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Signatur, Hieroglyphe, Wechselrepräsentation : zur Metaphysik der Schrift in Novalis' "Lehrlingen"
(2004)
Die These, die ich in diesem Aufsatz entfalten möchte, besagt, dass sich die [...] Gedankenfigur einer Naturschrift aus drei Elementen zusammensetzt: Novalis verbindet zwei historische Modelle, die aus verwandten (aber nicht identischen) Traditionen stammen, mit einer aktuellen Debatte in der Naturphilosophie und -wissenschaft. Die Rede ist von der Signaturenlehre der Frühen Neuzeit, der Hieroglyphen-Diskussion des 18. Jahrhunderts und der Organismus-Debatte um 1800. Ich werde dabei so vorgehen, dass ich zuerst diese drei Größen isoliere und in einem zweiten Schritt ihre Synergie-Effekte vorführe
Das Thema des Monologs ist das Schreiben und Sprechen als
"närrische Sache". Ich beginne meine Lektüre, indem ich den Begriff wörtlich nehme: Ein Narr ist, in der Psychologie der Zeit, jemand, der an Melancholie leidet, dessen Verstand bzw. Vernunft jedoch nicht vollständig, sondern nur teilweise angegriffen ist. [...] Die Diagnose der Narrheit gilt auch [...] für denjenigen, der sich in Novalis' Augen der Sprache zuwendet. Auch er wird zum Narren oder Partialwahnsinnigen, der sowohl vernünftig als auch ganz und gar unvernünftig sprechen kann. Die Krankheit liegt aber, und das stellt eine Differenz gegenüber der Psychologie der Zeit dar, nicht im Sprechenden, zumindest nicht in ihm allein, sondern in der Sprache. Sie selbst ist es, welche die "närrische Sache" ausmacht.
Rethinking Romanticism with Spinoza : encounter and individuation in Novalis, Ritter, and Baader
(2021)
Siarhei Biareishyk setzt sich mit Berührung bei Novalis, Joachim Ritter und Franz Baader auseinander, bei denen er ein materialistisches Denken findet, das starke Parallelen zur Philosophie Spinozas zeigt. Mit Novalis erweist sich Berührung - und nicht 'Begegnung' wie etwa bei Gilles Deleuze - als eine zentrale Denkfigur für Individuierungsprozesse und Konzepte der Transindividualität. Der um Novalis angesiedelte Kreis der 'Freiberger Romantik' bildet so ein interessantes Scharnier zwischen einem Denken von Berührung und aktuellen Debatten um einen neuen Materialismus.
Selten dürfte ein Roman während seiner Entstehung von so kompetenten Werkstattgesprächen begleitet gewesen sein, wie sie der Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller zu "Wilhelm Meisters Lehrjahren" in den Jahren 1794-96 bezeugt. Dieser so kritische wie beflügelnde Dialog wurde jedoch gleich nach Erscheinen des ersten Bands im Januar 1795 durch einen Widerstreit der öffentlichen wie der privaten Reaktionen zu diesem Roman überlagert. In dieser durch den Xenien-Streit zusätzlich aufgeheizten Situation publizierte der damals fünfundzwanzigjährige Friedrich Schlegel, der soeben nach der Entzweiung mit Schiller und Woltmann von Jena nach Berlin übersiedelt war, im September 1797 im dortigen Lyceum der schönen Künste das selbstbewußte "Kritische Fragment.
