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Es gibt zwei Leitmotive, die sich konsequent in der Rhetorik der Forschungsliteratur zu Anselm Kiefer beobachten lassen: zum einen die Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Nationalsozialismus und in der Folge mit der nordisch-germanischen Mythologie und zum anderen die Beschäftigung mit dem Judentum und der jüdischen Mystik. Innerhalb des Gesamtoeuvres sind jedoch diejenigen Arbeiten, die sich augenscheinlich und sehr offensichtlich mit dem Nationalsozialismus beschäftigen nur eine sehr kleine Gruppe. In seiner 50 Jahre umfassenden künstlerischen Laufbahn hat er lediglich in den ersten Jahren eine offensive Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands gesucht. Sie bildet gleichsam den Startpunkt seiner künstlerischen Karriere. Mittlerweile ist der Künstler Anselm Kiefer mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und den Begrifflichkeiten Vergangenheitsbewältigung, Erinnerungsarbeit und Trauerarbeit kanonisiert. Doch je länger der Schaffensprozess von Kiefer andauert und je weiter man auf sein produktives Œuvre zurückblicken kann, umso deutlicher erkennt man nachweisbar zwei ganz andere bildimmanente Leitkategorien in diversen Facetten und Nuancen, die in ihrer Überordnung eine völlig neue Dimension einschlagen: die Dimension von Zeit und Raum respektive Zeitlichkeit und Räumlichkeit in Kiefers gesamtem Werkkomplex.
Insistent beschäftigt sich Kiefer mit allgemeingültigen Themen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder diskutiert zeitlose und damit verbunden auch schwer zugängliche Inhalte. Zeitlos meint in diesem Fall, dass er sich nicht mehr mit den ihm vorher typischen Referenzen der Historie und Geschichte (wie eben dem Nationalsozialismus) beschäftigt, sondern vielmehr auch mit zeitlichen Dimensionen wie der kosmologischen, geologischen oder Lebens-Zeit. Zunehmens treten ab Mitte der achtziger Jahre Raumbezogene Kosmos- und Genesisthemen aus dem Alten Testament oder der Kabbala in den Mittelpunkt. Raum und Zeit als zwei Leitkategorien breiten sich wie eine Art Dach über Kiefers gesamtes Œuvre und über die üblichen ikonografischen Interpretationsmodelle aus. Sie werden von mir als alternative Lesart der Forschung empfohlen.
Jedes Bildwerk besitzt neben seiner räumlichen Gestalt und seinem kompositorischen Bildaufbau auch eine implizite Bildzeit. Beide Determinanten bedingen als Ordnungsraster nicht nur die jeweilige formale Bildgestalt, sondern auch den strukturellen Bildgehalt in Form eines zeitlich-räumlichen Ausdrucks. Raum und Zeit sind als normativ zu verstehen, im Sinne eines Standards, gleichsam als eine Regel, die grundsätzlich für die Annäherung und Interpretation der Kieferschen Arbeiten angewendet werden kann. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit bei Kiefer kann gleichsam übergreifend in die folgenden drei Kategorien eingeteilt werden: 1.) die thematische Referenz auf die beiden Dimensionen, 2.) der tatsächlich motivische Bezug oder 3.) die faktische Umsetzung anhand der Dimension des Bildträgers oder der Entstehungszeit des Werkes. Raum und Zeit liegen zudem ganz grundsätzlich dem kosmologischen Weltentwurf zugrunde, da Alles in Zeit und Raum ist. Die beiden Dimensionen sind dem Kieferschen Sternenbild qua seiner Existenz daher schon anhaftig.
Kiefer hat in den Jahren 1995 bis 2010 eine beachtliche Anzahl an Sternenbildern geschaffen. Er fertigt die Bilder vor allem seriell an, so dass diese Fülle auf Basis diverser formaler Bildanlagen von mir in zwei Gruppen unterteilt wurde.
