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Die folgenden Überlegungen sollen zeigen, wie die vielfältigen Bewegungen des Films, insbesondere in gewissen neueren SpielfIlmen, die ich mit dem Begriff des expressiven, ethnografischen Realismus fassen möchte, an der Oberfläche >Denkbilder< im Sinne von Walter Benjamin skizzieren. Dafür werde ich zuerst das Verhältnis des Kinos zu den Ideen, d.h. auch das Verhältnis des Sichtbaren zum Unsichtbaren, darlegen und im Rahmen der künstlerischen Moderne verorten, um mich anschließend dem angesprochenen Modus des Realismus zu widmen, der den Körper der Filmfiguren ins Zentrum stellt. Mein Leitgedanke für diesen zweiten Abschnitt läßt sich folgendermaßen umreißen: In der Figurengestaltung, die durch eine exzessive Körperlichkeit bestimmt ist und also den Inbegriff des fIlmisch Konkreten, den primären Schauwert darstellt, wird das audiovisuelle Bild wie die Figur als Zeichen gesprengt. In der filmischen Bewegung ergibt sich so gleichzeitig die Möglichkeit zur Abstraktion: Liest man die Figuren stärker als Phänomene der Präsenz und weniger in ihrer Psychologie, verkörpern sie ein bewegliches Denken, das die Sprache umgeht, und konkretisieren letztlich Formen des Nichtdarstellbaren an der Oberfläche des Films.
Bevor ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen, schien alles klar: Die Fiktion gehörte zum Spielfilm, der Geschichten erzählt, während der Dokumentarfilm in den Bereich der Nichtfiktion fiel. Doch schon mit dem Begriff der Narration oder allgemeiner gesagt des Narrativen stellte sich das erste Problem: Spielfilme werden allgemein als narrativ bezeichnet, aber von welchem Moment an sind Dokumentarfilme narrativ? – Spätestens bei der nächsten Frage fing das Karussell sich zu drehen an: Wie steht es mit der Biographie oder der Autobiographie, für die angenommen werden darf, dass zumindest die Figur historisch verbürgt ist, die im Zentrum der Erzählung steht und deren mehr oder weniger kohärente Lebensgeschichte wir lesen oder sehen? Wo beginnt da die Fiktion, wo die Narration, und wie lässt sich die "Autofiktion" historisch verankern?
Die Filmanalyse hat sich schließlich als Kunst ohne Zukunft entpuppt! Offen gestanden ist sie an sich nie etwas anderes als der Gegenstand einer Illusion gewesen. Aus eben diesem Grund konnte sie paradoxerweise als eine eigenständige Tätigkeit erscheinen, gekennzeichnet von einer Art Selbstgenügsamkeit. Es kam vor, daß sie diesen Status für sich beanspruchte, ohne sich um die Verwirrungen und falschen Zuordnungen zu scheren, die sich daraus ergaben. Andererseits fand diese Tendenz ihre Bestätigung in den bibliographischen Bestandsaufnahmen: In ihrer nützlichen, doch zwiespältigen Art haben diese dazu beigetragen, daß die "Filmanalysen" zu einer selbständigen Theoriegattung werden konnten, welche keine andere Rechtfertigung besaß als die trügerische Fülle des Analyseaktes selbst.
Der unauffindbare Text
(1999)
Als 1964 unter dem Titel ,"Le cinéma: langue ou langage?" der erste Aufsatz von Christian Metz erscheint, steckt diese Frage eine Problematik ab, die bis zum Erscheinen von Langage et cinéma (Metz 1971) die semiologische Auseinandersetzung mit dem Film beherrscht: Es geht darum, die Tragfähigkeit der metaphorischen Redeweise von der "Filmsprache" zu untersuchen und zu verstehen, aufgrund welcher struktureller Eigenschaften das Kino dazu in der Lage ist, Bedeutung herzustellen und zu vermitteln. Insoweit dabei einzelne Filme eine Rolle spielen, werden sie als Beispiel herangezogen, um einzelne Kodes zu bestimmen und zu beschreiben. Gegen Ende der sechziger Jahre entstehen erste Arbeiten, die sich mit dem von der Semiologie bereitgestellten Instrumentarium daran machen, die Perspektive umzudrehen und die Frage zu stellen, wie die Kodes in singulären textuellen Systemen zusammenwirken und je spezifische Bedeutungseffekte entstehen lassen. Christian Metz, der in seinem Buch von 1971 auch den theoretischen Rahmen der filmischen Textanalyse absteckt, beschreibt das Verhältnis dieser beiden Herangehensweisen so: "In Langage et cinéma sagte ich, daß man entweder einen Film in allen seinen 'Kodes' erforschen (Filmanalyse) oder einen 'Kode' durch mehrere Filme hindurch verfolgen kann (Filmtheorie)" (Blüher/Tröhler 1990, 52).
Eine verlassene, öde Industrielandschaft zeugt vom Fortschritt der Vergangenheit. Wir befinden uns in der Nähe von Marseille, doch der Film könnte auch woanders beginnen. Fabrikanlagen, Schornsteine, Silos, zwischen den Rangiergeleisen wächst junges Gras, Baustellen, das Meer wirft seine Schaumkronen an den Strand - unweit davon versammeln sich Flamingos auf den Salzfeldern; der Himmel ist orangerot, dramatisch von dunklen Wolken durchzogen: die Bestandsaufnahme einer ruhigen Kamera, die in den Details der Ruinen das leise Leben sieht und überraschende Schönheiten entdeckt, ein Blick, der exakt auswählt, verweilt, dicht an den Dingen, und dann wieder über die .Landschaft oder in die Ferne gleitet. Dazu die Stimme Robert Kramers, ganz nah und behutsam, die den Prolog mit dem Satz beschließt: "J’etais en Europe et l’Europe etait en moi" ("Ich war in Europa und Europa war in mir.")
