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Büchner, Georg: Sämtliche Werke und Schriften: Historisch-kritische Ausgabe mit Quellendokumentation und Kommentar (Marburger Ausgabe)/im Auftr. d. Akad. d. Wiss. u. Lit., Mainz, hrsg. von Burghard Dedner und Thomas Michael Mayer. Bd. 3: Dantons Tod. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 2000. 3.1 Text/bearb. von Thomas Michael Mayer. V, 511 S.: 167 Faks. 3.2 Text [Forts.], Editionsbericht/bearb. von Burghard Dedner und Thomas Michael Mayer. V, 378 S. 3.3 Historische Quellen/bearb. von Burghard Dedner, Thomas Michael Mayer und Eva-Maria Vering. VI, 467 S. 3.4 Erläuterungen/bearb. von Burghard Dedner unter Mitarb. von Eva-Maria Vering und Werner Weiland. V, 251 S.
Hatte Heine für seine Person eine Mittelstellung zwischen dem sinnlichen, indifferent pantheistischen Goethe und dem sentenziösen Freiheitsdichter Schiller angestrebt, so bevorzugt hingegen Büchner eindeutig zu Ungunsten Schillers und der rhethorischen Tendenz "Goethe und Shakspeare". Der seit Hans Landsberg (1900) und Paul Landau (1909) etwas abgestandenen Lehrtradition, dernach Büchner an Shakespeare und den "Sturmund Drang" anknüpft, gibt der folgende Beitrag im Anschluß an Friedrich Sengles Betonung des Wally-Skandals eine politisch kritischere, vormärzlichere Wendung.
Friede den Hütten! Krieg den Palästen!
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage und die Fürsten und Vornehmen am sechsten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: 'Herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht', und hätte die Bauern und Bürger zumGewürm gezählt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: sie wohnen inschönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und redeneine eigne Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. DerBauer geht hinter dem Pflug, der Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und läßt ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen.
Mit dieser rhetorischen Fanfare beginnt der Hessische Landbote, jene politische Flugschrift, die Georg Büchner 1834, noch vor seinen eigentlich literarischen Werken, veröffentlichte. Es ist der Text in Büchners Werk, in dem die biblischen Bezüge am deutlichsten sind, wie in der zitierten Passage nicht nur die explizite Erwähnung der Bibel im ersten Satz und die deutliche Anspielung auf Jesaja 1.7 "Fremde verzehren eure Acker vor euren Augen" zeigt. Auch der gesamte Tonfall, jene Mischung von Vehemenz und Anschaulichkeit, die den Landboten insgesamt auszeichnet, ist biblisch geprägt. Allerdings wissen wir nicht einmal sicher, ob dieser zitierte Anfang von Büchner stammt, denn der Landbote hat zwei Autoren: Georg Büchner und Friedrich Ludwig Weidig, der einen nicht überlieferten Entwurf von Büchner überarbeitet und ergänzt hat, so dass am Ende kaum zu sagen ist, wer hier was geschrieben hat.
Georg Büchners Fragment gebliebenes Drama "Woyzeck" (1837/1879) stellt eine Figur mit selbigem Namen ins Zentrum, die meint, Stimmen zu hören. Nicht nur leidet Woyzeck an akustischen Halluzinationen, diese drängen ihn zudem zu einer Mordtat, für die er schließlich hingerichtet werden soll. Von den diversen akustischen Halluzinationen, die im Clarus-Gutachten auftauchen, greift Büchner allerdings nur eine spezifische Konstellation heraus und montiert sie in sein Stück. Dessen ungeachtet zeigen dort die pietistischen Konventionen, die Sittenstrenge und die im Sprachbewusstsein eingelassenen Imperative eine eigentümliche Gewalt: Sie durchsetzen die Figurenrede, geben sich darin als Rede eines Anderen zu erkennen und können unabsehbare Impulse auslösen. Die gehörten Stimmen operieren dann gleich Vektoren, die einander begegnen oder durchdringen, was sogleich Handlungsketten durchtrennt und neu arrangieren lässt. Das trifft allerdings nicht nur auf die Hauptfigur zu, auch die übrigen Akteurinnen und Akteure zeigen sich von sozialen Imperativen durchherrscht, die einer eigenen Logik folgen. Die nachstehenden Überlegungen beabsichtigen, den Stimmen im Drama "Woyzeck" in bislang unversuchter Weise Gehör zu schenken. Wohl ist das Drama mitsamt der darin versammelten Stimmen Gegenstand unterschiedlicher Analysen geworden. Davon sich absetzend soll im Folgenden gezeigt werden, welche sprachstrukturellen Merkmale die herrschende Ideologie zeitigt, an welchen Stellen es ihr gelingt, ihre Subjekte anzurufen und wo sie fehlgeht - und schließlich soll ein bislang unentdeckt gebliebener Zusammenhang von Anrufung und den akustischen Halluzinationen Woyzecks zur Reflexion gebracht werden. Das wird in insgesamt vier Schritten geschehen, die jeweils theoretische Argumente begleiten, die den Arbeiten Louis Althussers und Jaques Lacans entnommen sind. Dieser Weg erlaubt eine Reflexion auf das im Drama angelegte Arsenal der Stimmen, mit dem zugleich eine spezifische Logik der Herrschaft zur Darstellung gebracht ist. Erstens wird die Funktion der Ideologie im Drama unter dem Aspekt der Anrufung untersucht. Zweitens wird das Misslingen der Anrufung an der Figur Woyzecks nachverfolgt, der auf ein davon abseitiges Genießen verfällt. Drittens wird daraus resultierend der Wahn als Installation einer anderen, psychotischen Anrufung erfasst. Und viertens wird anhand des wahnhaften Stimmenhörens eine metaleptische Reflexion im Drama aufgezeigt, welche die Funktion der Ideologie mit der Aufführungspraxis kombiniert.