"Machet euch die Erde untertan! " (Gen I, 28) - damit wird keineswegs die heutige Form naturbeherrschender Technik durch Gott selbst schon vorab legitimiert. Die Agrarkultur, die dem Jahwisten bei diesem Satz vorschwebte, zielt nicht auf ein dominium terrae, gar auf despotische Herrschaft des Menschen über Natur. Auch bei den frühen christlichen Exegeten findet sich keine Stütze für einen christlichen Auftrag zur Naturbeherrschung im technischen Sinn. Die privilegierte Stellung des Menschen ruht weniger auf einem NaturAuftrag als auf seiner Einzeichnung in den heilsgeschichtlichen Plan Gottes. Auch der stoische Gedanke einer teleologisch auf das Wohl des Menschen hin eingerichteten Welt enthält keinen Schub zu einer technischen Entwicklung. Im Gegenteil: die Natur, wie sie ist, ist vollständig und bedarf nicht der technischen Umarbeitung zu ihrer Vervollkommnung. Bei Aristoteles wird die Mechanik gegenüber der Physik, die durchaus ein kontemplatives Verhältnis zur Natur beschreibt, deutlich abgewertet. Natürlich: man hatte Sklaven oder niedrige Handwerker, die die gesellschaftlich notwendige Arbeit auf einem gleichbleibenden Niveau der instrumentellen Technik erledigten. Für die antike Welt, deren theoretische und praktische Kenntnisse eine erste technische Revolution durchaus ermöglicht hätten, bleibt deshalb charakteristisch, was Hanns Sachs die "Verspätung des Maschinenzeitalters" genannt hat. ...
"Das Drama muß, weil es seinem Inhalte wie seiner Form nach sich zur vollendetesten Totalität ausbildet, als die höchste Stufe der Poesie und der Kunst überhaupt angesehen werden". Mit solchen, enthusiastisch gestimmten Worten formuliert Hegel in seinen Vorlesungen zur Ästhetik zugleich Summe und Nachklang der idealistischen Dramentheorie in Deutschland. [...] Gerade die Besonderheit [...], die das Drama – einerseits – zum Gipfel der Künste qualifiziert, ist – andererseits – für dessen sicheren Untergang verantwortlich. [Novalis] bislang von der Forschung vernachlässigte Bemühungen um eine "Poetik des Dramas" sollen [...] im folgenden [...] etwas genauer untersucht werden. Wenn dabei auch ein zusätzliches Licht auf Novalis dichterisches Werk und vor allem auf einen auffälligen motivischen wie stilistischen Zug desselben fallen sollte, so wäre dies nur willkommen.
Daß die Geschichte der deutschen Literatur auf dem amüsanten Gebiet der Komödie ihrerseits nur wenig Erfreuliches und Gültiges zu bieten hat, gehört seit langem zu den leidigen Gewißheiten der Forschung. Auch die Ausnahmen sind bestens bekannt. Im Gegensatz aber zu Goethe und Schiller, zu Friedrich und August Wil-helm Schlegel (und einer Reihe anderer) scheint einer von dieser Klage durch hö-here Unzuständigkeit freigesprochen. Sein dichterisches Naturell erheischt die produktionspsychologische Forderung nach der Komödie so wenig wie seine philosophisch-theoretischen Grundbegriffe eine solche auch nur zuzulassen scheinen – nämlich gar nicht. Die Rede ist von Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis.
[Es ist überraschend], dass mit Novalis und Hölderlin zwei der bedeutendsten modernen Hymnendichter die Figur der Maria in der geschichtlichen Sattelzeit um 1800 erneut in ihren Werken zur Geltung bringen. Neben den relativ konventionellen Mariengedichten von A. W. und Friedrich Schlegel sowie dem breiten Eingang der Marientradition in das Kirchenlied stellen Novalis "Hymnen an die Nacht" aus dem Jahre 1800 und Hölderlins Hymnenentwurf "An die Madonna" von 1802 Höhepunkte moderner Marienlyrik dar. In ihrer Adaption des Marienstoffes können sie sich auf Herder berufen. [...] Herder erkennt die Idee der Jungfrau Maria als Ausdruck einer von den Mustern der griechischen Antike unterschiedenen Dichtungsform und damit als eine der möglichen Grundlagen moderner Dichtung an. Vor dem Hintergrund des erneuten Interesses an der Gestalt der Jungfrau Maria lassen sich zugleich drei Fragen stellen, die der Untersuchung im Folgenden als Leitfaden dienen. Ein erster Komplex betrifft die Frage, inwiefern Novalis und Hölderlin in ihren Hymnen an die reiche mittelalterliche Tradition der Marienlyrik anknüpfen. Im Kontext trinitarischer Konzepte, die in der Tradition der Marienlyrik eine bedeutende Rolle spielen, stellt sich darüber hinaus das Problem, welche Position der Jungfrau und Mutter Maria in der Grundkonstellation der bürgerlichen Kernfamilie von Vater, Mutter und Sohn zugewiesen wird. Den Abschluss der Untersuchung bildet die Diskussion der geschichtsphilosophischen Konstruktionen, auf die Novalis und Hölderlin wie auch Friedrich Schlegel in ihren Gestaltungen des Marienbildes zurückgreifen.
