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Stifter-Gänge
(2007)
Ist 'das Ding' Stifters liebstes Substantiv, so darf 'gehen' als sein bevorzugtes Verb gelten. In der Erzählung 'Der Waldgänger' sieht sich etwa der an einem lebensweltlichen und geographischen "Scheidepunkte" innehaltende Wanderer von einer Landschaft umgeben, in der die Dinge buchstäblich ihren Gang gehen:
'Ganz oben, wo das Thal mit noch geringer Tiefe anfängt, begann auch ein winziges Wasserfädlein, neben dem Wanderer abwärts zu gehen. Es ging in dem Rinnsale neben dem Wege unhörbar und nur glizzernd vorwärts, bis es durch die Menge des durch die Höhen sickernden Wassers gestärkt vor ihm plaudernd und rauschend einher hüpfte, als wolle es ihm den Weg durch die Thalmündung hinaus zeigen [...]. Sie gingen an manchem Waldabhange, an mancher schattigen Stelle vorbei [...], sie gingen an manchen zerstreuten Häuschen, an mancher Mühle, an mancher auf einem tiefgelegenen Wiesenflecken weidenden Kuh vorüber, bis endlich nach einigen Stunden Wanderns [...] die hingebreitete große Ebene begann. Der Bach ging breit und wallend links gegen die Felder und Bäume [...]. (WG, 98f)'
Dem Gang der Dinge untersteht der Lauf der Welt. Diese Identität von Naturvorgängen und Lebensläufen immer neu, allen Irrwegen und Katastrophen, allen Sprüngen und Brüchen zum Trotz, unter Beweis stellen zu wollen, tritt Stifters Autorschaft an. Trauma und Trost seines Universums liegen beschlossen in dem fast stereotyp wiederkehrenden Satz: "Und so ging es immer fort."
Dem Sternbild in Rilkes Sonetten an Orpheus soll im Folgenden sich über die Formel der "Rettung der Phänomene" genähert werden. Das Motiv der Sterne sowie des Weltraums findet sich an zentralen Stellen innerhalb des Zyklus. Der Anordnung der Sterne zur Konstellation kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. In Rückbezug auf die antike Direktive der Rettung der Phänomene lassen sich so das erkenntniskritische Potenzial von Konstellationen sowie deren geschichtliche und poetologische Relevanz innerhalb der Sonette aufzeigen. Die Theorie Walter Benjamins wird hierfür die entscheidenden Termini bieten.
Steinschutt- und Geröllgesellschaften besiedeln mehr oder weniger bewegte Halden aus Fein-, Grob- oder Blockschutt. Nur Pflanzen, die über genügend Reservestoffe verfügen, können nach ihrer Keimung aus den tieferen, feinerdereicheren Schichten der Halden bis zu den oberen Stein-Luft-Schichten durchstoßen. Zahlreiche Steinschutt- und Geröllpflanzen haben sich durch die Fähigkeit zur Internodienstreckung unter Lichtmangel diesen spezifischen Bodenverhältnissen angepaßt. Ein ausgedehntes und tiefreichendes Wurzelsystem dient den Haldenbewohnern sowohl zur Verankerung auf den bewegten Standorten als auch zur ausreichenden Wasserversorgung. Mehrere Arten zeichnen sich darüberhinaus durch eine hohe Regenerationsfähigkeit nach Verletzungen aus (vergleiche Jenny-Lips 1930: 138f., Wilmanns 1978: 125).
