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Was ist heut' des Deutschen Größe? : Weimarer Klassik, nationale Identität, kulturelles Gedächtnis
(2006)
Auf den naiven ersten Blick verstehen sich die drei im Untertitel genannten Kategorien von selbst, wobei es heutzutage leichter sein dürfte, weiterhin selbstverständlich von der "Weimarer Klassik" zu reden, schwerer jedoch, diese als integralen Bestandteil einer nationalen Identität der Deutschen zu behaupten. Zu fragen bleibt also immer wieder neu, was die "Weimarer Klassik" denn darstellt, welche Rolle diese im kulturellen Gedächtnis der "deutschen Nation" (was immer denn beides ist) spielt und ob so etwas wie eine "nationale Identität" mit dem "kulturellen Gedächtnis" und der "Klassik" heute noch zu tun hat. Zudem wäre zu klären, ob wir über die vergangene, die gegenwärtige oder eine gewünschte, zukünftige historische Rolle und normative Geltung dieser drei Kategorien sprechen.
Im Folgendem werden (I.) die Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten der weiblichen Obervormünderin und Landesadministratorin Anna Amalia umrissen. Dann wird (II.) diskutiert, welche Formen und Handlungsspielräume sie während dieser Zeit für ihre Ambitionen als Kunstliebhaberin und dilettierende Künstlerin fand. Abschließend wird (III.) die Ausgangsfrage aufgenommen - "höfische Musenpflege als weiblicher Rückzugsraum?" Es handelt sich ausdrücklich um eine Fallstudie, um den Zusammenhang zwischen Hofkultur und aufklärerischen Reformen zu thematisieren. Vergleiche müssen mangels Raum und ähnlicher Studien außen vor bleiben.
Die Indienstnahme der Literatur und insbesondere des seinerzeit als "deutsches Buch" bezeichneten Phänomens durch den Nationalsozialismus lässt sich an der Buchhandels-, Buch- und Zensurpolitik des sogenannten "Dritten Reiches" nachvollziehen. In den Jahren nach 1933 versuchte der nationalsozialistische Staat, auf das gesamte Kunst- und Kulturleben Deutschlands Einfluss zu nehmen und es den politischen Interessen des Regimes zu unterwerfen. Anhand der Weimarer Veranstaltung im Rahmen der "Wochen des Deutschen Buches" im Allgemeinen und am Beispiel der dabei für Joseph Goebbels angefertigten "Ehrengaben" im Besonderen sollen im Folgenden kulturelle Felder und Projekte nachgezeichnet werden, an denen sich solche Eingriffs- und Steuerungsversuche aufzeigen lassen. Dabei werden auch die Agierenden der Weimarer Verwaltungs- und Kultureinrichtungen und verschiedene Formen ihres Wirkens berücksichtigt.
Weimar ohne Goethe gibt es nicht im Bewußtsein der Weltkultur. Die Stadt verdankt ihren Mythos zuallererst der originären Gestalt Goethes, dem bürgerlichen Dichter, der zum Anbruch der Moderne neue Bereiche des Fühlens und Denkens literarisch-poetisch erschließt, der hier den größten Teil seiner Lebenszeit verbringt. Aber daß "die berühmtesten Deutschen [...] lange hier gewohnt, dafür kann man billigerweise Weimar selbst nicht verantwortlich machen. Der Ort ist keine Fabrik berühmter Leute", wußte man bereits kurz nach Goethes Tod.
Zum 16. Geburtstag des Erbprinzen Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach am 3. September 1773 ließ sein Lehrer Christoph Martin Wieland im Weimarer Hoftheater "Die Wahl des Herkules", eine »dramatische Cantate«, aufführen. Das auf den antiken Autor Prodikos von Keos zurückgehende Motiv der Wahl des jungen Halbgotts zwischen dem steinigen Pfad der Tugend und dem verderblichen Weg der Wollust bzw. des Lasters war in allen künstlerischen Gattungen besonders populär. Kaum ein Stoff schien für Fürstenlob und dynastische Repräsentation besser geeignet zu sein. Insofern stand Wielands "Wahl des Herkules", wenngleich im aufklärerischen Duktus akzentuiert, motiv- und formgeschichtlich in einer langen, gesamteuropäischen Tradition. Konnte Wieland 1773 an eine mit der Dynastie oder dem Ort »Weimar« verbundene Tradition des Herkules-Mythos anknüpfen, oder bediente er sich des Motivs schlicht deshalb, weil es sich seiner europaweiten Verbreitung wegen als ein eingängiger und formbarer Stoff für seine reichsweite Wirkungsabsicht anbot? Ich frage also danach, in welchen Medien und in welchen Formen das Herkules-Motiv in Weimar seit dem Ausgang des Mittelalters erscheint, und wie sich Weimar diesen europäischen Mythos aneignete. Diese Spurensuche, die sich auf die bildenden Künste und die Hofkultur (Feste, Gelegenheitsdichtung, Theater) konzentriert, markiert auf vielen Feldern eher Wissenslücken, als sie diese füllen kann; wo Medien und Agenten in der Aneignung, Umformung oder Zurückweisung des Mythos greifbar sind, wird sie (in Ansätzen) zur Transferanalyse, wo diese Vermittler (noch) nicht aufzuspüren sind, bleibt sie eher Rezeptionsgeschichte.