Die erste Gruppe folgt einer traditionellen Bildform, indem sie grundsätzlich den Bildträger kompositorisch in eine irdische und eine stellare räumliche Zone unterteilen. Der nächtliche Sternenhimmel breitet sich darin geschlossen über einer Landschaft oder einem Innenraum aus. Der Betrachter wird gleichsam von seinem irdischen Standpunkt aus auf den Blick gen Sternenhimmel gelenkt. Die Sternenbilder aus irdischer Perspektive versammeln philosophisches und literarisches Gedankengut der historischen Personen Immanuel Kant, Ingeborg Bachmann und Pierre Corneille. Die zweite Gruppe umfasst jene Arbeiten, die den irdischen Standpunkt verlassen und keine Horizontlinie mehr aufweisen. Bei diesen Arbeiten begreift Kiefer den Bildträger in seiner kompletten Dimensionalität als rein stellaren Bildraum. In den Werken wird als Konsequenz eine für Kiefers Sternenbilder neue bildräumliche Perspektive obligat.
Die Sternenbilder Kiefers fokussieren grundsätzlich kosmologische Fragestellungen, seien sie philosophisch, literaturwissenschaftlich, naturphilosophisch, naturwissenschaftlich oder religiös konnotiert. Damit folgen sie der Tradition vorangegangener Künstlergenerationen. In einem Einführungskapitel, welches für die Verortung Kiefers in die Tradition des Sternenbildes wichtig ist, wird aufgezeigt, dass das Bild der Sterne stets in enger Verbindung mit den eben genannten Disziplinen steht, durch diese maßgeblich beeinflusst wurde und weiterhin wird. Den Künstlern ist die Tatsache gemein, dass sie mit ihrer Darstellung des Sternenhimmels der Frage nach einer räumlichen und zeitlichen Ordnung der Welt, gleichsam als Kosmos verstanden, sowie ihrer Entstehungsursache und des „Bauplans“ nachgehen. Den Sternenbildern scheint gemein zu sein, dass sie realiter durch Beobachtungen, Erkenntnisse und Ergebnisse Wissensräume sichtbar machen, determinieren und das jeweilige Wissen transportieren.
Kiefers kosmologischer Diskurs verläuft in dem großen Bereich des Nicht-Wissens, mit dem Versuch einen ontologischen Sinn herzustellen. Die Arbeiten, die auf Kant referenzieren, auf Bachmann und auf Corneille zeugen von Kiefers kosmologischer Auseinandersetzung, seiner Frage nach Gott, seiner Verortung im Kosmos, seiner Beschäftigung mit dem Darstellbaren und Un-Darstellbaren und einer damit verbundenen Sinnsuche.
Die Dissertation „“Man at the Crossroads“ - “El Hombre Controlador del Universo“ - Diego Rivera zwischen New York und Mexiko 1933/34“, vorgelegt von Elena Stiehr im Fachbereich 9 am Kunstgeschichtlichen Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt unter Betreuung von Prof. Dr. Hans Aurenhammer und Dr. Antje Krause-Wahl, leistet das erste Mal in der Forschung eine umfangreiche Untersuchung der Zweitversion des Freskos „Man at the Crossroads“. Diese realisierte Diego Rivera 1934 unter dem Titel „El Hombre Controlador del Universo“ etwa ein halbes Jahr nachdem „Man at the Crossroads“ im Rockefeller Center, New York aufgrund seines kommunistischen Bildinhalts zerstört wurde. Ziel der Untersuchung ist es, die verschiedenen Kriterien aufzuzeigen, unter denen Rivera die mexikanische Version verwirklichte, die noch heute im Palacio de Bellas Artes in Mexiko-Stadt zu sehen ist. So soll dargestellt werden, dass sich das Fresko trotz seines auf den ersten Blick hin ähnlichen Erscheinungsbildes prägnant von der Erstversion unterscheidet. Darauf weist auch bereits die Umbenennung des Werkes hin. Gleichzeitig jedoch ist „El Hombre Controlador del Universo“ ganz und gar amerikanisch. Durch die detaillierte Schilderung der Realisierung von „Man at the Crossroads“ von März bis Mai 1933 anhand von Primärquellen, wie das