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Georg Büchners Übertragungen hatten keine dokumentierten Wirkungen, was vor allem daran lag, dass Hugos Theaterstücke nach 1835 in Deutschland zunehmend auf Ablehnung stießen. Vorher waren sie in etlichen Einzelübersetzungen erschienen, nachher interessierte sich kaum noch jemand dafür. Büchners Übersetzungen kamen also zu spät. Immerhin sind sie seit der Ausgabe von Fritz Bergemann (1922) wiederholt in Büchner-Gesamtausgaben abgedruckt worden, nämlich in der von Werner R. Lehmann (Bd. 1, 1967), als Faksimile in der von Thomas Michael Mayer (Bd. 5, 1987), sodann in der von Henri Poschmann (Bd. 1, 1992) und zuletzt in Band 4 der historisch-kritischen "Marburger Ausgabe", der im Frühjahr 2007 erschien. [...] Der Kommentar der "Marburger Ausgabe" kontextualisiert Büchners Übersetzung konsequent, und zwar sowohl mit den konkurrierenden Übersetzungen seiner Zeit, als auch mit den seinerzeitigen Möglichkeiten des literarischen Ausdrucks. Beides kann Rückwirkungen auf die Textkonstitution haben.
Adolf Ellissen (1815-1872) hat Montesquieus "Esprit des Lois", der 1748 in Genf erschienen war, in den Jahren 1843-1844 ins Deutsche übertragen, als sich in seiner Heimat Hannover die 'schwärzeste Reaktion' erhoben hatte. Konnte er damit das Denken der Aufklärung in die demokratischen Bemühungen des 19. Jahrhunderts übertragen? Gibt es Ideen aus dem achtzehnten Jahrhundert, die immer wieder und auch lange noch nach dem ehrenvollen Scheitern des Frankfurter Projekts Kontroversen in der politischen Welt auslösten, weil sie von seinerzeit Gedachtem und Geschriebenem auf Unerwartetes und Ungedachtes führten?
Der deutsche Theateragent und eifrige Übersetzer Heinrich Börnstein verteidigt in seinen Memoiren seine eigene intensive Übersetzungstätigkeit, in dem er darauf hinweist, dass das Übersetzen fremder Literatur immer schon ein wichtiges Merkmal der deutschen Literatur gewesen war. [...] Einer seiner fleißigsten Übersetzerkollegen war der Österreicher Ignaz Franz Castelli. Nur durch die Tätigkeit dieser Übersetzer und Bearbeiter konnte die französische Literatur, insbesondere die französischen Theaterstücke, derart intensiv im deutschsprachigen Raum rezipiert werden. [...] Die Texte wurden in der Regel den österreichischen Gegebenheiten angepasst um einen möglichst großen Erfolg verbuchen zu können, da das Publikum die oberste Instanz im Theaterleben des 19. Jahrhunderts war. [...] Die französischen Stücke mussten verändert, an die österreichischen Verhältnisse adaptiert und aktualisiert werden. Ruprecht spricht in diesem Zusammenhang sehr treffend von einer "'Verpflanzung' dieser Stücke auf ein deutsches Wirkungsfeld". Durch diese mitunter massiven Eingriffe in den originalen Text der Vorlage werden die Übergänge zwischen Eigenem und Fremden fließend und das Original wird verwendet, um über eigene schriftstellerische Fehlleistungen hinwegzutäuschen. Castelli war sich der Problematik seiner Rolle als Übersetzer nur begrenzt bewusst und hatte vor allem auf dramatischem Gebiet nicht viel wirklich Eigenständiges geschaffen. Überraschenderweise versucht er diesen Missstand nicht zu verdecken, da er selbst in seinen Memoiren ein Verzeichnis über seine Bearbeitungen und Übersetzungen anbietet. Man mag in all seinen Werken eine gewisse Mittelmäßigkeit feststellen, man mag ihm seine politische Orientierungslosigkeit und das Fehlen jeglicher sozialer Ideen vorwerfen. Die minimale Produktion an eigenen Werken wird aufgewogen durch seine rege Tätigkeit als Übersetzer und Bearbeiter. Obwohl Castelli in der heutigen Zeit eher in Vergessenheit geraten ist, darf man doch seine Leistung als Übersetzer und dadurch als Vermittler französischer Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht vergessen. Auch wenn das Übersetzergeschäft zu Castellis Zeit keine elitäre, gesellschaftlich hochangesehene Tätigkeit war und prinzipiell auf massenhafte Verbreitung und Befriedigung kommerzieller Bedürfnisse ausgerichtet war, so wurden durch die Tätigkeit des Übersetzens und Bearbeitens auch wichtige Ideen der nachbarschaftlichen Länder nach Österreich transportiert, wenngleich auch in veränderter, oft zensurgeschichtlich bedingt abgeschwächter Form.
