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Wenn ich jetzt etwas zur Geschichte dieser Ausgabe sage, fällt mir zuerst ein, dass es eigentlich eine unendliche Geschichte ist, von der lange nicht abzusehen war, ob sie wirklich je ein Ende finden würde, eine Geschichte von vielen Zufällen, die der Edition immer wieder aufhalfen, und eine Geschichte von bewundernswerter Hilfe, die oft entscheidend für den Fortgang der Arbeit war. Im Prinzip gab es drei Anläufe. Der erste geht auf Bruno Kaiser zurück, der 1957 auf Initiative von Wolfgang Steinitz, dem damaligen Vizepräsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, eine Arbeitsstelle Herwegh-Ausgabe am Institut für Deutsche Sprache und Literatur einrichtete. [...]
Das 1814 bei der Wiener Polizeihofstelle eingereichte "lokale Lustspiel" Modeschwindel verdient Interesse sicherlich nicht wegen seiner Ästhetik oder Dramaturgie - man hat es mit einem reichlich lang, geradezu geschwätzig geratenen Verwechslungsstück mit allerlei verwandtschaftlichem und amourösem Verwirrspiel und doppeltem Heiratsschluss zu tun. Und auch die Komik ist mehr als ausgedünnt: So enthält das Stück weder eine Lustige Person noch deren mehrere, und die situationskomischen Szenen beschränken sich auf jene wenigen, in denen sich der Filou und Theaterdichter Seicht verstecken muss. Die Komik ist vielmehr auf die männlichen und weiblichen Parvenüs abgestellt, die mittels satirischer Verzerrung der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Interesse verdient es freilich wegen zweier Besonderheiten: der ausufernden Streichungen durch den Zensor sowie der detailfreudigen Inszenierung von Lebensstilen bzw. Habitusformen im Wien des beginnenden 19. Jahrhunderts. Ins satirische Visier geraten nämlich die Moden und Marotten von Parvenüs, die ihren sozialen Aufstieg betrügerischen Finanzspekulationen verdanken; von ihren ebenso raffgierigen wie niederträchtigen Ehegattinnen, die das erborgte oder erschlichene Geld mit vollen Händen ausgeben und sich damit auch noch einen Galan halten; von ehrgeizzerfressenen Kleinbürgern und Handwerkern, die ihren Söhnen Ehren und Titel erkaufen wollen. Das Stück bietet nichts weniger als ein Bild historischer Soziologie. Es sind nicht nur Zerrbilder allgemeinmenschlicher Torheiten oder deren Personifikationen, welche die Schärfe der satirischen Klinge zu spüren bekommen, sondern ansatzweise psychologisch und soziologisch konturierte Repräsentanten ihres Geschlechts, ihres Alters, vor allem jedoch ihres Standes und ihres Berufs. Gemessen an den Schemata der alten Typenkomödie bietet Modeschwindel eine Satire, die die Figuren ständisch-sozial verortet und derart die Geschichte motiviert.
Editionen separieren Texte von den Kontexten, in denen sie bei ihrem Entstehungsprozess mit der Hand und technischen Schreibwerkzeugen unterschiedlichster Art geschrieben, als Erstdruck publiziert und von den Zeitgenossen ursprünglich rezipiert worden sind. Zugleich generieren sie, je nach ihren editorischen Prämissen, für die späteren Leser durch die von ihnen vollzogene Selektion, die Anordnung nach Textsorten oder die Anwendung anderer Strukturierungsregeln sowie durch die dabei vorgenommene Hierarchisierung, Kommentierung oder auch Nicht-Kommentierung ihrerseits neue Kontexte und konstruieren so ein bestimmtes, die Rezeption lenkendes Profil von Autor und Werk. Das ist, wie bei anderen prominenten Autoren, auch in der Wirkungsgeschichte Walter Benjamins der Fall. Ich möchte diesem Spannungsverhältnis von Dekontextualisierung und Rekontextualisierung im Folgenden am Beispiel der sogenannten 'kleineren' literaturkritischen Arbeiten - schon das Epitheton ist ein Beispiel für den erwähnten Selektions- und Hierarchisierungsprozess - nachgehen, also anhand der 'Kritiken und Rezensionen', die Benjamin seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in der 'Frankfurter Zeitung', der 'Literarischen Welt' und an anderer Stelle veröffentlicht hat und deren Korpus im Wesentlichen in dem 1972 publizierten dritten Band der 'Gesammelten Schriften' publiziert worden ist. Ich werde mich dabei, in Blick auf den für diesen Beitrag zur Verfügung stehenden Raum, auf die Skizze zentraler Grundprobleme, auf pointierte Thesen und exemplarische Beispiele beschränken – in der Hoffnung, gerade durch solche Verknappung und Pointierung Impulse für eine weiterführende Diskussion der angesprochenen Probleme zu liefern. Einleitend werde ich zunächst einige grundsätzliche Fragen der Benjamin-Edition skizzieren. Im Anschluss daran werde ich die aktuelle Editionslage von Benjamins Arbeiten zur Literaturkritik im Hinblick auf die Leitfrage meines Beitrags, also auf das Spannungsverhältnis von Text(en) und Kontext(en), kritisch analysieren. Schließlich soll anhand einiger ausgewählter Rezensionen exemplarisch gezeigt werden, welche Bedeutung die in der bisherigen Editionspraxis meist ausgeblendeten Kontexte (z.B. Publikations-, Medien-, Wissenschaftskontexte, biografisch-soziale Kontexte, historische und politische Kontexte etc.) für ein Verständnis des Literaturkritikers Benjamin gewinnen können, sofern man ihnen editorisch die gebührende Beachtung schenkt. Dabei werden Umrisse eines neuen und anderen Benjamin-Bildes sichtbar, das sich von dem bisher verbreiteten nicht nur in Nuancen unterscheidet.