Tagebuch von Riveras Assistentin Lucienne Bloch und Berichte aus der amerikanischen Presse, der Analyse, ob und wie Rivera die Richtlinien des Kunstprogramms des Rockefeller Center befolgte und durch Vergleiche mit Werken anderer Künstler, die wie Rivera im Auftrag der Rockefellers arbeiteten, wird das New Yorker Erbe in „El Hombre Controlador del Universo“ aufgezeigt. Maßgeblich dafür ist überraschenderweise jedoch nicht die Wiederholung der amerikanischen Motive aus der Erstversion, wie der US-amerikanischen Kapitalistenklasse, der desolaten Situation der USamerikanischen Arbeiter und Bauern im Zuge der Weltwirtschaftskrise und der technischen und naturwissenschaftlichen Errungenschaften, die erstmals in der Forschung identifiziert und kontextualisiert werden, sondern vor allem die Integration neuer Motive, die fest mit den USA verbunden sind. So erlebte Rivera in New York einen intensiven Austausch mit den USamerikanischen Trotzkisten Max Shachtman und James Cannon, die der Künstler nun in der Zweitversion zusammen mit Trotzki selbst und dem Aufruf zur IV. Internationalen für die Bekämpfung des Kapitalismus, Imperialismus und Faschismus darstellt. In diesem Kontext steht im Bild weiterhin das Portrait des deutschen Widerstandskämpfers Willi Münzenberg, der erstmals in der Literatur identifiziert wird. Rivera zeigt in der Zweitversion nun aber auch in konkreter Gestalt die zu bekämpfende Gegenposition, die in Joseph Goebbels, Adolf Hitler, Josef Stalin und dem japanischen Kaiser Hirohito zu finden ist. Auch diese Portraits wurden in der Forschung bislang übersehen.
Entgegen der in der Literatur vertretenen These, dass die Zweitversion an Kraft verloren hätte, da sie sich nicht mehr im Herzen des Kapitalismus, also dem Rockefeller Center, befinde, macht die Untersuchung deutlich, dass Rivera mit dem Fresko in Mexiko dringlicher als je zuvor für eine marxistisch-trotzkistische Internationale wirbt. Diese sollte sich von Mexiko aus über den gesamten amerikanischen Kontinent erstrecken und der kapitalistisch-imperialistischen Allianz Einhalt gebieten. Die Arbeit leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag für den Diskurs über die Rezeption der prähispanischen Kunst im Werk von Diego Rivera. So wird erstmals aufgezeigt, dass Rivera auch in „El Hombre Controlador del Universo“ Motive aus der altmexikanischen Kultur ableitet. Im Gegensatz zu anderen Fresken wurde das Wandbild noch nicht unter dieser Fragestellung untersucht. Grund dafür könnte sein, dass Rivera die ursprünglich mexikanischen Motive, wie die der Sonne und des Mondes, der Nutzpflanzen, der Tiere und des Totenkultes, in einen wissenschaftlichen Kontext einbettet und sie daher nicht auf dem ersten Blick als originär mexikanisch wahrgenommen werden. Der Epilog der Arbeit führt einen Vergleich mit dem für die Pariser Weltausstellung 1952 realisierten Freskos „Friedenstraum und Kriegsalbtraum. Realistische Phantasie“ fort, den 2008 erstmals in der Forschung Ana Isabel Pérez Gavilan Ávila angestoßen hat. Aufgrund der Darstellung von Stalin und Mao als Initiator einer Friedensbewegung und der USA als Atommacht und Folterer von Koreanern und Chinesen hatte dieses Fresko ähnlich wie „Man at the Crossroads“ eine scharfe Zensur erhalten. Rivera behauptete daraufhin sein Bild verteidigend, dass das Fresko eine inhaltliche und formale Fortsetzung von „El Hombre Controlador del Universo“ sei. Ein bislang nicht publizierter Brief, der sich im Archiv des CENIDIAP in Mexiko befindet, legt jedoch dar, dass Rivera mit Hilfe des Wandbildes lediglich versuchte, nach über 20 Jahren wieder von der Kommunistischen Partei aufgenommen zu werden.