Der literarische Horizont des Vormärz ist gezeichnet von den Spannungen zwischen Nationalismus und Universalismus (oder Patriotismus und Kosmopolitismus), die sich vielfach auf das Verhältnis zur Sprache, der eigenen wie die der anderen, ausgewirkt haben. Auch Börnes schriftstellerische Biographie spiegelt den Reflex dieser Spannungen und bestimmt nicht zuletzt sein Verhältnis zum Geschäft des Übersetzens. Es geht also um einen besonderen Aspekt des Kulturtransfers, genauer gesagt um eine funktionelle Methode kultureller Interaktion. Gerade in diesem Bereich ist Börne in verschiedener Weise hervorgetreten: als Sprach-, Literatur- und Übersetzungskritiker ebenso wie als eigentlicher Übersetzer. Man wird ausgehen müssen vom Problem der Sprache überhaupt, Sprache im kulturellen wie im nationalen Kontext. Börnes kritischer Massstab erweist sich als flexibel je nach Textsorte und Zielpublikum. Da die Schwerpunkte seiner schriftstellerischen Vita wesentlich von den Wechselfällen der politischen Geschichte im engen regionalen wie im weltgeschichtlichen Umfeld abhängig waren, wird auch im Folgenden der Schwerpunktwechsel zu berücksichtigen sein.
Die starke Expansion des deutschen Buchhandels ab etwa 1820 stellte an das Übersetzungswesen neue Anforderungen: Übersetzungen fiel nun die Aufgabe zu, den Buchmarkt mit Belletristik, vor allem mit Romanen sowie Beiträgen für Taschenbücher und Zeitschriften zu versorgen. Einige wichtige Faktoren dieser Entwicklung können hier nur stichwortartig aufgezählt werden: neue Leserschichten vergrößerten das Publikum, das nun eine anonyme lesende Öffentlichkeit bildete; die evasorische und kompensatorische Funktion der Lektüre trat in zunehmendem Maße neben das ältere Lesemotiv der Bildung; die Leihbibliotheken boten sich als größtenteils billige Bezugsquelle für Romanliteratur an und erlebten in der Restauration ihre Blütezeit; der Buchhandel trug seinen Teil zu dieser Entwicklung bei, indem er - unter Ausnützung der technischen Innovationen, die es ermöglichten, in kurzer Zeit große Auflagen herzustellen - billige Romanreihen produzierte, von denen einige ausschließlich der Übersetzungsliteratur vorbehalten waren. Ein zweiter literarischer Sektor, der für starke Nachfrage nach Übersetzungen sorgte, war das Theater.
Rezension zu Sebastian Böhmer: Fingierte Authentizität. Literarische Welt- und Selbstdarstellung im Werk des Fürsten Pückler-Muskau am Beispiel seines "Südöstlichen Bildersaals". Hildesheim: Olms, 2007 ; Ulf Jacob: "Ich möchte manchmal ganz sehnlich, ich wäre todt." Andeutungen über das Melancholische in Hermann Fürst von Pückler-Muskaus Persönlichkeit und künstlerischem Werk. In: Edition Branitz, 1999. Bd. 4, S. 110-128 ; Ulf Jacob: Pückler-Diskurs im Werden. Neue Veröffentlichungen über Hermann Fürst von Pückler-Muskau. In: kunsttexte.de 4/2007-1.