Der Begriff 'Verstreute Gedichte' klingt im Deutschen nicht gut, der Terminus 'Einzelgedichte' lenkt den Blick hin auf das Singuläre jedes Texts und weg von Gemeinsamkeiten und Gedichtgruppen. Der Titel "Uncollected Poems", den William Waters für das Treffen der Internationalen Rilke-Gesellschaft in Boston (2011) in Vorschlag gebracht hat, vermag die Balance gut zu halten, allerdings nur in der englischen Sprache. Eine erste, noch provisorische Übersetzung ins Deutsche mit 'Ungesammelte Gedichte' war wenig überzeugend, denn eine solche Fügung findet sich nicht im Repertoire der deutschen Sprache. Zusammen mit der englischen Prägung wird aber sofort klar, was gemeint ist, auch wenn ein passender editorischer Fachbegriff in der deutschen Sprache nur schwer zu finden ist. Ein Blick auf die Editionsgeschichte von Rilkes Werken erklärt, worin die Besonderheit des Falles besteht.
Das 1814 bei der Wiener Polizeihofstelle eingereichte "lokale Lustspiel" Modeschwindel verdient Interesse sicherlich nicht wegen seiner Ästhetik oder Dramaturgie - man hat es mit einem reichlich lang, geradezu geschwätzig geratenen Verwechslungsstück mit allerlei verwandtschaftlichem und amourösem Verwirrspiel und doppeltem Heiratsschluss zu tun. Und auch die Komik ist mehr als ausgedünnt: So enthält das Stück weder eine Lustige Person noch deren mehrere, und die situationskomischen Szenen beschränken sich auf jene wenigen, in denen sich der Filou und Theaterdichter Seicht verstecken muss. Die Komik ist vielmehr auf die männlichen und weiblichen Parvenüs abgestellt, die mittels satirischer Verzerrung der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Interesse verdient es freilich wegen zweier Besonderheiten: der ausufernden Streichungen durch den Zensor sowie der detailfreudigen Inszenierung von Lebensstilen bzw. Habitusformen im Wien des beginnenden 19. Jahrhunderts. Ins satirische Visier geraten nämlich die Moden und Marotten von Parvenüs, die ihren sozialen Aufstieg betrügerischen Finanzspekulationen verdanken; von ihren ebenso raffgierigen wie niederträchtigen Ehegattinnen, die das erborgte oder erschlichene Geld mit vollen Händen ausgeben und sich damit auch noch einen Galan halten; von ehrgeizzerfressenen Kleinbürgern und Handwerkern, die ihren Söhnen Ehren und Titel erkaufen wollen. Das Stück bietet nichts weniger als ein Bild historischer Soziologie. Es sind nicht nur Zerrbilder allgemeinmenschlicher Torheiten oder deren Personifikationen, welche die Schärfe der satirischen Klinge zu spüren bekommen, sondern ansatzweise psychologisch und soziologisch konturierte Repräsentanten ihres Geschlechts, ihres Alters, vor allem jedoch ihres Standes und ihres Berufs. Gemessen an den Schemata der alten Typenkomödie bietet Modeschwindel eine Satire, die die Figuren ständisch-sozial verortet und derart die Geschichte motiviert.