Für den Zugang zu sozialen Netzwerken - sei es ein klassisches soziales Netzwwerk oder eine objektspezifische Community - ist die Existenz eines Avatars obligatorisch. Die virtuelle Repräsentation bindet die User_innen dahinter als gestaltbares Interface-Objekt in das Kommunikationssystem ein. Der systemspezifische Avatar besteht dabei aus feststehenden Modulen, deren Anordnung von den User_innen unveränderbar ist so dass mit dem Zugang zum System die Annahme der medialen Uniformität ebenfalls obligatorisch einhergeht; sie standadisiert alle Avatare des zugehörigen Systems schablonenhaft. Durch das Füllen der Module der medialen Uniformität mit grafischen Informationen kann eine persönliche grafische Uniform generiert werden, die immer in Bezug zur grafischen Uniformität der jeweiligen Community steht...
Die Wandreliefs aus dem Nordwest-Palast Aššurnasirpals II. (883-859 v. Chr.) in Nimrud zählen zu den forschungsgeschichtlich frühesten und bedeutendsten Funden des Alten Orients. Sie befinden sich heutzutage in zahlreichen Sammlungen weltweit und bieten durch ihre Darstellungen einen tiefgreifenden Einblick in die assyrische Kultur. Insbesondere Kontext und Position der Reliefs bieten Hinweise zur Bedeutung der dort angebrachten Figuren. Zwar ist eine "Schutzfunktion" vergleichbarer Repräsentationen textlich bezeugt – jedoch bisher nur unter Vorbehalt auf die Reliefdarstellungen zu übertragen. An dieser Stelle kann die Systematisierung ikonographischer Details in Abhängigkeit von ihrem Anbringungsort konzeptionelle Aspekte erkennbar machen.
Durch eine relationale Datenbank und dreidimensionale Visualisierungstechniken wird geprüft, ob die stilistische Variationsbreite ikonographischer Details eine potentielle Systematik aufweist; ebenso, bis zu welchem Grad die jeweilige Form eines bestimmten Zeichnungsdetails einem intentionalen Anbringungskonzept entspricht. Als Teil dieser Vorgehensweise fungiert die in diesem Zusammenhang generierte 3D-Rekonstruktion als methodisch unterstützende Maßnahme. Sie ermöglicht sowohl eine moderne Zusammenführung ehemals benachbarter Reliefplatten unabhängig ihres gegenwärtigen Aufbewahrungsortes als auch die Wiederherstellung heute kaum noch sichtbarer Gewandverzierungen und Pigmentreste. Anhand der Ergebnisse wird deutlich, dass eine Systematisierung der Reliefdetails mittels 3D-Modell einen erweiterten Erkenntnisfortschritt impliziert und – nicht zuletzt aufgrund der zurückliegenden Zerstörungen der Palastruine und der damit verbundenen unwiederbringlichen Verluste – auch weitere Untersuchungen unterstützen können.
Der Sufi-Meister und Dichter Ken’ân Rifâî gilt als eine der bedeutendsten und einflussreichsten Persönlichkeiten der osmanisch-türkischen Sufi-Tradition im 20. Jahrhundert. Sein Leben zwischen den Jahren 1867-1950, welches die vier Phasen, die Monarchie, die erste und zweite Verfassungsperiode (1876 und 1908), die Republik (1923) und auch die Anfangsphase der Demokratie (1950) umfasst, und seine Lehre reflektieren die Entwicklung, die Umwälzung und den letzten Zustand, die das sufische Leben im letzten Zeitabschnitt des Osmanischen Reiches und nach der Ṭarīqa-Phase in der Periode der Republik erlebt und erreicht hat. Ken’ân Rifâî fungierte zwischen den Jahren 1908-1925 als Tekke-Scheich, und zwar bis 1925, wo alle vorhandenen Tekkes in der Türkei gesetzlich verboten und dementsprechend geschlossen wurden...