Albert Dulk (1819-1884) war ein rebellischer Student der Chemie aus Königsberg, der während seines Studiums in seiner Heimatstadt und in Breslau, Berlin und Leipzig in den 1840er Jahren an den politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit engagiert teilnahm und sich 1849 vor einem "Scherbenhaufen enttäuschter Hoffnungen" sah. Dulk verließ am 30. Mai 1849 Königsberg, um sich nach längeren Fußreisen durch Österreich und Italien am Ende des Jahres nach Ägypten einzuschiffen. [...] Sein eigener Selbstfindungs-Prozess, um den es Dulk auf seiner Ägyptenreise gegangen war, hat zum einen in der Verankerung seiner Religionskritik im Denken der Aufklärung seinen Niederschlag gefunden, ihn aber zum anderen direkt auf das weite Feld des Darwinismus und der Anwendung der darwinistischen Theorien auf die menschliche Gesellschaft geführt. [...] Hier verbindet sich Dulks vor- und nachmärzliches Denken, aber er verfehlt zugleich eine gedankliche Eindeutigkeit, die die Klärung und den Durchbruch seiner Ideen hätte fördern können. In seinem Konzept von der "Kindheit der Menschheit" nimmt er dabei - vor dem Hintergrund seiner politischen Ideen für unsere heutige Wahrnehmung erstaunlich unbefangen, aber sonst zeittypisch - eine Überlegenheit der Europäer über die zeitgenössischen Ägypter als gegeben an und kommt zugleich in Bezug auf die altägyptische Kunst zu ganz eigenständigen und originellen Ansätzen, die so erst wieder am Ende des 20. Jahrhunderts diskutiert wurden. Dulk kann als ein Beispiel dafür stehen, wie sich die darwinistischen Ideen im europäischen Denken durchsetzten und aus den hier untersuchten Schriften lässt sich ersehen, wie sich dieser Prozess bei jemanden vollzog, der nach eigener Wahrnehmung seinen vormärzlichen politischen Idealen treu geblieben war.
Dieser Beitrag soll aufzeigen, dass auch gerade reisende Frauen wie Ida Hahn-Hahn mit ihren Städtedarstellungen zu einem nicht zu übersehenden Teil den Orientdiskurs mitprägten. Europäische Reisende haben schließlich den größten Teil der Palette, aus der sich deren Orientbild zusammensetzte, in Städten erlebt: Residenzen, den Harem, Moscheen, Bazare, Cafés, Bäder, Sklavenmärkte, Gitterfenster und verschleierte Frauen. Besonders auffallend an Hahn-Hahns "Orientalische[n] Briefe[n]" ist dabei ihre häufige Gegenüberstellung zwischen Illusion und Desillusion oder kreierter Vorstellung und erlebter Wirklichkeit. Diese Strategie soll hier als Leitfaden beziehungsweise Untersuchungsmethode für die Vermittlung ihres spezifisch urbanen Orientdiskurses dienen.
Karl Nauwerck in Sizilien : eine Edition zweier früher sozialkritischer Bildungsreiseberichte
(2009)
Die vorliegenden Dokumente "Palermos Bettler" und "Wahnsinn aus Katania" sind sozialkritische literarische Genrebilder. Sie hatte Nauwerck nach der Rückkehr von seiner Italienreise ins väterliche Haus in Neustrelitz (31. März 1835) angefertigt. Diese Reise, die er am 17. Juli 1834 angetreten hatte, war offenbar der 'Lohn' für seine Promotion in Halle am 5. Juli 1834. Vermutlich beabsichtigte er eine Veröffentlichung der Skizzen. Erhalten blieben sie in seiner "Großen Aphorismensammlung" in seinem Nachlaß, die er unter dem Titel "Allerlei. Eigenes und Fremdes" ganz offensichtlich zu einer - dann allerdings nicht realisierten - Publikation vorbereitet und seiner Frau Julie gewidmet hatte. Darin hatte er alle jene Sentenzen aus seinem publizierten und nichtveröffentlichtem Lebenswerk, seinen Briefen, verlorenen Tagebüchern und anderen von ihm für wichtig gehaltenen Äußerungen zusammengetragen, unter anderem eben auch diverse frühe Schreibversuche. Beide Texte beweisen im Unterschied zur modischen antiklassischen Kritik an der angeblichen Italienschwärmerei ein 'echtes' soziales Engagement. Nauwerck geißelt die elenden gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Armen, Mühseligen, die untersten Schichten im zerfallenden spätfeudalen System des italienischen Südens und Siziliens leben müssen.
