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Das von Tüxen (1956) vorgestellte Konzept der potentiellen natürlichen Vegetation ist im Laufe der Zeit weiterentwickelt worden und hat eine systematische Darstellung durch Kowarik (1987) erfahren, die alle neu aufgetretenen Aspekte behandelt. Die Methoden der Feldkartierung haben bei der praktischen Durchführung neue Probleme bewältigen müssen und sind dementsprechend ergänzt worden. Am Beispiel einer Karte "Potentielle natürliche Vegetation im unteren Inntal" werden neu aufgetretene Probleme des theoretischen Konzeptes und der Feldkartierung und ihrer Ergebnisse behandelt. Die vielseitige Anwendung der PNV bei der Landnutzungsplanung und seit zwei Jahrzehnten zunehmend auch im Naturschutz ist weiterentwickelt worden, hat jedoch auch neue Kritiker gefunden.
Auf der Grundlage einer Kritik des theoretischen Konzepts der Potentiellen Natürlichen Vegetation (TÜXEN 1956) sowie seiner Anwendung werden Änderungsvorschläge diskutiert und eine erweiterte Definition vorgeschlagen.
Die heutige PNV sei eine rein gedanklich vorzustellende, nicht zukünftigen, sondern gegenwärtigen Standortbedingungen entsprechende höchstentwickelte Vegetation, bei deren Konstruktion neben den natürlichen Ausgangsbedingungen auch nachhaltige anthropogene Standortveränderungen mit Ausnahme derjenigen zu berücksichtigen sind, die durch die Existenz der PNV, d.h. im Zuge eines gedachten Regenerationszyklus, ausgeglichen wären. Die Wirkung bestehender sowie zukünftiger direkter menschlicher Eingriffe innerhalb der Bezugsfläche (Mahd, Düngung, Pflügen, Tritt u.a.) ist auszuschließen, sofern sie nicht bereits zu nachhaltigen Standortveränderungen geführt hat, wogegen der von außen einwirkende Einfluß übergreifender, auch durch fortwährende anthropogene Steuerung geprägter Umweltbedingungen (z.B. Veränderungen des Wasserhaushalts, der Luftqualität) sowie Florenveränderungen zu berücksichtigen sind.
Beobachtungen über das sehr agressive Naturverjüngungsverhalten von Kiefer und Fichte in der Lüneburger Heide gaben die Veranlassung, der Frage ihrer "Natürlichkeit" nachzugehen. Pollenanalysen aus der Nacheiszeit und Ergebnisse archivalischer Untersuchungen lassen als wahrscheinlich bis sicher annehmen, dass beide Baumarten auch ohne menschliches Zutun sich in der "Hohen Heide" bis zur Zeit der Aufforstungstätigkeit an Sonderstandorten gehalten haben. Pollenanalysen aus der letzten Zwischeneiszeit (Eem) zeigen unter von Menschen ungestörter Entwicklung nach der Eichenmischwaldzeit ein neuerliches Vordringen von Fichte und Kiefer.
Das Klima mit Anklängen an montane und boreale Klimaeigenschaften und der saure Boden, beides durch die Vegetation angezeigt, entsprechen eher den Standortsansprüchen von Fichte und Kiefer als denen von Buche und Eichen. Bei der potentiellen natürlichen Vegetation, die nicht statisch gesehen werden darf, muss die Entwicklungsdynamik in die Überlegungen einbezogen werden. Im Schlußwaldstadium verläuft eine zyklische Entwicklung von der Alters- und Zerfallsphase über die Verjüngungs- zur Optimal- und wieder zur Altersphase. Wird diese Entwicklung durch Naturereignisse wie Sturm oder Orkane unterbrochen, mit denen in Norddeutschland im Laufe eines Bestandeszyklus mehrmals gerechnet werden muss, so bildet sich in der Sukzession vom Pionierstadium über das ÜbergangsStadium das Schlusswaldstadium wieder heraus, wenn nicht neue Störungen die Entwicklung abermals zurückwerfen.
Selbst wenn man annimmt, dass Kiefer und Fichte im Schlusswaldstadium der potentiellen natürlichen Waldgesellschaften fehlen, so ergeben sich in den Pionier- und Übergangsstadien sowie in der Zerfallsphase genügend Gelegenheiten, dank ihrer guten Konkurrenzeigenschaften Fuß zu fassen und vereinzelt bis zum Schlusswaldstadium durchzuhalten. An den beiden Beispielen des Drahtschmielen-Buchenwaldes (Deschampsio-Fagetum Pass. 1956) und des trockenen Birken-Eichenwaldes (Betulo-Quercetum Tx. 1937) wird dies erläutert. Es muss demnach mit einem natürlichen Anteil von Fichte und Kiefer an der potentiellen natürlichen Vegetation der Hohen Heide gerechnet werden.