"Der Mensch ist gar nicht gut/ Drum hau ihn auf den Hut./ Hast du ihn auf den Hut gehaut/ Dann wird er vielleicht gut". Mit dem grotesk-frivolen, bänkelsängerischen Ton verpackt Brecht im Lied von der Unzulänglichkeit ein durchaus ernstes geschichtsphilosophisches Programm: den Menschen - in schlechter, kapitalistischer Gegenwart – besser zu machen. Dazu reichen aber guter Wille, gute Absichten und Pläne keineswegs aus: "Denn für dieses Leben/ Ist der Mensch nicht schlecht genug./ Doch sein höh'res Streben/ Ist ein schöner Zug." Damit der Mensch die Gesellschaft und sich selbst besser machen kann, muss er zunächst vorübergehend härter, skrupelloser‚ 'böser' werden. Erst wenn er zunächst einmal klüger und 'böser' wird, ist er befähigt, an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Das ist dialektische Revolutions- bzw. Geschichtsphilosophie; das ist im Kern eine dialektische Figur in der Tradition der Theodizee.
Voltaire prägte 1767 den Begriff einer "philosophie de l’histoire", nachdem Leibniz 1710 den Begriff der Theodizee eingeführt hatte - als eine Lehre zur Rechtfertigung Gottes angesichts der Übel, des Bösen in der Welt. Die radikale Freiheitsphilosophie des Deutschen Idealismus ist im Kontext der Theodizee begreifbar. Sie entlastet Gott, indem sie zeigt: "nicht Gott ist verantwortlich für diese schlimme Welt, denn nicht er macht und lenkt sie - sondern ein anderer: nämlich der Mensch oder (wie Kant, Fichte, Schelling statt dessen sagen) das Ich." Kant rief nicht zufällig "Gott" als wichtigste der "Vernunftideen" herbei, die zwar keine Erkenntnisse stiftet, den Erkenntnisprozess aber produktiv, regulativ begleitet. Hegel begreift - im Anschluss an Schiller - Geschichte als Universalgeschichte mit dem "Endzweck", "die Freiheit sich zum Bewußtsein […] und damit zur Wirklichkeit zu bringen", zugleich als eine "Theodizee", denn jener Endzweck ist genau "das, was Gott mit der Welt will".
Rezension zu Bodo Morawe: Faszinosum Saint-Just. Zur programmatischen Bedeutung der Konventsrede in „Danton’s Tod“ (II,7) von Georg Büchner. Bielefeld: Aisthesis 2012. / Ariane Martin/Bodo Morawe: Dichter der Immanenz. Vier Studien zu Georg Büchner. Bielefeld: Aisthesis 2013. / Daniela Bravin: Zeit und ihre Nutzung im Werk Georg Büchners. Eine Untersuchung zeitgenössischer Quellen. Bielefeld: Aisthesis 2012 / Georg Büchner und das 19. Jahrhundert. Hg. von Ariane Martin und Isabelle Stauffer (= Vormärz-Studien 22), Bielefeld: Aisthesis 2012.