Vieles an Paolis sechsmonatigem Aufenthalt in Venedig und Florenz im Jahr 1846 war typisch für die vormärzliche Bildungsreise, die kleine Italientour. Auch für die Schriftstellerin war es die Reise an einen Sehnsuchtsort, an einen Ort der klassischen Bildung durch Anschauung. Auch für Paoli war es, wie für so viele in der Nachfolge der Goetheschen Italienreise, eine Möglichkeit, sich ihres Selbstverständnisses als Künstlerin zu vergewissern. Und wie für ihre literarischen Vorbilder Byron und Platen führte auch für Paoli "die Begegnung mit Venedig zu einer Konfrontation mit dem eigenen Ich", einer Konfrontation, die sich in ihrem literarischen Werk widerspiegelt.
In diesem Beitrag sollen Aspekte des Zusammenhangs von Gender und Nation in Reisetexten von Frauen über England im Mittelpunkt stehen. Als Beispiele werden Fanny Lewalds "England und Schottland" (1851/52) und Emma Niendorfs "Aus London" (1855) daher daraufhin untersucht, inwieweit in diesen Texten Konzepte von nationaler Identität aus weiblicher Perspektive erkennbar sind. Dabei geht es vor allem um die Gesellschaftsentwürfe und die darin erkennbaren Bestimmungen der gesellschaftlichen Rolle des Weiblichen. Ein besonderes Augenmerk gilt daher der Frage, wie die Autorinnen den Ort der Frauen in der englischen Gesellschaft bestimmen und welche Rückschlüsse sich aus diesem Vergleich für die Konstruktion einer deutschen, weiblichen Identität ziehen lassen.
This essay focuses on Malwida von Meysenbug's (1816-1903) rebellious 'travel diary' entitled "Eine Reise nach Ostende" (1849) and her 'extravagant' travels to the Belgian seaside resort, which she undertook together with her girlfriends Anna Koppe and Elisabeth Althaus during June and July 1849. This text, which was written during the late summer and early autumn of 1949 and published posthumously in 1905 by Gabriel Monod, is both a very personal, almost intimate representation of the failing revolution and a performance of transgression by an unmarried 33-year old female member of the lower ranks of aristocracy.
Das eigentliche Spezifikum von Therese von Bacherachts Texten ist darin zu suchen, dass sie den Reisebericht vornehmlich zur Thematisierung von Innerlichkeit nützt, ihn also als Gattung einsetzt, die eine öffentliche Auseinandersetzung mit und Reflexion der eigenen Befindlichkeit ermöglicht. Ihre Texte zielen weniger auf Beschreibung der Reise selbst, sondern vielmehr auf Darstellung und Auseinandersetzung mit weiblicher Subjektivität. [...] Aufgrund der Dominanz des subjektiven Anteils zerfallen Bacherachts Texte bisweilen nachgerade in zwei inhaltliche Ebenen oder Teile. Dabei tritt gegenüber den ausführlichen Erkundungen der eigenen Emotionen, die mit Reflexionen über das Leben, die Vergänglichkeit allen Glücks und die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens verbunden sind, die Beschreibung der eigentlichen Reise in den Hintergrund. Diese Ausrichtung der Texte auf eine gefühlsbetonte Thematisierung von Subjektivität ist der Forschung oft genug Anlass und Argument für deren Abwertung als pathetisch. In dem vorliegenden Aufsatz soll dagegen der sentimentale Anteil der Texte in seinen vielschichtigen Funktionen ernst genommen und analysiert werden. Im Folgenden wird, nachdem kurz die Bedeutung sozialer Fragen in Bacherachts Reiseberichten untersucht wurde, vor allem auf diesen Aspekt weiblicher Selbstdarstellung und die damit einhergehende besondere Tonlage eingegangen werden.
