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Das Lied MF 159,1 interessiert die Minnesang-Philologie vorrangig als einer der beiden Ausgangspunkte für Walthers Reinmar-Parodie L 111,23. (...) Doch weder (...) Abweichungen in der Strophenfolge noch die – zum Teil eklatanten – Unterschiede im Wortlaut vermochten das Interesse der Forschung recht zu wecken.
Im Fall der Lieder Walthers (...) hat man (...) die Qual der Wahl zwischen den Textfassungen Carl von Kraus’ und Friedrich Maurers (...). [Ingrid Bennewitz] möchte im folgenden die Überlieferung der Handschrift E zum Anlaß nehmen, um anhand einiger Beispiele die Stationen der Textkritik und jene Argumentationsstrategien zu demonstrieren, die seit Lachmann Texte ins forschungsgeschichtliche Abseits gestellt oder aber zur Bildung von Atethesen geführt haben.
Rezension zu Peter Goßens: Paul Celans Ungaretti-Übersetzung. Edition und Kommentar. Heidelberg (Winter) 2000 (= Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Bd. 9). 381 Seiten.
Goßens hat sich in seiner vorliegenden Arbeit ein sehr hohes Ziel gesetzt. Es geht ihm darum, sowohl einen "Beitrag zu einer philologisch orientierten Komparatistik" zu leisten, als auch die "Editionswissenschaft auf ihrem Weg von werk- und autorbezogenen Modellen zu einer dynamischen, textreflexiven 'critique génétique'" zu befördern. Es sei sofort gesagt: der Verfasser erfüllt die Erwartungen, die seine ambitionierte Intention im Leser wachruft.
Ad fontes! : Hugo von Hofmannsthal im Herbst und Winter 1913/1914 ; Daten, Fakten, Korrekturen
(2008)
"Ad fontes!" - daß sich dieses 1511 von Erasmus von Rotterdam programmatisch formulierte Motto auch heute noch in den Niederungen editorischer Kleinarbeit zu bewähren vermag, zeigt der Versuch, einmal exemplarisch den Ungereimtheiten und Widersprüchen auf den Grund zu gehen, die über Ereignisse und Korrespondenzen in Hofmannsthals Leben während der wenigen Monate zwischen August 1913 und Anfang Januar 1914 in Umlauf sind. Außer den unentbehrlichen Hauptquellen in Gestalt der Originalhandschriften geben 'Nebenquellen' wie Tagespresse oder Theater-Spielpläne nicht selten entscheidende Fingerzeige, die, zusammen mit einer kritischen Gesamtanalyse der vorgegebenen Inhalte, zur Lösung strittiger Fragen und Datierungen beitragen können.
"Hock war ganz nett; auch klug; relativ ehrlich; im ganzen steht er mir mit Hochschätzung gegenüber, die durch Germanistik und Renegatentum erheblich beeinträchtigt wird" - Arthur Schnitzler, Tagebuch 15/12/1920
Schnitzler hatte mit Germanisten nicht immer Glück, vielleicht gründet von da her seine Skepsis gegenüber der Zunft. Und wenn man sich genauer ansieht, was nachgeborene Germanisten und Editoren manchmal mit dem angestellt haben, was er geschrieben hat, ist man geneigt, diesem absprechenden Urteil beizustimmen.
Arkanisierung des Vorklassikers : zur Lessing-Ausgabe von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen
(2017)
Die Spannung von religiöser und säkularer Kommentierung prägt nicht nur den Umgang mit der Bibel, sondern auch mit anderen Texten, etwa mit den 'Klassikern' der Nationalliteraturen. Kai Bremer untersucht am Beispiel der Lessing-Philologie eine Arkanisierungsstrategie, die den Kommentar selbst hermetisch abriegelt und nur für 'Eingeweihte' zugänglich macht. So zeigt er, dass die sog. "P/O", d.h. die Lessing-Ausgabe von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen (1925-1935) nur solchen Lesern zugänglich ist, die bereits umfassend mit der zeitgenössischen Lessing-Philologie vertraut sind und insbesondere die früheren Lessing-Kommentare der Editoren kennen. Somit 'arkanisieren' die Herausgeber ihren eigenen Kommentar und damit auch die eigenen philologischen Praktiken: Sie schaffen einen philologischen Raum, der - vergleichbar einem heiligen Raum - nur Eingeweihten zugänglich ist.
Am 6. August 1975 lädt der Verlag Roter Stern in Frankfurt am Main zu einer Pressekonferenz ins Hotel Frankfurter Hof. Hier präsentieren der Verleger KD Wolff, ehedem Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, und der ehemalige Werbegrafiker D.E. Sattler den Einleitungsband ihrer neuen Hölderlin-Ausgabe. Die zwanzigbändige Edition soll in fünf Jahren abgeschlossen sein; tatsächlich erscheint der letzte Band 2008. Aufsehenerregend war die neue Ausgabe vor allem wegen ihrer Editionsprinzipien: Alle Handschriften werden im Faksimile wiedergegeben, eine "typographische Umschrift" bildet die Schriftbildlichkeit der Handschriftenblätter ab, eine "Phasenanalyse" macht den zeitlichen Charakter des Entwurfsprozesses nachvollziehbar. Aufsehenerregend war aber auch, dass die Frankfurter Hölderlin-Ausgabe (FHA) von Anfang an unter einem politisch-aktivistischen Stern stand: "Roter Stern über Hölderlin" oder "Liest Marx jetzt Hölderlin?" lauteten einschlägige Überschriften in der Presse.
Edition und Open Access
(2005)
Der Wiener Kanoniker Ladislaus Sunthaim, einer der um 1500 am historisch-genealogischen Forschungsprojekt Maximilians I. tätigen Gelehrten, wurde von Fritz Eheim - unter anderem in seiner leider ungedruckt gebliebenen Prüfungsarbeit am IfÖG 1950 - als einer jener reisenden Historiker in der Zeit des Humanismus porträtiert, die unter anderem in Klosterarchiven und -bibliotheken nach verborgenen Quellenschätzen fahndeten. Im Zeitalter von Kopie und Mikrofilm ist es wesentlich einfacher geworden, an entlegene handschriftliche Quellen zu kommen. Heutzutage macht sich der reisende Historiker auf den Weg, um in anderen Bibliotheken und Forschungsinstituten umfangreiche kommerzielle Datenbanken und digitale Sammlungen zu konsultieren, die sich die eigene Institution nicht leisten kann oder will, denn ein unkomplizierter Fernzugriff ist aus urheber- und lizenzrechtlichen Gründen nicht möglich.
Die Vorgeschichte von "Des Minnesangs Frühling" als einem Gemeinschaftswerk von Karl Lachmann und Moritz Haupt reicht in den Herbst 1934 zurück. Im Oktober dieses Jahres trafen Haupt und Lachmann das erste Mal im Hause von Karl Hartwig Gregor von Meusebach [...] zusammen. [...] Ein Ergebnis der überlieferungshistorisch orientierten Debatte der letzten Jahre liegt, wenn ich richtig sehe, in der Einsicht, daß eine so gut wie ausschließlich auf formale und ästhetische Urteile gegründete Philologie zu sehr diachrone, entwicklungsgeschichtliche Gesichtspunkte favorisiert. [...]) Eine Ausgabe von "Des Minnesangs Frühling", die sich [...] stärker von der Tradition verabschieden, als dies schon durch die Neubearbeitung geschehen ist, müßte [...] wohl ohne die namenlosen Lieder auskommen.