSDAP. Aber zusammen mit reißerischen Zeitungsberichten über Kriminalität und Verelendung, ließen sich über die Altstadt sehr wohl kleinbürgerliche Bedrohungsvorstellungen und Feindbilder mobilisieren. Trotzdem, und trotz der Interpretation, daß dann mit Hilfe der Sanierung die Nationalsozialisten ihre Tatkraft unter Beweis stellen wollten, indem sie symbolträchtig aus "Schmutz und Verfall' eine "Handwerkeridylle" schaffen wollten, ist anzunehmen, daß dieser Punkt auch nebensächlich war und reinen Hilfsargumentcharakter hatte - jedenfalls spiegelt es sich so in den Akten über interne Besprechungen und Planungen wieder. Ähnlich verhält es sich mit der Verbesserung der Wohnsituation. Es wurden in der Altstadt mehr Wohnungen abgerissen als Ersatzwohnraum geschaffen, und die Zahl der eigentlichen Wohnraumsanierungen war verschwindend gering. Dies spiegelte sich auch in einer Denkschrift des Bauamtsleiters wieder, der eine Wohnraumknappheit oder gar -not in Frankfurt völlig bestritt. Schlechte Wohnverhältnisse wurden beliebig als Argumentationshilfe herbeizitiert, ohne ein echtes Anliegen zu verkörpern. Der Kriegsausbruch und die Zerstörung der Altstadt beendeten all diese Pläne abrupt. Besonders schmerzhaft vermißt man allerdings eine gründliche Auswertung der Bestände im Bundesarchiv zu diesem Thema, schließlich wäre es mehr als interessant Genaueres über die Motivationen der Reichsregierung für das zwar nicht sehr kostenintensive, aber doch quantitativ eher umfangreiche Programm zu erfahren. Die bisherigen bruchstückhaften Veröffentlichungen deuten jedenfalls auch auf eine sehr kontroverse Sichtweise der Beteiligten bezüglich der Zielsetzungen der Altstadtsanierungen hin. Ebenso fehlt für einen repräsentativen Vergleich mit anderen zeitgenössischen Sanierungsvorhaben eine ausreichende Anzahl von Fallstudien. Von 80 Städten die Gelder beantragten und rund 60, denen diese auch bewilligt wurden oder die auf eigene Kosten sanierten, sind nicht einmal zehn erforscht. In einer weiterführenden Untersuchung könnte es sich auch als nützlich erweisen, die Ergebnisse in den Rahmen der Debatte zum Thema "Nationalsozialismus und Modernisierung" zu stellen - denn spiegelt sich hier nicht sehr sinnfällig das wider, was der Historiker Jeffrey Herf als „reactionary modernisrm" bezeichnete: Ein fortschrittsorientiertes Verkehrskonzept, das seine bauliche Ausgestaltung in einer romantisierend-altertümelnden Form erfuhr.
Entmachtete Gegenstände? : Zur Kommerzialisierung sakraler Masken bei den Piaroa in Venezuela
(2004)
The Way of the Beer analyses how Mafa re-enact their history in the ritual transfer of sorghum beer from junior to senior members of their society. Beer is the ‘Eucharist’ of Mafa religion, standing for the linkage between God, the ancestors, the fertility of the living and the agricultural land. The ritual sequences in which beer is exchanged and offered at family and community shrines are an encoding of settlement history. The CD-ROM version of the "Way of the Beer" not only contains everything found in the printed version of this work, but also a digital map (figure 8) whichis too large to be printed. The key to the digital map (figure 9) is electronically linked to the map. Please note that figure 9 is displayed when the option "key", found under each ward name (in the bookmark section of figure 8), is activated. If this is done for the first time, figure 8 needs to be brought up again in order to be tiled next to figure 9. However, the best option for exploring the map is to print out the key. Please refer to "The Way of the Beer"(pages 142-144) for further information on how the large digital map needs to be read. The text, maps and images can be viewed in Word (please install the linguistic fonts before using the Word version) or Acrobat Reader (version 4.0 has beencopied on to the CD-ROM). The CD-ROM also contains version 1.03 of the Northern Mandaras Homepage which must be viewed with Microsoft Explorer. The CD-ROM is organised in five main folders which are labelled "Text", "Figures", "Tables", "Plates" and "Homepage". Each folder contains a Word 97 as well as an Adobe Acrobat version of "The Way of the Beer". It is only the large digital map which does not exist as a Word but only as an Adobe Acrobat version. The page numbering apart from figure 8) continues through the sections, beginning with the text and ending with the plates.