Die skandalumwitterte und erfolgreiche Schriftstellerin Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805-1880) war ihr Leben lang auf Reisen; sie war im ständigen Grenzenüberqueren zu Hause. In ihren Romanen und Reiseberichten hat sie Spiegelbilder ihrer eignen Seele und ihrer Zeit entworfen. "Ich reise, um zu leben" hat sie behauptet und sich damit ein wesentliches Motiv ihres Daseins bewußt gemacht. - Angesichts ihres ungewöhnlichen Lebenslaufs und ihrer unzähligen vorübergehenden Aufenthalte an unterschiedlichsten Orten ist man gleichwohl verblüfft und fühlt sich angehalten, wirkliche Erklärungen zu finden. Persönliche Sinnsuche scheint in diesem Fall ein lebenslänglicher Leitfaden gewesen zu sein. Die biographischen Hintergründe der Hahn-Hahnschen Reiselust liefern den Beleg.
Dieser Aufsatz leistet einen Beitrag zur Erforschung des Reisehandbuchs von weiblichen Autorinnen. Spezifisch bezieht sich Karin Baumgartner auf das Werk von Helmina von Chézy, die zwischen 1816 und 1833 zwei Reisehandbücher herausgab. Zur Diskussion steht hier die These von Irmgard Scheitler, die sagt, dass Reiseliteratur von Frauen das weibliche Schreiben thematisiert und als ein autobiographisches Dokument mit hohem Authentizitätsanspruch gelesen werden muss. Die Reisehandbücher Chézys widerlegen eine solche These jedoch, da es sich bei diesen um Auftragsarbeiten handelt, die vor allem aus finanziellen Gründen geschrieben wurden und die Autorin als professionelle Schriftstellerin zeigen. Die subjektiven Erfahrungen, die in Chézys Reisehandbüchern prominent verarbeitet werden, haben nicht die Aufgabe das eigene weibliche Schreiben zu thematisieren, sondern erlauben dem Leser eine authentisch-individuelle Reiseerfahrung durch die Identifikation mit der Erzählerstimme. Die Reisehandbücher Chézys lehren den Leser, eine präformierte als eine subjektive Erfahrung zu erleben und tragen damit zu einer radikalen Abwendung der Gattung von der Apodemik - und zu deren Modernisierung - bei.
In Louise Astons Roman "Revolution und Contrerevolution" steht die Eisenbahn als Metapher für die revolutionären Hoffnungen von 1848. Das langgezogene Pfeifen kündigt nicht nur den Zug, sondern auch die anrollende, unaufhaltsame Revolution an. Die ganze Erzählung hat das neue Tempo der Eisenbahn, das der 'aus dem Rahmen gefallenen', revolutionären Zeit entspricht: Die Information über die ausgebrochene Revolution wird von den Protagonisten wie selbstverständlich durch ihre rasche Eisenbahnreise weitergereicht. Die Geschwindigkeit der Eisenbahn bietet einen Vorsprung, der mit der politischen Beschleunigung, d.h. mit den revolutionären Ereignissen korrespondiert. Louise Aston inszeniert die Eisenbahn an den revolutionsentscheidenden Orten: die räumliche Geschlossenheit der Orte wird aufgehoben - die Revolution breitet sich überall hin aus. Die Zwischenräume zwischen den revolutionären Zentren Wien, Berlin und Frankfurt schnurren durch die Zugreise zusammen. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Eisenbahn als Motiv im Roman inszeniert wird, spiegelt die Hoffnung der Autorin, dass die neue Mobilität auch gesellschaftliche Neuerungen und Freiheiten mit sich bringt.