Nach der Revolution 1917 schlossen sich mehrere russische Avantgardekünstler den kollektiven geistigen Anstrengungen ein, um ein revolutionäres Gesamtkunstwerk der neuen Menschheit zu gestalten. Sie nutzten alle Medien der Kunst, um ihre innovativen Ideen in diesem Experimentierfeld zu verwirklichen. Die Keramik wurde von ihnen als eines der bedeutenden Experimentierfelder und eine zukunftsweisende Kunstgattung gesehen, die durch den alltäglichen Gebrauch das Bewusstsein und die Wahrnehmung der Menschen entscheidend revolutionieren sollte.
Die vorliegende Dissertation untersucht erstmals die Keramik der russischen Avantgarde als eigenständiges künstlerisches Phänomen. Alle dokumentarisch belegten Entwürfe und Keramiken der russischen Avantgardisten werden zusammengefasst sowie alle bekannten Marken der Keramik aufgeführt. Die Autorin systematisiert die Formensprache und Dekormotive der avantgardistischen Keramikwerke und hebt Hintergrunde sowie theoretische Grundlagen der jeweiligen avantgardistischen Gruppen im Bereich Keramik hervor.
Die vorliegende vergleichende Analyse der russischen und westeuropäischen Keramikkunst des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts deckt zum ersten Mal in der kunsthistorischen Forschung ihre Gemeinsamkeiten sowie die gegenseitigen Einflüsse auf, dabei werden die Unterschiede der russischen und europäischen avantgardistischen Keramikkunst deutlich reflektiert.
Der Sufi-Meister und Dichter Ken’ân Rifâî gilt als eine der bedeutendsten und einflussreichsten Persönlichkeiten der osmanisch-türkischen Sufi-Tradition im 20. Jahrhundert. Sein Leben zwischen den Jahren 1867-1950, welches die vier Phasen, die Monarchie, die erste und zweite Verfassungsperiode (1876 und 1908), die Republik (1923) und auch die Anfangsphase der Demokratie (1950) umfasst, und seine Lehre reflektieren die Entwicklung, die Umwälzung und den letzten Zustand, die das sufische Leben im letzten Zeitabschnitt des Osmanischen Reiches und nach der Ṭarīqa-Phase in der Periode der Republik erlebt und erreicht hat. Ken’ân Rifâî fungierte zwischen den Jahren 1908-1925 als Tekke-Scheich, und zwar bis 1925, wo alle vorhandenen Tekkes in der Türkei gesetzlich verboten und dementsprechend geschlossen wurden...
Die Untersuchung befasst sich am Beispiel der fotografischen Arbeiten von Barbara Klemm mit einer aktuellen Entwicklung in der Fotografie. Der Lebens- und Berufsweg der Fotografin steht dabei stellvertretend für eine Generation von Reportage- und Dokumentarfotografen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur erfolgreich in ihrem Beruf gearbeitet, sondern darüber hinaus auch im musealen Kontext Beachtung erfahren haben. Durch die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit und das damit verbundene Ansehen entwickelten sich die Arbeiten von Barbara Klemm von dokumentarischen Zeitungsbildern zu künstlerischen Fotografien. Wie dieser Prozess vom Zeitungsbild zum Museumsbild im Einzelnen abgelaufen ist, wird in der vorliegenden Arbeit untersucht.
Zu Beginn wird der gegenwärtige Umgang mit Fotografie in der Gesellschaft und in der Kunst thematisiert. Es wird die Entwicklung des fotografischen Mediums seit 1960 parallel zu den Wirkjahren von Barbara Klemm untersucht und gezeigt, welchen Einfluss diese Veränderungen auf ihr Werk und dessen Wahrnehmung hatten.