Stefan Zweig entwickelt in "Castellio gegen Calvin" (1936) die These, dass Machtformen, die Lebensprozesse mit Zwang regulieren und elementare Bedürfnisse dauerhaft unterdrücken, Widerstände hervorrufen, die letztlich die Emanzipation und Entfaltung des Unterdrückten forcieren. Am Beispiel des Liberalismus ursprünglich autoritär geprägter calvinistischer Gesellschaften veranschaulicht der 1934 nach London emigrierte Autor die Dialektik von Unterdrückung und deren Überwindung. Er thematisiert ein Verhältnis von Leben und Politik, das Michel Foucault mit dem Begriff der "Bio-Politik" bezeichnet. Dieser Begriff, der vor allem in jüngerer Vergangenheit vermehrt Aufmerksamkeit erfährt, beschreibt eine spezielle Form politischer Herrschaft, die sich durch "verschiedenste Techniken zur Unterwerfung der Körper und Kontrolle der Bevölkerungen" kennzeichnet. Die Anwendung dieser 'biopolitischen' Disziplinierungstechniken bringt nach Foucault einen speziellen Machttyp, die "Bio-Macht", hervor, die sich zu einem Prinzip aller modernen Staaten entwickelt und somit nicht nur auf Extremfälle zu beschränken ist. [...] In diesem Beitrag soll untersucht werden, inwiefern Stefan Zweig in "Castellio gegen Calvin" anhand der Darstellung des Calvin'schen Gottesstaats biopolitische Herrschaft thematisiert. Ausgehend von einigen Überlegungen zu dessen Komposition und der Schwierigkeit einer eindeutigen gattungstheoretischen Zuordnung wird Zweigs Darstellung von Calvins Herrschaft hinsichtlich der politischen Unterwerfung und Kontrolle des Lebens analysiert. Die Untersuchung schließt mit Blick auf den parabolischen Charakter des Textes, der eine Erklärung dafür bietet, warum Zweigs Darstellung des Calvin'schen Gottesstaats aus dem 16. Jahrhundert Charakteristika eines Machttyps aufweist, der sich nach Foucault erst Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt.
Dieser Beitrag befasst sich mit Zeitwahrnehmungen und Zukunftsvorstellungen, die in Romane der 1920er Jahre in Paris und New York transportiert werden. Dabei dienen Paris und New York als zwei paradigmatische Städte der Moderne, in denen Diskurse zur Modernität und Stadtentwicklung literarisch aufgearbeitet werden. Die Textanalyse konzentriert sich hauptsächlich auf drei Aspekte der Stadtdarstellung: Illusionen der Ewigkeit und des Stillstandes, Diskurse zur mechanischen (Selbst-)Zerstörung und Phantasmagorien des Untergangs. Der Vergleich zwischen Paris und New York soll dazu beitragen, kulturell bedingte Unterschiede sowie epochenspezifische Gemeinsamkeiten in den Zukunftsvisionen der jeweiligen Stadt aufzudecken.
Ich möchte im Folgenden zeigen, dass bereits das frühe Manuskript der "Berliner Chronik" eine Bearbeitung der Gattungen 'Stadtbild' und 'Autobiographie' darstellt und - das ist sein Charakteristikum - diese Bearbeitung auch in Szene setzt. Des weiteren soll nachgezeichnet werden, dass die "Chronik" auf äußerst komplexe Weise autobiographische und topographische Schreibweisen miteinander verknüpft und dabei - so meine These - zu dem maßgeblichen Text wird, in dem Benjamin die Kategorie des Raumes für sein Denken entfaltet. Anders gesagt: Im Schreiben der "Berliner Chronik" richtet der Kulturhistoriker Benjamin sein Denken räumlich aus.
Die Mundart, die in der Stadt Bern gesprochen wird, ist eine ganz besondere, und viele Berner sind sich dessen auch schon seit langem bewusst. In der Stadt Bern wird nämlich nicht nur Berndeutsch gesprochen, sondern es gibt einige unterschiedliche Berner Mundarten: Patrizierberndeutsch, Burgerberndeutsch oder Stadtberndeutsch, Mattenberndeutsch sowie das Mattenenglische. Mit dieser Aufzählung, die Bernern keineswegs fremd ist, wird die Differenzierung unterschiedlicher sozialer Varietäten ausgedrückt. Stadtberndeutsch zeigt also schon lange verschiedene Sprachschichten, wie man sie in dieser Ausprägung in der Schweiz nur in wenigen Städten findet. Zu diesen genuinen Stadtberner Varianten kommt noch das Berndeutsche der Zuzüger hinzu, die sich zum Teil sprachlich assimiliert haben, die zum Teil einzelne Elemente und Eigenarten ihrer ursprünglichen Mundarten beibehalten oder sogar die Mundart ihrer früheren Heimat bewahrt haben.