Was Novalis seinen Lesern in dieser wie ein Fanal der Sehnsucht und der Rückkehr klingenden Exposition vor Augen führt, ist das Bild eines Kontinents, dessen Homogenität durch die gemeinsame Religion und die Weisheit der geistlichen Führer gestiftet wird. Eine wahre Steilvorlage für heutige Verfechter eines Vereinigten Europa auf der gemeinsamen Basis genuin christlicher Werte. Doch hält dieser geschichtsphilosophische Essay wirklich, wofür er im aktuellen Europadiskurs vereinnahmt wird? Lassen sich diesem frühromantischen Zeugnis aus der Zeit an der Schwelle zum 19. Jahrhundert Impulse abgewinnen, die am Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Präzisierung der strittigen Unbestimmtheit einer europäischen Identität beitragen können? Gibt es triftige Gründe dafür, weshalb Europapolitiker noch heute Novalis lesen sollten? Oder müssen wir nach eingehender Prüfung doch von einem „unnützen“ Aufsatz sprechen, wie dies der ungekrönte König der Romantik, Ludwig Tieck, bereits 1837 unverblümt getan hat? Solche Fragen zu erwidern, soll in einem ersten Schritt zunächst die Struktur des Textes nachgezeichnet werden, um zu verdeutlichen, wie Novalis darin die abend-ländische Geschichte triadisch als Heilsgeschichte entwickelt. Dem τέλος dieser Heilsgeschichte widmet sich dann der darauffolgende Abschnitt, ehe abschließend der von Novalis genannte „Zauberstab der Analogie“ auch mit Blick auf unsere Gegenwart angewandt werden soll, um nach der Relevanz dieses romantischen Refe-renztextes für den aktuellen Europadiskurs zu fragen.
Die performative Ästhetik der Stimmung entsteht mit der romantischen Verlagerung der Deutungshoheit von der Vernunft zur poiesis zu Kunst, Gefühl, Einbildungskraft, und entwickelt sich im transgressiven Zusammenspiel von Wissen und Poetik. Hauptmerkmale textueller "Stimmungs kunst" sind fingierte Oralität und Polyfokalität, die sowohl das enzyklopädische Schreiben als auch der Roman aufweisen. Das zeigen die polyphonen und selbstreflexiven Strukturen der Naturbeobachtung bei Novalis und der Betrachtung von Landschaftsmalerei bei Brentano, wo man im entreferenzialisierten Kunstwerk nach Appellstrukturen sucht. Im Kontext der Schriftzentriertheit entwerfen Die Lehrlinge zu Sais in Abgrenzung von Mimesis und Rhetorik Stimmungs szenarien, die orale (rhythmisch-klangliche), szenisch-dialogische und performative Komponenten der Dichtung privilegieren, welche auf die Darstellung eines befreienden Entgrenzungserlebens zielen. Die unbegriffliche Entgrenzungsdimension der Stimmung erweist sich als programmatischer Bestandteil des absoluten Ganzheitsanspruchs, dessen Erfüllung der kosmographische Roman als Kreuzung von mathesis und poiesis und "Mischung aller Dichtarten" (p. Schlegel) im Projekt der neuen Mythologie für sich beansprucht. Enzyklopädie und Roman konvergieren in der Darstellung des Universums, die bei Novalis in der erklärten Zwecklosigkeit der Fiktion ihr symbolisch strukturiertes Aufschreibesystem findet. Insbesondere die narrative Anarchie der Märchenerzählungen sublimiert die spekulative Poetisierung der Wissenschaften zur Affektspur, die das vielstimmige "ConfusionsSystem" des Novalis zur universalen Harmonie imaginärer Ideenparadiese hetaufstimmt. Da dies ohne mannigfache "Verabgründungen" wie Märchen, Höhlenerlebnisse, Träume, Visionen, Initiationen oder absolute Bücher nicht mehr möglich ist, wird der welterklärende Roman zum Theater des kosmischen Dramas.