Im Sinne einer "Reisefolgenforschung" wird in dieser Studie danach gefragt, wie sich die ehmalige Landesregentin während des Italienaufenthalts der Kunst und Gesellschaft Italiens näherte, und inwieweit sie in den Jahren danach in der Residenz Weimar als Vermittlerin italienischer Kultur auftrat - Kultur verstanden als die Manifestationen, in denen sich eine Gesellschaft über ihre Lebensformen verständigt. Dies schließt den Konsum und die Verständigung über die Künste mit ein, auf denen der Schwerpunkt das Aufsatzes liegt. Die komplizierte Rezeptionsgeschichte, die Anna Amalia eine außerordentliche Bedeutung als Mäzenin zuschreiben wollte, interessiert an dieser Stelle nicht. Es handelt sich um eine Fallstudie, welche die Handlungsspieräume hochadliger Frauen im Alten Reich vermisst. Damit soll die identifikatorische und idealisierende Umfeldforschung zu den Protagonisten der "Weimarer Klassik" verlassen und Anschluß an die allgemeine Hof- und Reisefoschung gesucht werden.
Neben Goethes – hier freilich nur sehr grob umrissener – nüchterner Bewertung der historischen Rolle Deutschlands und Europas nimmt sich der "Europa" überschriebene, im Herbst 1799 entstandene Aufsatz Friedrich von Hardenbergs, genannt Novalis, geradezu als das andere Ende eines Spektrums von Standpunkten aus, die das Thema »Europa in Weimar« um 1800 ausmessen. Der Text hat bei den zeitge-nössischen Lesern in Novalis’ romantischem Jenaer Freundeskreis, besonders aber bei Schelling, für Irritation gesorgt. Goethe, der von August Wilhelm Schlegel um eine Stellungnahme gebeten worden war, sprach sich gegen die Absicht der Herausgeber aus, die "Europa"-Rede aus romantischer »Philironie« heraus zusammen mit Schellings polemischer Entgegnung "Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Widerporstens" im "Athenäum" abzudrucken; eine Begründung seiner Entscheidung ist freilich nicht überliefert. Auch die spätere Rezeption der "Europa" blieb nicht selten von Verständ-nislosigkeit und Befremden geprägt.
Eine kleine Sensation war bis vor kurzem im Gästebuch des Goethehauses verborgen geblieben: Auf der Konzertreise, die Franz Liszt nach seinem Gastspiel in der sächsischen Kunstmetropole am 31. März 1840 von Leipzig weiter nach Paris führte, machte er am 1. April in Weimar Station und besuchte das Haus des Dichters. Sein eigenhändiger Namenszug und der seines Reisebegleiters Hermann Cohen, datiert von Friedrich Theodor Kräuter, dem Kustos des Goethehauses, verschiebt den Zeitpunkt des in der Forschung bisher angenommenen ersten Aufenthaltes Franz Liszts in Weimar um mehr als eineinhalb Jahre zurück in das Jahr 1840.
Wer als erster den Plan fasste, die Dichtertage ab 1941 zu internationalisieren, ist nicht mehr festzustellen, desgleichen nicht, wer auf die Idee eines ›Anti-P.E.N.- Clubs‹ verfallen war. Angeblich handelte es sich um einen spontanen Gedanken, den der Flame Filip De Pillecyn (Pillecijn) und der Franzose Jacques Chardonne zeitgleich äußerten, doch der spanische Tagungsteilnehmer Ernesto Giménez Caballero, der sich stolz den ersten Faschisten Spaniens nannte, behauptete, bereits 1933 in Rom die Gründung eines antibolschewistischen Dichterverbandes mit dem programmatischen Namen M.A.N.U.S (Militantium Auctorum Nationalium Universale Sodalitium) angeregt zu haben. Dieser Name habe die gegen Juden, Freimaurer und Linke jeglicher Couleur erhobene Hand, mit der Faschisten grüßten, symbolisieren sollen. Die Zeit sei damals allerdings noch nicht reif gewesen, doch jetzt habe Minister Goebbels endlich diesen wegweisenden Plan realisiert.
Kolumbus entdeckt Amerika? : Zur Deutung der Gestalt des italienischen Seefahrers bei Schiller
(2008)
Weder der mythologische noch der religiöse oder der pädagogische Aspekt, keine der eingangs beschriebenen Sichtweisen auf die Gestalt des Kolumbus interessierte Schiller, schon gar nicht Alexander von Humboldts Blick auf den mit Hilfe der empirischen Naturwissenschaften erfolgreichen Entdecker "glüksel’grer Welten", die der junge Schiller in Amerika vermutete. Schiller unterzieht die Figur vielmehr auf eine für ihn charakteristische Weise einer radikal "idealistischen" Interpretation. Kolumbus wird jeglicher Historizität entkleidet; er dient lediglich als Vehikel eines poetischen Verfahrens, das Benno von Wiese als "ästhetische Synthesis" bezeichnet hat. Gemeint ist damit die für Schillers Einbildungskraft typische doppelte Bewegung der "'Aufhebung' des Ideellen im Konkreten und des Konkreten im Ideellen", und zwar dadurch, dass "begriffliche Abstraktionen und Ideen […] dem Bildhaften angenähert werden" und umgekehrt und damit jeweils ein "spezifischer Empfindungswert" gewonnen wird. Im Folgenden ist die Frage zu klären: Welcher Idee, welchem Begriff dient Kolumbus zur Anschauung?