Bei einem Künstler, über den man, von seinen Werken abgesehen, kaum etwas weiß, und dessen eigene Äußerungen oft eher kreatürlichen Rülpsern gleichen, ist man auf das Wenige angewiesen, das mit einiger Gültigkeit über ihn gesagt wird. Es stammt, wie könnte es anders sein, von Heiner Müller. Dennoch soll von Müllers Bemerkung, die Gotscheff, wie er selbst sagt, „für eineinhalb Tage berühmt gemacht hat", hier nicht die Rede sein. Denn alles, was Müller anläßlich von Gotscheffs „Philoktet“- Inszenierung (Sofia 1983) schreibt, stimmt, und doch ist es - das ist das Schicksal unendlich oft zitierter Bemerkungen – in Gefahr, zur Hohlformel zu gerinnen. Das ist nicht Müllers Schuld, sondern die derjenigen, die sie aus Alternativlosigkeit bis zum Abwinken wiederholen. Dabei ist die Schwierigkeit, zu Begrifflichkeiten vorzudringen, mehr als verständlich: Theaterabende zu beschreiben ist eine eigene Kunst. Zwanzig Jahre mit Gotscheff, über dreißig gesehene Inszenierungen, Mitarbeit an einigen, und nun die als Einladung verkleidete Drohung, darüber etwas schreiben zu sollen. Wo und wie anfangen? Ich will versuchen, Gotscheffs Arbeit inhaltlich und ästhetisch in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Der Nobelpreis käme ihr – abgesehen von dem Geldsegen – wie eine Strafe vor, meinte Elfriede Jelinek. Plötzlich wurde sie, die Scheue, von der Weltöffentlichkeit grell ausgeleuchtet. Die Dichterin antwortete auf die ihr eigene Weise mit der Positionsbestimmung "Im Abseits": Nichts, was man tue, zähle; das einzige, was man ernte, sei ein Verweis. Das ist für eine erklärte Moralistin ein katastrophaler Befund, ihr bleibt "nur" die Ästhetik. Ästhetik versus Moralismus ist, allen Scheinwerfern zum Trotz, aber nur eines der immer noch schwer begreifbaren Spannungsfelder, aus denen heraus sie arbeitet und schöpft, andere wären hinzuzufügen: der Drang zu psychoanalytisch unterfütterten, archaisch-antiken Konstellationen und ihre erklärte Sehnsucht nach Oberfläche ("Ich will seicht sein!"), der Haß auf die Unterhaltungsindustrie und das leidenschaftliche Surfen im weltweiten Netz, das Spiel mit den Möglichkeiten der Mode und die Affinität zum Tod. Es scheint überhaupt so zu sein, daß all ihre Texte, unabhängig von ihrem jeweiligen Gegenstand, mit großer Obsession um den Tod kreisen, um ein Phänomen also, das wir als existentielles und politisches Phänomen – wie keine Gesellschaft zuvor – gelernt haben zu verdrängen. Das Jelinek'sche Äquivalent hierzu ist der permanente Redezwang, seine Kehrseite die Angst vor dem Abhandenkommen der Sprache und in Konsequenz hieraus: das Schweigen. Wie geht all das zusammen? Geht es überhaupt zusammen?
Politikpartizipanten in einen staunenden Fernsehzuschauer verwandelt worden.“ In ein für Populismus jedweder Art anfälliges Stimmvieh. Aus dem Volk ist eine Masse geworden, die sich lobbyistisch für Partikularinteressen zusammenfindet, ohne noch über ein Gemeinsames zu verfügen. So entsteht gewissermaßen ein neuer Tribalismus, ein Tribalismus der Gleichgesinnten mit einer Oligarchie von Stammesfürsten. Das ehemalige Ganze zerfliegt in seine Teile und begünstigt so die Herrschaft abstrakter globaler Größen – so in etwa. Was heißt das aufs Theater bezogen? Tatsache ist zunächst einmal: Der Demos und der aus ihm abgeleitete Staat bezahlt das Theater, stützt es mit Subventionen, obwohl es nicht den Interessen des gesamten Volks, sondern nur denen einer Sondergemeinschaft entspricht. Spricht irgendetwas für diesen empörend anmutenden Befund? Gibt es Reformbedarf?
„Perspektiven für die Zukunft unserer Kultur im 21. Jahrhundert“ ist das Thema, das ich leichtfertig benannt habe. Leichtfertig, weil es natürlich anmaßend ist, anmaßend wie die Kunst selbst. Als ob man das wüsste. Als ob man dazu etwas sagen könnte. Als ob diese „Zukunft“ mal eben so - kurz vor dem Mittagessen - aufsteigen könnte, wie Perlen aus dem Prosecco. Ich glaube schon, dass man dazu etwas sagen kann. Bescheidener: ich will es wenigstens versuchen und ein paar Überlegungen äußern, die Ihnen ein Bild vermitteln, wie ich denke, wer ich bin, was mich umtreibt, wofür ich stehe. Als Mensch, aber auch als derjenige, der dem künftigen Thalia Theater die Richtung gibt.