Dies ist im Allgemeinen die Frage nach der Wahrnehmung von Fotografie und im Speziellen nach der Veränderung von Wahrnehmung oder besser nach der Veränderung der Umwelt, die dem Betrachter eine andere Sicht auf die Fotografie ermöglicht. Das Thema ist aus der Sicht der Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik bedeutsam, denn es zeigt, wie sich gesellschaftliche Kategorisierungen nicht unmittelbar, sondern im Laufe eines jahrzehntelangen Prozesses verändern. Eine Veränderung, deren Ursachen in einer engen Vernetzung von Wahrnehmung, Kommunikation, gesellschaftlicher Faktoren und ganz unterschiedlicher Entwicklungen innerhalb verschiedener einflussnehmender Systeme in einer gemeinsamen Umwelt zu suchen sind. Die analoge Schwarzweißfotografie ist die Technik in der Barbara Klemm arbeitet. Dies stellt heutzutage eine Besonderheit dar, denn die Sehgewohnheiten der Betrachter sind durch sehr verschiedene Bildarten geprägt. Diese reichen von Schnappschüssen und Amateuraufnahmen mit Kleinbild- oder handykameras bis hin zu professionellen Fotografien in der Werbung oder in Hochglanzmagazinen. Aufgrund der digitalen Technik, bei der mehr Aufnahmen in kurzer Zeit gemacht werden können, treten Komposition, Bildaufbau und Beleuchtung oft in den Hintergrund. Die Unterschiede zwischen analoger und digitaler Fotografie werden zudem in einer geschichtlichen Entwicklung der Reportagefotografie der vergangenen Jahrzehnte vertieft. Barbara Klemm arbeitete den größten Teil ihres Berufslebens als Bildjournalistin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Von 1970 bis 2004 war sie zuständig für die Bereiche Politik und Feuilleton. In diesen Jahren entstanden Bilder, die heute zum kollektiven Gedächtnis vieler Deutscher zählen. Ausgehend von ihrer Arbeit wird dargestellt, wie die Fotografien einem Publikum zugänglich gemacht wurden und im Laufe der Zeit über das Medium der Zeitung hinaus in andere Bereiche der Öffentlichkeit gelangten, vor allem in die Kunst, aber auch in die Bereiche der Geschichte und Erinnerungsarbeit. Unter Verwendung der theoretischen Grundlage und Kategorisierung von Niklas Luhmann werden Arbeiten der Fotografin im System Journalismus und im System Kunst untersucht. An dieser Stelle waren Operatoren notwendig, die ihre Bilder aus dem System des Zeitungswesens in das System der Kunst transferierten. Diese Aufgabe konnten nur bestimmte Schlüsselfiguren (Schlüsselpersonen) erfüllen, denn Barbara Klemm hatte zu keiner Zeit intendiert, künstlerisch zu arbeiten. Das bedeutet, nur ein anerkannter Museumsdirektor oder ein erfahrener Ausstellungskurator konnte ihre Position in das „System Kunst“ einführen.
Nach einer kurzen biografischen Vorstellung der Arbeits- und Lebensstationen werden der Stil, die Technik und die Komposition Barbara Klemms Fotografien analysiert, um anschließend einen Versuch zu unternehmen, die besondere Ästhetisierung der Bilder zu erklären. So besitzt eine gelungene Fotografie von Barbara Klemm einen Mehrwert gegenüber den reinen Reportagebildern. Was der Betrachter vor Barbara Klemms Bildern empfindet und assoziiert, ist zum Teil individuell, zum Teil aber auch sozial, gesellschaftlich und kulturell – also intersubjektiv bestimmt. All seine Erfahrungen prägen die Beziehung zu jedem einzelnen Bild. Dass die Fotografien von Barbara Klemm heute eine breite Akzeptanz erfahren, hängt auch mit gesellschaftlichen Abläufen zusammen. Wissen und Meinungen festigen sich durch Wiederholung, die zur Gewohnheit werden. Vertrautem begegnet man folglich eher mit Sympathie und Wohlwollen, nicht zuletzt vermittelt es eine gewisse Sicherheit. Die langjährige Präsenz als Fotografin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellt demnach eine fruchtbare Basis dar. Symbolisch gesprochen ist ihre Anstellung bei der Tageszeitung das stabile Fundament, auf dem ihr späterer Erfolg als künstlerische Fotografin aufbaut.