Die Dorfschulen in Nassau-Usingen 1659 - 1806 : Schulregiment und Schulwirklichkeit auf dem Land
(1999)
Die Suche nach einer umfassenden und vergleichenden Darstellung der Geschichte des niederen Schulwesens in Deutschland bleibt wenig erfolgreich. Das gilt insbesondere für die Geschichte des Schulwesens auf dem Land. Der Schwerpunkt der durchaus produktiven Forschung zur deutschen Bildungsgeschichte liegt auf universitärer, zunehmend auch auf gymnasialer Ebene, während das darunterliegende Schulwesen weniger Berücksichtigung findet. Ferner konzentriert sich die deutsche historische wie pädagogische Forschung mehr auf die Institutionen- oder aber Erziehungs-, Wissenschafts- und Ideengeschichte als auf sozialgeschichtlich-statistische Untersuchungen und die Geschichte der Schulwirklichkeit. Unter zahlreichen gleichlautenden Aussagen sei hier nur auf Lundgreen (1971) verwiesen, der den großen "Mangel an empirischen Untersuchungen des Bildungswesens" beklagt und auf Neugebauers Feststellung (1985), daß "die Erhellung der Schulwirklichkeit im 18. Jahrhundert noch immer ein Desiderat der Geschichtswissenschaft" sei. Die territoriale Zersplitterung Deutschlands in 1.774 Herrschaftseinheiten vor 1803 erschwert eine Zusammenschau der Situation des deutschen Schulwesens auf dem Land. Bisher wurden vorwiegend die großen oder bedeutenden deutschen Territorien erforscht. Dabei liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf Preußen und auf der Geschichte der Volksschule seit den allgemein einsetzenden Schulreformen ab Mitte des 18. Jahrhunderts und insbesondere auf dem 19. Jahrhundert. In den letzten Jahren kamen wenige Einzeluntersuchungen zu Bayern und kleineren deutschen Territorien hinzu. Ein weiterer Grund für die vor allem in den vergangenen Jahrzehnten geringe Beachtung des deutschen Schulwesens auf dem Land könnte in den vielfältigen Untersuchungen zu diesem Thema im 19. und frühen 20. Jahrhundert liegen. Diese Darstellungen neigen jedoch häufig dazu, die Wirklichkeit idealistisch zu verkürzen. ...
Die nach dem Verfall des Moskauer Imperiums innerhalb der nordatlantischen Allianz entstandene Diskussion über eine eigenständigere europäische Sicherheitspolitik ist nicht neu. Ist diese Diskussion heute jedoch eingebunden in eine generelle Debatte über die künftigen sicherheitspolitischen Strukturen und einer stärkeren organisatorischen Verflechtung beispielsweise von Vereinten Nationen, Europäischer Union, OSZE und NATO, so stand in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren vor allem die Frage einer verstärkten politischen Konsultation und Kooperation innerhalb des Bündnisses und damit verbunden die Teilhabe der (kontinental-)europäischen Mitglieder der Atlantischen Allianz am nuklearen Entscheidungsprozeß auf der Tagesordnung. Dahinter stand die zwiespältige europäische Besorgnis, die USA könnten sich entweder mit Moskau einigen und ihre Streitkräfte in Europa reduzieren oder ganz abziehen, oder aber sie würden bleiben und die europäischen Staaten dominieren. Für beide Fälle wollten die Europäer, unter ihnen in vorderster Linie Bundeskanzler Konrad Adenauer und - als Sonderfall - Charles de Gaulle, Vorsorge treffen, wobei die nukleare Partizipation als Königsweg zu Macht und Einfluß in der Allianz galt. Die amerikanische Regierung hingegen war stets an einer stärkeren Teilung der Verteidigungslasten interessiert, ohne aber ihren Einfluß aufgeben oder von den Verbündeten zu abhängig werden zu wollen. Zur Vertrauensbildung und engeren Anbindung war Washington hierbei auch zu Zugeständnissen in der Teilhabe an der nuklearen Verfügungsgewalt bereit, womit jedoch möglichst neue nationale Nuklearstreitmächte vermieden werden sollten. ...
In November 2005, a survey was begun of the wells in and around Hagia Sophia Church in Istanbul. The long-term goal of the survey is the understanding of the function of the tunnels and the water systems used for Hagia Sophia and its surroundings during the Byzantine and the Ottoman periods. Alternate research methods, such as geophysical research, will be used in future surveys. The 2005 survey examined the channels that run from under the narthex and continue northwards and the southwards of the building as well as channels that run towards the atrium, hippodrome, and garden in the north. The survey resulted in the first photos of the well-bottoms in the history of Hagia Sophia.