Rezension zu Monica Klaus: Johanna Kinkel, Romantik und Revolution. (Europäische Komponistinnen, Bd. 7.) Köln / Weimar / Wien: Böhlau, 2008. Liebe treue Johanna! Liebster Gottit! Der Briefwechsel zwischen Gottfried und Johanna Kinkel 1840‑1858. Bearbeitet von Monica Klaus. 3 Bände. (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn, Bde. 67, 68 und 69.) Bonn: Stadt Bonn, 2008.
Rezension zu Christoph Suin de Boutemard (Hg.): Band 1: Heinrich Albert Oppermann. Zivilgesellschaftliches Handeln in historischer und aktueller Perspektive. St. Ingbert: Röhrig, 2007. Band 2: "Von Deutschen überhaupt". Mentalitätswandel zwischen aufklärerischem Kosmopolitismus und Nationalismus. St. Ingbert: Röhrig, 2009.
Dass der den industriellen Fortschritt und ganz besonders das noch in den Kinderschuhen stehende Eisenbahnwesen emphatisch begrüßende Börne im Rahmen des Jahrbuchs 2008 kaum Erwähnung gefunden hat, dürfte nicht zuletzt auf das totale Ignorieren seines Namens in Wolfgang Schivelbuschs "Geschichte der Eisenbahnreise" zurückzuführen sein, des Referenzwerks verschiedener Beiträger dieses Jahrbuchs. Diese Lücke wenigstens ansatzweise auszufüllen, gilt der folgende Versuch.
Rezensionen zu 1) Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. Roman in neun Büchern. 3 Bde. Hg. Thomas Neumann. Materialien. Hg. Adrian Hummel, Thomas Neumann. Frankfurt/M.: Zweitausendeins, 1998. (Haidnische Alterthümer. Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Hg. Hans-Michael Bock)und 2)Karl Ferdinand Gutzkow: Schriften. Band 1: Politisch-Zeitkritisches, Philosophisch-Weltanschauliches. Hg. Adrian Hummel. Band 2: Literaturkritisch-Publizistisches, Autobiographisch-Itinerarisches. Hg. Adrian Hummel. - Materialien. Hg. Adrian Hummel, Thomas Neumann. Frankfurt/M.: 2001, 1998. (Haidnische Alterthümer. Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Hg. Hans-Michael Bock)
Von grundsätzlicher Bedeutung für die Unterschiede zwischen Journal- und Buchfassung ist die Tatsache, dass Weerth urprünglich nicht geplant hatte, den Schnapphahnski zu einem umfangreichen Feuilletonroman auszuarbeiten. Vorgesehen war zunächst etwa ein Umfang, vergleichbar dem seiner übrigen Feuilletonserien. Im folgenden sollen die Veränderungen zwischen Journal- und Buchfassung herausgearbeitet werden, Streichungen bzw. Überarbeitungen sollen anhand ausgewählter Beispiele vorgestellt werden.
Christoph Schmitt-Maaß beschreibt, dass vor dem Hintergrund der Ideen der historischen Rechtsschule und der Studien der Brüder Grimm eine spezifische Poetologie im Gefüge von Rechtsgeschichte, Sprachwissenschaft und Nationalliteratur entsteht, die für die Herausbildung der 'Kulturnation' eine wichtige Bedeutung zukomme. Die Durchdringung von Rechts-, Wissenschafts- und Dichtersprache erweise sich an einem Kulminationspunkt der deutschen Geschichte als bewusstseinsstiftend, insofern sich noch viele Vormärzschriftsteller im Kontext von Recht, Sprache und Poesie auf von Savigny bezögen und dessen Poetologie fortschrieben, auch wenn sie längst zur Chiffre geworden sei. Schmitt-Maaß illustriert diese Wirkungsgeschichte von Savignys und der Brüder Grimm am Beispiel von Heinrich Heine und Hoffmann von Fallersleben. Während Heine eine kritische Distanz zu den rechtshistorischen Positionen der historischen Rechtsschule einnehme, begreife Hoffmann von Fallersleben, dessen liberale Auffassungen eng mit der mittelalterlichen Literatur, etwa Walthers von der Vogelweide, in Verbindung gesetzt würden, die Aufgabe von Dichtung als Politik, die sich aus der Gemeinsamkeit von Recht und Poesie im 'germanischen' Altertum ergebe. Schmitt-Maaß weist nach, wie Literatur, Literaturgeschichtsschreibung und Jurisprudenz im Vormärz zusammentreten.