"Der Meridian", Celans Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 22. Oktober 1960 in Darmstadt, ist ein Fest der Poesie. Dem Vortrag eignet eine Dichte und Dunkelheit, die oft auch Celans Gedichten zugesprochen wird; so attestieren die zahlreichen Besprechungen ihm denn auch meist, wie Helmut Müller-Sievers kritisiert, drei Elemente: "First, that the speech must be understood as an auto-poetological statement; second, that Celan is the best, or at least the most authentic, interpreter of his own poetry; third, that there exists a theoretical discourse that can seamlessly connect Celan's poetology to his poetic practice". Dieser Kritik wird insofern wider- oder entsprochen, als ich hier den ersten wie auch den dritten Aspekt bestätige, allerdings anders als von Müller-Sievers gesehen: Die Rede bildet meines Erachtens nicht so sehr eine Theorie Celans zu seinen eigenen Gedichten, sondern stellt vielmehr bereits die Ausführung einer Poetologie dar - operiert mithin also performativ. Das gleiche Argument, das Müller-Sievers nutzt, um dagegen zu argumentieren, dass es sich bei der Rede um eine Poetologie handelt, ist für diesen Ansatz eher ein Argument dafür. [...] Die von Müller-Sievers genannten Eigenschaften erachte ich dabei nicht nur für Celans Poesie als relevant, sondern im gleichen Maße für den "Meridian". So lässt sich auch das Verhältnis zwischen 'universaler Theorie' und 'konkreter Dichtung' zwar nicht als nahtlose Verbindung, aber doch als ein direktes Verhältnis erkennen; damit stellt sich die Frage jedoch umso mehr, inwieweit Theorie sich auf Dichtung beziehen lässt. Oft geschieht dabei, wie auch Müller-Sievers anmerkt, die Zuordnung der von ihm genannten Elemente wie in einer Black Box. Das Argument ist meist: Es handelt sich um Dichtung / Literatur, also kann dem Werk 'mehr' oder zumindest etwas anderes zuerkannt werden als 'anderen' Texten. Diese blinde Übertragung, irgendwo zwischen Ästhetik und Epistemologie verortet, gilt oft als absolut selbstverständlich - insofern muss in der Tat die Legitimität dieser Zuordnungen stets erneut hinterfragt werden. Ich versuche daher in diesem Aufsatz der Frage nachzugehen, was im Text geschieht, das diese Zugriffe legitim macht - oder zu machen scheint. Es geht dabei nicht (so sehr) darum, eine spezifische Theorie zu bevorzugen, als um eine Untersuchung der Funktionsweise dieses theoretisch-poetischen Textes - und um die Frage, ob die darin entwickelten Aussagen auf Dichtung und Kunst im Allgemeinen übertragen werden können, und wenn ja, wie. Dieses spezifische Verfahren mitsamt seinen mannigfaltigen Ebenen wird hier im Hinblick auf seine spezifische Materialität gelesen und als eine 'wegweisende' Art verstanden; in der Rede kehrt der Meridian als Trope wieder - als Ort wie als Bild - und der Weg zu und auf dem Meridian kann als die Aufgabe betrachtet werden, die Celan sich darin stellt.
Georg Büchners Revolutionsdrama Danton's Tod kommt innerhalb der politisch akzentuierten Dichtung der literaturgeschichtlichen Epoche des Vormärz eine Sonderrolle zu. Wie seine Gattungsbezeichnung bereits andeutet, stellt das Theaterstück mit der Französischen Revolution einen bis dato unvergleichlich radikalen gesellschaftlichen Umbruch in der europäischen Geschichte dar. Gleichsam ist das Drama dezidiert aus Büchners eigener revolutionärer Agitation in der "Gesellschaft der Menschenrechte" hervorgegangen. Danton's Tod realisiert diese enge Verzahnung von Dichtung und Engagement nicht zuletzt anhand einer gegenseitigen Spiegelung des öffentlichen Aufführungscharakters der Französischen Revolution und ihrer selbstreferentiellen Darbietung auf der Bühne des Theaters. Diese Feststellung führt zu einer zentralen Frage der philologischen Analyse solch 'revolutionärer Dichtung': Wie lässt sich ihre Doppelfunktion, sowohl aktiv in eine politische Debatte einzugreifen, als auch ein spezifisches historisches Ereignis mit innovativen künstlerischen Mitteln darzustellen, theoretisch beschreiben?
Die folgenden Ausführungen widmen sich dieser Fragestellung, indem sie auf die Schriften des französischen Philosophen Jacques Rancière Bezug nehmen, der innerhalb der zeitgenössischen internationalen Forschung als einer der renommiertesten Vertreter einer dezidiert politischen Ästhetik gelten kann.
Zentren der Entfaltung jugendlicher Gegendynamik sind die bürgerlichen Mittelschichten. D.h. gerade auch die hier anzutreffenden literarischen Jugendkonzepte bleiben "wie alle frühen Jugendbewegungen in der Neuzeit", auf die sie sich beziehen und die sie realgeschichtlich mitformen, "im wesentlichen auf Studenten bzw. junge Gebildete beschränkt"; und zwar in der Weise, dass diese Jugendkonzepte entweder von Angehörigen der jungen Generation selbst stammen (wie dies exemplarisch für Büchner, aber auch für den Heine der 1820er Jahre zutrifft) oder dass die entsprechenden literarischen Figuren aus den genannten sozialen Schichten stammen. Im Folgenden sollen ausgewählte Texte der 1820er bis 1840er Jahre mit Seitenblicken auf die realgesellschaftliche Situation im Deutschen Bund auf die ihnen eingeschriebenen Jugendkonzepte hin untersucht werden.