Das 1814 bei der Wiener Polizeihofstelle eingereichte "lokale Lustspiel" Modeschwindel verdient Interesse sicherlich nicht wegen seiner Ästhetik oder Dramaturgie - man hat es mit einem reichlich lang, geradezu geschwätzig geratenen Verwechslungsstück mit allerlei verwandtschaftlichem und amourösem Verwirrspiel und doppeltem Heiratsschluss zu tun. Und auch die Komik ist mehr als ausgedünnt: So enthält das Stück weder eine Lustige Person noch deren mehrere, und die situationskomischen Szenen beschränken sich auf jene wenigen, in denen sich der Filou und Theaterdichter Seicht verstecken muss. Die Komik ist vielmehr auf die männlichen und weiblichen Parvenüs abgestellt, die mittels satirischer Verzerrung der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Interesse verdient es freilich wegen zweier Besonderheiten: der ausufernden Streichungen durch den Zensor sowie der detailfreudigen Inszenierung von Lebensstilen bzw. Habitusformen im Wien des beginnenden 19. Jahrhunderts. Ins satirische Visier geraten nämlich die Moden und Marotten von Parvenüs, die ihren sozialen Aufstieg betrügerischen Finanzspekulationen verdanken; von ihren ebenso raffgierigen wie niederträchtigen Ehegattinnen, die das erborgte oder erschlichene Geld mit vollen Händen ausgeben und sich damit auch noch einen Galan halten; von ehrgeizzerfressenen Kleinbürgern und Handwerkern, die ihren Söhnen Ehren und Titel erkaufen wollen. Das Stück bietet nichts weniger als ein Bild historischer Soziologie. Es sind nicht nur Zerrbilder allgemeinmenschlicher Torheiten oder deren Personifikationen, welche die Schärfe der satirischen Klinge zu spüren bekommen, sondern ansatzweise psychologisch und soziologisch konturierte Repräsentanten ihres Geschlechts, ihres Alters, vor allem jedoch ihres Standes und ihres Berufs. Gemessen an den Schemata der alten Typenkomödie bietet Modeschwindel eine Satire, die die Figuren ständisch-sozial verortet und derart die Geschichte motiviert.
"Hock war ganz nett; auch klug; relativ ehrlich; im ganzen steht er mir mit Hochschätzung gegenüber, die durch Germanistik und Renegatentum erheblich beeinträchtigt wird" - Arthur Schnitzler, Tagebuch 15/12/1920
Schnitzler hatte mit Germanisten nicht immer Glück, vielleicht gründet von da her seine Skepsis gegenüber der Zunft. Und wenn man sich genauer ansieht, was nachgeborene Germanisten und Editoren manchmal mit dem angestellt haben, was er geschrieben hat, ist man geneigt, diesem absprechenden Urteil beizustimmen.
Die Vorgeschichte von "Des Minnesangs Frühling" als einem Gemeinschaftswerk von Karl Lachmann und Moritz Haupt reicht in den Herbst 1934 zurück. Im Oktober dieses Jahres trafen Haupt und Lachmann das erste Mal im Hause von Karl Hartwig Gregor von Meusebach [...] zusammen. [...] Ein Ergebnis der überlieferungshistorisch orientierten Debatte der letzten Jahre liegt, wenn ich richtig sehe, in der Einsicht, daß eine so gut wie ausschließlich auf formale und ästhetische Urteile gegründete Philologie zu sehr diachrone, entwicklungsgeschichtliche Gesichtspunkte favorisiert. [...]) Eine Ausgabe von "Des Minnesangs Frühling", die sich [...] stärker von der Tradition verabschieden, als dies schon durch die Neubearbeitung geschehen ist, müßte [...] wohl ohne die namenlosen Lieder auskommen.
Konzepte digitaler (Re-)Präsentationen von Literatur zwischen Pluralisierung und Standardisierung
(2019)
Karl Nauwerck in Sizilien : eine Edition zweier früher sozialkritischer Bildungsreiseberichte
(2009)
Die vorliegenden Dokumente "Palermos Bettler" und "Wahnsinn aus Katania" sind sozialkritische literarische Genrebilder. Sie hatte Nauwerck nach der Rückkehr von seiner Italienreise ins väterliche Haus in Neustrelitz (31. März 1835) angefertigt. Diese Reise, die er am 17. Juli 1834 angetreten hatte, war offenbar der 'Lohn' für seine Promotion in Halle am 5. Juli 1834. Vermutlich beabsichtigte er eine Veröffentlichung der Skizzen. Erhalten blieben sie in seiner "Großen Aphorismensammlung" in seinem Nachlaß, die er unter dem Titel "Allerlei. Eigenes und Fremdes" ganz offensichtlich zu einer - dann allerdings nicht realisierten - Publikation vorbereitet und seiner Frau Julie gewidmet hatte. Darin hatte er alle jene Sentenzen aus seinem publizierten und nichtveröffentlichtem Lebenswerk, seinen Briefen, verlorenen Tagebüchern und anderen von ihm für wichtig gehaltenen Äußerungen zusammengetragen, unter anderem eben auch diverse frühe Schreibversuche. Beide Texte beweisen im Unterschied zur modischen antiklassischen Kritik an der angeblichen Italienschwärmerei ein 'echtes' soziales Engagement. Nauwerck geißelt die elenden gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Armen, Mühseligen, die untersten Schichten im zerfallenden spätfeudalen System des italienischen Südens und Siziliens leben müssen.