Peter Rippmann zeigt, wie Jeremias Gotthelf die irdische Jurisprudenz diskreditiert, um eine göttliche Gerechtigkeit zu inthronisieren. Gotthelf, der die zunehmende politische Radikalisierung des öffentlichen Lebens als verhängnisvoll für eine christlich definierte Gesellschaft verstand, nutzte die Kritik an den Rechtsinstanzen, die er in seinen literarischen Texten nicht selten in auktorialen Kommentaren deutlich formulierte, um eine alternative Gerechtigkeitsvorstellung zu empfehlen. Gotthelfs christliche Ansichten verbinden sich mit konservativen kriminalpolitischen Ansichten, die etwa in die Befürwortung der Todesstrafe münden. Über die Kritik strafrechtlicher Entscheidungen hinaus moniert er das Versagen juristischer Institutionen, etwa des Richterstandes, und die Mängel in der Rechtspraxis und stellt gar die Zuständigkeit weltlicher rechtlicher Instanzen in Frage, die nicht ihre Grundssätze im höchsten göttlichen Richter fänden. Nichtsdestotrotz verhandelt Gotthelf in seiner Rechtskritik auch konkrete Probleme, etwa im Bereich des Erbrechts und der Verdingkinder.
Barbara Tumfart beschäftigt sich mit den literarischen Verhandlungen des Raubmordes des polnischen Adligen Severin von Jaroszynski am Geistlichen Johann Conrad Blank in Wien. Die der Untersuchung zugrunde gelegten Texte von Adolph Bäuerle und Carl Haffner bieten allen voran eine sensationslüsterne Darstellung des Verbrechens und fokussieren auch das Privatleben der Wiener Schauspielerin Therese Krones, die mit Jaroszynski befreundet war. Die Schilderung eines Verbrechens entwickelt sich in diesen Texten zu einer skandalösen Geschichte aus dem Milieu des Theaters. Die in den Texten offensichtlichen Mythisierungsstrategien folgen den ästhetischen Prämissen der Unterhaltungsliteratur. Dass die Geschehnisse aufgegriffen werden, belegt andererseits auch, dass die Verkündigung des Urteils und die Hinrichtung Jaroszynskis durch Erhängen an der Spinnerin am Kreuz ein vielbeachtetes gesellschaftliches Ereignis war, das eben auch Eingang in die Unterhaltungsliteratur fand.
Holger Steinberg und Sebastian Schmideler stellen zum Fall Woyzeck die Gutachten und die Urfassungen der beiden Todesurteile des Schöppenstuhls, die wichtigste juristische und medizinische Diskussionsgrundlage des gesamten Prozesses, vor. Die Todesurteile sowie die Gutachten, darunter jenes des Stadtphysikus' Johann Christian August Clarus, werden medizin- und insbesondere psychiatriehistorisch eingeordnet. Bemerkenswert ist das Sondervotum des Kronprätendenten Friedrich August von Sachsen, der Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit Woyzecks hegt und die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Zuchthausstrafe fordert. Schließlich wird das im Prozess entscheidende Dokument, das bis vor kurzem verschollen geglaubte, aber in einer Abschrift in der Universität Leipzig Gutachten der Medizinischen Fakultät diskutiert. Die beschriebenen Dokumente geben Einsicht in die Diskussion um das Verhältnis von Recht, Publizistik/Literatur und Gesellschaft in den 1820er Jahren - löste der Fall Woyzeck doch eine von der medizinischen, juristischen und politischen Fachöffentlichkeit heftig geführte gesellschaftliche Debatte aus, zu deren Rekonstruktion die im Beitrag stattfindende Darstellung der Archivmaterialien beiträgt.